V
VORGESTELLT

Luca Montisano – «Jedes Opfer hat seine eigene Geschichte und verdient dieselbe Fürsorge, unabhängig von der Schwere des erlebten Verbrechens.»

Straf- & Strafprozessrecht

Luca Montisano ist als prozessierender Anwalt auf die Vertretung von Opfern in Strafverfahren spezialisiert, arbeitet aber auch als Strafverteidiger. Es ist ihm wichtig, beide Perspektiven zu verstehen, um eine optimale und umfassende Vertretung zu gewährleisten und er hält es für essenziell, sich auf alle Eventualitäten vorzubereiten – insbesondere auch auf mögliche kritische Fragen der Gegenseite im Rahmen einer Einvernahme oder vor Gericht.

Wann sind Sie das erste Mal mit dem Strafrecht in Kontakt gekommen?

Das erste Mal in der Theorie während meines Studiums, aber die praktische Erfahrung habe ich im Anwaltsvolontariat gesammelt, wo ich die ersten direkten Berührungspunkte mit dem Strafrecht hatte.

Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?

Eine der grössten Herausforderungen in meiner Arbeit als Opfervertreter ist es, jedem einzelnen Opfer gerecht zu werden. Ein Fall kann besonders heftig und traumatisch sein, wie etwa bei versuchter vorsätzlicher Tötung, und es ist eine grosse Verantwortung, damit umzugehen. Es ist jedoch genauso wichtig, auch bei weniger gravierenden Fällen gleich aufmerksam und einfühlsam zu handeln, ohne diese zu werten. Jedes Opfer hat seine eigene Geschichte und verdient dieselbe Fürsorge, unabhängig von der Schwere des erlebten Verbrechens.

Mit welcher Person aus dem Bereich des Strafrechts (aktuell oder historisch) würden Sie gerne für einen Tag die Rollen tauschen?

Ich würde gerne die Rollen mit einer meiner Klientinnen oder einem meiner Klienten tauschen, die gerade Opfer einer (schweren) Straftat geworden sind. Es wäre aufschlussreich, aus erster Hand zu erfahren, welche emotionalen und psychologischen Herausforderungen sie durchleben, und wie es sich anfühlt, durch das Rechtssystem zu navigieren. Diese Perspektive würde mich noch stärker in meiner Arbeit als Anwalt prägen und mir helfen, noch einfühlsamer und effektiver für die Rechte und Bedürfnisse von Opfern einzutreten.

Haben Ihre Erfahrungen mit dem Strafrecht Sie bzw. die Sicht auf Menschen verändert?

Ja, auf jeden Fall. Im Laufe der Zeit lernt man, weniger schwarz-weiss zu denken und hinterfragt regelmässig das Verständnis von Gerechtigkeit. Man erkennt, dass viele Menschen in komplexen und schwierigen Situationen handeln, was zu einer differenzierteren Sichtweise führt.

Machen Strafen Menschen zu besseren Leuten?

Strafen allein führen meiner Meinung nach nicht zwangsläufig zu einer Verbesserung. Es braucht neben Strafen auch rehabilitative Massnahmen und eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Verhalten des Täters. Nur durch Einsicht und Veränderung kann ein Täter wirklich zu einem besseren Menschen werden.

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, was würden Sie ändern (Strafnormen, Strafsystem, Prozess etc.)?

Ich würde die Mediation und alternative Konfliktbeilegung im Strafrecht viel stärker gewichten. Diese Verfahren bieten die Möglichkeit, tragfähige und langfristig zufriedenstellende Lösungen zu finden, die für beide Seiten – insbesondere für die Opfer – mehr «Frieden» schaffen. Besonders in Fällen, in denen Täter und Opfer auch nach dem Delikt weiterhin in Kontakt stehen müssen, zum Beispiel bei gemeinsamen Kindern, könnte Mediation eine konstruktive Lösung bieten. Sie hilft, Missverständnisse zu klären, den Opfern eine Stimme zu geben und gleichzeitig den Tätern die Verantwortung für ihr Handeln näherzubringen. Zusätzlich würde ich die Opferrechte stärken und eine klarere Regelung zur Bestellung von Parteivertretern für Opfer schaffen, die keine Opferhilfe in Anspruch nehmen wollen oder schnell anwaltliche Vertretung benötigen. Eine angemessene Entschädigung der Opfervertreter sollte schliesslich in jedem Fall gewährleistet sein, damit wir uns die notwendige Zeit nehmen können, die den Opfern hilft und sie bei ihrer Heilung unterstützt.

Sandro Horlacher | legalis brief StrR 17.12.2024