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VORGESTELLT

Hans Strittmatter –«Der Altersrücktritt der Boomer wird sich verhängnisvoll auf Wirtschaft und Gesellschaft auswirken.»

Arbeitsrecht

Hans Strittmatter studierte auf dem zweiten Bildungsweg in Zürich Rechtswissenschaften, arbeitete bei verschiedenen Gerichten und erwarb 1997 das Anwaltspatent. Unter anderem war er zehn Jahre für Swissmem im Bereich Arbeitgeberpolitik tätig und ist seit gut elf Jahren Geschäftsleiter von Arbeitgeber Zürich VZH.

Wo liegen im Moment Ihre Berührungspunkte mit dem Arbeitsrecht?

Im Rahmen meiner Tätigkeit als Geschäftsleiter eines Arbeitgeberverbands berate ich täglich Arbeitgeberinnen zu den unterschiedlichsten arbeitsrechtlichen Fragestellungen. Meine Funktion erlaubt auch die Mitarbeit in verschiedenen Gremien, in denen das Arbeitsrecht zentral ist.

Wann sind Sie das erste Mal mit dem Arbeitsrecht in Kontakt gekommen?

Die Vorlesung von Prof. Rehbinder war eine höchst unterhaltsame und intensive Einführung in dieses Rechtsgebiet. Rein praktisch kamen die ersten Berührungspunkte jedoch viel früher, bei meinen verschiedenen Jobs. Deren rechtliche Regelungen waren jedoch nicht immer über alle Zweifel erhaben …

Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?

Nicht selten versucht man Führungs- und Kommunikationsdefizite auf der arbeitsrechtlichen Ebene zu lösen, was in der Regel nicht gut herauskommt. Insofern sehe ich mich bisweilen in der Rolle des Advocatus Diaboli, womit ich meistens auf offene Ohren stosse. Und ja, die neuen Urlaube sind in der Praxis mitunter schwer zu erklären.

Gibt es eine berichtenswerte Episode aus Ihrer Tätigkeit im Bereich Arbeitsrecht? Was macht diese so besonders?

Allzu oft hat das HR-Management in Unternehmen nicht den Stellenwert, den es verdient. Damit wird regelmässig auch arbeitsrechtlichen Fragen nicht angemessen begegnet, was bekanntlich teuer werden kann. Die Möglichkeit, eine geneigte Ansprechperson so zu beraten, dass diese auch eine weniger berufene Geschäftsleitung auf den richtigen Weg steuern kann, ist immer ein schönes Erfolgserlebnis.

Was sind Ihrer Meinung nach die grössten Stärken und Schwächen im Schweizer Arbeitsrecht/Arbeitsmarkt?

Die vorhandenen Freiheiten des Arbeitsrechts sind, verantwortungsvoll genutzt, ein enormer Vorteil für den Schweizer Arbeitsmarkt. Hierfür ist Sorge zu tragen. Hingegen ist das Arbeitsgesetz aus der Zeit gefallen und bedarf dringlich einer gründlichen Revision.

Welches wäre Ihr wichtigster Tipp an Arbeitnehmer, welches an Arbeitgeber?

An beide: miteinander reden und sich an die Spielregeln halten.

Wie hat sich der Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren Ihrer Meinung nach verändert?

Der Mangel an Arbeitskräften wurde von der Wirtschaft, obwohl seit sehr langem bekannt, zu wenig antizipiert. Der Altersrücktritt der Boomer aus dem Arbeitsmarkt wird sich verhängnisvoll auf Wirtschaft und Gesellschaft auswirken. Weshalb der Wert älterer Mitarbeitender vor diesem Hintergrund mancherorts immer noch nicht erkannt wird, ist unbegreiflich.

Welches ist Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung im Schweizer Arbeitsrecht/Arbeitsmarkt in den kommenden 10 Jahren?

Die Welt verändert sich in hohem Tempo, viel schneller als das Arbeitsrecht. Dies heisst jedoch nicht, dass jede Entwicklung gleich einer Regulierung bedarf. Hier die Balance zu wahren, ist nicht immer einfach. Einerseits soll die politische Hektik nicht zu überstürzten Fehlschüssen führen, anderseits ist der Reformstau namentlich bei der Vorsorge besorgniserregend.

Patrick Näf | legalis brief ArbR 19.09.2024