Lukas Baumgartner – «Es wäre spannend mehr Elemente des Jugendstrafrechts auch bei Erwachsenen anzuwenden.»

Jugendstrafrecht

Lukas Baumgartner studierte an der Universität Basel von 1997 bis 2002 Jurisprudenz. Nach einigen Volontariaten in verschiedenen Rechtsgebieten fasste er schliesslich 2005 am Strafgericht Basel-Landschaft als Gerichtsschreiber beruflich Fuss im Strafrecht. Anderthalb Jahre später wurde er – ebenfalls in Basel-Landschaft – Staatsanwalt. Seit 2011 ist er als Jugendanwalt in Basel-Landschaft tätig, seit 2015 als stellvertretender Leitender Jugendanwalt.

Wann sind Sie das erste Mal mit dem Strafrecht in Kontakt gekommen?

So richtig erst im Studium in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren. Nach Abschluss des Studiums machte ich dann ein Volontariat beim Straf- und Jugendgericht Basel-Landschaft. Nach mehreren weiteren Volontariaten in anderen Rechtsgebieten kehrte ich später ans Straf- und Jugendgericht zurück, als Gerichtsschreiber.

Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?

Als Jugendanwalt stehe ich täglich im Spagat zwischen der korrekten Anwendung des Strafrechts und anderen, insbesondere pädagogischen Belangen. Im Jugendstrafrecht haben auch Schutz und Erziehung des/der Jugendlichen einen sehr hohen Stellenwert und sind mit den rein strafrechtlichen Anliegen aufzuwiegen. Nicht selten beissen sich Strafrecht und Schutzgedanke, so dass Lösungen zu suchen sind, die beiden Bereichen die nötige Geltung verleihen.

Im Tagesgeschäft kämpft die Jugendanwaltschaft derzeit im Schwerpunkt mit den Phänomenen erhöhter Flüchtlingszahlen (viele unbegleitete Minderjährige aus den Räumen Afghanistan und Nordafrika), hohem Betäubungsmittelkonsum sowie Waffenbesitz (insbesondere Messer) bzw. hohe Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen. 

Mit welcher Person aus dem Bereich des Strafrechts (aktuell oder historisch) würden Sie gerne für einen Tag die Rollen tauschen?

Vielleicht mit Moses. Aber nicht einen Tag, lieber aus «Gwunder» mal einfach eine Stunde.

Haben ihre Erfahrungen mit dem Strafrecht Sie bzw. die Sicht auf Menschen verändert?

Ja, auf jedem Fall. Als Staatsanwalt verzweifelte ich oft an Wiederholungstätern, für die es keine Hoffnung mehr zu geben schien. Als Jugendanwalt lernte ich indessen, dass es für jeden Menschen Hoffnung gibt – natürlich vor allem für junge Menschen, aber auch für ältere (etwa die Eltern der Jugendlichen). So oder so stieg mit den Jahren meine Faszination für die Menschen und ihren enormen Facettenreichtum sowie das riesige, meist noch längst nicht ausgeschöpfte Potenzial, das ein/e jede/r in sich verborgen hat.

Machen Strafen Menschen zu bessern Leuten?

Ja, teilweise wohl schon. In einem «lehrreichen», aber nicht zu grossen Mass. Strafen machen dann Sinn, wenn sie einen Denk- oder Verarbeitungsprozess initiieren und den Betroffenen einen Anlass bzw. die Möglichkeit geben, einen Lebensabschnitt neu zu beginnen – im Idealfall «besser» oder zumindest weniger kriminell. So oder so ist es aber fast ausschliesslich der betroffene Mensch selber, der sich zu einem besseren Mensch macht oder zumindest machen könnte. Sehr harte und lange Strafen stillen zwar das Sühnebedürfnis der Gesellschaft, verändern die Betroffenen aber wohl nicht sonderlich positiv. Vor wirklich gefährlichen Tätern oder Täterinnen ist die Gesellschaft jedoch zu schützen; dies kann jedoch auch im Massnahmen- (z.B. geschlossener stationärer Entzug, Verwahrung etc.) statt im Strafkontext gewährleistet werden.

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, was würden Sie ändern (Strafnormen, Strafsystem, Prozess etc.)?

Ich fände es spannend, mehr Elemente des Jugendstrafrechts auch bei Erwachsenen anwendbar zu machen, zumindest bei jungen Erwachsenen. Die Mischung zwischen Strafe und Beziehung darf nicht unterschätzt werden. Gut eingesetzt, kann diese Mischung zu sehr positiven Prozessen führen und deliktische wie gesundheitliche Rückfallrisiken markant minimieren.

Sandra Schultz | legalis brief StrR 17.04.2023