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Wei Yang – «Für Laien können im Arbeitsrecht versteckte Stolperfallen bestehen.»

Arbeitsrecht

Wei Yang ist Anwältin und seit Erlangung ihres Patents im Sommer 2023 im Arbeitsrecht tätig. Ihren Bachelor- und Masterabschluss in Rechtswissenschaften absolvierte sie an der Universität Bern. Anschliessend sammelte sie erste Praxiserfahrungen im Arbeitsrecht bei der Schlichtungsbehörde sowie in einer Wirtschaftskanzlei in Bern, bevor sie 2023 zur Rechtsschutzversicherung Protekta wechselte.

Wo liegen im Moment Ihre Berührungspunkte mit dem Arbeitsrecht?

Ich arbeite bei der Protekta als Anwältin im Team Arbeitsrecht. Tagtäglich unterstütze ich sowohl Arbeitgebende wie auch Arbeitnehmende bei arbeitsrechtlichen Fragestellungen und Streitigkeiten.

Wann sind Sie das erste Mal mit dem Arbeitsrecht in Kontakt gekommen?

An der Universität Bern habe ich Arbeitsrecht als Wahlfach gewählt. Das Rechtsgebiet hat mir bereits damals aufgrund der Vielschichtigkeit sehr gefallen.

Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?

Im Arbeitsrecht stellen sich regelmässig herausfordernde Situationen. Die vorgängige Einschätzung der Prozesschancen bildet eine wichtige Grundlage für sämtliche Handlungsschritte bei der Arbeit in einer Rechtsschutzversicherung. Dies ist jedoch aufgrund der oft unklaren rechtlichen Rahmenbedingungen und der individuellen Umstände der Fälle schwierig. Besonders bei negativen Prozessaussichten ist es entscheidend, realistische Erwartungen mit genügend Empathie zu kommunizieren und alternative Lösungen zu finden. Die betroffenen Personen befinden sich oftmals in einer belastenden Ausnahmesituation und haben teilweise überhöhte Erwartungen hinsichtlich dessen, was rechtlich überhaupt möglich ist.

Gibt es eine berichtenswerte Episode aus Ihrer Tätigkeit im Bereich Arbeitsrecht? Was macht diese so besonders?

Generell schätze ich es sehr, wenn sich die betroffenen Personen gut aufgehoben und unterstützt fühlen und dies entsprechend zurückmelden.

Was sind Ihrer Meinung nach die grössten Stärken und Schwächen im Schweizer Arbeitsrecht/Arbeitsmarkt?

Eine grosse Stärke ist sicherlich die Möglichkeit der freien Vertragsgestaltung mit gewissen Schutzvorschriften zugunsten der «schwächeren» Partei. Hingegen erachte ich es als Schwäche, dass besonders für Rechtslaien versteckte Stolperfallen bestehen können. Ein Beispiel wäre, dass der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin die Arbeitsleistung nachweislich – das heisst in der Regel schriftlich – anbieten muss, wenn die Arbeitgeberin zu wenig Arbeit zuteilt, um den Lohnanspruch geltend zu machen. Für Rechtslaien ist eine solche formelle Handlung ohne juristische Beratung nicht selbstverständlich.

Welches wäre Ihr wichtigster Tipp an Arbeitnehmer, welches an Arbeitgeber?

Für Arbeitgebende ist es meines Erachtens wichtig, sich vor Augen zu halten, dass regelmässige Zeichen der Wertschätzung der Arbeitsleistung sowohl für die Motivation wie auch für eine langjährige gute Zusammenarbeit essenziell sind.

Arbeitnehmende möchte ich ermutigen, Unstimmigkeiten rascher und direkter anzusprechen, anstatt in einer für sich persönlich untragbaren Situation zu lange auszuharren.

Wie hat sich das Arbeitsrecht / der Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren Ihrer Meinung nach verändert?

Grundsätzlich stehen Arbeitnehmende wohl mehr für sich ein und kommunizieren ihre Bedürfnisse offener bei der Vertragsverhandlung sowie im Arbeitsverhältnis. Unter anderem führt dies zu flexibleren Arbeitsbedingungen, beispielsweise mit Teilzeitarbeit und Homeoffice-Möglichkeiten. Zudem denke ich, dass sich sowohl Arbeitnehmende wie auch Arbeitgebende durch die technischen Fortschritte schneller und detaillierter über ihre Rechte und Pflichten informieren können.

Welches ist Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung im Schweizer Arbeitsrecht/Arbeitsmarkt in den kommenden 10 Jahren?

Wie in anderen Lebensbereichen stellen auch im Arbeitsmarkt die Digitalisierung und der gesellschaftliche Wandel eine grosse Herausforderung dar. Besonders in Branchen mit Fachkräftemangel werden Arbeitgebende gefordert sein, mit der technologischen Entwicklung Schritt zu halten und den Bedürfnissen von Arbeitnehmenden nach flexiblen Arbeitsmodellen gerecht zu werden, um weiterhin auf dem Arbeitsmarkt attraktiv zu bleiben. Infolge der fortschreitenden Digitalisierung ist es auch für Arbeitnehmende unabdingbar, sich laufend weiterzubilden.

Marco Kamber | legalis brief ArbR 16.04.2025