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VORGESTELLT

Liridona Asllani – «Die Förderung der Gleichstellung wird den Arbeitsmarkt langfristig verändern.»

Arbeitsrecht

Nach ihrem Studium an der Juristischen Fakultät Basel und Volontariaten bei Baker McKenzie und Novartis war Liridona Asllani zwischen 2018 und 2020 zunächst als juristische Volontärin (Abteilung Zivil- und Strafrecht) und dann als ausserordentliche Gerichtsschreiberin (Abteilung Strafrecht) am Kantonsgericht Basel-Landschaft tätig.  Auf das Advokaturexamen Basel-Landschaft (2020) folgte eine Tätigkeit als Advokatin bei Kellerhals Carrard Basel (2021). Seit 2022 ist Liridona Asllani Rechtsanwältin bei der Dextra Rechtsschutz AG.

Wo liegen im Moment Ihre Berührungspunkte mit dem Arbeitsrecht?

Seit über zwei Jahren bin ich bei einer Rechtsschutzversicherung beschäftigt, wo ich mich schwerpunktmässig mit dem Arbeitsrecht befasse. In dieser Funktion berate ich sowohl Arbeitnehmerinnen und -nehmer als auch Arbeitgeberinnen und -geber in allen arbeitsrechtlichen Angelegenheiten.

Wann sind Sie das erste Mal mit dem Arbeitsrecht in Kontakt gekommen?

Das erste Mal bin ich während meines Studiums mit dem Arbeitsrecht in Kontakt gekommen. Während dieser Zeit habe ich durchgehend Teilzeit gearbeitet. Gerade die Teilzeit- und Stundenlohnarbeit bringt einige rechtliche Stolpersteine mit sich. Die nähere Beschäftigung mit diesem Thema hat den Grundstein für mein Interesse am Arbeitsrecht gelegt.

Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?

Als Rechtsanwältin bei einer Rechtsschutzversicherung stehe ich täglich vor vielfältigen Herausforderungen. Die erste Kontaktaufnahme erfolgt oft in für die Klientinnen und Klienten sehr emotionalen Momenten, in denen es wichtig ist, unabhängig von möglichen Rechtsansprüchen einfühlsam und verständnisvoll zu agieren. Häufig befinden sich die Betroffenen in einer Phase der Orientierungslosigkeit, weil sie sich beispielsweise mit einer unerwarteten Kündigung konfrontiert sehen. Umso mehr werden klare Handlungsanweisungen und die Erarbeitung eines konkreten Massnahmenplans geschätzt.

Gibt es eine berichtenswerte Episode aus Ihrer Tätigkeit im Bereich Arbeitsrecht? Was macht diese so besonders?

Ich beobachte oft das Bedürfnis sowohl auf Seiten der Arbeitnehmerinnen und -nehmer als auch auf Seiten der Arbeitgeberinnen und -geber, einen Rechtsstreit aus Prinzip ausfechten zu wollen. Dabei wird häufig verkannt, dass manche Probleme nicht hauptsächlich juristischer, sondern vorwiegend zwischenmenschlicher Natur sind. Umso wichtiger erscheint es mir, dies als Rechtsvertretung frühzeitig zu erkennen. Durch Zuhören und «Abfangen» dieser Emotionen ändert sich die Problemwahrnehmung oft relativ schnell und ressourcenintensive Gerichtsverfahren können vermieden werden.

Was ist Ihrer Meinung nach eine Stärke und was eine Schwäche im Schweizer Arbeitsrecht?

Eine Stärke des Schweizer Arbeitsrechts ist sicherlich der erleichterte Zugang zur Justiz bei Streitwerten bis CHF 30'000.00. Diese sogenannten vereinfachten Verfahren sind mit niedrigen finanziellen Risiken verbunden und aufgrund der geringen Formalitäten sehr laienfreundlich. Leider sind diese Informationen nur wenigen bekannt, weshalb viele Betroffene den Gang vor Gericht ohne anwaltliche Vertretung scheuen. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass bei klarer Instruktion und Aufklärung über den Verfahrensablauf viele Fälle ohne anwaltliche Vertretung und damit kostengünstiger und effizienter erledigt werden könnten.

Als Schwäche empfinde ich den Umstand, dass gewisse Schlichtungsbehörden resp. Schlichterinnen und Schlichter eine Begleitung durch die Rechtsschutzversicherung bei Schlichtungsverhandlungen ausschliessen. Dies ist nicht nachvollziehbar, zumal die Rechtsschutzversicherungen ein grosses Interesse an aussergerichtlichen Einigungen haben und oft aktiv zum Zustandekommen eines Vergleichs beitragen.

Welches wäre Ihr wichtigster Tipp an Arbeitnehmer, welches an Arbeitgeber?

Ich empfehle Arbeitnehmerinnen und -nehmern wie auch Arbeitgeberinnen und -gebern, aussergerichtlichen Lösungsansätzen mit Offenheit zu begegnen.

Natürlich ist es schwierig, Vergleichsverhandlungen zu führen, wenn die Fronten zwischen den Parteien bereits verhärtet sind. Allerdings schafft eine aussergerichtliche Lösung schnell Klarheit, bietet Sicherheit und schont Ressourcen in zeitlicher, finanzieller und letztlich auch gesundheitlicher Hinsicht. Nicht selten beobachte ich, wie sich ein Rechtsstreit – besonders wenn er langwierig ist – negativ auf die psychische Gesundheit der Beteiligten auswirkt.

Vor diesem Hintergrund sollte eine alternative Streiterledigung meines Erachtens zumindest in Erwägung gezogen werden, bevor der Gerichtsweg beschritten wird.

Zudem rate ich, vor dem Ergreifen drastischer Massnahmen, wie beispielsweise dem Aussprechen einer fristlosen Kündigung, im Zweifelsfall eine rechtliche Beratung in Anspruch zu nehmen. So können mögliche Risiken abgeschätzt und alternative Problemlösungen besprochen werden. Gerade im genannten Beispiel einer fristlosen Kündigung ist zwar schnelles Handeln erforderlich, dieses sollte aber nicht überstürzt sein. Durch ein begleitetes Vorgehen lassen sich unter Umständen sehr kostspielige Gerichtsverfahren vermeiden.

Wie haben sich das Arbeitsrecht und der Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren Ihrer Meinung nach verändert, und welches ist Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung im Schweizer Arbeitsrecht/Arbeitsmarkt in den kommenden 10 Jahren?

Eine der grössten Veränderungen bezüglich des Arbeitsrechts und des Arbeitsmarkts in den vergangenen Jahren ist meines Erachtens die Möglichkeit des zeitlich und örtlich flexiblen Arbeitens, was zahlreiche Unternehmen bereits anbieten. Diese Entwicklung hat zu neuen rechtlichen Herausforderungen geführt, die neben dem Arbeitsrecht auch Rechtsgebiete wie das Sozialversicherungsrecht, das Steuerrecht und das Datenschutzrecht betreffen und an Komplexität noch zunehmen, sobald ein internationaler Bezug vorliegt.

Ein weiterer wichtiger Wandel, der Herausforderungen mit sich bringt, ist die fortschreitende Digitalisierung, ebenso der zunehmende Einsatz von künstlicher Intelligenz.

Schliesslich glaube ich, dass auch die Förderung der Gleichstellung den Arbeitsmarkt langfristig verändern und Herausforderungen mit sich bringen wird. Im Kern geht es um die gerechte Verteilung der unbezahlten Care-Arbeit, wie z.B. der Betreuung von Kindern, älteren Menschen und anderen Angehörigen. Diese unbezahlte Arbeit, die heute nach wie vor überwiegend von Frauen geleistet wird, ist mit grossen finanziellen Einbussen, etwa in der Pensionskasse und der Rente, verbunden.

Aufgrund des zunehmenden Verständnisses dafür, dass Care-Arbeit eine geschlechtsunabhängige Aufgabe darstellt, steigt automatisch der Bedarf an Teilzeitarbeitsplätzen und flexiblen Arbeitszeitmodellen. Auch für diese Veränderungen müssen sich Arbeitgeber wappnen, indem sie entsprechende Lösungen anbieten.

Christine Bassanello | legalis brief ArbR 18.07.2024