Kurt Pärli – «Ein Blick zurück in die jüngere Arbeitsrechtsgeschichte zeigt, dass sich die Grundstrukturen bewährt haben.»

Arbeitsrecht

Nach Studien in Sozialer Arbeit und Rechtswissenschaft, Tätigkeiten im Sozial- und Gesundheitsbereich sowie Lehre und Forschung an Fachhochschulen erhielt Kurt Pärli 2016 die Professur für Soziales Privatrecht an der Juristischen Fakultät der Universität Basel. Seine Forschungsschwerpunkte sind u.a. Diskriminierungsschutzrecht, Arbeits- und Arbeitsvölkerrecht, Sozialversicherungsrecht und Datenschutzrecht. Prof. Dr. iur. Kurt Pärli gründete 2017 die «Schweizer Sektion der International Society for Labour Law and Social Security Law», welche er auch präsidiert. Kurt Pärli hat zahlreiche Publikationen verfasst und Vorträge gehalten. Mehr Information finden sich auf seiner Webseite.

Wo liegen im Moment Ihre Berührungspunkte mit dem Arbeitsrecht?

Das Arbeitsrecht prägt meinen beruflichen Alltag sehr stark. Ich bin verantwortlich (u.a.) für eine Grundvorlesung Arbeitsrecht. Die Studierenden erhalten hier einen umfassenden Einblick in das Zusammenwirken zwischen Arbeitsvertragsrecht, öffentlichem Arbeitsrecht und kollektivem Arbeitsrecht. Zum Programm gehört der Besuch einer Gerichtsverhandlung in einer arbeitsrechtlichen Streitigkeit. Dank Angeboten für Vertiefungsvorlesungen (z.B. Schnittstellen Arbeitsrecht/Sozialversicherungsrecht oder Internationales Arbeitsrecht) und Seminaren (z.B. zum Kollektiven Arbeitsrecht oder zum EU-Arbeitsrecht) können besonders interessierte Studierende ihre Arbeitsrechtskompetenzen erweitern.

Arbeitsrechtliche Fragen beschäftigen mich auch in meiner Forschungs- und Publikationstätigkeit. Dabei interessieren mich Fragestellungen, die über das «klassische Arbeitsrecht» hinausgehen (wie z.B. das Entsenderecht oder der Arbeitnehmerdatenschutz). Ein weiterer Schwerpunkt meiner wissenschaftlichen Aktivitäten bildet die Auseinandersetzung mit den (arbeits)rechtlichen Folgen des gesellschaftlichen und technologischen Wandels (Digitalisierung, Plattformwirtschaft, Arbeitsmigration usw.).

Wann sind Sie das erste Mal mit dem Arbeitsrecht in Kontakt gekommen?

Als 16jähriger KV-Lehrling las ich das Berufsbildungsgesetz und stellte fest, dass im Widerspruch zum Gesetz an der Berufsschule keine allgemeinbildenden Freifächer angeboten wurde. Das bildete Anlass, mich für dieses Anliegen politisch zu engagieren, was sogar mit Erfolg gekrönt war, die Berufsschule führte allgemeinbildende Freifächer ein. Diese Erfahrung bildete für mich ein Schlüsselerlebnis für meine spätere berufliche Entwicklung.

Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?

Der Uni-Betrieb und dessen übergeordneter rechtlicher Rahmen sorgen dafür, dass der administrative Aufwand eher grösser wird. Die Digitalisierung zeigt hier ihr Janusgesicht; gewisse Prozesse werden einfacher, so müssen z.B. in Berufsverfahren nicht mehr hunderte von Seiten Papier Unterlagen in (zu) schweren Mappen von Sitzung zu Sitzung geschleppt werden. Dafür wird die Abhängigkeit vom Funktionieren der IT-Infrastruktur immer grösser und die als Folge digitaler Prozesse grösser werdende Daten- und Informationsflut kann kaum mehr adäquat bewältigt werden.

Im Themenfeld «Arbeitsrecht» ist die Dynamik der Rechtsentwicklung relativ beschaulich. Dank langer Erfahrung bin ich hier mit vertretbarem Aufwand «à-jour». Das zeigt sich insbesondere im Vergleich zum Sozialversicherungsrecht, meiner zweiten Schwerpunktthematik, hier benötigt es sehr viel Effort, mit der Rechtsentwicklung auf hohem Niveau Schritt zu halten.

Gibt es eine berichtenswerte Episode aus Ihrer Tätigkeit im Bereich Arbeitsrecht? Was macht diese so besonders?

Gleich zu Beginn meiner Tätigkeit an der Universität Basel (2016) durfte ich mich mit der Status-Frage der Uber-Fahrer/innen beschäftigten. Seither bin ich so etwas wie der Chronist in der «Uber-Saga» in der Schweiz, ich durfte alle relevanten Urteile zum Thematik in Fachzeitschriften besprechen. Zur Einordnung des Themas dienen mir hier auch Kontakte zu Kolleginnen und Kollegen ausländischer Universitäten, Uber beschäftigt die Gerichte bekanntlich weltweit.

Was sind Ihrer Meinung nach die grössten Stärken und Schwächen im Schweizer Arbeitsrecht/Arbeitsmarkt?

Das schweizerische Arbeitsvertragsrecht stellt meines Erachtens grundsätzliche eine weitgehende gelungene Mischung dar aus Arbeitsrecht einschliesslich der auch im Arbeitsrecht grundsätzlich geltenden Vertragsfreiheit, dem Arbeitnehmerschutz im öffentlichen Arbeitsrecht und dem kollektiven Arbeitsrecht.

Zuweilen wäre wünschenswert, der Gesetzgeber wäre etwas mutiger, etwa was den arbeitsrechtlichen Diskriminierungsschutz betrifft, die Wirtschaft wird nicht untergehen, wenn Diskriminierungen wegen sensibler Persönlichkeitsmerkmale ausdrücklich verboten würde. Für die vielen Betriebe, die ohnehin eine diskriminierungsfreie Einstellungs- und Beschäftigungskultur pflegen, würde sich nichts ändern, alle anderen würden aber in die Pflicht genommen. Wirksamer arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz ist so gesehen ein Beitrag zu einem fairen Wettbewerb.

Die relativ liberalen Regelungen im schweizerischen Arbeitsvertragsrecht und die Vertragsfreiheit im Allgemeinen bilden einerseits einen wichtigen Erfolgsfaktor des schweizerischen Arbeitsmarktes. Andererseits führt die Überspannung der Vertragsfreiheit auch zu einer Verbreitung prekärer Arbeitsverhältnisse, insbesondere im Tieflohnbereich und – regelmässig damit einhergehend - in Bereichen ohne gut funktionierende Sozialpartnerschaft. Risikofaktoren für schlechte Arbeitsbedingungen sind auch verschiedene Formen der Scheinselbständigkeit (Stichwort Uber). Zu bedenken ist auch, dass tiefe Löhne zu lediglich bescheidenen Sozialversicherungsleistungen führen. Die dadurch entstehenden Kosten gehen am Ende zu Lasten der Allgemeinheit (Ergänzungsleistungen, Sozialhilfe).

Welches wäre Ihr wichtigster Tipp an Arbeitnehmer, welches an Arbeitgeber?

Aufgrund des Fachkräftemangels haben viele Arbeitnehmende auf dem Arbeitsmarkt aktuell eine starke Verhandlungsposition. Es ist ebenso nachvollziehbar wie verständlich, wenn solche Chancen für Stellenwechsel oder Forderungen nach Verbesserung am bestehenden Arbeitsplatz genutzt werden. Arbeitnehmende tun indes gut daran, sich auch auf Zeiten vorzubereiten, in denen die konjunkturelle Lage wieder anders aussieht. Es macht also Sinn,  sich durch Aus- und Weiterbildung mittel- und langfristige eine gute Position auf dem Arbeitsmarkt zu sichern. Arbeitgeber sind gefordert, nachhaltige Personalpolitik zu betreiben und  Arbeitnehmenden sowohl gute Arbeitsbedingungen als auch eine Entwicklungsperspektive zu bieten. 

Welches ist Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung im Schweizer Arbeitsrecht/Arbeitsmarkt in den kommenden 10 Jahren?

Ein Blick zurück in die jüngere Arbeitsrechtsgeschichte zeigt, dass sich die Grundstrukturen «Individualarbeitsrecht/Öffentliches Arbeitsrecht/Kollektives Arbeitsrecht» bewährt haben. Insbesondere konnte auf wirtschaftliche/gesellschaftliche Veränderungen durch punktuelle Anpassungen im Gesetzesrecht, auf Verordnungsstufe oder durch bahnbrechende Rechtsprechung sachgerecht und zeitnah reagiert werden. Auf diese Erfahrung ist aufzubauen, um die kommenden Herausforderungen zu bewältigen.  

Flora Stanischewski | legalis brief ArbR 18.07.2023