Marc Woodtli – «Ich habe gelernt, dass das Bild eines typischen Straftäters tatsächlich nicht existiert.»
Straf- & Strafprozessrecht

Marc Woodtli ist Jurastudent im Bachelor an der Universität Luzern. Neben seinen Interessen im Recht hat er eine Leidenschaft für das Schwyzerörgeli.
Wann sind Sie das erste Mal mit dem Strafrecht in Kontakt gekommen?
Bereits in der Kantonsschule hatte ich den ersten Berührungspunkt mit dem Strafrecht. Anlässlich einer Veranstaltung zum Rechtsstudium an der Universität Luzern wurde über die Debatte des neuen Sexualstrafrechts berichtet. Rückblickend war das einer der Gründe, weshalb ich Recht zu studieren begann. Die politische Debatte, die hinter einem Gesetz steht, mit all ihren Einflüssen aus der gesamten Gesellschaft eröffnete für mich eine spannende Welt.
Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?
Die Abstraktheit der einzelnen Bestimmungen und die Prinzipien dahinter sind oft schwer vorstellbar. Um in der Strafrechtswelt ein vernetztes Denken zu erarbeiten, braucht es ein gutes Vorstellungsvermögen. Als Student mit wenig Erfahrung stellt genau dies meine Herausforderung dar.
Mit welcher Person aus dem Bereich des Strafrechts (aktuell oder historisch) würden Sie gerne für einen Tag die Rollen tauschen?
Ich fände es spannend, für einen Tag mit einem verurteilten Mörder die Rolle zu tauschen. Ich will nachvollziehen können, wie ein Prozess und insbesondere die Urteilsverkündung aus seiner Perspektive erlebt wird. Zudem möchte ich verstehen, welche Gefühle einen Mörder bewegen, welche Gedanken ihn beschäftigen und was er vor Gericht für sich behält.
Haben Ihre Erfahrungen mit dem Strafrecht Sie bzw. die Sicht auf Menschen verändert?
Dadurch, dass ich mir in meiner Freizeit gerne Verhandlungen im Kriminalgericht ansehe, habe ich gelernt, dass das Bild eines typischen Straftäters tatsächlich nicht existiert. Unabhängig davon ist mir bewusst geworden, wie sehr sich die Wahrnehmung der einzelnen Menschen auf einen Sachverhalt unterscheiden kann. Dies scheint insbesondere bei Zeugenbefragungen so zu sein.
Machen Strafen Menschen zu besseren Leuten?
Ich denke, wenn das Ziel jeder Strafe wäre, den Bestraften zu einem besseren Menschen zu machen, könnte das auch klappen. Wie ich es gelernt habe, ist es aber nicht immer das Ziel. Die Landesverweisung eignet sich meiner Meinung nach zum Beispiel gar nicht dafür. Nichtsdestotrotz kommt diese meiner Beobachtung nach häufiger vor als gedacht.
Interessant scheint mir allerdings auch der Gedanke, dass das ganze System in dieser Frage unter einem sehr hohen gesellschaftspolitischen Druck stehen muss. Wird ein zu milde bestrafter Täter rückfällig, so reagiert die Gesellschaft darauf entsprechend heftig. Vermutlich steht dann die Überlegung, zu welchem Zweck eine Strafe ausgesprochen wird, stark im Licht der Verantwortlichkeit. Das Interesse, einen Straftäter zu einem besseren Menschen zu machen, rückt somit in den Hintergrund.
Wenn Sie die Möglichkeit hätten, was würden Sie ändern (Strafnormen, Strafsystem, Prozess etc.)?
Manchmal stelle ich mir die Frage, warum in unserem System auch schwerste Delikte verjähren. Die Verjährung hängt schliesslich damit zusammen, dass das Interesse an der Bestrafung eines Täters mit der Zeit sinkt. Unklar für mich ist, warum bei der Unterbrechung der Verjährung die Relevanz, jemanden zu bestrafen offenbar wieder zu steigen scheint. Deutschland beispielsweise kennt keine Verjährung bei Mord, was ich interessant finde und auch in unserem Strafsystem begrüssen würde. Abgesehen davon bin ich recht zufrieden.
Anina Hofer | legalis brief StrR 16.01.2025