Balz Stückelberger – «Die Schwierigkeit im Arbeitsrecht liegt in der unermesslich breiten und vielfältigen Praxis.»
Arbeitsrecht
Dr. iur. Balz Stückelberger ist Geschäftsführer des Arbeitgeberverbands der Banken in der Schweiz. In dieser Funktion vertritt er die Arbeitgeberinteressen der Schweizer Banken gegenüber Politik, Behörden und Medien und berät die Mitglieder in Fragen des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts sowie in strategischen HR- und Arbeitsmarktfragen. Zudem ist er für die Pflege der sozialpartnerschaftlichen Beziehungen der Banken mit dem Schweizerischen Bankpersonalverband und dem Kaufmännischen Verband Schweiz zuständig, wozu unter anderem die Verhandlung der beiden Gesamtarbeitsverträge der Bankbranche gehört. Balz Stückelberger ist Mitglied der Eidgenössischen Arbeitskommission und übt zahlreiche berufliche und nebenberufliche Vorstands- und Verwaltungsratsmandate aus. Er lebt mit seiner Familie in Arlesheim (BL) und ist Mitglied des Landrats des Kantons-Basellandschaft.
1. Wo liegen im Moment Ihre Berührungspunkte mit dem Arbeitsrecht?
Meine täglichen Berührungspunkte sind die Arbeitsrechtsberatungen für unsere Mitglieder. Die Banken haben in der Regel kompetente Personal- und Rechtsabteilungen und lösen «klassische» Fälle selbst. Bei mir landen dann eher die nicht alltäglichen oder komplexeren Fälle, oder ich werde um eine Zweitmeinung gebeten. Zudem lancieren wir in diesem Jahr den zweiten Zertifikatskurs Arbeitsrecht. Es war schon immer mein Wunsch, einen Lehrgang anzubieten, der das ganze Arbeitsrecht abdeckt, sich aber konsequent an der Praxis orientiert.
2. Wann sind Sie das erste Mal mit dem Arbeitsrecht in Kontakt gekommen?
Das war ein eher traumatischer Kontakt: Ich habe im Austauschsemester an der Universität Fribourg Arbeitsrecht als Prüfungsfach gewählt. Die Lehrbücher und das Vorlesungsskript hatte ich ziemlich im Griff, und ich wäre bereit gewesen, dieses Wissen abzurufen. An der Prüfung bei Prof. Erwin Murer ging es dann aber um die Diskussion eines Falles, was mich nicht nur überrascht, sondern auch ziemlich gefordert hat. Spätestens seit diesem Moment weiss ich: Die Schwierigkeit im Arbeitsrecht liegt in der unermesslich breiten und vielfältigen Praxis.
3. Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?
In der Rechtsberatung liegt die grösste Herausforderung darin, den Sachverhalt richtig zu erfassen, die relevanten Fakten herauszukristallisieren und bei Bedarf nachzufragen. Die Fragestellenden sind häufig tief im Fall drin und erwarten eine Antwort, die sie weiterbringt. «Es kommt darauf an» ist nicht das, was man von mir hören will. Deshalb braucht es manchmal auch etwas Mut zur Klarheit.
4. Gibt es eine berichtenswerte Episode aus Ihrer Tätigkeit im Bereich Arbeitsrecht? Was macht diese so besonders?
Das Schöne am Arbeitsrecht ist ja, dass es so vielfältig ist wie das Leben. Deshalb gibt es täglich berichtenswerte Episoden. Besonders interessante Fälle besprechen wir in unserem monatlichen Newsletter in der Rubrik «Hätten Sie es gewusst?». Diese Beiträge erreichen regelmässig die mit Abstand höchsten Klickraten. Arbeitsrecht interessiert offenbar!
Für mich persönlich sind aber diejenigen Episoden am wichtigsten, über die wir nicht sprechen oder schreiben können: Ich begleite häufig komplexe Trennungsprozesse oder auch Massenentlassungen und Sozialpläne. Wenn es in diesen oft auch emotional aufgeladenen Situationen gelingt, für alle Beteiligten vertretbare Lösungen zu verhandeln, bin ich zufrieden.
5. Was sind Ihrer Meinung nach die grössten Stärken und Schwächen im Schweizer Arbeitsrecht/Arbeitsmarkt?
Die nach wie vor liberale Prägung unseres Arbeitsrechts mit der Kündigungsfreiheit als Kernelement ist ein wichtiger Erfolgsfaktor des Arbeitsmarkts. Die Arbeitgeber erhalten dadurch die nötige Flexibilität. Davon profitieren auch die Mitarbeitenden: Häufig wird vergessen, dass das Gegenstück der Kündigungsfreiheit die Anstellungsbereitschaft ist. Eine weitere Stärke ist sicher die Sozialpartnerschaft, solange sie für konstruktive Branchenlösungen genutzt und nicht ideologisch missbraucht wird.
Eine Schwäche ist sicher die stark fragmentierte Regulierungslandschaft im Bereich der Arbeitsgesetzgebung. Es ist nicht einfach, im Verordnungs-Flickwerk die Übersicht zu behalten. Allerdings sehe ich keine Alternative, um mit Ausnahmen und Sonderregeln den unterschiedlichen Bedürfnissen der verschiedenen Branchen und Berufen gerecht zu werden.
6. Welches wäre Ihr wichtigster Tipp an Arbeitnehmer, welches an Arbeitgeber?
Ganz klar: «Redet miteinander!» Und zwar nicht erst, wenn es Probleme gibt. Mangelnde Kommunikation und daraus entstehende Missverständnisse und Fehlentscheide sind wohl die häufigsten Gründe für arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen.
7. Wie hat sich das Arbeitsrecht in den vergangenen Jahren Ihrer Meinung nach verändert?
In stelle eine zunehmende arbeitsrechtliche Regulierung des gesunden Menschenverstandes fest. Wo früher Arbeitgeber und Arbeitnehmende eine angemessene Lösung fanden, gibt es heute eine gesetzliche Regelung. Dabei denke ich zum Beispiel an den Urlaub für die Betreuung von schwerkranken Kindern. Ich kenne keinen Arbeitgeber, der die betroffenen Mitarbeitenden in einer solch tragischen und belastenden Situation nicht unterstützt. Die Bedürfnisse der Mitarbeitenden sind je nach Situation aber sehr unterschiedlich, weshalb eine gesetzliche «one-size-fits-all»-Regelung kaum weiterhilft.
8. Welches ist Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung im Schweizer Arbeitsrecht/Arbeitsmarkt in den kommenden 10 Jahren?
Die Arbeitswelt wird sich weiter verändern. Die Bedürfnisse nach Flexibilität nehmen zu und lassen neue Arbeitsformen entstehen, die das klassische Arbeitsrecht an den Anschlag bringen werden. Auch wenn das aktuelle Arbeitsrecht ziemlich dehnbar ist und viele neue Arbeitsformen erfassen kann, wird sich irgendwann die Frage nach einer Totalrevision stellen. Ich bin allerdings skeptisch, ob eine solche Modernisierung gelingen wird, ohne die liberale Prägung aufs Spiel zu setzen.
Patrick Näf | legalis brief ArbR 17.04.2024