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VORGESTELLT

Bianka Fürbringer – «Man muss rechtliche Präzision mit menschlichem Feingefühl verbinden, damit Gesetze funktionieren.»

Arbeitsrecht

Bianka Fürbringer ist Rechtsanwältin und Partnerin bei der auf Arbeits- und Personalrecht spezialisierten Anwaltskanzlei Gremper & Partner AG in Basel. Sie hat umfassende Erfahrung als Prozessanwältin in verschiedenen Bereichen des Arbeitsrechts, genauso wie im Rahmen der aussergerichtlichen Streiterledigung. Zudem ist sie Richterin am Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, Mitglied des ständigen staatlichen Einigungsamtes für Kollektivstreitigkeiten in Basel-Stadt und regelmässige Dozentin an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Daneben ist sie Präsidentin des Vereins FOYERBASEL Perspektive Jugend.

Wo liegen im Moment Ihre Berührungspunkte mit dem Arbeitsrecht?

Meine Berührungspunkte mit dem Arbeitsrecht sind vielfältig. Einerseits berate und unterstütze ich sowohl Privatpersonen als auch Unternehmen, andererseits vermittle ich Studierenden als Dozentin die arbeitsrechtlichen Grundsätze. Zudem bin ich als Richterin tätig, wo es nicht darauf ankommt, die Perspektive der vertretenen Partei überzeugend darzulegen, sondern darauf, den Sachverhalt objektiv zu erfassen, selbst wenn persönliche Schicksale dahinterstehen; man muss seine Entscheidungsbefugnisse mit hoher Verantwortung ausüben und dabei stets die nötige Distanz zu den Parteien wahren, um fair und gerecht urteilen zu können. Letztlich bedeuten all diese Rollen, sich verschiedene Hüte aufzusetzen, doch immer mit viel Herzblut pragmatisch zu handeln und die tatsächlichen Bedürfnisse und Anliegen nie aus den Augen zu verlieren.

Wann sind Sie das erste Mal mit dem Arbeitsrecht in Kontakt gekommen?

Mein erstes Arbeitszeugnis nach einem mehrmonatigen Sommerjob – stolz hielt ich es in den Händen und prüfte es mit meinem frisch erworbenen Wissen. Wohlwollende Formulierungen, oder doch kreative Juristensprache? Da ich bleiben durfte, behaupte ich mal, dass ich mit Letzterer erst später so richtig Bekanntschaft gemacht habe. Wirklich spannend wurde es dann aber in meiner ersten beruflichen Station als Gerichtsschreiberin. Dort merkte ich schnell: Es geht nicht nur um Paragraphen, sondern um Existenzen – und manchmal um die feine Kunst, zwischen den Zeilen zu lesen. Und schon damals wusste ich, dass ich eines Tages als Richterin zurückkehren und mit entscheidender statt nur beratender Stimme am Gerichtsverfahren mitwirken möchte.

Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?

Wo fange ich an? Es braucht eine Kombination aus rechtlicher Präzision und menschlichem Feingefühl, damit Gesetze im echten Leben gleichermassen funktionieren wie auf dem Papier.

Was sind Ihrer Meinung nach die grössten Stärken und Schwächen im Schweizer Arbeitsrecht/Arbeitsmarkt?

Eine der grössten Stärken des Schweizer Arbeitsrechts ist seine Flexibilität, die individuelle Vertragsgestaltungen ermöglicht und sowohl Arbeitgebenden als auch Arbeitnehmenden Handlungsspielraum bietet.

Als Schwäche sehe ich, dass die aktuelle Gesetzgebung mit den veränderten Arbeitsformen oft nicht Schritt hält, was zu Unsicherheiten für beide Seiten führt.

Welches wäre Ihr wichtigster Tipp an Arbeitnehmer, welches an Arbeitgeber?

Viele arbeitsrechtliche Konflikte lassen sich vermeiden, wenn beide Seiten offen miteinander sprechen und bereit sind, ihre eigene Position zu reflektieren.

Wie hat sich das Arbeitsrecht / der Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren Ihrer Meinung nach verändert?

In den letzten Jahren gab es Entwicklungen hin zu mehr Flexibilisierung, beispielsweise durch die Zunahme von Homeoffice-Regelungen. Zudem haben Digitalisierung und Globalisierung neue Herausforderungen und Fragestellungen aufgeworfen.

Welches ist Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung im Schweizer Arbeitsrecht/Arbeitsmarkt in den kommenden 10 Jahren?

Die grösste Herausforderung besteht darin, das Arbeitsrecht an die sich wandelnden Arbeitsformen und -bedingungen anzupassen und es insbesondere im Hinblick auf die Digitalisierung sinnvoll zu begleiten, ohne es unnötig ausufern zu lassen. Während Unternehmen zunehmend agile und projektbasierte Arbeitsmodelle bevorzugen, benötigen Arbeitnehmende weiterhin Stabilität und Sicherheit. Zudem verändern künstliche Intelligenz und Automatisierung den Arbeitsmarkt rasant. Viele traditionelle Berufe verschwinden, während neue entstehen. Hier muss das Arbeitsrecht mitziehen und klare Regeln schaffen, die sowohl Innovation als auch soziale Sicherheit fördern. Auch die Bedeutung des Arbeitszeugnisses steht im Wandel. In vielen Nachbarländern sind ausführliche Zeugnisse bereits unüblich, und ihre Relevanz wird zunehmend hinterfragt. Digitale Referenzen oder standardisierte Kompetenzprofile könnten künftig an Bedeutung gewinnen, da sie international vergleichbarer und allenfalls weniger interpretationsbedürftig sind. Dennoch bleibt das Arbeitszeugnis derzeit ein wichtiger Bestandteil der Schweizer Arbeitskultur – zumindest solange Unternehmen Wert darauf legen.

Patrick Näf | legalis brief ArbR 20.02.2025