Pablo Bünger – «Man muss Klientinnen und Klienten verstehen und coachen.»

StPO

Pablo Bünger ist in Zürich aufgewachsen. Während seines Bachelorstudiums an der Universität St. Gallen in Rechtswissenschaften entdeckte er seine Leidenschaft für das Strafrecht, weswegen er für sein Masterstudium an die Universität Bern wechselte, um sich dort in diesem Rechtsgebiet zu vertiefen. Nach Praktika in der Advokatur und am Bezirksgericht Zürich absolvierte er vor der Anwaltsprüfung noch ein weiteres Praktikum bei der Staatsanwaltschaft, um die Stärken und Schwächen auf Seiten der Strafverfolgung im Detail zu verstehen. Nach der Anwaltsprüfung stieg er als Rechtsanwalt in der Anwaltskanzlei Zürcher Rechtsanwälte in Zürich ein. Er etablierte dort für die Kanzlei ein weiteres Standbein im Bereich des Strafrechts. Seit 2018 ist er Partner bei Züricher Rechtsanwälte. Von 2019 bis 2021 absolvierte er schliesslich die Weiterbildung zum Fachanwalt SAV Strafrecht an der Universität Fribourg bei Prof. Dr. Marcel Alexander Niggli und ist heute vom Schweizer Anwaltsverband als Fachanwalt SAV Strafrecht akkreditiert.

Wann sind Sie das erste Mal mit Strafrecht in Kontakt gekommen?

Am Familientisch bei mir zuhause wurde in meiner Kindheit bereits früh über aktuelles Zeitgeschehen diskutiert. Nachdem 1992 die «Zürcher Wirteaffäre» aufflog, in dessen Zentrum der Chef kantonalen Abteilung für Wirtschaftswesen, Raphael Huber, wegen Korruption stand, diskutierten wir in unserer Familie den Prozess, der sich sehr lange hinzog, immer wieder sehr intensiv. Dies unter anderem auch, weil der Vater einer uns bekannten Familie aus unserem Quartier in diesem Verfahren involviert war, letztendlich aber freigesprochen wurde. Ich erinnere mich noch, dass ich dort den Unterschied zwischen aktiver und passiver Bestechung lernte. Die ganze Geschichte war auch sonst sehr spannend, weil der Hauptbeschuldigte, Raphael Huber, später im Laufe des Prozesses, von seiner Villa in der Toskana aus, in gerissener Art und Weise alles zu verzögern wusste.

Was sind Ihre alltäglichen Herausforderungen?

Oft ist es so, dass Strafverfahren, gerade bei umfangreichen Untersuchungen, langsam vor sich her gehen. Die Fälle schlafen und von einem Tag auf den andern wird dann von einer Strafverfolgungsbehörde zu einer Einvernahme vorgeladen oder eine Frist für eine Stellungnahme oder ein Rechtsmittel angesetzt. Eine alltägliche Herausforderung ist hierbei, bei einer Vielzahl der Fälle jeden Fall soweit im Gedächtnis zu haben, um zügig, wenn ein Fall wieder aktuell wird, die richtigen Schritte in Erwägung zu ziehen. Eine weitere Herausforderung ist aber auch immer der Faktor Mensch bei meinen Strafrechtsfällen. Es geht darum, den Klienten mit seinen Anliegen zu verstehen, ihn so zu coachen, dass er zum richtigen Zeitpunkt das sagt, was er sagen muss und ihn soweit im Griff zu haben, dass er im Strafverfahren in kein Fettnäpfchen tritt. Die Kehrseite davon ist aber auch, den Klienten Spielraum zu geben, damit er sich selber sein kann und somit dann auch authentisch bleibt. Schliesslich gibt es meiner Meinung nach im Alltagsleben des Strafverteidigers die Herausforderung, schon während der Strafuntersuchung zu antizipieren, wie ein Gericht einen Sachverhaltsumstand bewerten könnte und zwar sowohl auf Ebene der Tatbestandsmässigkeit, wie auch auf Ebene des Verschuldens. Im Grunde genommen spiele ich bereits im Vorverfahren im Kopf meine Argumentation für das Plädoyer durch und versuche auf diese Weise die Weichen durch taktische Manöver zu Gunsten meines Klienten zu stellen. Alles in allem macht mir die Bewältigung dieser Herausforderungen Spass, denn so bleibt es in jedem Strafverfahren bis zum Schluss spannend.

Mit welcher Person aus dem Bereich des Strafrechts (aktuell oder historisch) würden sie gerne für einen Tag die Rollen tauschen?

Ich finde es schwierig, eine aktuelle Person aus dem Bereich des Strafrechts zu nennen, denn deren Geschichte ist ja noch nicht zu Ende geschrieben. Darum beziehe ich mich lieber auf eine historische Person des Strafrechts und dies ist für mich Robert H. Jackson, der Chefankläger der USA an den Nürnberger Prozessen gegen die Hauptkriegsverbrecher 1945/1946. Ich muss jedoch betonen, dass ich ein Strafverteidiger bin und grundsätzlich nicht die Rolle mit einem Staatsanwalt tauschen möchte. Bei Robert H. Jackson ist jedoch die Sachlage anders. Sein Verdienst ist es, im aufkeimenden kalten Krieg die Interessen der Gewinner des zweiten Weltkrieges mit politischem Fingerspitzengefühl als Chefankläger so auszutarieren, dass am Schluss durch ein faires Verfahren, die Verbrechen der Nazi-Führung abgeurteilt werden konnten. Er hat trotz politischen Wirrwarrs den Fokus auf die Hauptsache behalten und hat dem Recht zum Durchbruch verholfen. Wie gesagt, kann ich nicht sagen, ob ich mit ihm tauschen möchte. Zumindest aber ist er eine Persönlichkeit des Strafrechts, die mich sehr beeindruckt.

Haben Ihre Erfahrungen mit dem Strafrecht Sie bzw. die Sicht auf Menschen verändert

Als Strafrechtler habe ich es tagtäglich mit sehr persönlichen Schicksalen zu tun und begleite Menschen, die in einer Stresssituation sind. Dadurch habe ich viel Empathie entwickelt, um meine Klienten nicht nur logisch-abstrakt, sondern auch emotional erfolgreich abholen zu können. Meine Sicht auf Menschen hat dies aber nie verändert. Ich bin stets ein Menschenfreund, der an das Beste in jedem Menschen glaubt. Allerdings denke ich auch, dass man sich ab und zu auch abgrenzen muss, gerade wenn man es mit einem Gegenüber mit einem schwierigen Charakter zu tun hat. Das heisst aber nicht, dass man nicht das Beste für den Klienten herausholt.

Machen Strafen Menschen zu besseren Leuten?

Jein. Ich denke, dass Strafen sicherlich dazu dienen, Menschen von deliktischem Verhalten abzuhalten. Dazu gehört aber auch, dass die Strafverfolgung funktionieren muss, und deliktisches Verhalten auch verfolgt wird. Insgesamt glaube ich auch, dass das Strafverfahren, das der Strafe vorangestellt ist, die Menschen besser macht, denn damit werden fehlbaren Personen ihre Grenzen aufgezeigt. Eigentlich ist das Strafverfahren für die fehlbaren Personen das Unangenehme. Denn damit verbunden sind oft auch Zwangsmassnahmen, öffentliche Vorverurteilung, Ungewissheit und der Verlust der Reputation. Bei der Strafe, die an das Strafverfahren anknüpft gilt demgegenüber dann das Sprichwort: «Ist der Ruf einmal ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert.» Insoweit macht die Strafe Menschen nicht zu besseren Leuten. Sie schliesst jedoch letztendlich das begangene Unrecht ab, so dass am Schluss alles gesühnt ist.

Wenn Sie die Möglichkeiten hätten, was würden Sie ändern (Strafnormen, Strafsystem, Prozess etc.)?

Ich ärgere mich immer wieder, wie schnell die Gerichte in der Schweiz auf Antrag der Staatsanwaltschaft Untersuchungshaft anordnen. Insbesondere problematisch finde ich diese Praxis, wenn lediglich eine bedingte Geldstrafe in Aussicht steht. Ich war einst einmal an einer Weiterbildung zum Haftrecht, wo das Publikum je aus einem Drittel Staatsanwälte, Richter und Rechtsanwälte bestand. Dort äusserte sich ein älterer Richter dahingehend, dass er, wenn die Staatsanwaltschaft einen Haftantrag stelle, diesen durchwinke, denn die Staatsanwaltschaft wisse ja schon was sie mache. Bei einer solchen Haltung geht aber vergessen, dass die Staatsanwaltschaften auch einmal auf gut Glück Haftanträge stellen oder ihre Macht missbrauchen, um unter dem Druck der Untersuchungshaft ein Geständnis zu erhalten. Viele Staatsanwälte sagen dann auch: «Haft schafft Rechtskraft!» Damit bleiben die Betroffenen, denen infolge der Untersuchungshaft sehr stark in ihre Grundrechte eingegriffen wird, auf der Strecke. Hier muss bei den Gerichten ein Umdenken mit mehr Praxisbezug erfolgen!

Anina Hofer | legalis brief StrR 11.01.2023