Praxis des Immaterialgüterrechts in der Schweiz 2023
Bericht über die INGRES-Tagung vom 4. Juli 2023

Am 4. Juli 2023 fand im Lake Side in Zürich im Anschluss and die Mitgliederversammlung wiederum die alljährliche, von Michael Ritscher konzipierte und geleitete und von Christoph Gasser organisierte Tagung statt. Zahlreiche Akademiker, Vertreter von Gerichten und Behörden, der Industrie sowie der Anwaltschaft trafen sich im bewährten Rahmen, um sich über die neusten Entwicklungen im schweizerischen Immaterialgüterrecht auszutauschen. Traditionsgemäss fand der anschliessende Apéro auf einem Schiff der Zürichsee-Flotte statt.

Le 4 juillet 2023, le colloque annuel conçu et dirigé par Michael Ritscher et organisé par Christoph Gasser s’est à nouveau tenu au Lake Side à Zurich à l’issue de l’assemblée générale. De nombreux universitaires, représentants des tribunaux et des autorités, de l’industrie et du barreau se sont rencontrés dans le cadre habituel pour échanger sur les derniers développements du droit suisse de la propriété intellectuelle. Comme le veut la tradition, l’apéritif qui a suivi a eu lieu sur un bateau de la flotte du lac de Zurich.

I. Patentrecht

Einleitend erläuterte die Direktorin des IGE, Dr. Catherine Chammartin, die Wichtigkeit der Nachhaltigkeit im Bereich des Immaterialgüterrechts vor dem Hintergrund der vom Bundesrat kürzlich für das IGE verabschiedeten Ziele 2022–2026. Sie unterschied zwischen den Zielen, die für das IGE als Institution und als Arbeitgeber relevant sind, und den Zielen mit Wirkung über externe Akteure. Das IGE ist hierfür verschiedene Partnerschaften eingegangen. So bspw. mit WIPO GREEN, Swiss Innovation Fora oder Swiss Cleantech Report. Chammartin führte aus, dass die Zahl der Cleantech-Patente weltweit doppelt so schnell zunähme wie jene der übrigen Patente. Bedauerlicherweise hinke die Schweiz hinterher, was einer genaueren Untersuchung bedürfe.

Um Innovationen im Bereich der Nachhaltigkeit zu fördern, hat das IGE eine interne Arbeitsgruppe – die «AG Green Tech» – gegründet, die sich aus Personen aus der Ökonomie, Rechtswissenschaft und anderen Bereichen zusammensetzt. Diese hat in Zusammenarbeit mit der WIPO GREEN sog. «Greentech-Massnahmen» erlassen. Diese sehen u.a. kostenlose begleitete Patentrecherchen für «grüne» Innovationen vor, den Aufbau eines nationalen Netzwerks von «IP & Greentech»-Expertinnen und -Experten wie auch Kooperationsprojekte mit diversen anderen Staaten wie z.B. Georgien und Singapur.

Weil er noch neu sei, bedürfe der Begriff der «grünen Innovationen» einer vertieften Auseinandersetzung. Bei der Beurteilung, ob eine Innovation die Voraussetzung einer «grünen» Innovation erfüllt, schliesse sich das IGE dem Bundesamt für Umwelt an. Massnahmen, welche zunächst geprüft, aber danach verworfen wurden, waren reduzierte Gebühren für «grüne» Patentanmeldungen und das Recycling beschlagnahmter gefälschter Ware am Zoll, zumal keine rechtlichen Grundlagen hierfür zur Verfügung stünden. Ferner beziehe das IGE auch das Markenrecht mit ein und habe das Beratungsunternehmen ETH Juniors beauftragt, einen Katalog mit 24 möglichen Massnahmen und Umsetzungsvorschlägen auszuarbeiten.

Anschliessend referierte Dr. Angelika Murer, Rechtsanwältin bei Homburger, über «Lehren aus der aktuellen Praxis des Bundespatentgerichts zu den superprovisorischen Massnahmen», wobei sie den Schwerpunkt auf die Dringlichkeit setzte. Einleitend präsentierte sie eine Statistik, aus welcher die kleine Anzahl der Gesuche hervorging. Von den 20 eingereichten Gesuchen wurden 11 superprovisorisch erteilt. Die Gesuche können in vier Gruppen unterteilt werden und zwar in 1. Unterlassungsgesuche gestützt auf die Verletzung eines ESZ: 5 Gesuche, 5 erteilt; 2. Unterlassungsgesuche gestützt auf die Verletzung eines Patents: 6 Gesuche, 6 abgewiesen, wobei wiederum 4 aufgrund der fehlenden Dringlichkeit abgewiesen wurden; 3. Verfügungsbeschränkungen bzw. Registersperren: 7 Gesuche, 5 erteilt und 2 abgewiesen aufgrund selbstverschuldeter Dringlichkeit und 4. Unterlassungsgesuche gestützt auf eine Gefährdung der Beweismittel. Zusammenfassend war in 4 Fällen, d.h. in knapp einem Viertel der Fälle, die Dringlichkeit massgebend für den Entscheid über die superprovisorische Erteilung der Massnahme.

Murer behandelte die Thematik der Dringlichkeit bei den superprovisorischen Massnahmen anhand von zwei Fällen (S2022_010 und S2023_001). Dabei wurde deutlich, dass die Restlaufzeit des Schutzrechts entscheidend für die Beurteilung ist. Um als dringlich zu gelten, sei die Massnahme innerhalb von weniger als einem Monat zu beantragen. Hinsichtlich des Beweismasses reiche es bei Abtretungsansprüchen aus, dass nur eine der vier Voraussetzungen für den Erlass einer vorsorglichen Massnahme glaubhaft gemacht werden müsse. An das Beweismass beim Verfügungsgrund würden relativ tiefe Anforderungen gestellt.

Im Anschluss präsentierte Dr. Lorena Piticco, Patentanwältin bei Isler Pedrazzini, ausgewählte Rechtsprechung des EPA und des Bundespatentgerichts. Zunächst ging sie anhand des Entscheids der Grossen Beschwerdekammer G2/21 auf das Thema der Plausibilität ein.

Der Entscheid befasste sich mit dem Streitpatent EP 2 484 209 B1, welches die synergistische Wirkung einer Mischung von zwei Komponenten beansprucht. Konkret ging es um die Frage, ob nachveröffentlichte Beweismittel zulässig sind. Die Rechtsprechung des EPA folgte dabei bisher drei verschiedenen Ansätzen: der «ab initio Plausibilität» (T 1329/04), der «ab initio Unplausibilität» (T 1677/11)​1 und der «Keine Plausibilität» (T 31/18)​2. Die GBK kam zum Schluss, dass die freie Beweiswürdigung gelte. Gemäss Piticco sei der Entscheid so aufzufassen, dass Beweismittel zum Nachweis des technischen Effekts bei der erfinderischen Tätigkeit nicht allein deshalb unberücksichtigt bleiben dürfen, weil diese vor dem Anmeldetag noch nicht öffentlich waren und deshalb erst nach dem Anmeldetag eingereicht wurden. Dabei vermied die GBK den Begriff der Plausibilität.

Anschliessend stellte Piticco zwei Entscheide des Bundespatentgerichts (O2021_004/005 und S2021_005) vor, wobei sie den Schwerpunkt auf die äquivalente Patentverletzung legte. Im Massnahmeverfahren hatte das Bundespatentgericht eine wörtliche Patentverletzung verneint und eine äquivalente Patentverletzung bejaht, wohingegen es im ordentlichen Verfahren auch die äquivalente Patentverletzung verneinte.​3 Streitgegenstand waren zwei Patente, die beide «Deferasirox» in Filmtabletten enthalten. Die Klägerin beanspruchte 45–60% dieses Wirkstoffs, und die Beklagte bestritt, dass ihr Produkt diese Menge aufweist. Im Massnahmenverfahren war das Gericht noch davon ausgegangen, dass das Produkt der Beklagten 64% des Wirkstoffes enthalte. Es verneinte eine wörtliche Patentverletzung, bejahte aber eine äquivalente Verletzung. Bei der Prüfung der Gleichwertigkeit sei der objektiv gleichwirkende und auffindbare Wert ausserhalb des beanspruchten Zahlenbereichs heranzuziehen, wenn er innerhalb der allgemein anerkannten Toleranzen (in casu 66%) liege, was mit 64% nicht der Fall sei. Im ordentlichen Verfahren hingegen verneinte das Gericht auch die äquivalente Verletzung, weil es davon ausging, dass die obere Grenze 60% betragen würde und deshalb beide beim Produkt der Beklagten gemessenen Werte ausserhalb des Schutzbereichs liegen würden.

Dr. Mark Schweizer, Präsident des Bundespatentgerichts, konzentrierte sich in seinem Vortrag auf prozessuale Themen, nachdem er den Geschäftsbericht des Bundespatentgerichts des Jahres 2022 erläutert und auf die Gesamterneuerungs- und Neuwahlen der Richter vom 27. September 2023 hingewiesen hatte.

Die Entscheidung O2021_006 vom 11. Mai 2023 befasste sich mit der Anspruchsauslegung. Obwohl die Parteien übereinstimmend die Ansicht vertreten hatten, ein Binärcode sei kein «Barcode», ging der Fachrichter im Fachrichtervotum von einem anderen Verständnis aus. Fraglich war deshalb, ob das Gericht an die übereinstimmend vorgetragene Auslegung des Verständnisses eines Binärcodes gebunden war. Wie Schweizer ausführte, sind die Richter nicht an die Rechtsauffassungen der Parteien gebunden (BGer vom 30. August 2011, 4A_491/2010, E. 2.3). Die Anspruchsauslegung sei eine Rechtsfrage (BGE 147 III 337 ff. E. 6.2). Hingegen beruhten die Ansprüche auf Tatsachen, die ihrerseits dem Beweis zugänglich sind (z.B. das übliche Sprachverständnis) und man müsse die Ansprüche funktional auslegen, um sie zu verstehen. Schweizer ist deshalb der Ansicht, dass es sich bei der Anspruchsauslegung um eine gemischte Rechts- und Tatfrage handle. Zum Zeitpunkt des Vortrages war der Entscheid vor Bundesgericht hängig.

Die Entscheidung O2020_006 vom 5. April 2023 befasste sich mit dem Novenrecht. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung gilt, dass wenn eine Partei nach Aktenschluss einen Teilverzicht einreicht, es sich hierbei nicht um ein echtes Novum handelt, da das eingeschränkte Patent zwar nach der Einschränkung entstehe, der Patentinhaber aber einen solchen Antrag bei zumutbarer Sorgfalt auch früher hätte stellen können. Entsprechend sei das Verfahren im ursprünglichen Umfang gegenstandslos. Denn wird vor Aktenschluss eine durch Teilverzicht beim IGE eingeschränkte Fassung des Streitpatents eingereicht, existiert das ursprünglich erteilte Patent nicht mehr.

Im vorliegenden Entscheid stellte sich hingegen die Frage, was passiere, wenn nicht die Klägerin, sondern die Beklagte vor Aktenschluss einen Teilverzicht einreiche. Es wurde entschieden, dass eine solche Nichtigkeitsklage nicht als gegenstandslos abzuschreiben sei, sondern das Verfahren mit dem eingeschränkten Patent weitergeführt werde, sofern die Voraussetzungen von Art. 229 Abs. 1 ZPO erfüllt seien. Das war vorliegend gegeben, da der Teilverzicht im zweiten Schriftenwechsel eingereicht wurde.

Im Urteil 02021_004 vom 20. April 2023 wurde entschieden, dass ein Einspruchsverfahren beim EPA kein einseitiges Verfahren, sondern ein kontradiktorisches Mehrparteienverfahren sei. Ein Entscheid einer Beschwerdekammer sei daher ein echtes Novum und dürfe auch nach Aktenschluss ins Verfahren eingebracht werden.

Zuletzt ging Schweizer auf das Urteil O2021_009 vom 6. Juni 2023 zum Thema der Weitschweifigkeit ein. Obwohl die Klägerin obsiegt hatte, musste sie einen Teil (20%) der Kosten tragen. Denn sie hatte 15 angeblich neuheitsschädliche Entgegenhaltungen angeführt und die angeblich fehlende erfinderische Tätigkeit ausgehend von insgesamt elf angeblich nächstliegenden Dokumenten des Standes der Technik bestritten.

II. Urheberrecht und IT-Recht

Dr. Constanze Semmelmann, Head Legal und Geschäftsleiterin der ProLitteris, berichtete über das Thema der erweiterten Kollektivlizenzen. Art. 43a URG hat mit der Urheberrechtsgesetzesrevision Eingang in das Urheberrechtsgesetz gefunden und soll die Verwendung einer grösseren Anzahl von Werken oder Leistungen zulassen. Unter gewissen Voraussetzungen kann eine Verwertungsgesellschaft auch die Rechte wahrnehmen, die nicht von ihr vertraglich vertreten werden. Voraussetzung ist, dass die normale Verwertung nicht beeinträchtigt ist und dass die Verwertungsgesellschaft im Anwendungsbereich der Lizenz eine massgebende Anzahl von Rechtsinhaberinnen vertritt. Vor Inkrafttreten muss eine solche Lizenz bekannt gemacht werden, damit Rechteinhaber, die damit nicht einverstanden sind, aussteigen können (sog. Opt-out).

Die erweiterte Kollektivlizenz sei weder im Bereich der obligatorischen Kollektivverwertung oder der verhandelten Verwertung, die durch die Schiedskommission zu den genehmigenden Tarifen festgesetzt wird, noch der freiwilligen Verwertung zu orten, erklärte Semmelmann. Dogmatisch handle es sich vielmehr um einen Lizenzvertrag zwischen einer Verwertungsgesellschaft und einem Nutzer bzw. einer Vereinigung von Nutzern. Im Vertrag wird sodann festgehalten, auf welche Leistungen sich die Verwertung bezieht. Ferner wird auch die Dauer im Lizenzvertrag vereinbart. Vor Inkrafttreten muss eine solche Lizenz bekannt gegeben werden. Semmelmann erklärte, dass dies zurzeit auf der Website der Verwertungsgesellschaften geschieht. Opt-outs bezögen sich sodann nur auf die Zukunft und nicht auf die Vergangenheit.

Semmelmann präsentierte verschiedene Kollektivlizenzen, die bereits vereinbart wurden, so beispielsweise die «Hommage 21: 50 Jahre Frauenstimmrecht». Semmelmann zeigte ein Bild einer Ausstellung zum Jubiläum des Frauenstimmrechts, auf welchem zahlreiche Fotos und Texte nicht eindeutig zugeordnet werden konnten.

In der Praxis stelle sich insbesondere die Frage der Repräsentativität einer Verwertungsgesellschaft. Hier gäbe es zwei verschiedene Meinungen. Nach der einen beschränke sich die Zuständigkeit auf die betreffende Werkkategorie, wohingegen nach der anderen das Repertoire im weitesten Sinne vertreten werden könne. Diese Frage stellt sich insbesondere im Online-Bereich, weil einige Verwertungsgesellschaften in diesem Bereich bisher keine Rechte vertreten. Eine andere Frage sei, ob eine Lizenz auch dann erteilt werden darf, wenn eine Persönlichkeitsrechts- oder eine Datenschutzrechtsverletzung vorliegt.

Nach den ersten drei Jahren lasse sich festhalten, schloss Semmelmann, dass Kollektivlizenzen nach einem zögerlichen Start inzwischen zunehmend eingesetzt würden und akzeptiert seien.

Florent Thouvenin, Professor an der Universität Zürich, führte die anlässlich der letztjährigen INGRES-Veranstaltung geführte Diskussion über den Entscheid «Hotelartikel» des Handelsgerichts Zürichs (HGer ZH vom 25. Januar 2022, Nr. HG 210105-O) fort. Der Entscheid befasste sich mit einer Klage wegen Urheberrechtsverletzung durch die Verfasserin des Artikels «500 Hotels suchen Käufer». Die Beklagte hatte einen Tag nach Veröffentlichung einen stark angelehnten Artikel auf blick.ch publiziert und wesentliche Sätze übernommen. Die Klage wurde vom Handelsgericht Zürich mit drei gegen zwei Stimmen gutgeheissen.

Thouvenin kritisierte an der letztjährigen INGRES-Veranstaltung, dass der Entscheid mangelhaft begründet worden sei, insbesondere in Bezug auf die Individualität des Textes. Und er wies darauf hin, dass in der Schweiz keine klare Methode zur Bestimmung des Schutzbereichs des Urheberrechts existiere. In seinem Vortrag stellte er verschiedene Ansätze zur Bestimmung des Schutzbereichs eines Urheberrechts vor, vorausgesetzt, die entsprechenden Werke genössen urheberrechtlichen Schutz.

Er betonte, dass die wesentlichen Merkmale eines Werkes und ihr Zusammenspiel relevant seien. Methodisch schlug er vor, die Urheberrechtsverletzung anhand der Dichotomie von Form und Inhalt zu prüfen, wie im US «Abstraction-Filtration-Test». Er illustrierte dies mit Beispielen von identischen, teilidentischen und äquivalenten Verletzungen. Thouvenin hob hervor, dass ein wichtiger Punkt die Frage nach der freien Benutzung sei, die geprüft werden müsse, um sicherzustellen, dass trotz erkennbarer Merkmale des geschützten Werkes im Verletzungsobjekt keine Verletzung vorliege. Mit seinem Vorschlag möchte er eine Diskussion zur Bestimmung des Schutzbereichs des Urheberrechts in der Schweiz anregen. Thouvenin erklärte zudem, dass der Schutzbereich jedes Werkes einzeln bestimmt werden müsse, um Rechtssicherheit zu gewährleisten.

Anschliessend sprach Thouvenin zum Thema KI und Urheberrecht. Der Begriff «künstliche Intelligenz» sei allerdings irreführend, da diese Systeme viele Eigenschaften besässen, aber sicherlich nicht im herkömmlichen Sinne intelligent seien.

Im Kern des Urheberrechts stehen gemäss Thouvenin grundsätzlich drei Fragen: 1. Ist es ein Problem, wenn urheberrechtlich geschützte Werke für das Training dieser Systeme genutzt werden? 2. Ist das System selbst urheberrechtlich geschützt? Und 3. Ist das, was diese Systeme produzieren, als urheberrechtlich geschütztes Werk anzusehen? Es fehle die konkrete Steuerung durch einen Menschen; das System generiere lediglich ein bestimmtes Resultat, meinte Thouvenin. Der Schwerpunkt liege hier auf dem KI-System selbst, also den Algorithmen und der Software, die dafür entwickelt wurden. Diese Systeme seien in der Lage, hochkomplexe Ergebnisse zu produzieren, ohne explizit programmiert zu werden – wie traditionell üblich. Dabei seien die Werke selbst nicht im System gespeichert, sondern würden von externen Servern bezogen. Es sei denkbar, dass einzelne Personendaten aus einem trainierten System zurückverfolgt werden könnten, aber bei hochkomplexen Werken sei dies praktisch unmöglich. Thouvenin erklärte, dass es drei Ansätze gebe, um diese zentralen Fragen zu lösen: Im Wege von Vervielfältigungen,​4 Vergütungspflicht über Kollektivverwertung und über die Anerkennung als nicht traditionelle Vervielfältigung im Sinne des Urheberrechts.

Es sei unwahrscheinlich, dass Art. 24a URG für vorübergehende Vervielfältigungen, ursprünglich für Internetübertragungen gedacht, funktioniere, führte Thouvenin aus. Vielleicht passe der neue Art. 24d URG, der auch kommerzielle Forschung umfasse und auf technische Vervielfältigungen abziele. Abschliessend machte Thouvenin darauf aufmerksam, dass der rechtmässige Zugang zu den Werken fraglich sei, insbesondere bei der Datensammlung von Webseiten. Die Lösung sei unklar, aber die KI-Systeme seien bedeutend, hätten Potenzial und Risiken. Der Gesetzgeber solle sich deshalb rasch mit diesen Fragen befassen.

Christian Laux, Partner der Laux Lawyers AG, erläuterte die Entwicklungen in den Bereichen Softwareschutz, Cybercrime und Datensouveränität. Er wies darauf hin, dass man vieles im IT-Recht nur verstehen könne, wenn man die Dreistufigkeit im Informationsrecht kenne: die physische und physikalische Ebene, den Code-Layer und den Content-Layer. Bezugnehmend auf den Vortrag von Thouvenin merkte Laux an, dass es eine textliche Verletzung auf dem Code-Layer oder eine Inhaltsverletzung auf dem Content-Layer geben könne. Auch Laux fokussierte sich auf das Thema der künstlichen Intelligenz.

Das Bundesgericht habe in BGE 148 III 305 zum Softwareschutz die von Thouvenin erwähnte Notwendigkeit einer Auseinandersetzung auf der Inhaltsebene bestätigt. Es betonte, dass die künstlerische Gestaltung aus Teilen resultieren müsse, die Raum für freie Gestaltung liessen. Gemäss Laux sei dieser Aspekt besonders relevant, weil er für Software von grosser Bedeutung sei. Denn bei einer Software würde der Spielraum für die Individualität eingeschränkt, da bei Software eine bestimmte Form verwendet werde, die aus einer gewissen Konvention stamme. Es seien deshalb genau die scheinbar unbedeutenden Umgebungsbeschreibungen, die benötigt würden, um das funktionale Ziel der Entwicklung zu erreichen.

Cybercrime ist gemäss Laux ein unterschätztes Thema, insbesondere in Bezug auf Versicherungen und den Umgang mit Daten im Dark Web. Er betonte, dass das Datenschutzrecht als Weckruf für Unternehmen diene, die noch nicht ausreichend in ihre Datenschutzprojekte investiert hätten, insbesondere vor dem Hintergrund von Cybercrime.

Die Befürchtung, dass Maschinen Software entwickeln und menschliche Entwickler überflüssig machen könnten, wurde diskutiert und relativiert. Laux betonte, dass der Einsatz von KI auch neue Verhandlungsvorteile bieten könne, wenn man sich gut darauf vorbereite. Laux ging auf die Large Language Models (LLMs) ein – eine spezielle Form von KI –, diskutierte ihre Schutzfähigkeit, verglich sie mit Diensten wie Swisslex und Google und verwendete die Metapher einer «Blackbox» für ihre komplexe Funktionsweise. Laux erläuterte auch die Funktionsweise des neuronalen Netzwerks einer KI. Er erläuterte deren mathematische Grundlagen, betonte jedoch, dass der urheberrechtliche Schutz solcher Vorgänge aufgrund ihrer Trivialität fraglich sei. Gemäss Laux bedarf es jedoch einer spezifischen Software, die diese Prozesse steuere, wobei er die Anpassung der Gewichtungen im Modell erläuterte, um optimale Ergebnisse zu erzielen.

III. Kennzeichenrecht

In seinem Vortrag über das Firmenrecht betonte Peter Widmer, Rechtsanwalt bei FMP Fuhrer Marbach & Partner, die Komplexität dieses Rechtsbereichs, der oft als etwas kurios und amüsant angesehen werde. Doch bei genauerer Betrachtung enthüllt sich gemäss Widmer «eine hochdramatische Angelegenheit». Widmer hob die Bedeutung der Einheitlichkeit im Firmenrecht im Vergleich zum übrigen Kennzeichenrecht hervor. Dabei stellte er sich die Frage, wie einheitlich diese beiden Bereiche tatsächlich sind. Er verdeutlichte, dass viele rechtliche Auseinandersetzungen auf diesem Gebiet von der Einheitlichkeit des Kennzeichenrechts beeinflusst werden. Der Fokus des Vortrags lag darauf, die Prinzipien bei der Anmeldung und den Konflikten mit Firmennamen und Marken zu beleuchten. Bei einer Recherche bei Swisslex fand er fünf Urteile zu Art. 956 Abs. 2 OR für das Jahr 2022. Auch wenn dies nicht den gesamten Umfang abdecke, gäben diese dennoch interessante Einblicke. Bei 500’000 eingetragenen Firmennamen von Handelsgesellschaften scheine das von ihm angesprochene Thema möglicherweise gar kein grosses Problem zu sein.

Widmer warf einen Blick auf die Zahlen und verglich sie auf unkonventionelle Weise: In der Schweiz gibt es knapp eine Million registrierter Marken. Eine Meldepflicht besteht für markenrechtliche Entscheidungen, jedoch nicht für firmenrechtliche. Die Zahlen, die für das Jahr 2021 vorlagen, bärgen deshalb eine gewisse statistische Unschärfe.

Im Vergleich dazu stünden 96 gerichtliche Entscheidungen im Markenrecht, was weit mehr sei als nur das Doppelte der fünf Urteile im Bereich des Firmenrechts. Zusätzlich dazu gab es 602 abgeschlossene Widerspruchsverfahren. Im Gegensatz dazu stehen die 500’000 eingetragenen Handelsgesellschaften im Firmenrecht, was einen markanten Unterschied in der Aktivität darstelle. Gemäss Widmer seien diese Zahlen allerdings nicht repräsentativ. Ein Fokus liege auf der Bedeutung des Firmennamens als entscheidendes Identitätsmerkmal im Unternehmens- und Wirtschaftsbereich, wie von Widmer dargelegt wurde. Besonders interessant werde es, wenn man die Verwendung von Firmennamen als Bestandteile von Domainnamen und in Social-Media-Profilen betrachte. Dies unterstreicht die herausragende Rolle des Firmennamens als unverwechselbares Kennzeichen. Die grundlegenden Unterschiede zwischen dem Firmen- und Markenrecht wurden von Widmer anschaulich erläutert. Im Firmenrecht findet eine Identitätsprüfung durch das Handelsregisteramt statt. Widmer zeigte auf, dass die absoluten Ausschlussgründe im Markenrecht sich auch im Firmenrecht wiederfinden. So sind beispielsweise Sachbezeichnungen in Alleinstellung im Firmenrecht nicht gestattet, wie bereits im bekannten «Inkasso»-Entscheid vor bald 50 Jahren festgestellt wurde. Parallelen mit dem Markenrecht betreffen auch die Einhaltung der handelsregisterrechtlichen Vorgaben bezüglich gesperrter amtlicher Namen und Siegel. Diese Vorgaben, die bereits aus dem Markenrecht bekannt seien, würden vom IGE konsequent umgesetzt. Ein deutlicher Unterschied sei aber bei der Eintragung festzustellen. Sobald eine Firma in das Handelsregister eingetragen sei, gebe es keine Frage der Nichtigkeit, was im Markenrecht ganz anders gehandhabt wird. Hier schwebt über jeder Markeneintragung das Damoklesschwert einer potenziellen Nichtigkeitsklage aus absoluten Schutzausschlussgründen.

Widmer betonte den praktisch unverwehrbaren Schutz von Firmennamen im Handelsregister. Im Gegensatz dazu bietet das Markenrecht zahlreiche Optionen: Zivilverfahren, Widerspruchsverfahren, Löschungsverfahren, administratives Verfahren und vorsorglicher Rechtsschutz. Dies stehe im Kontrast zur Situation im Firmenrecht, wo der vorsorgliche Rechtsschutz kaum existiere. Widmer zeigte sich fasziniert von der Verwechslungsgefahr im Firmenrecht. Dieser sei im Gesetz nicht einmal erwähnt, im Gegensatz zum Markenrecht und zum Lauterkeitsrecht. Diese Diskrepanz könnte gemäss Widmer ein interessantes Thema für weitere Diskussionen sein.

Schliesslich machte Widmer auf die Parallelen beim Schutzumfang aufmerksam, insbesondere bei kurzen Zeichen. In gewisser Weise hätten Kurzzeichen prinzipiell keine oder nur geringe Unterscheidungskraft. Im Markenrecht hingegen, könnten sogar unaussprechliche Kurzzeichen einen gewissen Schutzbereich haben. Im Firmenrecht gelte das Prinzip der «Selber-schuld-Regel»: Wer unaussprechliche Kurzzeichen wähle, nehme geringe Individualisierung in Kauf; es sei denn, es handelt sich um ein Zeichen mit prägendem Charakter. Hierbei hat Widmer anhand eines Beispiels aufgezeigt, dass Kurzzeichen im Firmenrecht sehr wohl Unterscheidungskraft aufzuweisen vermögen.

Abschliessend hielt Widmer fest, dass im Firmenrecht eine erhebliche Rechtsunsicherheit bestehe – offenbar im Gegensatz zum Markenrecht.

Als nächstes stellte Louisa Galbraith, Rechtsanwältin bei MLL Legal, drei jüngere Urteil des Bundesgerichts vor.

Im Fall BGer 4A_518/2021 und 4A_526/2021 war die FIFA als Inhaberin der zwei sogenannten Eventmarken CH 725 428  und CH 725 429  gegen Puma vorgegangen, die ihrerseits Inhaberin der Marken CH 727 955 PUMA WORLD CUP QATAR 2022 und CH 735 189 PUMA WORLD CUP 2022 war. FIFA klagte auf Löschung der Puma-Marken wegen Irreführung gemäss Art. 2 lit. c MSchG und beanspruchte gestützt auf Art. 3 Abs. 1 lit. b UWG eine umfassende Gebrauchsunterlassung. Die FIFA war der Ansicht, dass eine Irreführung vorliege, da Puma nichts mit der WM zu tun habe. Die Marken «PUMA WORLD CUP QATAR 2022» und «PUMA WORLD CUP 2022» erweckten jedoch den Anschein, dass Puma eine besondere Beziehung zu dieser WM habe. Daraufhin reichte Puma Widerklage auf Feststellung der Nichtigkeit der FIFA-Marken ein. Sie stützte die Klage auf Art. 2 lit. a MSchG, da die in den Marken  und  eingefügte Zeichnung eines Fussballs zum Gemeingut gehöre.

Das Handelsgericht des Kantons Zürich wies sowohl die Klage als auch die Widerklage ab. Es war der Meinung, dass es der FIFA nicht gelungen sei aufzuzeigen, inwiefern die Marken von Puma irreführend seien. Die Widerklage wurde abgewiesen, weil die Fussball-Zeichnung in den FIFA-Marken Unterscheidungskraft begründe.

Das Bundesgericht hiess beide Beschwerden der Parteien gut. Die Marken der Puma seien irreführend, da diese bei den Schweizer Abnehmern als unmittelbarer Hinweis auf die WM wahrgenommen würden. Diese nähmen wahrheitswidrig an, dass Puma Hauptsponsor der WM sei. Die Marken der FIFA wurden für nichtig erklärt. Denn sie seien die Beschreibung einer Veranstaltung und erweckten keinen Hinweis auf den Veranstalter bzw. der Herkunft der damit bezeichneten Produkte. Die Zeichnung eines Fussballs würde diesen Sinngehalt nur verstärken und könne dementsprechend keine Unterscheidungskraft begründen. Das Bundesgericht war der Ansicht, dass bei Eventmarken kein anderer oder weniger strenger Massstab zur Anwendung kommen könne.

Die Klage auf Gebrauchsunterlassung durch die FIFA wurde an das Handelsgericht zurückgewiesen. Dieses erliess ein Unterlassungsurteil, da das Bundesgericht entschieden hatte, dass die Puma-Marken irreführend seien.

In der Folge dieser Urteile änderte das IGE seine Praxis und wird in Zukunft Anmeldungen solcher Eventmarken nach dem Muster «Ort» + «Jahreszahl» umfassend zurückweisen.

Galbraith erläuterte anschliessend den «Goldhasen-Entscheid» vom 30. August 2022 (BGer 4A_587/2021). Das Handelsgericht Aargau hatte zuvor den Antrag von Lindt auf ein superprovisorisches Verbot wie auch jenen auf ein vorsorgliches Verbot abgewiesen. Später erhob Lindt Klage im ordentlichen Verfahren auf Unterlassung, Zerstörung und Auskunft (um in einem zweiten Schritt auf Schadenersatz zu klagen). Es wurde eine markenrechtliche Verwechslungsgefahr geltend gemacht und Verletzungen einer berühmten Marke aufgrund von rechtlicher Verwechslungsgefahr und unnötiger Anlehnung. Das Handelsgericht wies die Klage aufgrund fehlender Verwechslungsgefahr ab. Lindt hatte die Bekanntheit der Marke betont und dazu Umfragen als Beweis vorgelegt. Das Handelsgericht Aargau liess jedoch die Frage der Berühmtheit oder Verkehrsdurchsetzung und Bekanntheit der Marke offen, da selbst beim Vorliegen der diesbezüglichen Voraussetzungen keine Rechtsverletzung gegeben wäre. Das Handelsgericht hegte auch Zweifel an den Umfragen, insbesondere weil es sich um Parteigutachten handelte, deren Aussagekraft in Frage gestellt wurde.

Das Bundesgericht prüfte daraufhin einzig die markenrechtliche Verwechslungsgefahr und bejahte diese. Die Vorinstanz hatte angenommen, dass Schokoladenhasen nur zur Osterzeit erhältlich seien und vergleichsweise teuer wären, was zu einer erhöhten Aufmerksamkeit der Verkehrskreise führe. Das Bundesgericht widersprach dieser Annahme und betonte, dass die saisonale Verfügbarkeit nicht entscheidend sei, da sonst für alle saisonalen Produkte eine erhöhte Aufmerksamkeit angenommen werden müsste. Auch die tatsächliche Positionierung am Markt sei nicht relevant für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr. Bezüglich der durch Lindt vorgebrachte Umfrage erläuterte das Bundesgericht, dass diese nicht unproblematisch, aber doch relevant seien, und ging dementsprechend davon aus, dass die Marke eine hohe Bekanntheit aufweise. Schliesslich sei der Gesamteindruck massgebend. Beide Hasen hätten einen strengen Blick, eine schlichte Zeichnung im Gesicht, ähnliche Proportionen und glatte, geschwungene Oberflächen. Bezüglich der Umfrage führte das Bundesgericht aus, dass solche Umfragen, sofern sie wissenschaftlich anerkannt und repräsentativ seien, im Markenrecht als Beweismittel dienen könnten. Es bezeichnete demoskopische Umfragen zur Verkehrsdurchsetzung sogar als das Hauptbeweismittel schlechthin. Somit relativierte das Bundesgericht die Auffassung, dass solche Parteigutachten keinen Beweiswert hätten.

Schliesslich äusserte sich Galbraith zum Bundesgerichtsentscheid «AI Brain» (BGer 4A_500/2022) und erläuterte die Hintergründe sowie die Entscheidung des Bundesgerichts. Die Marke sollte ursprünglich in verschiedenen Klassen, u.a. für Computer- und Softwareprodukte, Fahrzeuge, Telekommunikation sowie wissenschaftliche, biologische und juristische Dienstleistungen eingetragen werden. Allerdings wurde sie letztlich nur für Schallplatten und Mechaniken, geldbetätigte Apparate sowie bestimmte Dienstleistungen in der Klasse 45 zugelassen. Galbraith erklärte, dass der Bestandteil «Brain» allgemein bekannt sei und zum Grundwortschatz gehöre. Wenn ein Verbraucher «Brain» als «Gehirn» übersetze, werde er zwangsläufig nach einer englischen Bedeutung des anderen Bestandteils «AI» suchen, insbesondere da «Artificial Intelligence» derzeit allgegenwärtig sei. Somit würde die Marke für die damit gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen die Vermutung nahelegen, dass sie auf irgendeine Weise künstliche Intelligenz nutzen. Der Fall gelangte vor das Bundesgericht. Die Anmelderin der Marke brachte vor, dass «AI» verschiedene Bedeutungen innehabe und dass die Marke auch andere Interpretationen wie «Activity Item», «All Inclusive», «Angewandte Informatik» oder «Assistant Instructor» zulasse. Das Bundesgericht entschied jedoch, dass der Begriff «künstliche Intelligenz» heutzutage allgegenwärtig sei und das Publikum beim Zeichen «AI Brain» im Zusammenhang mit den beanspruchten Produkten sofort an «Artificial Intelligence» denke. Die Beschwerde wurde deshalb abgewiesen. Galbraith meinte, dass die Analyse des Falls «AI Brain» Einblicke in die komplexe Welt der Markeneintragung böte und welche Rolle die sprachlichen Konzepte und aktuellen Trends in der öffentlichen Wahrnehmung dabei spielen könnten.

Dr. Lukas Abegg-Vaterlaus, Gerichtsschreiber am Bundesverwaltungsgericht, stellte fünf jüngere Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts vor und ordnete diese den beiden Themen «Nachweis des Nichtgebrauchs im Löschungsverfahren» und «Erhöhte Bekanntheit eines Zeichens im Widerspruchsverfahren» zu.

Bei «Trillium» (TAF B-605) handelt es sich um einen französischsprachigen Entscheid, bei dem im Löschungsverfahren auf eine Unstimmigkeit in der französischen Ausgabe von Art. 35b des Markenschutzgesetzes hingewiesen wurde, nämlich dass bei den Voraussetzungen das «oder» fehlen würde. Falls beide Voraussetzungen kumulativ vorliegen müssen, wäre bei Glaubhaftmachung des Nichtgebrauchs eine Ablehnung des Antrags nicht mehr möglich. Das Bundesverwaltungsgericht und später das Bundesgericht (4A_464/2022) bestätigten jedoch ein gesetzgeberisches Versehen. Entsprechend müssten die Voraussetzungen in Art. 35b MSchG nicht kumulativ erfüllt sein.

Im Entscheid «Hispano Suiza (fig.)» (BVGer B-1139/2022) ging es um die Glaubhaftmachung im Löschungsverfahren. Zur Glaubhaftmachung genügt es, wenn für das Vorhandensein einer Tatsache gewisse Elemente sprechen, selbst wenn das Gericht noch mit der Möglichkeit rechnet, dass sie sich nicht verwirklicht haben. Faktisch geht es also um den Nachweis eines Negativums, wie Abegg-Vaterlaus beschreibt. Ein solcher Nachweis könne durch einen Recherchebericht erbracht werden («Trillium», E. 9.3.1). So weise ein solcher Bericht, wenn er von einem Dritten berufsmässig erstellt werde, eine höhere Beweiskraft als eine Parteiaussage oder ein Parteigutachten auf. Ein Gebrauchsrecherchebericht kann zwar für sich allein nicht ausreichen, jedoch den Nichtgebrauch einer Marke glaubhaft machen, wenn seine Schlussfolgerungen durch andere Indizien bestätigt werden.

Wie Abegg-Vaterlaus erklärte, kann das Beweisthema in einem sachlichen, zeitlichen und örtlichen Bereich eingeteilt werden. In sachlicher Hinsicht hielt das Bundesverwaltungsgericht in «Trillium» fest, dass der Nichtgebrauch nicht in jedem Nischenmarkt nachgewiesen werden muss. In Bezug auf die relevante Zeitperiode entschied das Gericht in «Trillium», dass auch ein nach dem Antrag auf Löschung erstellter Recherchebericht im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen sei, sofern nichts auf eine Aufgabe des Markengebrauchs hindeutet. In örtlicher Hinsicht stellte sich die Frage, ob ein Antragssteller konsequenterweise auch den Nichtgebrauch in einem anderen Land glaubhaft machen muss bzw. ob der Gebrauch im Ausland in der Schweiz angerechnet werden könne. Das Bundesverwaltungsgericht verneinte dies. Das Beweisthema im Löschungsverfahren sei der rechtserhaltende Gebrauch in der Schweiz.

Abegg-Vaterlaus erklärte, dass wenn der Nichtgebrauch durch die Gegenseite erstmal glaubhaft gemacht wurde, habe der Markeninhaber drei Möglichkeiten sich zu wehren («Trillium», E. 5.3.2.1): 1. Man könne die Glaubhaftmachung des Nichtgebrauchs an und für sich anfechten (bzw. den Gegenbeweis antreten); 2. Man kann den Gebrauch der Marke glaubhaft machen oder 3. Man kann Rechtfertigungsgründe für den Nichtgebrauch geltend machen, wenn es solche gibt.

Zum Thema «Erhöhte Bekanntheit eines Zeichens im Widerspruchsverfahren» stellte Abegg-Vaterlaus die Entscheide Red Bull vs. Red Fragon (B-444/2022) und Capri-Sun vs. Prisun (B-4104/2021) des Bundesverwaltungsgerichts vor.

Die Gründe für eine erhöhte Bekanntheit können eine besondere schöpferische Leistung oder eine lange Aufbauarbeit und intensive Bearbeitung des Marktes mit einem bestimmten Zeichen sein. Der Idealfall für eine erhöhte Bekanntheit sei dann gegeben, wenn diese als gerichtsnotorisch angesehen werde und die Marktbearbeitung und der Aufbau nicht nachgewiesen werden müssten. Bei der Marke Red Bull ging das Institut davon aus, dass es sich um eine instituts- und gerichtsnotorische Marke mit erhöhter Kennzeichnungskraft und entsprechend erweitertem Schutzumfang handle (E. 7.2.1). Das Bundesverwaltungsgericht führte sodann aus, dass ein Gegenbeweis substantiiert werden müsse. Ein Verweis auf den sich wandelnden Markt von Energy-Drinks reiche nicht aus, den Erfahrungssatz umzustossen. Abegg-Vaterlaus merkte an, dass die Bekanntheit eines Zeichens nur in Bezug auf das relevante Waren- und Dienstleistungsverzeichnis gelte. Als Beispiel zog er den Entscheid B-1974/2022 heran, wobei es sich um das notorisch bekannte Zeichen – das Apple-Logo – handle. Das Bundesverwaltungsgericht betrachtete das Logo für Waren der Klasse 9 (vorwiegend Computer und Software) und für Dienstleistungen der Klasse 41 (vorwiegend im Bereich Unterhaltung und Vergnügen) als notorisch bekannt (E. 5.2). Als nicht bekannt erachtete das Bundesverwaltungsgericht das Apple-Logo für optische Produkte sowie Tonaufnahme- und Wiedergabegeräte. Diese kämen zwar in gewissen Apple-Produkten vor, seien aber nicht marktüblich.

Weiter beziehe sich die Bekanntheit eines Zeichens nur auf jenes Zeichen, welches als Widerspruchsmarke in das Verfahren eingeführt wurde. Im Entscheid Capri Sun vs. Prisun wurde eine Bekanntheit der Wortmarke nicht als notorisch angesehen. Es wurden die Marktbearbeitung und die Werbebemühungen geprüft, wobei das Bundesverwaltungsgericht ausführte, dass eine Belieferung der grössten Detailhändler in der Schweiz als mögliche intensive Marktbearbeitung angesehen wurde (E. 7.4.1). Im dargestellten Entscheid (B-4104/2021) wurde die Ware nicht unter der im Widerspruchsverfahren verwendeten Wortmarke Capri-Sun vertrieben, sondern unter den Marken Capri-Sun Safari Fruits sowie der 3D Marke in Form dieses Beutels und der Aufschrift Capri-Sun Multivitamin. Damit fehle der Bezug der Marktbearbeitung zur verwendeten Widerspruchsmarke, und diese wurde nicht als erhöht bekannt angesehen.

Ada Sofie Altobelli,

Rechtsanwältin, Zürich.

Fussnoten:

1

Bei dieser werden nachveröffentlichte Beweismittel stets zugelassen, ausser der technische Effekt ist für den Fachmann in der ursprünglichen Anmeldung unplausibel bspw. weil ein technischer Effekt nicht erreicht wird, wobei der Einsprechende die Beweislast trägt.

2

Bei dieser ist die Plausibilität des technischen Effekts mit dem Aufgabe-Lösungs-Ansatz unvereinbar.

3

Die Beschwerde vor Bundesgericht ist zum Zeitpunkt der INGRES-Tagung noch hängig.

4

Das wäre nur möglich, wenn man die Einwilligung der Rechteinhaber hätte.