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Leonie Walkenhorst – «Eine grosse Herausforderung ist sicher, dass familienrechtliche Fälle nicht planbar sind.»

Familienrecht

Leonie Walkenhorst ist zugelassene Rechtsanwältin in der Schweiz und in Deutschland. Ihr Studium schloss sie 2017 an der Universität Bielefeld ab. Ihre berufliche Laufbahn führte sie zunächst nach Braunschweig, wo sie nach Stationen am Land- und Verwaltungsgericht, bei der Staatsanwaltschaft und bei einer mittelständischen Anwaltskanzlei die Befähigung zum Richteramt und die Berechtigung zur Anwaltszulassung erwarb. Seit 2021 ist sie bei M & D Advokatur Mediation in Rheinfelden tätig. Die Schwerpunkte ihrer Tätigkeit sind (internationales) Familienrecht, Scheidungsrecht, Beratung von unverheirateten Paaren, Patchwork- und Regenbogenfamilien, Kindes- und Erwachsenenschutzrecht und Opferhilferecht.

Welche Verbindung haben Sie zum Familienrecht?

Als Anwältin in der Schweiz und in Deutschland hatte ich schon immer einen besonderen Fokus auf internationale Beziehungen, gerade auch in Bezug auf familienrechtliche Angelegenheiten. Das Familienrecht als Schwerpunkt ist ein spannendes und sehr vielseitiges Fachgebiet und mir gefällt es meine Klientinnen und Klienten bei der Lösungsfindung zu unterstützen oder ihre Ansprüche gerichtlich durchzusetzen.

Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?

Eine grosse Herausforderung ist sicher, dass familienrechtliche Fälle nicht planbar sind. Wie immer, wenn Menschen involviert sind, können sich neue Entwicklungen ergeben, die Verhältnisse völlig verändern, bis hin zu dramatischen Situationen, die sofortiges Handeln erfordern. Hier muss man als Anwältin priorisieren und mit der nötigen Flexibilität an die Arbeit gehen. Manchmal ist man zu Beginn eines Mandats zunächst als Krisenhelferin gefordert und muss die emotionale Situation erst soweit beruhigen, dass der Klient oder die Klientin in der Lage ist Entscheidungen zu treffen. Gleichzeitig sind das aber auch die Punkte, die die Vielseitigkeit des Berufs und des Fachgebiets ausmachen.

Gibt es Anekdoten aus Ihrer Tätigkeit?

Es gibt immer wieder kuriose oder auch lustige Momente und Begebenheiten. Insbesondere in solch emotionalen Verfahren ist es wichtig den Humor nicht zu verlieren.

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, etwas am Familienrecht ändern zu können, was wäre das?

Vor allem im Familienrecht wäre der Einbezug von beratenden Stellen (psychologischer und sozialpädagogischer Natur) häufiger oder zu einem früheren Zeitpunkt sinnvoll. Meines Erachtens müsste mehr danach differenziert werden, ob Kinder involviert sind oder nicht. Sobald Kinder da sind, muss ein grösserer Fokus auf eine gute Lösung und nicht auf Gewinnen oder Verlieren gelegt werden. Ich kann mir auch vorstellen, dass zwingende Beratungsangebote vor der Geburt des Kindes sowohl bei nicht verheirateten als auch bei verheirateten Eltern vielen späteren Streitigkeiten vorbeugen würden.

Welches wäre Ihr wichtigster Tipp in familienrechtlichen Verfahren?

In familienrechtlichen Verfahren, bei denen Kinder involviert sind, ist es für alle Beteiligten wichtig, die Kinder nicht aus dem Blick zu verlieren. Ich sage meinen Klienten immer, dass Sie auch nach der Scheidung noch als Eltern miteinander Kontakt haben werden und idealerweise als Eltern zusammen einen guten Job machen sollen. Es ist eine grosse Schwierigkeit, die Paarbeziehung von der Elternbeziehung zu differenzieren.

Wie hat sich das Familienrecht in den vergangenen Jahren Ihrer Meinung nach verändert?

Es gibt zum Beispiel ganz drastische Veränderungen im Hinblick auf den Begriff der Lebensprägung im Eherecht, was dazu führt, dass ein nachehelicher Unterhalt viel diskutabler geworden ist. Auch bezüglich der heute viel häufiger angeordneten (und auch beantragten) alternierenden Obhut gibt es grosse Veränderungen. Die Betreuungssituationen werden dadurch teilweise sehr komplex und die Betreuungsmodelle der Eltern sind sehr variantenreich.

Welches sind Ihrer Meinung nach die grössten Stärken und Schwächen im Schweizer Familienrecht? (Vielleicht hier ein Bezug zu Ihren Erfahrungen aus Deutschland, was würden Sie sich aus der deutschen Situation in der Schweiz wünschen?)

Eine der grossen Stärken im Schweizer Familienrecht ist meiner Meinung das Scheidungsverfahren in dem alle Scheidungsfolgen abschliessend geregelt werden. Aus meiner Praxis in Deutschland sehe ich hier einen enormen prozessökonomischen Vorteil und einen Vorteil für die Ex-Eheleute, weil damit auch Klarheit und Rechtssicherheit entsteht.

Bezogen auf die Unterhaltsberechnung ist das Schweizer Familienrecht jedoch in vielen Fällen komplexer als in Deutschland. Das kann ein Vorteil sein, weil der Einzelfall genauer betrachtet wird, es kann aber auch ein Nachteil sein, wenn sich das Verfahren dadurch in die Länge zieht oder die Akzeptanz von vorgerichtlichen Lösungen über Beratungsstellen nicht so hoch ist, weil die Berechnung weniger nachvollziehbar ist als eine Einstufung anhand des deutschen Systems der Düsseldorfer Tabelle.

Welches ist Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung im Schweizer Familienrecht in den kommenden 10 Jahren?

Ich denke die zunehmende Varianz an Familienmodellen, sei es hinsichtlich Patchworkfamilien, gleichgeschlechtlichen Ehen, nicht verheirateten Paaren, internationalen Beziehungen, bei denen die Parteien in verschiedenen Ländern leben, etc. führt zu immer komplexeren Situationen, die nicht in die vorgefertigten Regelungsmuster fallen. Insbesondere bei der Unterhaltsberechnung, wenn mehrere Kinder involviert sind. Es wird sicher eine Herausforderung, in diesen Fällen eine für alle Parteien funktionierende und faire Regelung zu finden und für Anwälte wird es herausfordernd, diese Fälle in all ihren Facetten vor Gericht zu präsentieren.

Sie sind im Vorstand von BPW (Business & Professional Women) Baselland nebst Ihrer Anwaltstätigkeit. Was bewegt Sie zu diesem Engagement? Was tragen Sie aus dieser Tätigkeit in Ihren Beruf?

Der Verband von Business and Professional Women (BPW) vertritt die Interessen von berufstätigen Frauen mit dem Ziel, die wirtschaftliche und politische Teilhabe von Frauen zu verbessern. Mein Engagement beruht auf meiner Meinung, dass es für uns Frauen wichtig ist, sich zu vernetzen und dadurch Ressourcen zu schaffen und Möglichkeiten zu generieren. Trotz aller positiven Entwicklungen in den letzten Jahren und Jahrzehnten gibt es immer noch viele gesellschaftliche Ungleichheiten, insbesondere sobald ein Kind in die Familiendynamik hinzutritt.

Rosa Renftle | legalis brief FamR 27.02.2025