Thierry Thormann – «Ein gut ausgebautes öffentliches Kinderbetreuungssystem würde der Schweiz helfen.»
Arbeitsrecht
Thierry Thormann ist Co-Leiter des Corporate/M&A-Teams bei Altenburger Ltd legal + tax. Er berät Unternehmen in der Anfangsphase sowie kleine und mittlere Unternehmen und börsenkotierte Unternehmen in den Bereichen Gesellschaftsrecht, M&A, Reorganisationen und Corporate Finance im nationalen und internationalen Kontext. Zudem ist er Anerkannter Vertreter / Sachkundige Fachperson SIX Swiss Exchange und Mitglied des Schweizerischen Anwaltsverbands (SAV), der International Bar Association (IBA) und des Zürcher Anwaltsverbands (ZAV).
Wo liegen im Moment Ihre Berührungspunkte mit dem Arbeitsrecht?
Als HR-Verantwortlicher unseres Zürcher Büros habe ich diese Woche ein Arbeitszeugnis für eine Assistentin verfasst, die sich beruflich neu orientieren möchte und eine neue Ausbildung beginnt. Glücklicherweise hat sie während ihrer Zeit bei uns hervorragende Arbeit geleistet, was die Aufgabe natürlich erleichtert.
Meiner Meinung nach sind Arbeitszeugnisse oft zu standardisiert verfasst und dadurch häufig wenig aussagekräftig. Das macht sie teilweise etwas langweilig. Deshalb ist es mir ein Anliegen, dass Arbeitszeugnisse zumindest einen Satz enthalten, der die Aufmerksamkeit des Lesers weckt und die betreffende Person herausstechen lässt. Als Arbeitgeber sind wir unseren Mitarbeitern gegenüber in der Verantwortung, ihre Leistungen in einem Zeugnis gebührend hervorzuheben und sie so zu präsentieren, dass sie sich positiv von anderen Bewerbungen abheben.
Wann sind Sie das erste Mal mit dem Arbeitsrecht in Kontakt gekommen?
Als Substitut durfte ich meinen ersten arbeitsrechtlichen Fall betreuen. Dabei ging es um eine fristlose Kündigung, welche nicht gerechtfertigt war. Um die Klage kosteneffizient zu gestalten, haben wir sie in Teilklagen unterteilt, sodass der Streitwert unter CHF 30'000 blieb und keine Gerichtskosten anfielen. Nachdem wir vor dem Arbeitsgericht gewonnen hatten, hat dann der Arbeitgeber auch für die Restforderung eingelenkt und bezahlt.
Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?
Die Herausforderungen als HR-Verantwortlicher in unserer Anwaltskanzlei sind weniger rechtlicher, sondern eher praktischer Natur. Es geht vor allem darum, kontinuierlich ein attraktiver Arbeitgeber zu bleiben. Heutzutage reicht es nicht mehr aus, nur interessante Aufgaben und eine marktgerechte Entlöhnung anzubieten. Vielmehr ist es entscheidend, den jungen Anwälten und Anwältinnen sowie den Support-Mitarbeitern und -Mitarbeiterinnen aktiv in ihrer beruflichen Entwicklung zur Seite zu stehen. Wir müssen ihnen zeigen, dass Teamarbeit und der Auftritt als Kollektiv auch im Anwaltsberuf von zentraler Bedeutung sind. Ebenso wichtig ist es, Rückmeldungen von den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen ernst zu nehmen und Verbesserungspotenziale als Arbeitgeber zu identifizieren und umzusetzen.
Aus diesem Grund führe ich täglich kurze Gespräche mit den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Diese regelmässige Kommunikation mit der täglichen Klientenarbeit zu vereinbaren, ist zeitintensiv und stellt eine Herausforderung dar.
Gibt es eine berichtenswerte Episode aus Ihrer Tätigkeit im Bereich Arbeitsrecht? Was macht diese so besonders?
Es gibt viele Aspekte, aber letztlich geht es immer um dasselbe: um Menschen und ihre Existenzgrundlage. Das ist die Besonderheit dieses Rechtsgebiets.
Was sind Ihrer Meinung nach die grössten Stärken und Schwächen im Schweizer Arbeitsrecht/Arbeitsmarkt?
Im internationalen Vergleich ist das Schweizer Arbeitsrecht arbeitgeberfreundlich. Unsere Klienten sind zu 70% ausländische Unternehmen, welche die liberale Gesetzgebung schätzen.
Eine Schwäche ist die fehlende Regelung für Homeoffice. Fragen zu Arbeitszeiten, Datenschutz, Gesundheitsvorschriften, Kostenerstattung und steuerlichen Aspekten sind oft nicht eindeutig geklärt. Auch die Lohnungleichheit, insbesondere zwischen Männern und Frauen, bleibt ein ungelöstes Problem.
Zudem liegt das Schweizer Arbeitsrecht in Bezug auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie hinter den nordischen Ländern zurück. Hier bräuchte es Regelungen, welche die Gleichstellung der Geschlechter weiter fördern und eine gleichmässigere Verteilung der Kinderbetreuung zwischen den Eltern ermöglichen. Ein gut ausgebautes öffentliches Kinderbetreuungssystem, das Eltern finanziell entlastet und den Zugang zur Berufstätigkeit erleichtert, würde der Schweiz helfen.
Welches wäre Ihr wichtigster Tipp an Arbeitnehmer, welches an Arbeitgeber?
Wer sich korrekt verhält, Engagement zeigt und aufmerksam zuhört, wird nicht nur etliche Streitigkeiten vermeiden, sondern auch erfolgreich sein. Das gilt für beide Parteien.
Wie hat sich das Arbeitsrecht / der Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren Ihrer Meinung nach verändert?
Die COVID-19-Pandemie hat den Trend zum Homeoffice in der Schweiz erheblich beschleunigt. In unserer Kanzlei hat sich jedoch nicht viel verändert, da wir bereits vor der Pandemie häufig unterwegs waren und unsere Tätigkeit keinen festen Arbeitsplatz erfordert. Aufgrund der notwendigen Zeiterfassung in unserem Beruf sind Missbräuche zudem praktisch ausgeschlossen.
In anderen Branchen hat die Pandemie jedoch zu einem Umdenken geführt. Für Banken zum Beispiel war es zunächst unvorstellbar, dass ihre Mitarbeiter von zu Hause arbeiten könnten. Gleichzeitig sehen sich viele Unternehmen nun mit Missbräuchen konfrontiert. Daher sind sie gefordert, klare Regelungen für das Homeoffice zu schaffen.
Welches ist Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung im Schweizer Arbeitsrecht/Arbeitsmarkt in den kommenden 10 Jahren?
Es gibt einige Themen, wobei die zunehmende Digitalisierung, insbesondere die Automatisierung von Prozessen und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI), sowie die bereits erwähnte Problematik der Gleichstellung für mich zentral sind.
Die fortschreitende Digitalisierung und die verstärkte Nutzung von Automatisierung, KI und Robotik werden weitreichende Auswirkungen auf die Arbeitswelt und die Sozialleistungen haben. Während neue Technologien in vielen Bereichen Produktivität und Effizienz steigern, drohen gleichzeitig Arbeitsplätze in zahlreichen Branchen – vor allem im industriellen Sektor, aber auch in administrativen oder serviceorientierten Tätigkeiten – zu verschwinden oder sich grundlegend zu verändern. Auch die anwaltliche Tätigkeit wird davon betroffen sein. Besonders junge Anwälte und Anwältinnen könnten es zunehmend schwieriger haben, die praktische Anwendung des erlernten Wissens zu vertiefen. Das ist jedoch ein wichtiger Bestandteil für die Beratung von Klienten.
Im Bereich der Gleichstellung hinkt die Schweiz nach wie vor hinterher. Handlungsbedarf besteht insbesondere bei der Lohngleichheit und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Hier muss die Schweiz sowohl in der Regelung als auch in der tatsächlichen Durchsetzung von Massnahmen nachbessern.
Martina Aepli | legalis brief ArbR 21.11.2024