Mario Rüegg – «Ich erachte es als wichtig, Menschen zu bilden und ihnen Chancen zu bieten, sodass sie nicht auf die schiefe Bahn geraten.»
Straf- & Strafprozessrecht

Mario Rüegg ist seit drei Jahren als Rechtsanwalt bei Bolzern Haas & Partner in Luzern angestellt und vorwiegend im Bereich des Strafrechts tätig. Nachdem er seine Ausbildung als Kaufmann EFZ mit Berufsmatura abgeschlossen hatte, entschied er sich, auf dem zweiten Bildungsweg Rechtswissenschaft an der Universität Freiburg i.A. und Luzern zu studieren.
Wann sind Sie das erste Mal mit dem Strafrecht in Kontakt gekommen?
Kurz nachdem ich mit 16 Jahren die Rollerprüfung bestanden hatte, war ich etwas in Eile. Um nicht zu spät an einen Termin zu kommen, bin ich in eine Strasse abgebogen, auf welcher ein Fahrverbot für Autos und Motorräder galt. Prompt wurde ich von der Polizei angehalten. Mit grossen Augen, Freundlichkeit und der Behauptung, ich sei davon ausgegangen, ein Roller wäre kein Motorrad, sondern ein Mofa, konnte ich ein Strafverfahren abwenden.
Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?
Die Staatsanwaltschaft und die Gerichte davon zu überzeugen, dass meine Klientschaft stets unschuldig ist (mit einem Augenzwinkern zu verstehen).
Mit welcher Person aus dem Bereich des Strafrechts (aktuell oder historisch) würden Sie gerne für einen Tag die Rollen tauschen?
Spontan kommt mir eher in den Sinn, mit wem ich nicht tauschen möchte: Giovanni Falcone. Er und seine Mitstreiter wurden im Kampf gegen die Mafia 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche von der Polizei beschützt. Trotzdem musste er den Kampf gegen das organisierte Verbrechen mit seinem Leben bezahlen.
Haben Ihre Erfahrungen mit dem Strafrecht Sie bzw. die Sicht auf Menschen verändert?
Nein, jedoch auf die Berichterstattung der Medien. Allzu oft berichten die Medien zu oberflächlich, ohne Aktenkenntnisse und Hintergrundwissen, über Prozesse. Dies verfälscht meiner Meinung nach die Sichtweise der Bevölkerung auf das Strafrecht. Sie verliert den Glauben an die Justiz und fordert höhere Sanktionen. Diese Entwicklung erachte ich als bedenklich.
Machen Strafen Menschen zu besseren Leuten?
Wahrscheinlich nicht. Bereits Cesare Beccaria sagte: «Die sicherste, aber schwierigste Methode, Verbrechen zu verhindern, ist die Verbesserung der Bildung». In diesem Sinne erachte ich es als wichtiger, Menschen zu bilden und ihnen Chancen zu bieten, sodass sie nicht auf die schiefe Bahn geraten.
Wenn Sie die Möglichkeit hätten, was würden Sie ändern (Strafnormen, Strafsystem, Prozess etc.)?
Bezogen auf den Kanton Luzern ist es sicherlich die Handhabung mit der amtlichen Verteidigung. Die amtlichen Verteidigerinnen und Verteidiger werden hier für die Dauer von vier Jahren vom Regierungsrat gewählt. Dies soll die Qualität der amtlichen Verteidigerinnen und Verteidiger gewährleisten. Derzeit finden sich 19 Personen auf dieser Liste. Als junge Anwältin/als junger Anwalt ist es schwierig, auf diese Liste zu kommen. Gleichzeitig muss man, um zum Spezialisierungskurs SAV Fachanwältin/Fachanwalt Strafrecht zugelassen zu werden, über eine überdurchschnittliche praktische Erfahrung im Strafrecht und mindestens vier Jahre Praxiserfahrung verfügen. Aus meinem Umfeld kenne ich Personen, welche zur Erlangung der überdurchschnittlichen praktischen Erfahrung in einen Kanton wechseln, der weniger protektionistisch ist und über keine solche abschliessende Liste verfügt. Ob dies für die Qualitätssicherung der amtlichen Verteidigung im Kanton Luzern zielführend ist, wage ich zu bezweifeln.
Linda Fischer | legalis brief StrR 16.04.2025