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VORGESTELLT

Janine Christen – «Der Kreis an vermeintlichen Fachpersonen wächst täglich.»

Mietrecht

Nach der Wirtschaftsmatura und einem kurzen Ausflug in die Juristerei schloss Janine Christen eine Bankausbildung ab und arbeitete daraufhin im Anlagefondsbereich, bevor die Leidenschaft für Immobilien im Jahr 2000 wieder überhandnahm. Auf den Start bei der Göhner Merkur AG folgten einige Jahre bei der Privera AG und später bei der KM&P AG, dann wechselte sie in die Selbständigkeit. Anfang 2012 stieg Janine Christen in die WMP-Immobilien ein – bis heute eine klassische Verwaltung mit Boutique-Charakter.

Wann sind Sie das erste Mal mit dem Mietrecht in Kontakt gekommen?

Während meiner Schulferien in der Gymnasiumzeit habe ich viele Wochen bei der Liegenschaftenverwaltung des Kantons Thurgau verbringen dürfen. Damals war der Verwalter/Vermieter noch der Mietrechtsspezialist. Die Mieter hatten Respekt und hielten sich in der Regel an die Rahmenbedingungen. Das Mietrecht war überschaubar und konnte gut in der Praxis umgesetzt werden, ohne umgehende Angriffe und Schlichtungstermine befürchten zu müssen.

Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?

Der Kreis an vermeintlichen Fachpersonen wächst täglich, und das erschwert selbst die einfachsten Arbeitsschritte ungemein. Viele meinen, es besser zu wissen, und verhalten sich entsprechend. Alltägliche Abläufe werden dadurch unnötig verkompliziert und oft in die Länge gezogen. Vereinbarungen, welche früher häufig mündlich getroffen werden konnten, müssen heute auf sorgfältigste und aufwendige Weise schriftlich formuliert und von allen Parteien mit sämtlichen Beilagen, welche einen integrierten Bestandteil bilden, unterzeichnet werden.

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, etwas am Mietrecht/Mietsystem ändern zu können, was wäre das?

Die Problematik, dass die Renditeberechnungen an den aktuellen Referenzzinssatz gebunden sind. Dieser ist seit Jahren auf einem so tiefen Niveau, dass quasi jeder Hauseigentümer automatisch zum «Abzocker» wird. Immerhin hat das Bundesgericht aber mit seinen Entscheiden vom Oktober 2020 und vom Juli 2024 diesbezüglich bereits eine Korrektur in die richtige Richtung vorgenommen.

Was wäre Ihr wichtigster Tipp an die Vermieterinnen und Vermieter sowie an die Mieterinnen und Mieter?

Eigentlich eine uralte Weisheit: miteinander reden, statt übereinander zu reden.

Wie hat sich das Mietwesen in den vergangenen Jahren Ihrer Meinung nach verändert?

Das Mietwesen hat sich dahingehend verändert, dass die Mieterschaft immer weniger Respekt zeigt, und zwar sowohl im Umgang mit dem Mietobjekt als auch vor dem Vermieter/Eigentümer. So war früher der helle Teppich nach 20 Jahren noch ohne Flecken. Heute wird unter dem Begriff «benützen» nicht selten «abnützen» verstanden, denn dafür bezahlt man ja schliesslich den Mietzins. Und häufig haben die Mieter auch eine Rechtsschutzversicherung und setzen diese selbst bei Kleinigkeiten ein. Die Bürokratie behindert so den täglichen Ablauf oft völlig unnötig.

Welches sind Ihrer Meinung nach die grössten Stärken und Schwächen im Schweizer Mietwesen?

Jeder Mieter/Vermieter kann im Zweifel oder bei Unsicherheiten an die zuständige Schlichtungsbehörde gelangen. Das Verfahren ist kostenlos, und die Einleitung eines Verfahrens ist relativ einfach möglich. Ob dies in jedem Fall sinnvoll ist, lasse ich einmal im Raum stehen. Nach meiner Erfahrung wird der Vermieter aber nicht selten von Anfang an als «der Böse» hingestellt, was nicht dem Grundgedanken des Schweizer Rechts entspricht. Denn die drei Attribute von Justitia – Augenbinde, Waage und Richtschwert – stehen doch dafür, dass das Recht ohne Ansehen der Personen (Augenbinde) und erst nach sorgfältiger Abwägung der Sachlage (Waage) gesprochen werden soll. Erst dann soll das Recht mit der nötigen Härte (Richtschwert) durchgesetzt werden.

Was ist Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung im Schweizer Mietwesen in den kommenden 10 Jahren?

Den Boden unter den Füssen nicht zu verlieren und sich trotz neuer Vorschriften/Entscheide immer daran zu erinnern, dass hinter dem Problem Menschen stehen. Alle Parteien sind auf der Suche nach einer Lösung, doch immer mehr Vorschriften behindern sich gegenseitig. Dem Schutz der Mieter muss selbstverständlich Sorge getragen werden. Man sollte aber die Frage «Wo wohnen diese Mieter?» nicht aus den Augen verlieren. Irgendwann will keiner mehr vermieten, weil Eigentümer/Vermieter immer weniger Rechte, sondern nur noch Pflichten haben.

Irene Biber | legalis brief MietR 14.10.2024