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VORGESTELLT

Melanie Huber – «Sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber müssen offen sein für die Umschulung von Arbeitskräften.»

Arbeitsrecht

Melanie Huber ist seit 2010 als Advokatin bei der Kanzlei Kellerhals Carrard in Basel tätig. Sie ist Fachanwältin SAV Arbeitsrecht und Co-Verantwortliche für das Team Arbeitsrecht Basel. Melanie Huber ist Spezialistin für alle arbeitsrechtlichen Fragen und hat langjährige Erfahrung im Führen von arbeitsrechtlichen Prozessen. Daneben amtiert sie als Arbeitgebervertreterin an der staatlichen Schlichtungsstelle für Diskriminierungsfragen des Kantons Basel-Stadt.

Wo liegen im Moment Ihre Berührungspunkte mit dem Arbeitsrecht?

Seit über 14 Jahren bin ich bei der Kanzlei Kellerhals Carrard als Anwältin tätig und befasse mich schwerpunktmässig mit arbeitsrechtlichen Angelegenheiten. Ich bin mitverantwortlich für den Fachbereich Arbeitsrecht am Standort Basel. Zudem amte ich als Arbeitgebervertreterin an der kantonalen Schlichtungsstelle für Diskriminierungsfragen in Basel.

Wann sind Sie das erste Mal mit dem Arbeitsrecht in Kontakt gekommen?

Das erste Mal bin ich im Studium mit dem Arbeitsrecht in Kontakt gekommen.

Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?

Als Anwältin stehe ich täglich vor vielfältigen Herausforderungen. Arbeitsrechtliche Fragestellungen sind, wie auch die involvierten Personen, sehr unterschiedlich und erfordern eine individuelle Analyse und massgeschneiderte Lösungen. Viele Klienten befinden sich – etwa konfrontiert mit einer unerwarteten Kündigung – in einer schwierigen Situation. Oft gilt es, erste Emotionen aufzufangen und sachlich und ruhig das weitere Vorgehen zu bestimmen.

Gibt es eine berichtenswerte Erkenntnis aus Ihrer Tätigkeit im Bereich Arbeitsrecht? Was macht diese so besonders?

Arbeitsrechtliche Streitigkeiten sind oft äusserst emotional. Arbeitnehmer zeigen sich dabei häufig sehr dankbar für meine Unterstützung. Dennoch kann es vorkommen, dass sie ihren Unmut über den (ehemaligen) Arbeitgeber auf mich projizieren. Solche Fälle haben mich gelehrt, Situationen nicht persönlich zu nehmen. Insgesamt haben mir diese Erfahrungen verdeutlicht, wie wichtig ein konsequentes «expectation management» ist, um die Erwartungen der Klienten und Klientinnen (besonders, wenn es sich um Privatpersonen handelt) realistisch an den tatsächlichen Erfolgsaussichten auszurichten.

Was ist Ihrer Meinung nach eine Stärke und was eine Schwäche im Schweizer Arbeitsrecht/Arbeitsmarkt?

Das schweizerische Arbeitsrecht ist im internationalen Vergleich relativ unkompliziert und praxisorientiert. Das Gesetz regelt viele Fragen, lässt aber auch genügend Spielraum für individuelle Regelungen. Aus Arbeitgebersicht ist sicherlich die Kündigungsfreiheit ein Vorteil des schweizerischen Arbeitsrechts, wohingegen für Arbeitnehmer der Kündigungsschutz, welcher bei missbräuchlicher Kündigung lediglich auf eine finanzielle Entschädigung anstatt auf den Erhalt des Arbeitsplatzes abzielt, oft nicht befriedigend ist. Die Arbeits- und Ruhezeitbestimmungen des schweizerischen Arbeitsrechts sind meiner Ansicht nach in der heutigen Arbeitswelt, welche von Remote-Arbeit und den unterschiedlichsten Arbeitszeitmodellen geprägt ist, nicht mehr zeitgemäss und bedürfen einer Anpassung.

Welches wäre Ihr wichtigster Tipp an Arbeitnehmer, welches an Arbeitgeber?

Mein wichtigster Tipp für Arbeitnehmer ist, sich stets gut über ihre Rechte und Pflichten zu informieren und bei Unklarheiten oder Problemen am Arbeitsplatz frühzeitig rechtlichen Rat einzuholen. Wichtig ist auch, eine gute Kommunikation mit dem Arbeitgeber und den Arbeitskollegen zu pflegen und sich bei Unstimmigkeiten auf einen konstruktiven Dialog einzulassen.

Mein wichtigster Tipp an Arbeitgeber ist, ein respektvolles Arbeitsumfeld zu schaffen, denn ein gutes Betriebsklima steigert die Motivation und Produktivität der Arbeitnehmer. In schwierigen Situationen sollte der Arbeitgeber Ruhe bewahren und das weitere Vorgehen sachlich und überlegt festlegen, anstatt vorschnelle Entscheidungen zu treffen. Vor der Aussprache einer fristlosen Kündigung ist es ratsam, rechtlichen Rat einzuholen, um die Rahmenbedingungen zu prüfen.

Wie hat sich das Arbeitsrecht / der Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren Ihrer Meinung nach verändert? Wo sehen Sie die  grösste Herausforderung in den kommenden 10 Jahren?

Eine der grössten Veränderungen ist meines Erachtens die zunehmende Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse. Viele Unternehmen bieten die Möglichkeit von Remote-Arbeit. Viele Arbeitnehmer sind grenzüberschreitend tätig oder erbringen ihre Arbeit vom Ausland aus. Dies hat zu neuen rechtlichen Herausforderungen geführt, auch in angrenzenden Rechtsgebieten wie dem Sozialversicherungs- oder Steuerrecht. Die jüngere Generation strebt nach einer grösseren Work-Life-Balance. Dies zwingt die Unternehmen, vermehrt flexible Arbeitszeitmodelle anzubieten, wobei diesbezüglich auch das Gesetz noch an die modernen Bedürfnisse angepasst werden müsste.

Die Gesellschaft hat sich auch in Bezug auf Fragen der Gleichstellung und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiterentwickelt. Es wurden einige gesetzliche Änderungen im Bereich der Lohngleichheit und dem Schutz von Arbeitnehmern mit Familienpflichten eingeführt. Beispiele dafür sind die Pflicht zur Durchführung einer Lohngleichheitsanalyse, der Urlaub des andern Elternteils oder der Urlaub für die Betreuung von Angehörigen.

Eine grosse Veränderung bringt schliesslich die zunehmende Digitalisierung und Automatisierung. Der Bedarf an hochqualifizierten Arbeitskräften in bestimmten Branchen wächst und kann kaum gestillt werden, während in anderen Bereichen Arbeitsplätze durch künstliche Intelligenz und Maschinen ersetzt werden. Sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber müssen offen sein für die Weiterbildung und Umschulung von Arbeitskräften.

Christine Bassanello | legalis brief ArbR 19.12.2024