Sonya Naef – «Die Nachfrage nach Wohnungen und Eigenheim führt die Preise auf eine ungesunde Ebene.»

Mietrecht

Sonya Naef startete 1998 die Ausbildung als kaufmännische Angestellte im Bereich Treuhand und Immobilien. Nach einem Abstecher in die Buchhaltung vertiefte sie ihre Berufskenntnisse bei der Verit Immobilien und konnte sich 2011 in verschiedenen Bereichen als Mandats-, Team- und stv. Abteilungsleiterin sowie in der Bautreuhandabteilung bei der Realit Treuhand weiterentwickeln. Seit 2017 ist sie bei der Schaufelberger Immobilien AG als Mandatsleiterin tätig, im Sommer 2023 übernahm sie die Geschäftsleitung dieses Familienunternehmens.

Wann sind Sie das erste Mal mit dem Mietrecht in Kontakt gekommen?

Während meiner KV-Ausbildung im Jahre 1998 bei Sigman Treuhand und Verwaltung im Rahmen einer Ausweisung aus einer Wohnung.

Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?

Ich bin zuständig für die Geschäftsleitung einer Immobilienverwaltung von ca. 10 Mitarbeitenden. Ich trage die Hauptverantwortung für die Führung und Begleitung der Mitarbeitenden, die nach bestem Glauben und Gewissen ihre Tätigkeit für unsere Eigentümer und Mieter ausüben. Wir sind eine tägliche Anlaufstelle für Probleme von Eigentümern, Mietern, Mitarbeitern, Hauswarten und Handwerkern. Zudem beraten und unterstützen wir Projektentwicklungen und Akquisitionen von neuen Mandanten und Kunden.

Gibt es Anekdoten aus Ihrer Tätigkeit im Bereich Mietrecht?

Nach über zwanzigjähriger Tätigkeit in diesem Bereich gibt es viele.
In Zürich wurde bei zwei Mehrfamilienhäusern ein Ersatzneubau geplant. Mit der letzten Mieterin, welche vor dem Abbruch noch in der Liegenschaft wohnte, mussten wir nochmals vor die Schlichtungsstelle. Obwohl die Mieterin die maximale Erstreckung bereits erhalten hatte, wurde an der Verhandlung – paradoxerweise – um eine erneute Erstreckung verhandelt. Damit der Neubau nicht gefährdet wurde, habe ich eine Unterkunft gefunden und mit dem Hauswart den Umzug einen Tag lang selbst durchgeführt. Es war noch nichts gepackt, aber wir haben es geschafft, und sie war tatsächlich am letzten Tag vor Abbruch draussen.

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, etwas am Mietrecht/Mietsystem ändern zu können, was wäre das?

Vieles! Wir erleben aktuell zahlreiche Missstände, welche von Mietern maximal ausgereizt werden. Ausweisungen gemäss OR 257d von Mietern, die ihrer Pflicht der Mietzinszahlung nicht nachkommen und denen gekündigt wurde, werden unverhältnismässig lange herausgezögert. Die Bearbeitungszeit von den Behörden ist zu lange.

Als Beispiel eine Kündigung, die ausgesprochen wurde und deren Frist für den Mieter abgelaufen ist. Der Mieter hat die Anfechtung der Kündigung bei der Schlichtungsbehörde zu spät eingereicht. Er hatte eine Beiständin von der KESB, welcher wir die Kündigung ebenfalls ordentlich zugestellt haben. Als wir die Einladung zur Schlichtungsverhandlung erhalten haben, wurde unsererseits Kontakt mit der Schlichtungsstelle aufgenommen. Wir haben beantragt, dass die Verhandlung nicht stattfindet, da die Anfechtung der Kündigung zu spät eingegangen ist. Die Schlichtungsbehörde meinte, dies würde im Rahmen der Verhandlung festgestellt. Die Schlichtungsverhandlung hat also stattgefunden, der Mieter ist jedoch nicht aufgetaucht. Das Resultat war, dass die Kündigung als gültig angesehen wurde.
Einige Tage später kam eine erneute Einladung von der Schlichtungsstelle. Das Urteil sei ungültig, weil die Beiständin von der KESB bei der ersten Verhandlung nicht anwesend war, obwohl sie die Kündigung rechtsgültig erhalten und keinen Einspruch erhoben hat. Es folgte ein erneutes Aufgebot für eine Schlichtungsverhandlung, diesmal in Anwesenheit des Mieters und der KESB-Beiständin. Das Urteil lautete, die Kündigung sei gültig, es wurde jedoch die Auszugsfrist angepasst.

Meines Erachtens läuft da einiges falsch.

Welches wäre Ihr wichtigster Tipp an die Vermieter, welches an die Mieter?

Für beide Seiten empfehle ich ein lösungsorientiertes Handeln. Gegenseitig die Rechte und Pflichten vom Mietrecht leben und einhalten, das gibt einfach viel weniger Konfliktpotenzial. Freundlichen und respektvollen Umgang pflegen. Die Probleme können so einfacher gelöst werden.

Wie hat sich das Mietwesen in den vergangenen Jahren Ihrer Meinung nach verändert?

Die Interessen der Eigentümer haben sich verändert. Institutionelle und profitinteressierte Eigentümer haben ganz andere Interessen als Nonprofit-Organisationen oder auch Privatpersonen. Persönlich erlebe ich es so, dass das gegenseitige Verständnis zum Teil nicht mehr vorhanden ist.

Das nachbarschaftliche Verhältnis ist ebenfalls in einem empfindlichen Zustand. Die Corona-Zeit und die Einführung der Home-Office Pflicht haben das Ganze teilweise verschärft.

Welches sind Ihrer Meinung nach die grössten Stärken und Schwächen im Schweizer Mietwesen?

Eine Stärke ist sicherlich, dass wir in der Schweiz eine hohe Wohn- und Lebensqualität haben. Schade ist nur, dass dies vielen nicht bewusst ist.

Eine Schwäche ist, dass die Nachfrage nach Wohnungen und Eigenheim die Preise unvernünftig auf eine Ebene führt, die nicht gesund ist.

Persönlich mache ich mir viele Gedanken über das Ende einer Stockwerkeigentümerschaft, wenn man die Immobilien nicht mehr renovieren kann und diese abreissen muss. Bei einem Eigentümer von einem klassischen Mehrfamilienhaus ist dies einfach, aber bei einer Stockwerkeigentümerschaft? Aus meiner Sicht wird dies in der Zukunft ein grosses Thema sein. Die Preise bei den neuen Wohnungen im mittleren Standard, welche im Rahmen einer Stockwerkeigentümerschaft gebaut werden, sind teils nicht mehr nachvollziehbar.

Welches ist Ihrer Meinung nach die grösste Herausforderung im Schweizer Mietwesen in den kommenden 10 Jahren?

Zu den eben erwähnten Problemen kommt noch hinzu, dass wir für Ersatzneubauten mit so vielen Auflagen schikaniert und konfrontiert werden, dass es schwierig wird, notwendigen Wohnungsraum bieten zu können. Ausserdem gibt es Energiegesetze, Auflagen, Verbote etc., welche teils willkürlich beschlossen worden sind. Diese verschärfen die ganze Situation mit der Mietzinsentwicklung und deren wachsenden Nebenkosten für die Mieter und Investitionskosten für die Eigentümer.

Christoph Meyer | legalis brief MietR 03.04.2024