Juliane Wyss – «Stundenlang über Details zu diskutieren, bringt oft nicht die gewünschte Befriedigung.»
Familienrecht
Nach Volontariaten beim Bezirksgericht Liestal, beim Generalsekretariat des Finanzdepartements Basel-Stadt und der Steuerrekurskommission Basel-Stadt sowie bei einer auf Familienrecht spezialisierten Kanzlei in Rheinfelden arbeitete Juliane Wyss zunächst als Rechtsanwältin bei einer mittleren Kanzlei in Liestal, bevor sie der Berger Rohrer Rechtsanwältinnen AG beitrat; seit 2024 ist sie dort Partnerin und Mitinhaberin. Ihre bevorzugten Tätigkeitsgebiete sind Scheidungsrecht, Kindes- und Erwachsenenschutzrecht, Arbeitsrecht und Opferhilferecht. Sie ist Mitglied der Frauenzentrale Aargau, des Aargauischen Anwaltsverbands und des Schweizerischen Anwaltsverbands.
Welche Verbindung haben Sie zum Familienrecht?
Ich arbeite als Rechtsanwältin hauptsächlich auf dem Gebiet des Familienrechts. Bereits während meines Studiums war mir klar, dass ich später einmal in diesem Bereich tätig sein möchte.
Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?
Im Familienrecht sind die Emotionen sehr gross. Es geht nicht nur um die Regelung der finanziellen Angelegenheiten, sondern oft auch darum, dass die involvierten Familien einen neuen Alltag und eine neue Routine finden müssen. Dies ist häufig nicht einfach, da sowohl die Eltern als auch die Kinder bereits mit der Verarbeitung der Trennung an sich beschäftigt sind.
Gibt es Anekdoten aus Ihrer Tätigkeit?
Es gibt unzählige Geschichten und Momente, die mir für immer in Erinnerung bleiben werden. Gerade die einzigartigen Geschichten der Familien machen meine Tätigkeit so besonders und motivieren mich stets von Neuem.
Wenn Sie die Möglichkeit hätten, etwas am Familienrecht ändern zu können, was wäre das?
Ich würde mich dafür einsetzen, dass die Kinder mehr ins Zentrum gerückt werden und die Verfahren pragmatischer und effizienter werden.
Welches wäre Ihr wichtigster Tipp in familienrechtlichen Verfahren?
Ich empfehle meinen Klienten oft, dass sie versuchen sollen, das Gesamtziel nicht aus den Augen zu verlieren. Selbstverständlich kann stundenlang über Details diskutiert und prozessiert werden, oftmals bringt das jedoch nicht die gewünschte Befriedigung. Der Verlauf des Lebens kann nicht vorhergesagt werden; es hilft, wenn man sich dies ab und zu wieder vor Augen führt.
Wie hat sich das Familienrecht in den vergangenen Jahren Ihrer Meinung nach verändert?
Die Unterhaltsberechnungen sind – nicht zuletzt auch aufgrund der vielfältigen Familienformen – sehr komplex geworden und werden im kantonalen Vergleich oft unterschiedlich vorgenommen. Auch die Rechtsprechung hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verändert.
Welches sind Ihrer Meinung nach die grössten Stärken und Schwächen im Schweizer Familienrecht?
Die Tatsache, dass die Familiensituation im Einzelfall beurteilt wird, ist meiner Meinung nach grundsätzlich eine Stärke, es kann allerdings auch zu einer Schwächung des Systems führen. Gerade in knappen Verhältnissen oder in sehr strittigen Situationen sind die Betroffenen – insbesondere die Kinder – darauf angewiesen, dass eine rasche Lösung gefunden werden kann. Dies ist jedoch aufgrund der teilweise sehr langen Verfahrensdauer oftmals nicht möglich.
Welches ist Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung im Schweizer Familienrecht in den kommenden 10 Jahren?
Aktuell steht die Rechtsprechung insbesondere vor der Aufgabe, die Realität der vielfältigen Familienkonstellationen rechtlich einzuordnen. Es fehlt die höchstrichterliche Klärung diverser Fragen in diesem Zusammenhang. Es wird spannend sein, wie der Gesetzgeber sowie die Gerichte fortan mit diesen Themen umgehen werden und in welchem Rahmen eine gesamtschweizerische Lösung gefunden werden kann.
Rosa Renftle | legalis brief FamR 29.11.2024