Severin Boog – «Als Parteivertreter ist es unerlässlich, das langfristige Ziel der Klientschaft regelmässig zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.»
Familienrecht, Internationales Scheidungsverfahren, Prozessrecht, Scheidungsverfahren
Nach seinem Studium an den Universitäten Basel und Genf sowie Praktika in der Verwaltung, am Strafgericht Basel-Stadt und bei Lenz & Staehelin in Zürich hat Severin Boog sein Anwaltspatent erworben. Seit 2022 arbeitet er als Rechtsanwalt bei Liatowitsch & Partner und verfasst berufsbegleitend eine Dissertation im Bereich des Zivilprozessrechts.
Welche Verbindung haben Sie zum Familienrecht?
Als Rechtsanwalt berate ich Rechtssuchende und vertrete sie unter anderem in allen familienrechtlichen Angelegenheiten. Ein Akzent meiner Tätigkeit liegt bei Trennungs- und Scheidungsverfahren mit internationalen Bezugspunkten.
Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?
Die Koordinierung der verschiedenen Fälle und die Planung und Strukturierung der Arbeitseinteilung. Oft gibt es in einer Angelegenheit Neuerungen, welche ein schnelles Handeln erfordern. Nur aber, weil ein Fall dringend und zeitraubend ist, darf nicht bei anderen Fällen die notwendige Aufmerksamkeit zu kurz kommen. Dies setzt Flexibilität sowie schnelle Anpassung der Arbeitseinteilung voraus; gleichzeitig kann es dadurch zum Glück nicht passieren, dass Monotonie bei der Arbeit entsteht.
Ab 1. Januar 2025 werden Sie Teil der legalis brief-Redaktion für den Fachbereich Familienrecht. Was hat Sie dazu bewogen, als Redaktionsmitglied tätig zu sein und auf welche Aufgaben freuen Sie sich am meisten?
Das Familienrecht und das Familienverfahrensrecht sind Bereiche, in welchen viel Rechtsprechung ergeht. Die Beratung und Vertretung von Rechtssuchenden in diesen Bereichen erfordern, die neu ergangene, insbesondere höchstrichterliche Praxis, zu kennen, da diese in der Regel sofort anwendbar ist. Ich freue mich, dass ich die Erkenntnisse aus dem regelmässigen Studium der aktuellen Rechtsprechung künftig auch als Mitglied der legalis brief-Redaktion unter anderem bei der Vorstellung und Zusammenfassung der aktuellen Leitentscheide einbringen kann.
Sie verfassen derzeit eine Dissertation im Bereich des Zivilprozessrechts. Wie können Sie ihre berufliche Tätigkeit und dieses Projekt unter einen Hut bringen? Können Sie aus diesen beiden Tätigkeiten gegenseitig Vorteile ziehen?
Ich erachte es als Privileg, sowohl in der Praxis tätig sein und gleichzeitig mein Dissertationsprojekt verfolgen zu können. Nichtsdestotrotz erfordert dies auch infolge der oft fristgebundenen anwaltlichen Tätigkeit eine strikte Planung und Einteilung der Arbeit und eine klare Abgrenzung zwischen beiden Tätigkeiten. Ich habe Zeiträume, in denen ich ausschliesslich im Büro tätig bin und andere, in welchen ich einzig an meiner Dissertation arbeite. Gerade die Tätigkeit im Familienrecht ist oft mit gerichtlichen Verfahren verbunden. Dabei kann ich bei meiner beruflichen Tätigkeit von den Erkenntnissen aus meiner Dissertation profitieren und beim Verfassen meiner Arbeit kann ich durch meine praktische Tätigkeit bestmöglich vermeiden, zu sehr an theoretischen Fragen hängen zu bleiben und die Praxisrelevanz aus den Augen zu verlieren.
Per 1. Januar 2025 wird die Revision der ZPO in Kraft treten. Sie haben sich im Rahmen eines Zeitschriftenbeitrags bereits mit den Änderungen im Familienverfahrensrecht auseinandergesetzt. Wie beurteilen Sie diese Neuerungen?
Eine grössere Änderung wird sein, dass Scheidungsverfahren inskünftig im vereinfachten Verfahren durchgeführt werden. Dies wurde mit Verweis auf die Laienfreundlichkeit eingeführt, sodass z.B. eine (unbegründete) Scheidungsklage künftig auch mündlich erfolgen können wird, was aus meiner Sicht gerade für Parteien ohne Rechtsbeistand zu begrüssen ist. Noch unklar ist für mich allerdings etwa, ob das vereinfachte Verfahren auch für Scheidungsverfahren mit bedeutenden internationalen Bezügen oder mit komplexen güterrechtlichen Auseinandersetzungen passend ist.
Erfreulich ist weiter, dass mit der Revision der ZPO klargestellt wird, dass bei Verfahren betreffend den Volljährigenunterhalt der uneingeschränkte Untersuchungsgrundsatz und die Offizialmaxime gelten. Dies war bis anhin von der Praxis nicht restlos geklärt.
In familienrechtlichen Prozessen sind Gerichtsverhandlungen häufig und auch von grosser Bedeutung. Gerade im Hinblick auf die zunehmenden internationalen Bezüge in familienrechtlichen Verfahren ist es aus meiner Sicht sehr zu begrüssen, dass gemäss der revidierten ZPO auf Antrag oder von Amtes wegen mündliche Prozesshandlungen und damit Verhandlungen mittels Videokonferenz durchgeführt werden können, sofern alle Parteien damit einverstanden sind. Diese Neuerung erachte ich als progressiv und fortschrittlich, ermöglicht die revidierte ZPO doch, dass eine z.B. in den USA wohnhafte Person nicht für jede Gerichtsverhandlung (von denen es im Familienrecht einige geben kann) in die Schweiz reisen muss. Gleichzeitig wird bei den Änderungen das Kindeswohl dadurch geschützt, dass eine Videokonferenz für eine Kindesanhörung in jedem Fall ausgeschlossen ist. Bedauerlich ist aus meiner Sicht allerdings, dass die Folgen von technischen Verbindungsproblemen zu Beginn und/oder während der mündlichen Prozesshandlung – solche wird es mit Sicherheit geben – ungeregelt blieben.
Gibt es andere Neuerungen bei der ZPO-Revision im Zusammenhang mit den familienrechtlichen Verfahren, die Sie kritisch sehen?
Künftig wird das Schlichtungsverfahren bei Klagen über den Unterhalt von minder- und volljährigen Kindern und weitere Kinderbelange in jedem Fall entfallen und nicht nur wie bisher, wenn vor der Klage ein Elternteil die Kindesschutzbehörde angerufen hat. Der Gesetzgeber hat zu dieser Änderung lediglich ausgeführt, dass es sinnvoll sein dürfte, soweit möglich im Rahmen einer Instruktionsverhandlung eine Einigung zu suchen. Das Gericht ist allerdings nicht dazu verpflichtet, sondern es steht in seinem Ermessen. Es ist bedauerlich, dass in der ZPO-Revision kein obligatorischer Einigungsversuch vorgesehen wurde. Dies widerspricht zudem dem der ZPO inhärenten Grundsatz, wonach vor einem gerichtlichen Entscheid ein obligatorischer Schlichtungsversuch vorzunehmen ist. Durch diese Änderung gehen aus meiner Sicht auch die Vorteile der Niederschwelligkeit eines Schlichtungsverfahrens verloren, ist doch ein (auch im vereinfachten Verfahren zu führender) Prozess gerade für unvertretene Parteien mit grösseren Hindernissen verbunden als ein Schlichtungsverfahren, welches grundsätzlich nicht mit einem Entscheid endet. Es bleibt deshalb zu hoffen, dass das Gericht auch aus prozessökonomischen Gründen – analog zur Einigungsverhandlung im Scheidungsverfahren – in jedem Fall vorab in eine Instruktionsverhandlung vorlädt.
Welches wäre Ihr wichtigster Tipp in familienrechtlichen Verfahren?
Als Parteivertreter erachte ich es als unerlässlich, dass das langfristige Ziel der Klientin oder des Klienten – insbesondere bei jahrelangen Prozessen – regelmässig überprüft und gegebenenfalls neu gesetzt wird. Dies ist nur dadurch möglich, indem regelmässig eine sachliche und objektive Aufklärung über Chancen und Risiken mit der Mandantschaft stattfindet und dadurch deren Interessen jeweils neu eruiert werden.
In einem weiteren Sinne sollte – sofern die Parteien einer familienrechtlichen Streitigkeit Kinder haben – tunlichst vermieden werden, dass diese und der andere Elternteil gegeneinander ausgespielt werden. Auch bei hochstrittigen Angelegenheiten muss das Wohl der Kinder prioritär behandelt werden.
Welches ist Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung im Schweizer Familienrecht in den kommenden 10 Jahren?
Neben den immer mehr verschiedenartig ausfallenden Lebensweisen resp. Familienkonstellationen und den damit einhergehenden Herausforderungen, insbesondere in Bezug auf das Unterhaltsrecht, werden sicher die zunehmenden internationalen Bezüge, welche familienrechtliche Streitigkeiten mit sich bringen, eine Herausforderung. Durch den Bezug zu mehreren Rechtsordnungen kann es schnell vorkommen, dass die Parteien sich in mehreren Gerichtsverfahren in unterschiedlichen Ländern befinden, dadurch mit hohen Kosten konfrontiert sind und der wesentliche Punkt, die Lösung des Familienkonflikts, fälschlicherweise in den Hintergrund tritt. Dies stellt alle daran Beteiligten wie auch die Rechtsetzung – insbesondere auch mit Blick auf den Abschluss von internationalen Abkommen – vor Herausforderungen.
Nadine Grieder | legalis brief FamR 31.10.2024