Jvo Grundler – «Wer sich für Verwaltungsratsmandate interessiert, sollte das von langer Hand planen.»
Gesellschaftsrecht
Jvo Grundler ist Partner bei Bratschi AG mit Fokus auf M&A und Nachfolgeplanung, General Counsel bei der HIAG Immobilien Holding AG und Mitglied verschiedener Verwaltungs- und Stiftungsräte.
Er studierte und promovierte an der Universität St. Gallen und an der University of Cambridge (LL.M.). Nach neun Jahren Tätigkeit bei einer Zürcher Anwaltskanzlei mit Spezialisierung auf das Transportrecht und dem Abschluss seiner Dissertation im Bereich des Erbrechts wechselte er für 17 Jahre zu den Big Five bzw. Four; zuerst war er bei Andersen Legal, dann bei Ernst & Young AG, wo er verschiedene Funktionen innehatte, u.a. Leiter Rechtsberatung und General Counsel. Diese Doppelfunktion von externer Beratung und Inhouse-Tätigkeit hat er bis heute beibehalten.
Welche Verbindung haben Sie zum Gesellschaftsrecht?
Ich betrachte mich nicht als Gesellschaftsrechtler im engeren Sinne. Lassen Sie mich das erklären. Das Gesellschaftsrecht ist für mich das Regelwerk, innerhalb dessen sich meine Klienten bewegen dürfen bzw. ich mich als Berater bewegen darf. Ich muss wissen, was gehen könnte und was definitiv nicht. Mit der gesellschaftsrechtlichen Umsetzung der Ideen für die Gestaltung einer Transaktion oder den Aufbau eines Firmenkonstrukts befasse ich mich nur am Rande. Das überlasse ich meinen meist jüngeren Kollegen, die das effizienter erledigen können als ich. Nehmen wir ein Beispiel, das mir in meiner Praxis regelmässig begegnet ist: die Tracking Stocks. Ich muss in der Lage sein, meinen Klienten zu erklären, ob dies unter schweizerischem Gesellschaftsrecht möglich ist und was die Voraussetzungen dafür sind. Die entsprechende Anpassung der Statuten gebe ich dann in andere Hände. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass diese Arbeitsteilung zu kreativeren Lösungsansätzen führt. Ich entwickle meine Ideen am liebsten frei von gesellschaftsrechtlichen Schranken. Dann erst schaue ich, zusammen mit den Gesellschaftsrechtlern i.e.S., wie die Idee aus gesellschaftsrechtlicher Sicht umgesetzt werden könnte. Das hat auch schon zu Ergebnissen geführt, deren Gesetzeskonformität nicht offensichtlich war. Ganz nach dem Motto: Wenn wir’s nicht versuchen, werden wir nie wissen, ob es funktioniert hätte. Zugegeben, für einen solchen Ansatz ist nicht jeder Klient zu haben. Als General Counsel ist es etwas einfacher, diesen Ansatz zu fahren, denn als Berater.
Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen im Bereich Gesellschaftsrecht?
Da gibt es verschiedene. Im Bereich der Entwicklung von Ideen habe ich schon häufig von Gesellschaftsrechtlern i.e.S. gehört, dass etwas nicht gehe. Diese Antworten beruhten meistens darauf, dass man etwas nicht so macht, wie ich mir das vorstelle. Fasst man dann nach und bleibt hartnäckig, so findet sich meistens trotzdem eine Lösung.
Vor allem für ausländische Klienten nicht nachvollziehbar sind die unterschiedlichen Arbeitsweisen und Meinungen der verschiedenen Handelsregisterämter in unserem föderalistischen Lande. Es ist schwierig zu erklären, warum etwas im Kanton X geht und im Kanton Y nicht. Die unterschiedliche Praxis der Handelsregisterämter kann sogar relevant sein für den Entscheid, in welchem Kanton sich ein Unternehmen ansiedeln soll.
Und schliesslich ein Punkt, den wohl jeder Anwalt, der sich in diesem Bereich betätigt, schon einmal einem seiner Klienten erklären musste: Es ist faktisch fast unmöglich, eine Praxis bzw. einen Entscheid eines Handelsregisteramts auf dem Rechtsweg ändern zu wollen. Denn bis ein solcher Entscheid vorliegen würde, hätte sich das entsprechende Rechtsgeschäft schon längst erledigt. Hier gibt es meist nur den Ratschlag «Augen zu und durch».
Was sind Ihrer Meinung nach die grössten Stärken und Schwächen des Schweizer Gesellschaftsrechts?
Zu den Stärken zählen definitiv die Stabilität und Berechenbarkeit. Unser Gesellschaftsrecht ist aufgrund des langsamen Gesetzgebungsprozesses sehr statisch. Und auch die Gerichts- und Handelsregisterpraxis ist nicht bekannt dafür, dass einmal getroffene Entscheide bei nächster Gelegenheit wieder geändert werden. Das hilft in der Beratungspraxis. Viele Klienten mögen es, wenn man ihnen sagen kann, dass etwas ist, wie es ist, selbst wenn sie inhaltlich unter Umständen gerne etwas anderes hören würden. Darin liegt gleichzeitig aber auch ein Schwachpunkt. Bis Neuerungen im Gesellschaftsrecht, die sich in anderen Ländern durchsetzen, den Weg in die Schweizer Gesetzgebung finden, kann es etwas länger dauern. Allerdings habe ich in meiner Beratungspraxis nur sehr selten erlebt, dass deswegen z.B. eine Ansiedlung eines Unternehmens in der Schweiz gescheitert wäre. Da sind die steuerlichen Themen von wesentlich grösserer Bedeutung. Und wie oben schon erwähnt: Man findet mit etwas Kreativität aus gesellschaftsrechtlicher Sicht fast immer eine Lösung, um eine auf anderen Überlegungen basierende Zielstruktur zu erreichen.
Wenn ich konkreter werden müsste, dann sähe ich am ehesten zusätzlichen Regelungsbedarf im Bereich des Konzernrechts. Damit meine ich nicht Konzernverantwortung, sondern das Konzerndilemma des Verwaltungsrats. Dieser sollte mehr Raum erhalten, im Sinne des Gesamtunternehmens handeln zu können, als er heute aufgrund der Fiktion hat, dass jede Gesellschaft ein unabhängiges Unternehmen sei.
Wie werde ich Verwaltungsrat?
Diese Frage habe ich in letzter Zeit öfters gehört. Das liegt wohl daran, dass die Nachfrage nach Verwaltungsratsmandaten immer mehr zunimmt, die Anzahl der Gesellschaften, die solche Mandate vergeben, dagegen nicht in gleichem Masse.
Die erste Antwort ist die: Heute suchen Aktiengesellschaften Verwaltungsräte primär basierend auf den im Verwaltungsrat abzudeckenden Kompetenzen. Fehlen diese bei einem Kandidaten, wird es für diesen schwierig. Da helfen dann auch persönliche Beziehungen nicht unbedingt weiter. Denn ein Unternehmen muss, zumindest wenn es eine gewisse Exposure gegenüber der Öffentlichkeit hat, die Zusammensetzung eines Verwaltungsrats aufgrund objektiver Kriterien begründen können. Wenn also ein Anwalt in einen Verwaltungsrat gewählt werden soll, weil die rechtliche Komponente im Verwaltungsrat noch nicht abgedeckt ist, dann sollte es ein Verwaltungsrat mit Erfahrung im Gesellschaftsrecht und auf dem Gebiet sein, in dem das Unternehmen tätig ist. Familien- und Erbrecht z.B. sind weniger gefragt als Spezialisierung für einen potenziellen Verwaltungsrat, es sei denn, das Unternehmen stehe vor einer Nachfolgeregelung innerhalb der Familie.
Ist die erste Voraussetzung erfüllt, ist eine langjährige Beziehung zwischen dem Kandidaten und dem Unternehmen bzw. dem Eigentümer des Unternehmens von grösstem Nutzen. Der Kandidat muss nicht erst in das Unternehmen eingeführt werden und kennt die grössten Herausforderungen. So ist es denn auch häufig so, dass nicht die an einem Verwaltungsratsmandat interessierte Person die Firma findet, in der sie Verwaltungsrat werden will. In der Regel sucht sich das Unternehmen den Kandidaten aus. Mein Rat ist daher folgender: Wer sich für Verwaltungsratsmandate interessiert, sollte das von langer Hand planen und mit den Gesellschaften, bei denen es möglich erscheint, frühzeitig ansprechen. Heute wartet niemand mehr auf einen in den Ruhestand getretenen Anwalt, der gerne noch ein paar Verwaltungsratsmandate hätte, damit er etwas Beschäftigung hat.
Und was heute auch aufgrund gesetzlicher Gegebenheiten von Bedeutung bzw. legitimiert ist, ist das Kriterium des Geschlechts. Dazu brauche ich jedoch keine weiteren Ausführungen zu machen, da dieser Punkt Gegenstand unzähliger Diskussionen war und ist.
Bevorzugen Sie die Tätigkeit als General Counsel oder als Rechtsanwalt?
Ich schätze beides und mache deshalb auch beides schon seit vielen Jahren parallel. Die Tätigkeit des General Counsels ist, wenn er auf C-Level angesiedelt ist, unternehmerischer. Ich kann mitgestalten, Entscheidungen in die mir richtig erscheinende Richtung beeinflussen und bin bei Projekten meistens von Anfang bis Ende involviert. Ausserdem hat der General Counsel die Freiheit, sich um jene Rechtsgeschäfte persönlich zu kümmern, die ihm am Herzen liegen, und die anderen zu delegieren; ein Privileg, das vor allem jüngere Anwälte in der Advokatur meist nicht haben. Auf der anderen Seite ist man dann aber auch in der Verantwortung, wenn etwas nicht so läuft, wie man sich das gewünscht hätte, eben weil man mitentschieden hat und von Anfang an dabei war. Wobei mich diese Verantwortung eigentlich nicht belastet. Es ist Teil des Jobs und der Sorge für das Unternehmen.
Bei der beratenden Anwaltstätigkeit schätze ich die Vielfalt der Herausforderungen und die Möglichkeit, für den Klienten massgeschneiderte Lösungen für seine Ziele zu entwickeln. Hier ist die Kreativität gefordert und das Fingerspitzengefühl für den Umgang mit ganz verschiedenen Charakteren. Ausserdem ist die beratende Tätigkeit auch ein Garant dafür, stets auf dem Laufenden zu bleiben über die neusten Entwicklungen in den für mich relevanten Rechtsgebieten. Die beratende Anwaltstätigkeit ist also auch für die Tätigkeit als General Counsel durchaus relevant und nutzbringend.
Diese Kombination hilft auch bei meiner Tätigkeit als Verwaltungsrat. Im Verwaltungsrat ist in aller Regel ein pragmatischer Ansatz gefragt, dogmatische Ausführungen und Analysen interessieren weniger. Auch der Anwalt im Verwaltungsrat soll nicht einfach ausführen, was die Risiken sein könnten und wie er diese einschätzt. Es sind Entscheide gefragt, wie sie eben ein General Counsel auch fällen muss.
Welche ist Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung im Schweizer Gesellschaftsrecht in den kommenden 10 Jahren?
Nun, da habe ich eine klare Meinung dazu: die Regulierungsflut der EU vor allem in den Bereichen Reporting und den dazugehörigen Prüfungspflichten, die unweigerlich auch in das Schweizer Gesellschaftsrecht Eingang finden wird. Ich sehe das jetzt schon bei vielen meiner mittelständischen Klienten, die international tätig sind. Für diese ist bereits die Erfüllung der heute bestehenden Anforderungen eine echte Herausforderung und führt teilweise dazu, dass für die Geschäftsentwicklung erforderliche Ressourcen fehlen, weil mehr Ressourcen für die Compliance alloziert werden müssen. Diese Entwicklung bereitet mir tatsächlich etwas Sorgen.
Adrian Schmidlin | legalis brief GesR 05.08.2024