Anonymer Beschuldigter - «Ich würde sämtliche Betäubungsmittel legalisieren.»

Haft, Strafvollzug

Der Beschuldigte möchte anonym bleiben. Er ist ist Schweizer, Mitte 30 und hat eine Familie. Beruflich ist er selbständig erwerbend und importiert und verkauft CBD an gewerbliche Kunden. Er wird beschuldigt, im internationalen Betäubungsmittelhandel tätig gewesen zu sein und sass deshalb rund 1 Jahr lang in Untersuchungshaft.

Wann sind Sie das erste Mal mit dem Strafrecht in Kontakt gekommen?

Mit 8 Jahren hatte ich einen Fahrradunfall. Ich war mit meinem Velo auf dem Trottoir sehr schnell unterwegs. Auf einmal stand ein Paar vor mir. Den Mann habe ich leider umgefahren, weil ich so schnell unterwegs war. Danach wollte ich panisch die Flucht ergreifen, der Mann hielt jedoch verzweifelt mein Hinterrad fest und rief die Polizei. Diese brachte mich nach Hause. Die ganze Sache zog ein Jugendstrafverfahren nach sich.

Mit welcher Person aus dem Bereich des Strafrechts (aktuell oder historisch) würden Sie gerne für einen Tag die Rollen tauschen?

Mit einem Polizisten. Ich wäre sehr gespannt mit welchen Herausforderungen ein Polizist im Alltag konfrontiert ist.

Haben Ihre Erfahrungen mit dem Strafrecht Sie bzw. die Sicht auf Menschen verändert?

Die Sicht auf Menschen per se nicht, aber auf unser Strafverfolgungssystem. Ich ging immer davon aus, dass so ein Strafverfahren objektiv und vollkommen sachlich abläuft. Das ist eine Illusion. Hinter den Personen, die in der Strafverfolgung tätig sind stecken Persönlichkeiten mit all ihren positiven und negativen Seiten. Für diese Personen bist du nur ein Fall, den sie lösen möchten und dich wollen sie möglichst hart bestrafen. Wenn mein Verteidiger nicht dabei war, wurde mir von den Beamten ausserdem regelmässig eingebläut, ein Geständnis sei viel besser für mich, dann gehe alles viel schneller. Ich fand es bedenklich wie ich teils schikaniert wurde, um den Geständnisdruck zu erhöhen. Das waren die negativen Erfahrungen, es gab aber durchaus auch positive.

Machen Strafen Menschen zu besseren Leuten?

Das glaube ich nicht. Es kommt sehr darauf an, was für eine Strafe und für wen. Ganz am Anfang ist das Gefängnis schon hart, aber nach ein paar Wochen im Gefängnis ist der Effekt schon vorbei. Wenn du dich mal an das Gefängnis gewöhnt hast, ist es ja keine Strafe mehr sondern dein Alltag. Mit Resozialisierung hat das gar nichts zu tun.

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, was würden Sie ändern (Strafnormen, Strafsystem, Prozess etc.)?

Ich würde den Beschuldigten mehr Schutz vor behördlicher Willkür einräumen. Und ich würde ein neutrales Kontrollorgan einführen, das die Arbeit der Strafverfolgungsbeamten beaufsichtigt. Ich würde ausserdem sämtliche Betäubungsmittel legalisieren und stattdessen auf Prävention und Aufklärung setzen. In Kanada verfolgen sie derzeit in einem Pilotprojekt genau einen solchen Ansatz und ich bin mir sicher, dass dies Erfolg haben wird. Achja, und ich würde die Strafen für Pädophile erhöhen.

Sandro Horlacher | legalis brief StrR 16.05.2023