Kinderschutzgruppe UKBB: «Ziel ist es, unterstützende und hilfreiche Lösungen für die Familien zu finden.»
Familienrecht, Kindesschutzmassnahmen
Dr. med. Daniel Beutler, stellvertretender Chefarzt Pädiatrie und Leiter Kinderschutzgruppe, und Gabrielle Plüss, Leiterin Care Management und Care Team, beleuchten in ihrem Interview aus Sicht der Kinderschutzgruppe des UKBB (Universitäts-Kinderspital beider Basel) eine weniger juristische, aber nicht minder wichtige Seite des Familienrechts. Die Kinderschutzgruppe des UKBB bietet bei akuter Gefährdung von Säuglingen, Kindern und Jugendlichen Hilfe, Schutz und Sicherheit. Sie ist Anlaufstelle für Betroffene und Dritte bei Kindeswohlgefährdungen, untersucht, behandelt und dokumentiert körperliche und psychische Misshandlung, sexuelle Übergriffe oder Vernachlässigung und ist zuständig für die Gewährung sofortigen Schutzes in Notsituationen, Krisenintervention und Einleitung von Sofortmassnahmen sowie Vermittlung von Beratungs-, Unterstützungs- und Therapieangeboten. Oft ist eine Meldung der Kindesschutzgruppe initial für die Aufnahme eines Kindesschutzverfahrens durch die zuständige KESB.
Welche Verbindung haben Sie zum Familienrecht?
In der Kinderschutzgruppe des UKBB steht insbesondere das Erkennen von Kindswohlgefährdungen sowie die Erhaltung der Gesundheit der Kinder im Vordergrund. Im Familienrecht sind die gesetzlichen Grundlagen des Kinderschutzrechts (elterliche Sorge, Obhut, Betreuung, Kontakt-/Besuchsrecht und Unterhaltsbeitrag) festgehalten.
Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen in der Kinderschutzgruppe?
Im UKBB sind wir regelmässig konfrontiert mit der Klärung von behördlichen Zuständigkeiten und wie beispielsweise das Umgangsrecht geregelt ist. Es stellen sich Fragen zum Informationsrecht, zum Aufenthaltsbestimmungsrecht oder ob ein Beistand ernannt ist und wenn ja, welche Befugnisse er hat. Dazu gehört auch das Aushalten der Grenzen unserer Handlungsmöglichkeiten, der Umgang mit den Erwartungen innerhalb der interdisziplinären Zusammenarbeit sowie auch der betroffenen Eltern und Fachpersonen.
Gibt es Anekdoten aus Ihrer Tätigkeit (im Bereich Familienrecht)?
Im Spitalalltag beschäftigt uns immer wieder der Umgang mit hochstrittigen Eltern; wer darf welche Informationen erhalten, wer darf Entscheide fällen, wer darf das Kind wo und wann besuchen. Ziel ist es jeweils, unterstützende und hilfreiche Lösungen für die Familien zu finden.
Wenn Sie die Möglichkeit hätten, etwas am Familienrecht ändern zu können, was wäre das?
Raschere Entscheide bezüglich Kindesschutzmassnahmen.
Welches wäre Ihr wichtigster Tipp in familienrechtlichen Verfahren?
Es kommt vor, dass die Kinder und ihre Krankheiten in familienrechtlichen Verfahren instrumentalisiert werden. Das kann grossen Schaden anrichten und die betroffenen Kinder verunsichern. Insbesondere die jeweilig involvierten Anwälte von unterschiedlichen Parteien sollten einen respektvollen Umgang miteinander sowie mit den beteiligten Disziplinen pflegen. So kann eine für die Kinder geeignete Massnahme rascher erarbeitet werden.
Wie hat sich das Familienrecht in den vergangenen Jahren Ihrer Meinung nach verändert?
Durch unterschiedliche Erwartungen ist es komplizierter geworden eine gemeinsame Lösung zu erarbeiten. Männer/Väter werden im Umgang mit Kindern mehr wahrgenommen und auch in die Verantwortung genommen, dies erleben wir auch im Spitalalltag immer häufiger.
Welches sind Ihrer Meinung nach die grössten Stärken und Schwächen im Schweizer Familienrecht?
Verfahren sind kompliziert und langwierig. Der Kinderschutz wird hoch gewertet. Durch das neue Melderecht ist es für die Kinderschutzgruppe einfacher möglich, bei einer vermuteten Kindswohlgefährdung Meldungen an die entsprechenden Behörden zu erstatten.
Welches ist Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung im Schweizer Familienrecht in den kommenden 10 Jahren?
Unterschiedliche Familienkonstellationen erfordern immer mehr Flexibilität. Der Anspruch an die Gesellschaft betreffend Zusammenleben wird immer komplexer. Die gesetzlichen Vorgaben verkomplizieren sich und die Erarbeitung von Entscheiden dauern durch nötige Abklärungen sehr lange.
Lisa Eisenhut-Hug | legalis brief FamR 02.05.2024