Eveline Kunz – «Sehr persönliche Dokumente sollten für eine Wohnungsbewerbung nicht eingefordert werden.»

Mieterschutz

Nach Ihrem Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaften an der Universität Zürich durchlief Eveline Kunz Stationen als Content-Managerin beim WWF Schweiz und danach als Parteisekretärin der SP Bezirk Winterthur. Seit 15 Jahren ist sie als Mietschlichterin erst in Andelfingen und dann in Winterthur tätig. Im  November 2018 übernahm sie die Leitung der Geschäftsstelle Winterthur beim Mieterinnen- und Mieterverband Zürich und im Juni 2022 wurde sie Co-Geschäftsleiterin.

Wann sind Sie das erste Mal mit dem Mietrecht in Kontakt gekommen?

Als Studentin – vor gut 30 Jahren – als wir Probleme mit der Wohnungsabgabe und der Schlussrechnung hatten und an die Schlichtungsbehörde gelangt sind. Mittlerweile bin ich seit 15 Jahren  als Mietschlichterin tätig.

Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?

Als Co-Geschäftsleiterin des MV Zürich ist meine grösste Herausforderung, allen Anfragen und Problemen genug Aufmerksamkeit zu schenken und Lösungen zu finden. Das sind z.B. Nachfragen von Mieterinnen und Mietern in besonders schwierigen Situationen, für die eine spezielle Lösung gefunden werden muss. Daneben gibt es betriebliche Fragen zu Abläufen, die angepasst oder besprochen werden müssen, damit wir als Mieter- und Mieterinnenverband eine gute Dienstleistung erbringen können. 

Gibt es Anekdoten aus Ihrer Tätigkeit im Bereich Mietrecht?

Am schönsten ist es immer, wenn wir Mieterinnen und Mieter unterstützen und zum Beispiel Missverständnisse aus dem Weg räumen können, so dass ein Mietverhältnis ungetrübt weiter bestehen kann. In Erinnerung geblieben ist mir eine Runde Glace, die uns eine Mieterin nach der Beratung brachte, weil sie so froh war zu hören, dass eigentlich alles korrekt verrechnet wurde mit den Nebenkosten. Die Interpretation der Zahlen ist manchmal schwierig. Eine Nebenkosten-abrechnung zu verstehen, hilft zwar nicht bei der Bezahlung der Rechnung, aber fördert das Verständnis.  

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, etwas am Mietrecht/Mietsystem ändern zu können,
was wäre das?

Einen besseren Kündigungsschutz. Ich hatte Gespräche mit vielen verzweifelten Mieterinnen und Mietern, die ihr Zuhause nach 50 oder 60 Jahren verlassen mussten. Die Menschen werden aus ihrem ganzen sozialen Umfeld gerissen und stehen plötzlich dem heutigen schwierigen Wohnungsmarkt gegenüber. Gerade für ältere Menschen kann so eine Kündigung sehr schwierig sein.

Welches wäre Ihr wichtigster Tipp an die Vermieter, welches an die Mieter?

VM: Generell Rücksichtnahme, etwa beim Aussprechen von Kündigungen und Hilfestellung bei der Wohnungssuche.
M: Gelassenheit und Geduld, etwa wenn es um das Zusammenleben mit anderen Mieterinnen und Mietern oder um die Behebung von Mängeln geht.

Wie hat sich das Mietwesen in den vergangenen Jahren Ihrer Meinung nach verändert?

Der Anteil an institutionellen Eigentümerschaften hat zugenommen und damit auch die Renditemaximierung im Mietwesen. Zudem bewegt sich der Leerwohnungsbestand auf sehr tiefem Niveau. Für Mieterinnen und Mieter wird es immer schwieriger, eine Wohnung zu finden – weil der Wohnraum immer teurer wird und der Wohnungsmarkt sehr knapp ist. Auswirkungen hat das auch darauf, was heute von zukünftigen Mieterinnen und Mietern an persönlichen Daten eingefordert wird, wenn sie sich für eine Wohnung bewerben. Steuererklärung, Lohnausweis und weitere sehr persönliche Dokumente sollten m.E. für eine Wohnungsbewerbung nicht eingefordert werden.     

Welches sind Ihrer Meinung nach die grössten Stärken und Schwächen im Schweizer Mietwesen?

Als eine Stärke sehe ich die Schlichtungsbehörden. Dadurch erhalten alle Mieterinnen und Mieter die Möglichkeit, kostenlos ein Verfahren einzuleiten, wenn man sich in einem mietrechtlichen Problem mit der Vermieterschaft nicht einigen kann. Eine grosse Schwäche sehe ich in der Mietzinsfestlegung. Die Missbräuchlichkeit von Mietzinsen ist zwar definiert, aber deren Umsetzung obliegt den Mieterinnen und Mietern, die sich in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Vermieter befinden und vielfach weder das Wissen noch den Mut haben, da aktiv zu werden.

Welches ist Ihrer Meinung nach der grössten Herausforderung im Schweizer Mietwesen in den kommenden 10 Jahren?
Eine Herausforderung werden oder sind bereits die ganzen energetischen Sanierungen und damit verbunden auch die immer differenzierteren Nebenkostenabrechnungen. Da gilt es, Lösungen zu finden, die Vermieterinnen und Vermieter darin bestärken, Veränderungen vorzunehmen, aber nicht nur auf Kosten der Mieterinnen und Mieter, die mit Kündigungen wegen Totalsanierungen oder Abriss und mit Mietzinserhöhungen konfrontiert werden. Etappierungen beim Sanieren und Erneuerung aus dem Bestand heraus können helfen, dass die Energiewende auch im Mietwesen sozialverträglich gestaltet werden kann.  

Christian Habegger | legalis brief MietR 03.04.2023