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VORGESTELLT

Thomas Hofer – «Arbeitsrechtliche Konflikte gehen oft mit persönlichen und existenziellen Herausforderungen einher.»

Arbeitsrecht

Vor seinem Einstieg in die Advokatur arbeitete Thomas Hofer an einem Lehrstuhl für Privat- und Wirtschaftsrecht an der Universität Zürich und absolvierte sein Anwaltspraktikum bei Baker McKenzie. Seit 2017 ist er Rechtsanwalt bei der Schwarzmann Brändli Hofer Rechtsanwälte AG, seit 2023 als Partner. Die traditionsreiche Kanzlei, die 1936 gegründet wurde, berät seit vielen Jahrzehnten sowohl Arbeitnehmende als auch Arbeitgebende in sämtlichen Fragen des Arbeits- und Personalrechts. Neben seiner Anwaltstätigkeit ist Thomas Hofer Dozent für Arbeitsrecht an einer höheren Fachschule sowie Dozent für Privatrecht an einer Fachhochschule.

Wo liegen im Moment Ihre Berührungspunkte mit dem Arbeitsrecht?

Das Arbeitsrecht ist mein tägliches Brot. Besonders häufig befasse ich mich mit Kündigungen, Lohnforderungen, Arbeitszeugnissen und Konkurrenzverboten. Betriebliche Umstrukturierungen und Gleichstellungsfragen beschäftigen mich auch regelmässig.

Wann sind Sie das erste Mal mit dem Arbeitsrecht in Kontakt gekommen?

Mein erster Berührungspunkt mit dem Arbeitsrecht war in der Vorlesung von Professor Wolfgang Portmann. Während meines Anwaltspraktikums hatte ich erstmals die Gelegenheit, an einer gerichtlichen Auseinandersetzung mitzuwirken, bei der es unter anderem um eine fristlose Kündigung ging. Seither hat mich die Faszination für dieses Rechtsgebiet nicht mehr losgelassen.

Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?

Tägliche Herausforderung sind das Zeitmanagement und die Priorisierung der unterschiedlichsten Aufgaben.

Arbeitsrechtliche Konflikte sind – insbesondere auf Arbeitnehmerseite – oft stark emotional aufgeladen. Diese Emotionen müssen ernst genommen und angemessen aufgefangen werden, dürfen jedoch die Mandatsführung nicht dominieren. Bei der Festlegung und gegebenenfalls Anpassung der Strategie ist es entscheidend, die Mandanten über die Rechtslage aufzuklären und das Erwartungsmanagement realistisch zu gestalten. Häufig ist eine gerichtliche Auseinandersetzung nicht die beste Lösung.

Gibt es eine berichtenswerte Episode aus Ihrer Tätigkeit im Bereich Arbeitsrecht? Was macht diese so besonders?

Einer meiner ersten «eigenen» Fälle als frischgebackener Rechtsanwalt betraf die Vertretung einer Arbeitnehmerin, die gegen Ende ihres ersten Dienstjahres schwer erkrankte und über mehrere Monate arbeitsunfähig war. Ihr Arbeitgeber zahlte den Lohn lediglich für drei Wochen fort und kündigte ihr zum frühestmöglichen Zeitpunkt. Im Arbeitsvertrag waren das Vorliegen und die Konditionen einer Krankentaggeldversicherung im Einzelnen vereinbart. Die Versicherung wurde durch den Arbeitgeber nach dem Kalenderjahrwechsel jedoch nicht weitergeführt – KTG-Prämien wurden aber weiterhin vom Lohn abgezogen. Schlussendlich haftete der Arbeitgeber für die Leistungen, welche die vertraglich zugesicherte Versicherung im Krankheitsfall hätte erbringen müssen.

Der Prozess und die ganze Situation waren für unsere Mandantin eine enorme Belastung. Umso grösser war ihre Erleichterung, als die Angelegenheit zu Ihren Gunsten abgeschlossen werden konnte. Dieser Fall wird mir lange in Erinnerung bleiben. Er verdeutlicht auch exemplarisch, dass arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen oft mit sehr persönlichen und teilweise existenziellen Herausforderungen einhergehen.

Was sind Ihrer Meinung nach die grössten Stärken und Schwächen im Schweizer Arbeitsrecht/Arbeitsmarkt?

Was im Einzelfall als Stärke oder Schwäche des Schweizer Arbeitsrechts wahrgenommen wird, hängt massgeblich von der jeweiligen Perspektive ab.

Aus Sicht der betroffenen Arbeitnehmer sind der eher schwach ausgeprägte sachliche Kündigungsschutz sowie die Schwierigkeit bei der tatsächlichen Durchsetzung der Rechte wohl als Schwäche anzusehen. Die Arbeitgebenden hingegen betrachten die Kündigungsfreiheit als eine grosse Stärke des Arbeitsrechts.

Insgesamt erscheint mir das Schweizer Arbeitsrecht in der Praxis meist zu angemessenen Ergebnissen zu führen. Allerdings hinkt die Gesetzgebung häufig den sich wandelnden Gegebenheiten hinterher – ein Phänomen, das nicht nur das Arbeitsrecht betrifft. Dieses Auseinanderdriften zwischen Gesetzgebung und der gelebten Realität zeigt sich meiner Wahrnehmung nach besonders akzentuiert im Arbeitsgesetz.

Welches wäre Ihr wichtigster Tipp an Arbeitnehmer, welches an Arbeitgeber?

An Arbeitgeber: Schaffen Sie unmissverständliche vertragliche Grundlagen und stellen Sie einen regelmässigen Austausch mit den Arbeitnehmenden sicher – idealerweise begleitet von einer ehrlichen und konsistenten Dokumentation. Viele Konflikte entstehen durch unklare Erwartungen oder mangelnde Transparenz.

An Arbeitnehmer: Lassen Sie Konflikte nicht zu lange schwelen, sondern sprechen Sie diese frühzeitig offen an. Überlegen Sie zudem gut, in welchen Situationen es sinnvoll ist, eine Position schriftlich festzuhalten.

Wie hat sich das Arbeitsrecht / der Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren Ihrer Meinung nach verändert?

Das Arbeitsrecht selbst hat in den letzten Jahren keine bahnbrechenden Änderungen erfahren. Dennoch sind einige allgemeine Trends erkennbar, die sich auf den Arbeitsmarkt und das Arbeitsrecht auswirken. Es besteht ein gestiegenes Bedürfnis der Arbeitnehmenden nach mehr Flexibilität, insbesondere durch Homeoffice und mobiles Arbeiten. Gleichzeitig hat sich die Sensibilisierung für Gleichstellungsfragen und psychische Gesundheit am Arbeitsplatz weiter verstärkt.

Eine interessante Entwicklung ist zudem die stetig wachsende Bedeutung der Rechtsschutzversicherungen. Die meisten Arbeitnehmenden, die ich berate – auch solche mit sehr gutem Einkommen – verfügen über eine Rechtsschutzversicherung. Auch viele Arbeitgebende sind rechtsschutzversichert.

Schliesslich machen sich Large Language Models wie ChatGPT zunehmend im Berufsalltag bemerkbar. Kürzlich hatte ich beispielsweise eine Besprechung mit einem Arbeitnehmer, der einen Ausdruck mitbrachte, aus dem ersichtlich war, dass er seinen Fall in ChatGPT eingegeben und bereits eine rechtliche Analyse erstellen lassen hatte. Ein weiteres Beispiel betrifft eine Personalleiterin, die mir berichtete, dass sie kleinere Streitigkeiten mit der Unterstützung von ChatGPT bearbeitet – unter anderem, indem sie ihre E-Mail-Entwürfe in das Tool eingibt und mit folgendem Prompt versieht: «Formuliere diese E-Mail wie ein Anwalt.»

Welches ist Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung im Schweizer Arbeitsrecht/Arbeitsmarkt in den kommenden 10 Jahren?

Zukunftsprognosen sind angesichts der rasanten Entwicklung und der vielen Unbekannten schwierig. Zu den zentralen Herausforderungen werden wohl die Anpassung der Praxis an neue Arbeitsformen und sich verändernde Arbeitsbedürfnisse, der Einfluss künstlicher Intelligenz sowie die demografische Entwicklung gehören.

Flora Stanischewski | legalis brief ArbR 20.03.2025