Christian Rageth – «Es sind vor allem die täglichen Begegnungen, die immer noch den Reiz meiner Arbeit ausmachen und mich erfüllen.»

Mietrecht

Nach seiner Ausbildung als bernischer Fürsprecher war Christian Rageth  im Strafvollzug im Kanton Zürich tätig. Nach seiner Rückkehr 1991 nach Bern begann er dann als juristischer Sekretär beim Mietamt und Arbeitsgericht der Stadt Bern. Seit 2011 ist er  leitender Gerichtsschreiber bei der im Zusammenhang mit der kantonalen Justizreform neu gegründeten Schlichtungsbehörde Bern-Mittelland.

Wann sind Sie das erste Mal mit dem Mietrecht in Kontakt gekommen?

Das Mietrecht und vor allem die Rechtsberatung in dieser Materie begleiteten mich durch mein ganzes Berufsleben.

Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?

Als leitender Gerichtsschreiber bin ich mit meinen Kolleginnen zuständig für die mietrechtlichen Beratungen bei der Schlichtungsbehörde Bern-Mittelland. Selbstverständlich ist es mir ein grosses Anliegen, dass die jährlich rund 10'000 Ratsuchenden (Mietende wie auch Vermietende) kompetent beraten werden. Aktuell werden wir natürlich mit dem seit 2008 erstmals wieder steigenden Hypothekarzins- bzw. Referenzzinssatz konfrontiert, was sich direkt auf die Anzahl der täglichen Rechtsberatungen auswirkt.

Gibt es Anekdoten aus Ihrer Tätigkeit im Bereich Mietrecht?

Da gäbe es viel zu erzählen. Jeder Kontakt mit den Ratsuchenden ist auf seine Art besonders. Es sind vor allem diese täglichen Begegnungen, die immer noch den Reiz meiner Arbeit ausmachen und mich erfüllen.

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, etwas am Mietrecht/Mietsystem ändern zu können, was wäre das?

Eine hohe Dringlichkeit für mich hätte ein noch besserer Schutz vor missbräuchlichen Mietzinsen (Anfechtung des Anfangsmietzinses, Berechnung des übersetzten Ertrags und zur Orts- und Quartierüblichkeit).

Was wäre Ihr wichtigster Tipp an die Vermieterinnen und Vermieter sowie an die Mieterinnen und Mieter?

Die Erwartungen der Ratsuchenden decken sich häufig nicht mit den gesetzlichen Vorgaben. Den Ratsuchenden klar zu machen, dass die Lösung ihres Problems in vielen Fällen nicht einfach schwarz oder weiss ist. Ich weise immer darauf hin, dass die Mietenden und Vermietenden bei Problemen aufeinander zugehen und das gemeinsame Gespräch suchen sollen. Im Idealfall wird das Problem bilateral gelöst. Falls nicht, kann die Schlichtungsbehörde immer noch angerufen werden.

Wie hat sich das Mietwesen in den vergangenen Jahren Ihrer Meinung nach verändert?

Der Mietwohnungsmarkt gilt als grösster Markt in der Schweiz. Das Thema Wohnen betrifft uns alle. Insbesondere die Frage, ob die Mieten zu hoch sind, ist für viele Ratsuchenden mittlerweile zu einem wichtigen Thema geworden.

Welches sind Ihrer Meinung nach die grössten Stärken und Schwächen im Schweizer Mietwesen?

Das Mietrecht gilt als einer der empfindlichsten Bereiche der Wohnungspolitik. Es regelt ein lebenswichtiges Gut, zu dem in der Regel eine starke emotionale Bindung besteht. So gesehen sind die gesetzlichen Schutzbestimmungen vor missbräuchlichen Mietzinsen sowie der Kündigungsschutz bei der Miete von Wohn- und Geschäftsräumen sicherlich Stärken im Mietrecht.

Dass die tatsächlichen Mieten in der Schweiz deutlich stärker angestiegen sind, als dies aufgrund der Entwicklung der wichtigsten Kostenfaktoren zu erwarten gewesen wäre, sehe ich aber auch als Schwäche an.

Was ist Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung im Schweizer Mietwesen in den kommenden 10 Jahren?

Gestützt auf die hohe Nachfrage nach Wohnraum führt die aktuelle Entwicklung der Mietzinse für Haushalte mit niedrigem Einkommen zu einer immer höheren Wohnkostenbelastung.

Betreffend die Rechtsberatung wird vor allem die Einbindung von künstlicher Intelligenz in den Arbeitsalltag die Arbeitsweise der beratenden Personen vermutlich entscheidend verändern.

Lars Müller | legalis brief MietR 03.10.2023