Claudia Rohrer – «Die Individualität der Fälle und die grossen Ermessenspielräume sind gleichzeitig Stärke und Schwäche in unserem System.»
Familienrecht
Nach ihrem Studium und ihren Praktika war Claudia Rohrer als juristische Mitarbeiterin im Rechtsdienst des Departements Gesundheit und Soziales des Kantons Aargau, als Projektleiterin in zwei verschiedenen Betrieben sowie als Ersatzrichterin am Verwaltungsgericht des Kantons Aargau tätig. Seit 2004 ist sie selbständige Rechtsanwältin in Rheinfelden.
Welche Verbindung haben Sie zum Familienrecht?
Kein Mensch kann keine Verbindung zum Familienrecht haben. Schon in meinem eigenen Umfeld, in meiner Geschichte, gibt es ganz viele Themen rund um das Familienrecht. Das Familienrecht ist so umfassend und vielfältig wie die Familien und das Familienleben.
Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?
Die Koordination der verschiedenen Fälle. Ich vergleiche dies oft mit dem Jonglieren. Ich habe als Anwältin viele Bälle in der Luft und manchmal muss ich diese ganz hochwerfen, damit ich Handlungsspielräume erhalte und manchmal fallen viele Bälle herunter und ich reagiere nur noch. Und jeder Klientin, jedem Klienten, will ich gleichzeitig die notwendige und erwartete Aufmerksamkeit geben. Jonglieren, Spagat und künstlerische Akrobatik sind gefordert und gleichzeitig bin ich ein Mensch mit eigenen Themen. Ich schätze den Kontakt zu den Menschen und erlebe meinen Beruf gleichzeitig als herausfordernd und erfüllend.
Gibt es Anekdoten aus Ihrer Tätigkeit?
Viele, und zwar handelt es sich meist um die Situationskomik. So wurde bei einem Umbau des Gerichts das Büro für die Scheidungsanhörung neben dem Standesamt platziert. Das führte dann zu zwei Schildern, links Eheschliessung, rechts Scheidung. Wir mussten als Rechtsabbieger schmunzeln, was es bei den Linksabbiegern auslöste, weiss ich nicht.
Wenn Sie die Möglichkeit hätten, etwas am Familienrecht ändern zu können, was wäre das?
Mehr personelle Ressourcen bei den Gerichten und den Behörden. Familienrecht ist häufig komplex, verschiedene Rechtsgebiete sind betroffen, und gleichzeitig sind auch verschiedene Fachdisziplinen wie Kinderpsychologie, Steuern und Bewertung von Werten gefordert. Die Gerichte und Behörden sollten genügend Zeit und Mittel haben, sich den einzelnen Fällen zu widmen. Gerade in Bereichen, in welchen die Ermessensausübung im Vordergrund steht.
Welches wäre Ihr wichtigster Tipp in familienrechtlichen Verfahren?
Nie die Übersicht und das Ziel verlieren und gleichzeitig immer klären, ob das Ziel immer noch gleichgeblieben ist. Also eine Strategie finden, damit die Interessen der Klientinnen und Klienten erreicht werden können. Das ist immer nur im Dialog mit den eigenen Klientinnen und Klienten möglich.
Wie hat sich das Familienrecht in den vergangenen Jahren Ihrer Meinung nach verändert?
Es hat sich in allen Bereichen verändert. Es gab Wechsel bei den Instanzen, bei den Inhalten, bei den Fristen, nur die Menschen und die mit einer Trennung verbundenen Probleme sind eigentlich gleich geblieben. Am meisten hat sich für mich in der Beratung verändert, dass ich kaum mehr klare Aussagen machen kann zum Anspruch auf nachehelichen Unterhalt.
Welches sind Ihrer Meinung nach die grössten Stärken und Schwächen im Schweizer Familienrecht?
Die Individualität der Fälle und die grossen Ermessenspielräume sind gleichzeitig Stärke und Schwäche in unserem System. Auf besondere Bedürfnisse kann eingegangen werden, aber es fehlen klare gesetzliche Regelungen und eine konstante Rechtsprechung.
Welches ist Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung im Schweizer Familienrecht in den kommenden 10 Jahren?
So wie sich die Familie in der Gesellschaft entwickelt, so wird sich das Rechtssystem entwickeln. Es wird immer eine staatliche Aufgabe bleiben, das Wohl der Kinder im Fokus zu haben. Somit wird sich das Familienrecht immer auch an der Definition der Gesellschaft des Wohls der Kinder orientieren und es wird sich immer weiterentwickeln.
Rosa Renftle | legalis brief FamR 27.03.2024