Antéo Diana – «Je weiter die Schere zwischen Arm und Reich auseinander geht, desto mehr wird die Kriminalität zunehmen.»

Straf- & Strafprozessrecht

Antéo Diana war von 2004 bis 2023 im Gefängniswesen tätig. Zu Beginn arbeitete er in der Untersuchungshaft und später beim Strafvollzug. Ausserdem absolvierte er die Ausbildung zum Eidg. Fachmann für Justizvollzug und spricht vier Sprachen. Seit 2023 ist er beim Ordnungsdienst tätig.

Wann sind Sie das erste Mal mit dem Strafrecht in Kontakt gekommen?

Abgesehen von Park- und Geschwindigkeitsbussen erst, als ich meinen Job als Gefangenenbetreuer begonnen und dadurch auch diese Seite unserer Gesellschaft kennengelernt habe.

Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?

Der Umgang mit den Insassen und nicht zu wissen, wie sich der Tag entwickelt. Bekanntlich sind Insassen auch nur Menschen, somit kommen auch täglich alle menschlichen Probleme auf einen zu. Manche sind einfacher, andere wiederum sehr herausfordernd. Mal ein Todesfall in der Familie, mal krankheitsbedingte Probleme – das können körperliche Beschwerden, aber auch Drogen oder Alkohol sein. Eine Herausforderung für mich persönlich war es immer, nicht zu wissen, was einen erwartet, wenn man die Zellentür öffnet: Von guter Laune bis zu aggressivem Verhalten oder gar einem Suizid war alles möglich.

Mit welcher Person aus dem Bereich des Strafrechts (aktuell oder historisch) würden Sie gerne für einen Tag die Rollen tauschen?

Mit einem Anwalt, da ich mich immer wieder gefragt habe, wie man jemanden verteidigen kann, von dem man weiss respektive davon ausgeht, dass er schuldig ist.

Haben Ihre Erfahrungen mit dem Strafrecht Sie bzw. die Sicht auf Menschen verändert?

Klares Ja. Man schätzt Situationen ganz anders ein und ist eher empfindlicher gegenüber Auseinandersetzungen oder Geschrei, sei es im Wohnbereich oder auf der Strasse. Das persönliche Verhalten hat sich auch verändert. Ich war und bin der Meinung, dass man nicht alle gleich «in denselben Topf werfen» kann. Ich habe sehr gute Kontakte und Freundschaften zu Menschen mit Nationalitäten, welche ich auch im Strafvollzug als Gäste hatte. Jeder Mensch hat seine eigene Geschichte, ich behaupte auch, dass jeder straffällig werden kann, wenn man in eine Situation kommt, in der es einem so schlecht geht, dass man keinen Ausweg mehr sieht. Ich schliesse hier mal Tötungsdelikte, Vergewaltigungen etc. aus.

Machen Strafen Menschen zu besseren Leuten?

Das kann man sich selber fragen: Hat es etwas genützt als man klein war und für einen Unsinn bestraft wurde? In meinen 19 Jahren im Strafvollzug hatte ich einen solchen Fall: Ein junger Straftäter, der den Rank wieder gefunden hat! Die Mehrheit der Insassen habe ich in den 19 Jahren aber immer wieder betreut. Nicht nur die Jungen, sondern auch ältere Klientel. Auf die Frage, wieso man schon wieder hier (Gefängnis) ist, war die Antwort «ach Chef die Welt da draussen…» – was auch immer das heissen soll.

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, was würden Sie ändern (Strafnormen, Strafsystem, Prozess etc.)?

Dies ist eine schwierige Frage, da ja bereits diverse Arten der Resozialisierung versucht und im Strafvollzug angewendet wurden und dies nicht nur bei uns in der Schweiz. Die Resultate liest man dann jeweils in der Zeitung oder man hört in den Nachrichten, was wieder nicht gut war. Es hängt sicherlich auch mit unserer Gesellschaft zusammen: je weiter die Schere zwischen Arm und Reich auseinander geht, desto mehr wird die Kriminalität aus meiner persönlichen Sicht zunehmen. Die Gefängnisse sind jetzt schon in allen Bereichen übervoll.

Sicher ist, dass die Klientel, welche länger im Strafvollzug verweilt, auch immer älter wird: 60 oder 70 Jahre plus. Auch dem muss vermehrt Sorge getragen und die die Einrichtungen entsprechend angepasst werden, denn es sind immer noch Menschen, auch wenn sie straffällig geworden sind, aus welchem Grund auch immer. Wir sind die Betreuer, welche mit ihnen arbeiten und auskommen müssen – und dies zum Teil über eine lange Zeit hinweg.

Anina Hofer | legalis brief StrR 16.04.2024