S. Zürcher Gross – «Die Parteien unterschätzen oft, wie schnell der Mensch vergisst.»

Arbeitsrecht

Lic. iur. S. Zürcher Gross ist Präsidentin des Arbeitsgerichts des Bezirksgerichtes Meilen. Des Weiteren ist sie dort als Einzelrichterin im Bereich des vereinfachten und summarischen Verfahrens und als Einzelrichterin in Strafsachen und als Zwangsmassnahmerichterin tätig.

Wo liegen im Moment Ihre Berührungspunkte mit dem Arbeitsrecht?

Als Präsidentin des Arbeitsgerichts des Bezirksgerichtes Meilen habe ich viele Aufgaben. Einerseits bin ich für die Prozessleitung der Kollegialfälle im schriftlichen Verfahren verantwortlich. Sodann führe ich in Kollegialfällen den Vorsitz, falls es zu einer Hauptverhandlung kommt. Analoges gilt für die Fälle vor Einzelgericht. Die Vorbereitung für Vergleichsverhandlungen mache ich in der Regel selber und ich redigiere auch die meisten Urteile persönlich.

Wann sind Sie das erste Mal mit dem Arbeitsrecht in Kontakt gekommen?

Das war – abgesehen vom Studium – wahrscheinlich in den neunziger Jahren als Auditorin am Bezirksgericht Meilen. Wir hatten damals unter der zürcherischen Zivilprozessordnung aber noch kein «formelles» Arbeitsgericht.

Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?

Uns erreichen ab und zu Klagen, die von Laien eingereicht werden. Es kann sehr anspruchsvoll sein, herauszufinden, was der Kläger bzw. die Klägerin überhaupt will. Manchmal sind die von Hand ausgefüllten Klageformulare zusätzlich noch mit post-its bestückt, was für das Verständnis oft nicht förderlich ist.

Gibt es eine berichtenswerte Episode aus Ihrer Tätigkeit im Bereich Arbeitsrecht? Was macht diese so besonders?

Konkrete Beispiele kann ich aus Gründen des Amtsgeheimnisses nicht nennen. Was aber immer wieder vorkommt sind Streitigkeiten über die Gültigkeit von fristlosen Entlassungen. Gerade bei solchen ausserordentlichen Kündigungen können die Schilderungen der Beteiligten, was zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses führte, sehr unterschiedlich sein. Die Erwartung, die offerierten Zeugen könnten Licht ins Dunkel bringen, erfüllt sich meistens nicht. Die Parteien unterschätzen oft, wie schnell der Mensch vergisst.

Was sind Ihrer Meinung nach die grössten Stärken und Schwächen im Schweizer Arbeitsrecht/Arbeitsmarkt?

Das Regelwerk im Schweizer Arbeitsrecht ist relativ schlank und überschaubar, was ich als Stärke sehe. Auch der Arbeitnehmerschutz ist sicher eine Errungenschaft der letzten Jahrzehnte. Jede Stärke kann aber auch eine Schwäche sein. Baut man den Arbeitnehmerschutz zu stark aus, kann das unter Umständen einen Arbeitgeber in existenzbedrohliche Situationen bringen. Fällt beispielsweise einem Arbeitgeber der einzige Mitarbeiter über längere Zeit krankheitshalber bei voller Entlöhnung aus, ist das für den Betrieb allenfalls finanziell gar nicht tragbar.

Was wäre Ihr wichtigster Tipp an Arbeitnehmer, welches an Arbeitgeber?

Alle Abmachungen so gut wie möglich schriftlich festhalten. Über Ferien und Überstunden korrekt Buch führen und dies monatlich gegenzeichnen lassen. So verhindert man Beweisprobleme.

Wie hat sich das Arbeitsrecht /der Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren Ihrer Meinung nach verändert?

Es wird mit härteren Bandagen gekämpft. Diese Erfahrung machen wir allerdings auf allen Rechtsgebieten. Arbeitsnehmer informieren sich mehr über ihre Rechte.

Welche ist Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung im Schweizer Arbeitsrecht/Arbeitsmarkt in den kommenden 10 Jahren?

Die Gesetzgebung nicht zu überladen. Den Arbeitnehmer zu schützen, aber auch die Bedürfnisse der Arbeitgeber nicht zu vergessen.

Martina Aepli | legalis brief ArbR 28.08.2023