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Berichte / Rapports

Ittinger Workshop zum Kennzeichenrecht vom 25. und 26. August 2023

Der diesjĂ€hrige Ittinger Workshop widmete sich unter der inhaltlichen Leitung von Dr. Michael Ritscher und der organisatorischen Leitung von Dr. Christoph Gasser der BösglĂ€ubigkeit im Kennzeichenrecht. Einen Schwerpunkt fĂŒr die Beurteilung des Kriteriums der BösglĂ€ubigkeit bildete die Auseinandersetzung mit Markenkategorien und ausgewĂ€hlten Fallgruppen. Die PrĂ€sentationen leiteten ĂŒber die allgemeine Herleitung der BösglĂ€ubigkeit im Zivilrecht, die bösglĂ€ubige Markenhinterlegung nach Schweizer Recht sowie die Betrachtung der diesbezĂŒglichen Schweizer Gerichtspraxis hin zur entsprechenden WĂŒrdigung des deutschen sowie des unionsrechtlich vereinheitlichten Markenrechts. TraditionsgemĂ€ss tagten die Mitglieder des Instituts fĂŒr gewerblichen Rechtsschutz (INGRES) in einer illustren Runde mit internationalen GĂ€sten in den alten Mauern der Kartause Ittingen.

Cette annĂ©e, le workshop d’Ittingen a Ă©tĂ© consacrĂ© Ă  la mauvaise foi dans le droit des signes distinctifs, sous la direction de Dr. MICHAEL RITSCHER et la direction organisationnelle de Dr. CHRISTOPH GASSER. L’accent a Ă©tĂ© mis sur l’évaluation du critĂšre de la mauvaise foi en examinant les catĂ©gories de marques et des groupes de cas sĂ©lectionnĂ©s. Les prĂ©sentations ont passĂ© par la dĂ©duction gĂ©nĂ©rale de la mauvaise foi en droit civil, le dĂ©pĂŽt de marque de mauvaise foi selon le droit suisse et l’examen de la pratique judiciaire suisse en la matiĂšre, pour aboutir Ă  l’évaluation correspondante du droit allemand et du droit unifiĂ© de l’Union europĂ©enne des marques. Comme le veut la tradition, les membres de l’Institut de la propriĂ©tĂ© industrielle (INGRES) se sont rĂ©unis dans les anciens murs de la Chartreuse d’Ittingen en compagnie d’invitĂ©s internationaux.

Fabienne Graf,

MLaw, LL.M. (Duke), ZĂŒrich.

I. Einleitung

In seinen einleitenden Gedanken wies Ritscher (Rechtsanwalt, ZĂŒrich) die Teilnehmenden darauf hin, dass die Schwerpunkte der vergangenen Workshops stets auf MarkenrealitĂ€ten und -variationen lagen. DemgegenĂŒber wĂ€re das diesjĂ€hrige Thema der BösglĂ€ubigkeit im Kennzeichenrecht eher bei den Rechtsgrundlagen zu verorten. Die Neugier der Anwesenden war damit geweckt, verhiess doch bereits der Programmtext, dass die AusĂŒbung eines Rechts namentlich dann als unzulĂ€ssig gelte, wenn sie gegen Treu und Glauben verstosse bzw. missbrĂ€uchlich sei. Angesprochen war damit ein Grundsatz, der ebenso im Markenrecht Geltung beanspruchen wĂŒrde. Weiter wĂ€ren Verstösse gegen die anstĂ€ndigen Gepflogenheiten im Wettbewerb auch lauterkeitsrechtlich verpönt. Das Programm identifizierte zwei Bereiche des Kennzeichenrechts, in denen die BösglĂ€ubigkeit von Bedeutung sei: zum einen im Hinblick auf die GĂŒltigkeit von Markeneintragungen, zum anderen bei der Durchsetzung kennzeichenrechtlicher AnsprĂŒche. Obschon damit Ă€usserst bedeutsame Bereiche der Rechtspraxis betroffen seien, fehlten auf internationaler Ebene Kriterien, die eine Beurteilung der BösglĂ€ubigkeit im konkreten Fall ermöglichen und Rechtssicherheit förderten. Hingegen zeichneten sich gewisse Fallgruppen ab, welche zur Beurteilung herangezogen werden könnten – und welchen sich diese Veranstaltung widmen sollte.

BezĂŒglich dieser Programmpunkte merkte Ritscher an, dass der offensichtliche Rechtsmissbrauch als Begrifflichkeit im Schweizer Markenrecht (anders als etwa im deutschen und im österreichischen Recht) nicht festgehalten ist. Betreffend die ĂŒbrigen ImmaterialgĂŒterrechte, die keinen Benutzungszwang vorsehen, unterscheidet sich die Ausgangslage des Markenrechts. Im Patentrecht ist das PhĂ€nomen der sog. Patenttrolle als Exempel der BösglĂ€ubigkeit bekannt, wobei die PrĂŒfung des «Ob» eines Unterlassungsanspruchs im Rahmen einer VerhĂ€ltnismĂ€ssigkeitsprĂŒfung vorzunehmen ist.

Ritscher bemerkte weiter, dass die Gebrauchsschonfrist ein Ansatz fĂŒr die Betrachtung der BösglĂ€ubigkeit im Kennzeichenrecht ist. Diese betrĂ€gt in den meisten LĂ€ndern Europas, zumindest fĂŒr noch unbenutzte Marken, fĂŒnf Jahre. Mit dieser Frist geht fĂŒr die Inhaberin eine Zeit der Reflexion ĂŒber die Nutzung ihrer Marken einher. Obschon es sich bei der Gebrauchsschonfrist um ein objektives Kriterium handelt, ist in der Praxis bereits der Nachweis des tatsĂ€chlichen Gebrauchs anspruchsvoll. Umso schwieriger erweist sich die Situation, wenn die subjektive Benutzungsabsicht erfragt wird. Dabei sind namentlich beweisrechtliche Aspekte zu beachten und es erfolgt ein Schluss auf Basis einer Vermutung.

Weitere Fragen ergeben sich zum Umgang mit BösglĂ€ubigkeit bei notorisch bekannten Marken sowie zum Zeitpunkt, in dem die BösglĂ€ubigkeit nachgewiesen werden soll. In der Schweiz ist zudem der programmatische Versuch festzustellen, die SchĂ€rfe des Eintragungsprinzips mittels des WeiterbenĂŒtzungsrecht zu mildern. In diesem Umstand erblickte Ritscher den Grund, wieso bisher noch keine hinreichend vertiefte Befassung mit der BösglĂ€ubigkeit im Schweizer Markenrecht erfolgte.

II. BösglÀubigkeit im Zivilrecht

Dr. Daniel Schwander (Oberrichter, Handelsgericht ZĂŒrich) eröffnete seinen Vortrag mit der Feststellung, dass die BösglĂ€ubigkeit im Schweizer Recht im gleichen Atemzug mit der RechtsmissbrĂ€uchlichkeit genannt wird. Die Gegenbegriffe des guten und bösen Glaubens sind aus dem römischen Recht herzuleiten. Zwei Grundpfeiler des römischen Rechts verankern diese GegensĂ€tzlichkeit: die Usucapio (Ersitzung) und die Bonae fidei iudicia (nach A. Söllner, Bona fides – guter Glaube, ZRG 2005, 1 ff.). In dieser Verwendung werden die Rechte römischer BĂŒrger von jenen von Nicht-BĂŒrgern unterschieden. Ein Exkurs zur Ersitzung im Schweizer Zivilrecht gemĂ€ss Art. 661 und Art. 728 Abs. 1 ZGB zeigt die nun lĂ€ngere Frist von zehn resp. fĂŒnf Jahren – im Vergleich zu den noch ein- resp. zweijĂ€hrigen Fristen im römischen Recht. GrĂŒnde dafĂŒr sind in den programmatischen Zielen der Beweisbarkeit und der Rechtssicherheit zu erkennen. SpĂ€ter trat die Bona Fides hervor, verstanden als Redlichkeit und damit als das blosse Halten des Wortes. Damit erfolgte eine Distanzierung von den ritualisierten formalisierten Rechtspraktiken. Das gilt auch fĂŒr die «Exceptio Doli» (Arglisteinrede) als VorlĂ€uferin der RechtsmissbrĂ€uchlichkeit.

Weiter fĂŒhrte Schwander aus, dass der gute Glaube im Schweizer Zivilrecht in Art. 2 und 3 ZGB verankert ist. Insbesondere Art. 1 ZGB ist ebenfalls so zu lesen und auszulegen. Wo z.B. auf die Verkehrssitte verwiesen wird, spielen auch Treu und Glauben eine Rolle. In Art. 2 ZGB findet wiederum eine WĂŒrdigung der Offensichtlichkeit der MissbrĂ€uchlichkeit statt, wobei in Abs. 2 eine eigentliche Exceptio Doli kodifiziert ist. Dabei handelt es sich jedoch um eine Besonderheit des Schweizer Rechts. Daraus folgt der Schluss, dass es eben keine inhĂ€rente Gut- oder Bösglaubensvermutung in der hiesigen Zivilrechtstradition gibt. Vielmehr bedarf es eines Verweises des Gesetzes oder einer auslegungsweisen LektĂŒre der entsprechenden Norm. Die blosse Möglichkeit des guten Glaubens (siehe Art. 3 Abs. 2 ZGB: «sein konnte») erleichtert den Beweis.

Beim Fahrniserwerb von Nichtberechtigten wird unterschieden, ob eine Sache anvertraut wurde oder abhandenkam (siehe Art. 933 f. ZGB). Bei anvertrauter Fahrnis (Art. 933 ZGB) wird der Konflikt zwischen dem wirklichen EigentĂŒmer und dem scheinbaren EigentĂŒmer um das VerfĂŒgungs- resp. das RĂŒckforderungsrecht zu Gunsten der gutglĂ€ubigen dritten Person gelöst. Darin kann ein Einfluss germanischer Rechtstraditionen erkannt werden. Letztlich ist wiederum das Motiv der Verkehrssicherheit ausschlaggebend, indem der gutglĂ€ubige Dritte geschĂŒtzt wird, sofern ein VertrauensverhĂ€ltnis zu Grunde lag.

DemgegenĂŒber stellt sich im Bereich der ImmaterialgĂŒterrechte die Frage des gutglĂ€ubigen Erwerbs von registrierten Nichtberechtigten. Art. 17 Abs. 2 MSchG hĂ€lt fest, dass die Übertragung als GĂŒltigkeitsvoraussetzung nach der Schriftlichkeit verlangt und «gegenĂŒber gutglĂ€ubigen Dritten» erst wirksam ist, wenn sie im Register eingetragen ist. Ähnliche Bestimmungen finden sich im Patent- (Art. 33 Abs. 4 PatG) und Designrecht (Art. 14 Abs. 2 Satz 2 DesG).

Eine Fragestellung resp. Kontroverse um die Folgen einer GutglĂ€ubigkeit ergibt sich in folgender Konstellation: ÜbertrĂ€gt die im Register als Inhaberin eingetragene Person A dem gutglĂ€ubigen G ihr Schutzrecht, erwirbt dieser auch dann das Vollrecht zum «geistigen Eigentum», wenn A materiell-rechtlich nicht mehr berechtigt war? Eine solche fehlende materiell-rechtliche Berechtigung mag vorliegen, weil A das Schutzrecht zuvor mit einfacher Schriftlichkeit und aufgrund eines gĂŒltigen VerfĂŒgungsgeschĂ€fts dem B ĂŒbertragen hatte (nach G. Wild, Die Übertragung von gewerblichen Schutzrechten, insb. der gutglĂ€ubige Erwerb vom registrierten Nichtberechtigten, sic! 2008, 271 ff.). Eine weitere Kontroverse entsteht bei der GeschĂ€ftsfĂŒhrung ohne Auftrag im Interesse des GeschĂ€ftsfĂŒhrers (sog. GeschĂ€ftsanmassung; Verletzergewinn). Wo gemĂ€ss Art. 423 Abs. 1 OR die GeschĂ€ftsfĂŒhrung «nicht mit RĂŒcksicht auf das Interesse des GeschĂ€ftsherrn» erfolgte, kann nach Meinung des BGer die BösglĂ€ubigkeit als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung erblickt werden (siehe BGE 129 III 422 ff. E. 4; a.M. C. Hilti, Die «ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung» der BösglĂ€ubigkeit – der Anfang vom Ende des Gewinnherausgabeanspruchs?, AJP 2006, 695 ff.).

Mit der Gewinnherausgabe im Kontext von Patentverletzungen befasste sich das BPatGer (sic! 2014, 560 ff., «Netzstecker»). Im Ergebnis bejahte das BPatGer die Pflicht des Patentverletzers zur Gewinnherausgabe. Als bösglĂ€ubig wurde dabei erachtet, wer ein Produkt, das von der Gattung her durchaus unter Patentschutz fallen könnte, von einem Herkunftsort bezieht, von dem bekannt ist, dass dort den ImmaterialgĂŒterrechten Dritter nicht durchwegs die angemessene Beachtung geschenkt wird, und keine entsprechenden AbklĂ€rungen trifft (siehe BPatGer vom 19. MĂ€rz 2014, O2013_007, E. 4.3, «Netzstecker»).

Eine weitere Sichtweise auf die zivilrechtliche BösglĂ€ubigkeit bildet die Absicht zum Gebrauch als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung, welche beim Registereintrag vorausgesetzt wird (siehe Art. 5 MSchG, Eintragungsprinzip). Nicht damit zu verwechseln ist die Gebrauchsobliegenheit im Sinne von Art. 11 f. MSchG). Der Vortrag von Schwander schloss mit der Erkenntnis, dass die Übertragung des allgemeinen zivilrechtlichen Begriffs der BösglĂ€ubigkeit auf die Konstellationen des ImmaterialgĂŒterrechts sich nach dem Gesagten als eine anspruchsvolle – eventuell auch wenig naheliegende – Aufgabe erweist. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich ebenso die breite Anrufung des Begriffs der RechtsmissbrĂ€uchlichkeit als problematisch, bildet die RechtsmissbrĂ€uchlichkeit als «Notnagel» doch bloss ein letztes Mittel der Regulation.

III. MissbrÀuchliche Markenhinterlegung

Gasser (Rechtsanwalt, ZĂŒrich) prĂ€sentierte in seinem Vortrag AnsĂ€tze fĂŒr eine Kasuistik der missbrĂ€uchlichen Markenhinterlegungen. Dazu fĂŒhrte er zunĂ€chst in die Entwicklung des Rechtsinstituts ein. Die Suche nach einer Definition birgt einen Sammelbegriff fĂŒr Hinterlegungen, welche zwar einem Gebrauch entsprechen – nicht aber dem markenrechtlich-traditionell konformen. Im Hinblick auf die (fehlende) Gebrauchsabsicht in Bezug auf die Herkunfts- bzw. Individualisierungsfunktion kann zwischen verschiedenen Perspektiven unterschieden werden. Zum einen mag ein «nicht wirklich zum Gebrauch bestimmt»-Sein (vgl. BGE 127 III 160 ff. E. 1, «Securitas/Securicall») vorliegen. Zum anderen können Marken «ohne jegliche Gebrauchsabsicht nur dazu hinterlegt werden, um einen sachfremden Vorteil zu erlangen» (BGer vom 30. April 2008, 4C_82/2007, E. 2.1.3, «Gmail»).

Ein Blick zurĂŒck in die Schriften der GrossvĂ€ter und VĂ€ter des Markenrechts wie Erwin Matter, Heinrich David und Alois Troller bringt keine klaren Quellen zum Begriff der missbrĂ€uchlichen Markenhinterlegung hervor. Auch war im Gesetzeswortlaut der beiden aMSchG nie eine Gebrauchsabsicht vorausgesetzt. Dass keine Gebrauchsabsicht hat, wer wĂ€hrend dreier Jahre nicht gebraucht, war vielmehr von nicht-kodifizierter GrundsĂ€tzlichkeit (siehe BBl 1879 III 730; Art. 9 aMSchG 1879: «Rechte erlöschen»; Art. 9 aMSchG 1890: «des Schutzes verlustig»).

Mit der Revision der PVÜ in den 1920er-Jahren wurde die Rechtfertigungsmöglichkeit des Nichtgebrauchs vorgesehen. Schon damals war es Ausdruck eines gewissen Misstrauens gegenĂŒber den Gerichten, wenn in der Lehre vorgeschlagen wurde, den Schutzbereich der Marke ĂŒber die Registereintragung zu erweitern. Das BGer votierte schliesslich 1939 (in BGE 57 II 603 ff. E. 12, «Lysol») fĂŒr eine UngĂŒltigkeit von Defensivmarken, indem es diese fĂŒr «mit dem Grundprinzip des schweizerischen Markenrechtes unvereinbar» hielt. Dem Markeninhaber wurde dabei abgesprochen – anstelle des Gerichts –, selbst den Schutzkreis seiner Marke zu umschreiben. In BGE 98 b 180 ff. E. 3, «Nitraban», erfolgte eine Ablehnung von Defensiv- und Vorratsmarken mit dem Hinweis auf den Grundsatz des Gebrauchszwangs, wobei die Vorratsmarken aus heutiger Sicht wohl zu streng eingeschĂ€tzt wurden. Mit der Umsetzung der europĂ€ischen Markenrechtsrichtlinie in das Schweizer MSchG und damit der Zulassung neuer Markenkategorien vergrösserte sich das Missbrauchspotenzial. Dagegen gilt fĂŒr die Defensivmarken heute noch der grundsĂ€tzlich gleiche Ansatz. Mit dem MSchG 1992 wurde schliesslich der Kreis der Hinterlegenden auf alle Personen ausgeweitet und die Übertragbarkeit von jener des GeschĂ€ftsbetriebs gelöst. Einen Sonderfall bilden unter dem MSchG 1992, in Umsetzung von Art. 6septies PVÜ, die sog. Agentenmarken (siehe Art. 4, Art. 13 Abs. 3, Art. 53 und Art. 61 MSchG).

Bereits zuvor wurde in der Rechtsprechung eine Vielzahl von Kategorien missbrÀuchlicher Hinterlegungen herausgebildet. Diese Markenkategorien wurden unter dem MSchG 1992 weiter geprÀgt, wobei Gasser die folgenden neun Kategorien prÀsentierte:

1. Eine Defensivmarke (Bsp. wohl CH 2P-415168 «OMEGA»; heute dĂŒrfte sie gemĂ€ss BGer wohl notorischerweise berĂŒhmt sein) liegt vor, wenn eine Hinterlegung zwecks Vergrösserung des Schutzumfangs einer markenmĂ€ssig gebrauchten oder dazu vorgesehenen Marke erfolgt. Die Hinterlegung umfasst Ă€hnliche Zeichen und/oder nicht zum markenmĂ€ssigen Gebrauch vorgesehene Waren/Dienstleistungen (siehe BGE 127 III 160 ff. E. 1b, «Securitas/Securicall»; BGer, sic! 2012, 457 ff., «Yello/Yallo II»). Zu bemerken ist, dass das BGer Sperr- und Piratenmarken (siehe unten II.3. und, II.4.) terminologisch als Defensivmarken kategorisiert.

2. Eine Wiederholungsmarke liegt vor, wenn gleiche/Ă€hnliche Zeichen fĂŒr gleiche/gleichartige Waren/Dienstleistungen (bzw. den Ersatz von Ober-/Unterbegriffen) hinterlegt werden. Motiv ist die Umgehung des Gebrauchserfordernisses oder der Obliegenheit zur Vorlage von Markengebrauchsbelegen. Zur Veranschaulichung dient CH P-397260 («SHELL»), welche 1991 in der Klasse 4 fĂŒr «lubrifiants» und schliesslich 2020 als CH 758249 («SHELL») in derselben Klasse fĂŒr «lubrifiants pour vĂ©hicules Ă©lectriques» hinterlegt wurde. Dabei RechtsmissbrĂ€uchlichkeit anzunehmen, erscheint jedoch als zu streng, bedarf es doch eines Elements der MissbrĂ€uchlichkeit in der Handlung. Fragen stellen sich bei der Wiederholungsabsicht, wobei das BGer insb. «kaskadenartige Neuanmeldungen kurz vor Ablauf der Gebrauchsschonfrist» missbilligt (BGer sic! 2012, 458 ff., «Yello/Yallo II»).

3. Eine Sperrmarke zielt in einer Behinderungsabsicht darauf, Dritte in der Aufnahme oder FortfĂŒhrung der wirtschaftlichen TĂ€tigkeit zu behindern oder sie davon abzuhalten. Dazu erfolgt eine Hinterlegung fĂŒr gleiche (oder Ă€hnliche) Zeichen fĂŒr gleiche (oder gleichartige oder gar ungleichartige) Waren/Dienstleistungen. Neben dem Beispiel von BGE 127 III 160 ff. E. 1b, «Securitas/Securicall» (im Ergebnis erfolgreicher Gegenangriff: die Eintragung von «Securicall» wurde als missbrĂ€uchliche Sperrmarke erachtet), finden sich in der Rechtsprechung diverse Beispiele: u.a. BGer, SMI 1985, 98, «Golden Lights II», BGE 109 II 483 ff. E. 5, «Computerland», und BGer, sic! 2008, 732 ff. E. 2.1.4 f., «Gmail». Eine Vermutung von Missbrauch besteht bei Wissen resp. WissenmĂŒssen um ein gegnerisches, noch nicht in der Schweiz hinterlegtes Zeichen (siehe BGer, sic! 2005, 466 f., «C’est bon la vie»).

4. Piratenmarken (auch Hinterhalts- oder Spekulationsmarken genannt) zielen darauf ab, Dritte, die ohne Eintragung ein Zeichen gebrauchen oder zu gebrauchen beabsichtigen, mittels einer Markenhinterlegung zu Kauf oder Lizenzierung der Marke zu bewegen. Im Vergleich zu anderen Kategorien handelt es sich um ein offensichtliches Beispiel von MissbrÀuchlichkeit (siehe BGer, sic! 2008, 732 ff. E. 2.1.4, «Gmail»; HGer vom 19. Mai 2009, ZH HG070102, «Okay»).

5. Bei einer Markenhinterlegung zwecks Rufausbeutung soll von einem Ruf eines Drittunternehmens profitiert werden, dessen gleiche/Ă€hnliche Firma/Marke kĂŒrzere Zeit zuvor gelöscht wurde bzw. nicht mehr rechtserhaltend gebraucht wird (siehe BGer, sic! 2013, 718 ff. E. 2.2 f., «Noir Mat»: Nichtigkeit, Art. 2 und 3 Abs. 1 lit. d UWG; BVGer vom 5. Dezember 2011, B-3036/2011, E. 2 f., «Swissair»: Ausschluss von Amtes nach faktischem Konkurs, Art. 2 lit. c MSchG).

6. Ausserdem kann eine Markenhinterlegung kraft Vertrauensbruchs, in Verletzung eines TreueverhĂ€ltnisses (z.B. eines Arbeitsvertrags oder Auftrags) oder in Ausnutzung von GeschĂ€ftsgeheimnissen geschehen (bspw. verneint in BGer, Mitt. 1983 II, 40, 43 ff., «Raylon»; bejaht in KGer BL, sic! 2010, 106 ff., «Luftbefeuchter»; OGer ZG vom 23. September 2022, Z 2 2022 24, E. 5, «Markenanmassung»). Bei der Rechtsfolge, wonach die Marke Gegenstand einer Übertragungsklage werden kann, wurde im letztgenannten Beispiel missverstĂ€ndlich – aber im Ergebnis richtig – entschieden. Denn wo festgestellt wurde «Da die Übertragungsklage â€čanstattâ€ș der Nichtigkeitsklage erfolgt, können nur nichtige Marken Gegenstand der Übertragungsklage sein» (OGer ZG vom 23. September 2022, Z 2 2022 24, E. 4.1, «Markenanmassung»), wurde verkannt, dass Nichtiges nicht ĂŒbertragen werden kann.

7. Eine Markenerschleichung erfolgt bei einer Markenhinterlegung unter falschen Angaben oder bei Verschweigen wesentlicher UmstÀnde. Dieser Tatbestand kann namentlich gefÀlschte Gebrauchsbelege oder Ergebnisse gefÀlschter Meinungsumfragen zwecks Glaubhaftmachung der Verkehrsdurchsetzung (m.w.H. auf M. Grabrucker, DE-Mitt. 2008, 537) umfassen.

8. Bei einer Negativhinterlegung fehlt das Markenschutzinteresse. Die betroffene Person erhofft sich eine Abweisung wegen absoluter AusschlussgrĂŒnde. Sprich: Sie zielt auf eine grundsĂ€tzliche Begutachtung zum Preis der IGE-HinterlegungsgebĂŒhr von CHF 350. Bei einer solchen vorlĂ€ufigen PrĂŒfung der Rechtslage «schĂŒtzt» ein fehlerhaftes Waren- und Dienstleistungsverzeichnis vor Eintragung. Ungeachtet des fehlenden schutzwĂŒrdigen Interesses an einer Eintragung (Art. 25 Abs. 2 VwVG) tritt das IGE auf ein solches Begehren um eine FeststellungsverfĂŒgung ein (vgl. IGE-Richtlinien, Teil 5, Ziff. 3.4) und geht von gutem Glauben aus.

9. GrundsĂ€tzlich fernab der RechtsmissbrĂ€uchlichkeit ist die Vorratsmarke (auch Versuchsmarke) als letzte Kategorie angesiedelt. Dabei erfolgt die Markenhinterlegung eines unbenutzten Zeichens, das zu einem spĂ€teren, noch unbestimmten Zeitpunkt mit einer mindestens minimalen Wahrscheinlichkeit gebraucht wird. Ein solcher (eigener oder durch Dritte erfolgender) Gebrauch ist im Grundsatz auch dann als beabsichtigt anzunehmen, wenn keine konkrete Gebrauchsabsicht vorliegt. In der Praxis relevant sind die ĂŒber Briefkastenfirmen vorgenommenen Hinterlegungen von Varianten zwecks Verschleierns einer bevorzugten neuen Konzernmarke sowie sog. Brand Naming von Agenturen. Solche Praktiken haben grundsĂ€tzlich keine Nichtigkeit zur Folge.

Gasser betonte, dass sich den Rechtsfolgen missbrĂ€uchlicher Hinterlegungen bereits Florent Thouvenin in einer systematischen Untersuchung (Nichtigkeit und Anfechtbarkeit im Markenrecht, sic! 2009, 544 ff.) zuwandte. Die Folgen umfassen neben UngĂŒltigkeit/Nichtigkeit (ex tunc; fraglich ob erga omnes) auch die Anfechtbarkeit (der Agenturmarke; evtl. der Hinterlegung kraft Vertrauensbruchs; siehe Thouvenin, 544 ff.). Zu beachten ist neben dem absoluten Ausschlussgrund irrefĂŒhrender Zeichen (Art. 2 lit. c MSchG) auch ein Verstoss gegen die öffentliche Ordnung, die guten Sitten und das geltende Recht (Art. 2 lit. d MSchG). Dazu treten die UWG-Generalklausel (Art. 2 UWG) sowie die beiden SpezialtatbestĂ€nde in Art. 3 Abs. 1 lit. b und d UWG.

Die Rechtsdurchsetzung gegen missbrÀuchliche Markenhinterlegungen erfolgt zunÀchst auf der Ebene der Zivilverfahren, wobei eine reichhaltige Praxis besteht (siehe hinten Staub, IV.). Im Kontext von Strafverfahren ist ein grundsÀtzliches Widerstreben der Strafverfolgungsbehörden und in der Folge eine Wirkungslosigkeit festzustellen.

Im Verwaltungsverfahren ist die Legitimation Dritter erstinstanzlich bloss schwer zu etablieren. Obschon die Nichtigkeit missbrĂ€uchlicher Anmeldungen nach der Offizialmaxime eine WĂŒrdigung der NichtigkeitsgrĂŒnde von Amtes wegen (absolute AusschlussgrĂŒnde i.S.v. Art. 30 Abs. 2 lit. c MSchG, inkl. MissbrauchstatbestĂ€nde) verlangt, wird bisher durch das IGE ein Standardschreiben ausgefertigt. In diesem wird unter Anrufung von BVGer vom 18. Februar 2014, B-6003/2012, E. 2.1, «YACHT CLUB ST.MORITZ», auf die fehlende Parteistellung von Dritten im Eintragungsverfahren verwiesen. Als Folge bildet die entsprechende Eingabe laut IGE nicht Bestandteil des Markeneintragungsgesuchs und wird nicht im Aktenheft abgelegt (siehe Art. 36 Abs. 1 MSchV). Eine gĂ€nzlich andere Ausgangslage der Legitimation Dritter zeigt sich in den zweiten und dritten Instanzen: Hier ist die Rechtsprechung durchaus entwicklungsfĂ€hig. Angesichts der verschiedenen Rechtswege (VRP vs. ZPO) unterscheidet sich die Rechtsdurchsetzung deutlich. Dem Instanzenzug, welcher ĂŒber das IGE und das BVGer zum BGer fĂŒhrt, sind demnach durchaus fundierte Kompetenzen zuzusprechen. Ein anderes Bild zeigt sich unter der ZPO, wonach der Weg ĂŒber eine einzige kantonale Instanz an das eher selten befasste BGer fĂŒhrt. Als Fazit hielt Gasser fest, dass auch die Höhe der ĂŒbrigen HĂŒrden (u.a. GebĂŒhren) im Verwaltungsverfahren attraktiv erscheinen und sich im Vergleich mit dem zivilprozessualen Weg bewĂ€hren könnten.

In der anschliessenden Paneldiskussion mit Alexander Pfister (FĂŒrsprecher, IGE) und Stefan Vogler (Berater Marketing und Kommunikation, ZĂŒrich) wandte sich Vogler zunĂ€chst der Sinnhaftigkeit von Hinterlegungen aus der Perspektive des Marketings zu. Danach ist ergĂ€nzend zu den rechtsdogmatischen Grundlagen zu fragen, was das Ziel jeder Marke ist. Die Antwort umfasst jeweils die PrĂ€ferenz der relevanten Zielgruppe. Es bedarf aus Sicht des Marketings weiter einer konkreten Assoziation eines Produkts mit einer Marke. Eine Marke soll zudem fĂŒr einen möglichst engen Markenkern stehen. Damit soll ein kleines Feld bespielt, dieses jedoch möglichst komplett eingenommen werden. Ist diese grundsĂ€tzliche Leistung geschafft, kann laut Vogler im Laufe der Zeit eine glaubwĂŒrdige Erweiterung des Waren- und Dienstleistungskerns erfolgen. Eine solche Anmeldung weiterer Waren- und Dienstleistungsklassen darf dabei nicht beliebig wirken. Eine Ausnahme davon bilden die Luxusmarken, wobei sich das Preis-Leistungs-VerhĂ€ltnis als extrem darstellt und sich die Konsumerwartung deutlich von Waren/Dienstleistungen ĂŒbriger Marken unterscheidet.

Pfister ergĂ€nzte die bisherigen PrĂ€sentationen mit dem Hinweis, dass das IGE das Rechtsmissbrauchsverbot nicht zu den absoluten SchutzausschlussgrĂŒnden zĂ€hlt. Die absoluten SchutzausschlussgrĂŒnde sind demnach im Gesetz enumeriert. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Aufgabe des IGE dar: zwei definierte Marken anhand bestimmter Merkmale einander gegenĂŒberzustellen und anhand der – im Gesetz abschliessend definierten – absoluten SchutzausschlussgrĂŒnden zu prĂŒfen. Entsprechend sind die Kompetenzen und das Personal in der Markenabteilung des IGE anders aufgestellt, als dies eine grundsĂ€tzliche PrĂŒfung der RechtsmissbrĂ€uchlichkeit verlangen wĂŒrde. Das wĂŒrde, so schloss Pfister, gegen eine PrĂŒfung der RechtsmissbrĂ€uchlichkeit von Markenhinterlegungen durch das IGE sprechen – sei es von Amtes wegen oder auf Drittantrag hin.

IV. Relevanz der BösglĂ€ubigkeit bei der Rechtsdurchsetzung kennzeichenrechtlicher AnsprĂŒche

Dr. Roger Staub (Rechtsanwalt, ZĂŒrich) widmete sich der Beweislast und dem Beweismass als Teile des Nachweises der BösglĂ€ubigkeit im Kennzeichenrechtsprozess. Bei einer Betrachtung der BösglĂ€ubigkeit sind die Tat- von den Rechtsfragen zu unterscheiden. Die Tatfragen erweisen sich als vordergrĂŒndig. Sie umfassen neben der allgemeinen Absicht der hinterlegenden Person (siehe BGer vom 10. Dezember 2009, 4A_242/2009, E. 6.6, «Coolwater/cool water») insb. die möglichen Teilaspekte der Gebrauchs-, der Blockierungs- resp. Behinderungsabsicht sowie der Absicht, sich oder Dritten Vorteile zu verschaffen. Dabei gilt fĂŒr die Beweislast seitens der NichtigkeitsklĂ€gerin im Sinne von Art. 8 ZGB.

Schwierigkeiten bei der BeweisfĂŒhrung ergeben sich aus der Anrufung innerer Tatsachen, Tatsachen aus dem Einflussbereich des Markeninhabers sowie negativen Tatsachen. Namentlich hat die KlĂ€gerin in der Regel keinen Zugriff auf Dokumente des Markeninhabers, keinen Einblick in dessen Absicht. Im Sinne einer Lösung können mittelbare Beweise resp. Indizien (siehe OGer ZG vom 23. September 2022, Z 2 2022 24, E. 4.2.1, «Markenanmassung») sowie – in der Praxis interessant – die Mitwirkungspflicht des Markeninhabers herangezogen werden. Diese Mitwirkungspflicht wurde durch das BGer am 23. Februar 2012 in 4A_429/2011, E. 5.1, «Yello» eingefĂŒhrt: «Mit der Lehre ist daher anzunehmen, dass im Rahmen der Mitwirkungspflicht von der Gegenseite verlangt werden darf, dass sie die GrĂŒnde dokumentiert oder zumindest behauptet, wieso die Hinterlegung in ihrem konkreten Fall trotz der Ungereimtheiten, welche die KlĂ€gerseite dargetan hat, Teil einer auf Fairness beruhenden Markenstrategie bildet. Erscheint dem Richter diese BegrĂŒndung als unglaubwĂŒrdig, so muss der abstrakte Nachweis der typischerweise defensiven Konstellation im Rahmen der GesamtwĂŒrdigung genĂŒgen [
]».

WĂ€hrend mit dem «Yello»-Ansatz somit ein schrittweises Vorgehen prĂ€sentiert wurde, verbleibt die Substantiierungslast jedoch bei der KlĂ€gerin (siehe HGer BE vom 7. Februar 2022, HG 21 10, E. 35.13, «Winkelzeichen»). Eine solche Substantiierung umfasst mehr als bloss den fehlenden Markengebrauch. Vielmehr zielt sie darauf zu zeigen, aus welchen konkreten GrĂŒnden fĂŒr eine bestimmte Klasse von fehlender Gebrauchsabsicht auszugehen ist. Beispiele solcher GrĂŒnde umfassen die Beanspruchung marketingmĂ€ssig inkompatibler Waren/Dienstleistungen, kaskadenhafte Neuanmeldungen (kurz vor Ablauf der Gebrauchsschonfrist) sowie das Angebot, eine Marke gegen Entgelt abzutreten. An welchem Beweismass dabei gemessen werden soll, wird aus der breiten LektĂŒre der besprochenen Urteile alleine nicht klar. In diversen BegrĂŒndungen findet sich die Glaubhaftmachung (seitens der NichtigkeitsklĂ€gerin z.B. HGer ZH vom 27. April 2011, HG090164, E. 3.4.1, «Yello»; seitens des Markeninhabers z.B. HGer BE vom 7. Februar 2022, HG 21 10, E. 3.2.1, «Winkelzeichen»). Jedoch ist fraglich, ob das auszureichen vermag. Wahrscheinlicher ist das Vollbeweismass (z.B. BGer vom 23. Februar 2012, 4A_429/2011, E. 5.1, «Yello»). Zu beachten gilt, dass mit einer GesamtwĂŒrdigung aller UmstĂ€nde auch jene vor und nach der Hinterlegung herangezogen werden mĂŒssen.

Staub veranschaulichte seine AusfĂŒhrungen zu Beweislast und Beweismass anhand von vier Anwendungsbeispielen (davon zwei Piratenmarken). Im ersten Beispiel der «US-Kleidermarke» (siehe HGer ZH vom 6. MĂ€rz 2019, HG150021-O; BGer vom 27. August 2019, 4A_181/2019) trat eine grosse US-Kleidermarkeninhaberin als KlĂ€gerin gegen ein mexikanisches Unternehmen auf. Im Jahr 2000 lehnte die KlĂ€gerin einen Vorschlag zur Zusammenarbeit ab, worauf bald Markenanmeldungen der Beklagten (Klassen 9 und 14) und globale Auseinandersetzungen folgten. 2011/2012 hinterlegte die Beklagte CH-Marken, ab 2012 die KlĂ€gerin, worauf die Beklagte WidersprĂŒche einlegte. Es folgten eine Nichtigkeitsklage und -widerklage im Jahr 2015. Im folgenden Urteil erkannte das HGer ZH gewisse Ungereimtheiten, z.B. lediglich wenige VerkĂ€ufe von Uhren zu den tiefen Preisen, bloss VerkĂ€ufe in Basel-Mulhouse, keine VerkĂ€ufe von Sonnenbrillen, nur eine einzige Abnehmerin, welche die Marke nicht unter «Our Brands» auswies und eine HĂ€ndlerin, die mit der Beklagten eng verbunden war. Angesichts dieser UmstĂ€nde wurde die Mitwirkungspflicht der Beklagten zur Feststellung des Sachverhalts begrĂŒndet.

Das HGer widmete sich bei seiner GesamtwĂŒrdigung zunĂ€chst dem Vorliegen einer konkreten Gebrauchsabsicht. Gegen eine solche Absicht lagen Indizien vor, dass kein einziger unzweifelhafter Beleg eines tatsĂ€chlichen Gebrauchs in der Schweiz bestand. Das fĂŒhrte zum Verdacht, dass entsprechende Belege bloss den Anschein eines Markengebrauchs erwecken sollten. FĂŒr eine Gebrauchsabsicht sprach hingegen u.a. die Positionierung der Beklagten als Uhren- und Schmuckherstellerin (inkl. Webseiten). Im Ergebnis sprachen zumindest keine zwingenden Indizien gegen eine Gebrauchsabsicht. Auch in der WĂŒrdigung einer Absicht, (finanzielle) Vorteile zu erzielen, fand das HGer wiederum zahlreiche Indizien dafĂŒr und dagegen. Schliesslich wandte sich das Gericht der Frage nach einer Behinderungsabsicht zu und verneinte eine solche seitens der Beklagten in deren Einreichung von WidersprĂŒchen oder dem Einschreiten gegen eine Lizenznehmerin der KlĂ€gerin. Neben weiteren Faktoren, welche gegen eine Behinderungsabsicht sprachen, erachtete das HGer eine bereits lĂ€nger zurĂŒckliegende Registrierung ohne Einwilligung nach gescheitertem Projekt zumindest als fragwĂŒrdig. Im Ergebnis konnte keine BösglĂ€ubigkeit der Beklagten – welche ĂŒber einen Bezug zur Schweiz verfĂŒgte und keine marketingmĂ€ssig inkompatiblen Waren anfĂŒhrte – erstellt werden.

Das zweite Beispiel «WILD HEERBRUGG» (HGer BE vom 8. Februar 2018, HG 13 20; BGer vom 28. November 2018, 4A_234/2018) behandelte die gleichnamige historische Marke. Die (Wider-)KlĂ€gerin, eine österreichische Gesellschaft und das Überbleibsel einer frĂŒheren Konzernstruktur, welche «WILD ELECTRONICS» benutzte, stand einem deutschen Rechtsanwalt als (Wider-)Beklagten gegenĂŒber. Letzterer vertrat mit einem Start-up das Umfeld der ehemaligen «WILD HEERBRUGG». Vorangegangen waren diverse Streitigkeiten mit anderen Gesellschaften des ehemaligen Konzerns. Der vorliegende Ausgangspunkt bildete eine Hauptklage auf Löschung wegen Nichtgebrauchs. Das HGer erkannte insb. keine Gebrauchsabsicht in den Indizien um die bloss erste (einzig relevante) «WILD HEERBRUGG»-Marke der Beklagten, deren fehlender GeschĂ€ftstĂ€tigkeit und Markenstruktur sowie den fehlenden Bezug des (angeblichen) Projekts zur Schweiz. Dagegen konnte die Marke nur fĂŒr Produkte mit Schweizer Herkunft eingetragen werden, wobei ein Wechsel des Produktionsstandorts nicht glaubhaft gemacht werden konnte. Das programmatische Vorgehen der Beklagten um die gezielte und wiederholte Eintragung von Marken mit Bestandteilen Marken Dritter stellte ein weiteres Gegenindiz einer Gebrauchsabsicht dar. Dazu trat das prozessuale Verhalten, wobei Belege erst nach der Hauptverhandlung nachgereicht wurden und die BezĂŒge zur Schweiz unsubstantiiert blieben.

Ein anderes Bild hinsichtlich des Gebrauchs und der Absichten zeigte sich in «Winkelzeichen» (HGer BE vom 7. Februar 2022, HG 21 10; BGer vom 8. September 2022, 4A_227/2022). Die KlĂ€gerin, eine Herstellerin von Motorfahrzeugen, stand der Beklagten, einer Herstellerin/Vertreiberin von chemischen resp. chemisch-technischen Erzeugnissen (Werkstoffe, u.a. fĂŒr den Fahrzeugbau), gegenĂŒber. Eine Markeneintragung erfolgte fĂŒr diverse Klassen und im Rahmen eines 22 Seiten starken und 4 000 Produkte umfassenden Waren- und Dienstleistungsverzeichnisses. Dabei war die Gebrauchsabsicht in den Klassen 1 und 35 unbestritten. Die Markeninhaberin erbrachte eine breite Rechtfertigung, u.a. mit BeschaffungsaktivitĂ€ten innerhalb des internationalen Konzerns, einem in der Summe zehnstelligen Jahresumsatz aus dem Vertrieb verschiedener Produkte sowie tradierten Beziehungen zur Automobilindustrie. Im Fazit ergaben diese eine Absicherung einer geschĂ€ftlich naheliegenden Entwicklung der Markeninhaberin. Das HGer erkannte in seiner GesamtwĂŒrdigung, dass zwar eine InkompatibilitĂ€t des Waren- und Dienstleistungsverzeichnisses ein wichtiges Indiz darstellt, eine grundsĂ€tzlich breite Ausgestaltung dafĂŒr jedoch noch keinen Missbrauch begrĂŒndet. In seiner GesamtwĂŒrdigung beschrĂ€nkte das Gericht die Mitwirkungspflicht auf die Klasse 12. Innerhalb dieser Klasse erachtete es die Rechtfertigung der Markeninhaberin als weitgehend unbestritten und die Gebrauchsabsicht als glaubhaft erstellt.

Im vierten und letzten Beispiel «Yello» (HGer ZH vom 27. April 2011, HG090164; BGer vom 23. Februar 2012, 4A_429/2011) stand die Sunrise AG als KlĂ€gerin und Markeninhaberin der Schweizer Tochter eines deutschen Energieversorgers als Beklagten gegenĂŒber. WĂ€hrend der Jahre 1994 bis 2002 hinterlegte die Beklagte drei CH- und vier IR-Marken mit dem Bestandteil «Yello». 2005 prĂ€sentierte schliesslich die KlĂ€gerin «Yello», worauf eine Abmahnung und WidersprĂŒche folgten. 2006 wurde die Löschungsklage angestrengt. In seiner Gesamtbeurteilung erkannte das HGer zunĂ€chst marketingmĂ€ssig völlig inkompatible Waren (wie Schmuckwaren, Putzzeug, Bier). GemĂ€ss dem Unternehmensberater der Beklagten war das ausgewiesene Ziel, die weltweite Registrierung in einer Vielzahl von Klassen zu erreichen. Dabei wurde geografisch ĂŒberschiessend (in LĂ€ndern ohne potenziellen Marktzugang) und mit wiederholten Registrierungen vorgegangen. Das Gericht hielt die Rechtfertigungen der Beklagten, wonach eine «territoriale Ausdehnung» angestrebt wurde und «Diversifikationsabsichten» bestanden, fĂŒr zu pauschal sowie den Gebrauch in Deutschland fĂŒr irrelevant.

Staub resĂŒmierte, dass aus diesen vier Beispielen die starke Verhaftung der Zivilprozesse auf der Sachverhaltsebene abgeleitet werden kann. Demnach muss bereits vor der ersten Instanz die Grundlage einer solchen Ausrichtung am Sachverhalt in dem Vorbringen geschaffen werden. Nur so kann der zentralen, beidseitigen Substantiierungsobliegenheit nachgekommen werden. Im Ergebnis findet sich die substantielle Auseinandersetzung zumeist nicht schwergewichtig in den Urteilen des BGer – sondern in den ersten Instanzen.

Im Anschluss widmete sich das Panel, besetzt mit Dr. Matthias Leemann (Gerichtsschreiber BGer, Lausanne), Schwander und Gasser, weiter der BösglĂ€ubigkeit im Zivilprozess. Leemann stellte fest, dass, auch wenn die Absicht schwer herzustellen ist, doch das allgemeine Beweismass des Zivilprozesses gilt. Ritscher bemerkte, dass das DesG ausdrĂŒcklich die Vermutung der GĂŒltigkeit des hinterlegten Designs als Ausgangspunkt einer Begutachtung kennt – das steht im MSchG so nicht. Weiter ist nach der Beweiskraft des Markenregisters zu fragen. Eine andere Frage stellt darauf ab, ob in der Benutzungsschonfrist und Gebrauchsabsicht eine Analogie zum Nichtgebrauch liegt. Zumindest im deutschen Recht herrscht eine klare PrĂ€ferenz zur Wahrung der Benutzungsschonfrist durch den Gesetzgeber vor. Die Diskussionspunkte und diverse Wortmeldungen aus dem Publikum fĂŒhrten schliesslich an die allgemeine Frage nach dem Sinn und Zweck des Markenrechts heran. Ausgelöst wurden diese grundsĂ€tzlichen Gedanken wiederum durch die Herausforderungen der BeweisfĂŒhrung und Erkenntnis. Die fehlende Gebrauchsabsicht könnte nach einigen Stimmen als Tatbestandsmerkmal herangezogen werden, welches potenziell zur Nichtigkeit fĂŒhrt. Ihr könnte damit eine Ă€hnliche Rolle wie die eines absoluten Ausschlussgrundes zukommen. Schwander berichtet schliesslich auf die Nachfrage hin, ob in den Zivilprozessen standardmĂ€ssig Parteibefragungen durchgefĂŒhrt werden sollten, dass nach der bisherigen Erfahrung oft Urkunden in der Gerichtspraxis entscheidende Beweise enthalten.

Damit neigte sich der letzte Programmpunkt des Tages dem Ende zu und die Teilnehmenden fĂŒhrten ihre angeregten Diskussionen weiter am Aperitif im KrĂ€utergarten der Kartause sowie beim anschliessenden Abendessen.

V. BösglÀubigkeit im deutschen und unionsrechtlich vereinheitlichten Kennzeichenrecht

Der zweite Workshoptag öffnete den Blick der Teilnehmenden ĂŒber das schweizerische Recht hinaus und wurde durch den Vortrag von Dr. Anke Nordemann (RechtsanwĂ€ltin, Berlin) geprĂ€gt. In einem ersten Teil verschaffte sie den Teilnehmenden zunĂ€chst einen Überblick ĂŒber die Konzeption der BösglĂ€ubigkeit im deutschen Recht sowie dem Recht der EU. Der EuGH definiert die BösglĂ€ubigkeit sehr abstrakt – viel abstrakter als die in den vorangegangenen VortrĂ€gen gehörten AnsĂ€tzen. Die BösglĂ€ubigkeit auf den Grundlagen der vorliegenden abstrakten Kriterien des EuGH hat einen sehr stark normativen Charakter. Diese Definition, das Schaffen oder Nutzen einer markenrechtlichen Rechtsposition, kann dabei zwei Absichten verfolgen: Erstens, in einer der Redlichkeit widersprechenden Weise Drittinteressen zu schaden. Zweitens kann die Absicht auch darin bestehen, die Marke auch ohne Bezug zu einem konkreten Dritten zu anderen als zu den zur Funktion einer Marke gehörenden Zwecken zu nutzen (siehe EuG vom 21. April 2021, T-663/19, «MONOPOLY»).

In diesen DefinitionsansĂ€tzen erkannte Nordemann Parallelen zu bereits geteilten Thesen zum Schweizer Recht. Auch im Unionsmarkenrecht ist die BösglĂ€ubigkeit ein stark lauterkeitsrechtlich geprĂ€gter Begriff. Die Vortragende erkannte darin insb. die Notwendigkeit eines Auswegs, da eben kein Vor- und WeiterbenĂŒtzungsrecht bestand. Auch im Unionsmarkenrecht ist die BösglĂ€ubigkeit stets im Gesamtbild unter Einbezug aller UmstĂ€nde zu betrachten (siehe EuGH vom 29. Januar 2020, C-371/18, Rn. 73, «Sky/Skykick»).

Insbesondere ist die BösglĂ€ubigkeit im Unionsmarkenrecht jedoch einheitlich auszulegen. Das ist insofern bemerkenswert, dass auch eine Auslegung durch die höchsten Gerichte der Mitgliedstaaten denkbar gewesen wĂ€re. Zur Auslegung sind in der Praxis des EuGH alle UmstĂ€nde des Einzelfalls relevant. Zu beachten ist dabei, dass aus objektiven UmstĂ€nden ohne Weiteres auf ein subjektives Kriterium geschlossen werden kann – geprĂ€gt als: «dishonest intention or other sinister motive» (siehe EuG vom 21. April 2021, T-663/19, Rn. 40 f., «MONOPOLY»).

Ganz anders zeigt sich die Situation hingegen bei nichteingetragenen Marken, Unternehmenskennzeichen, GeschĂ€ftsabzeichen und Titel. Diese ĂŒbrigen Bereiche des Kennzeichenrechts sind unionsrechtlich nicht harmonisiert. In Deutschland sind vor allem die durch Benutzung entstehenden Rechte relevant (z.B. bei Reservierung kennzeichenverletzender Domains) – wobei Lösungen insb. ĂŒber § 4 Nr. 4 DE-UWG hergeleitet werden können. Vor diesem Hintergrund definiert sich die BösglĂ€ubigkeit gerade anders bei einer vorsĂ€tzlichen Verletzung der Markenrechte.

Darauf folgte ein Überblick ĂŒber die gesetzlichen Grundlagen, wobei die europĂ€ische Markenrechtsrichtlinie (MRRL) als Einstieg diente. Art. 4 (2) MRRL 2015 enthĂ€lt zum einen die bösglĂ€ubige Anmeldung als absoluten Nichtigkeitsgrund, zum anderen die Option, die BösglĂ€ubigkeit fakultativ als absolutes Eintragungshindernis zu kategorisieren. In Deutschland wurde dieser Option mit § 8 Abs. 2 Nr. 14 DE-MarkenG entsprochen (§ 37 Abs. 3 DE-MarkenG).

Der zweite Teil von Nordemanns PrĂ€sentation war den Fallgruppen der BösglĂ€ubigkeit gewidmet. Die des EuGH teilen sich im Wesentlichen in die Gruppe der Anmeldungen mit SchĂ€digungsabsicht zu Lasten Dritter sowie die Gruppe, welche ĂŒber keine solche Absicht verfĂŒgt, jedoch auf die BegrĂŒndung einer Rechtsposition mit markenfunktionsfremden Absichten zielt. Der EuGH erachtet dabei ein «wesentliches Motiv» jeweils als ausreichend zur BegrĂŒndung der BösglĂ€ubigkeit. Weiter genĂŒgt das blosse Betroffensein eines Teils der Waren und Dienstleistungen, womit die Beurteilung der BösglĂ€ubigkeit nicht fĂŒr die gesamte Marke erfolgen muss. Weiter ist in der Begutachtung namentlich die unternehmerische Logik relevant (siehe EuG vom 21. April 2021, T-663/19, Rn. 38, «MONOPOLY»; EuG vom 7. September 2022, T-627/21, Rn. 28, «Monsoon»).

Aus Sicht der deutschen Rechtsprechung prĂ€sentierte Nordemann drei Fallgruppen vertieft, wobei nach (bloss terminologischer) Abgrenzung die Gruppe missbrĂ€uchlicher Verfahren hinzukommt. Zu beachten ist, dass diese Auswahl nicht abschliessend ist (siehe z.B. die Markenerschleichung) und gleichzeitig besondere UmstĂ€nde wie z.B. § 4 Nr. 4 DE-UWG die Unlauterkeit begrĂŒnden können. Im Vergleich zum Schweizer Recht zeigen sich einige Abweichungen. So kennt das deutsche Markenrecht, gleich wie das Recht der EU, kein VorbenĂŒtzungsrecht (EuGH vom 27. Juni 2013, C-320/12, Rn. 37, «Malaysia Dairy»). Das hat u.a. Konsequenzen in den Fallgruppen:

1. In der Fallgruppe der Anmeldung zur SchĂ€digung konkreter Dritter begrĂŒndet bspw. die alleinige Anmeldung einer Marke, die eine Dritte schon benutzt, fĂŒr sich genommen keine BösglĂ€ubigkeit. Vielmehr bedarf es zur Annahme der BösglĂ€ubigkeit neben der Benutzung der Marke durch Dritte auch deren Ziels, den schutzwĂŒrdigen Besitzstand der Markeninhaberin zu stören (siehe DE-BPatG vom 18. August 2020, 29 W (pat) 45/17, «HASSIA»; EuG vom 22. MĂ€rz 2023, T-366/21, Rn. 34 ff., «COINBASE»). Hier besteht wiederum ein merklicher Unterschied zum Schweizer Recht: eigener Benutzungswille ist nach abstrakter Definition des EuGH nicht allein relevant – sondern allenfalls ein einzelner Faktor (siehe z.B. DE-BPatG vom 29. November 2016, 24 W (pat) 56/14 Rn. 31, «JOHNY WEE»). Zudem ist in Deutschland der Zeitpunkt der Anmeldung allein entscheidend (z.B. EuGH vom 12. September 2019, C-104/18 P, «STYLO & KOTON»), was sich indirekt auch aus § 50 Abs. 2 S. 1 DE-MarkenG ergibt. Ein sachlicher Grund bei der Anmeldung zur Absicherung der eigenen Benutzung hat also (auch) defensiven Charakter (z.B. DE-BPatG vom 19. August 2022, 25 W (pat) 29/20, «TSCHEDRO»).

Die Wiederbenutzung historischer Marken durch die ursprĂŒnglichen Inhaber oder deren Rechtsnachfolger muss «grundsĂ€tzlich konkret bevorstehen», womit das deutsche Recht Spekulations- resp. Hinterlegungsmarken sowie die Markenusurpation als widerrechtliche Inbesitznahme adressiert (siehe BPatG vom 14. Oktober 2019, 27 W (pat) 45/17, «CAUGHT IN THE ACT»; EuGH vom 22. Oktober 2020, C-720/19, «TESTAROSSA»). Andere Untergruppen richten sich auf die aktuelle Benutzung der Marke im Ausland bei Absicht des Anmelders, das Produkt nachzuahmen. Anders als bei den historischen Marken besteht hier eine konkrete Benutzungsabsicht – die blosse Kenntnis der Nutzung im Ausland ist nicht ausreichend (siehe LG MĂŒnchen I vom 1. Juni 2021, 33 O 12734/19, «BUTTERFINGER»).

2. In der Fallgruppe der Anmeldung zu markenfremden Zwecken sind zunĂ€chst Wiederholungsmarken relevant, bei welchen die Anmeldung zur Umgehung der Regeln zur rechtserhaltenden Benutzung bösglĂ€ubig sein kann. Auch in Deutschland erfolgt eine EinzelprĂŒfung des Waren- und Dienstleistungsverzeichnisses (siehe EuG vom 21. April 2021, T-663/19 Rn. 49 ff., 69 ff., «MONOPOLY»). Weiter relevant sind Sperrmarken (siehe vorne Gasser, III.3.), wobei die BösglĂ€ubigkeit dabei objektiv wahrscheinlich sein kann, wenn eine entsprechende Absicht zur Sperrung gegenĂŒber Dritten Teil einer Anmeldestrategie ist (EuGH vom 29. Januar 2020, C-371/18, «Sky/SkyKick»). Eine solche Begutachtung erfordert die PrĂŒfung der einzelnen Waren und Dienstleistungen (EuGH vom 29. Januar 2020, C-371/18, «Sky/SkyKick», Rn. 80 f.). Nicht bösglĂ€ubig sind im Kontext markenfremder Zwecke dagegen die Vorratsmarken (siehe vorne Gasser, III.9.), da auch in Deutschland die Benutzungsschonfrist die BösglĂ€ubigkeit verhindert. Auch nicht bösglĂ€ubig sind aus deutscher Warte Hinterlegerinnen von Negativmarken, fĂŒr welche die Anmeldungen in Erwartung der ZurĂŒckweisung ausgelöst werden (siehe vorne Gasser, III.8.).

3. FĂŒr die Fallgruppe der missbrĂ€uchlichen Verfahren kann als Grundsatz festgehalten werden, dass die Einleitung gesetzlich vorgesehener Verfahren nur unter besonderen UmstĂ€nden missbrĂ€uchlich sein kann. Das kann zum einen dann gegeben sein, wenn das Ziel der Regelung objektiv verfehlt und subjektiv ein nicht gerechtfertigter Vorteil angestrebt wird (siehe zum eigens unionsrechtlichen Grundsatz: EuGH vom 28. Juli 2016, C-423/15 Rn. 37 ff., «Kratzer»). Zum anderen kann ein Löschungsantrag namentlich dann missbrĂ€uchlich sein, wenn ein solcher offensichtlich gestellt wird, um die Aufgabe einer Marke zu erzwingen – und den Verhandlungsdruck weiter zu erhöhen.

Nordemann schloss ihren Vortrag mit drei Thesen zu den missbrĂ€uchlichen Verfahren. Sie fragte erstens danach, ob die Ausgestaltung und Handhabung der Regelung des Verfalls wegen Nichtbenutzung missbrĂ€uchliche AntrĂ€ge fördern. Zweitens erwog sie, ob die rechtserhaltende Benutzung generell grosszĂŒgiger gedacht werden sollte. Schliesslich fragte auch sie, ob die BösglĂ€ubigkeit bei der PrĂŒfung mitgedacht werden sollte (vgl. vorne III., dazu Pfister).

FĂŒr die Diskussion zum Schluss des Workshops war das Panel mit Prof. Dr. Alexander von MĂŒhlendahl (Rechtsanwalt, MĂŒnchen), Dr. Senta Bingener (DPMA Deutsches Patent- und Markenamt, MĂŒnchen) und Ritscher besetzt. Bingener stellte zunĂ€chst fest, dass die Begrifflichkeit der RechtsmissbrĂ€uchlichkeit und der BösglĂ€ubigkeit ĂŒber einen moralinen Aspekt verfĂŒgt. Deren Anrufung bedeutet eine entsprechende Signalwirkung. Danach ging Bingener auf das DPMA-Konvergenzprojekt zur Rechtsvereinheitlichung («CP 13 BösglĂ€ubigkeit bei Markenanmeldungen») ein, welches die sehr unterschiedlichen traditionellen PrĂ€gungen der BösglĂ€ubigkeit im Markenrecht aufzeigen wird. Unterschiede sind insb. betreffend die Wiederholungsmarken ausgeprĂ€gt, welchen die Umgehung des Gebrauchserfordernisses oder der Obliegenheit zur Vorlage von Markengebrauchsbelegen zugrunde liegt (siehe vorne Gasser, III.2.). GemĂ€ss Bingener umfasst eine so motivierte Hinterlegungspraxis ein Element, welches nicht von den eigentlichen Markenfunktionen geprĂ€gt ist. Auf Seite der mit der PrĂŒfung befassten Behörden sind die Mitarbeitenden indes nicht mit Marketingkonzepten und damit verbundenen Motiven wirtschaftlicher Sinnhaftigkeit vertraut. Von MĂŒhlendahl bemerkt, dass das Konvergenzprojekt CP13 des Netzwerks der EuropĂ€ischen Union fĂŒr geistiges Eigentum (EUIPN) eine rund 28-seitige Reform des europĂ€ischen Verwaltungsrechts bedeutet, welche durch den EUIPO-Verwaltungsrat zu verabschieden ist. Diskrepanzen liegen gemĂ€ss Bingener zudem in der kontroversen EU-Lösung zur Einordnung virtueller Waren im sog. Metaverse in Klasse 9.

Bingener resĂŒmierte, dass die BösglĂ€ubigkeit ĂŒberhaupt nur zu zwei Zeitpunkten geprĂŒft werden kann: im Anmeldeverfahren sowie im Rahmen einer Nichtigkeitsklage. Im Anmeldeverfahren kann Strategien mit breiten Anmeldungen nicht ohne Weiteres BösglĂ€ubigkeit unterstellt werden. Anders fĂ€llt die Beurteilung bei einem Abstellen auf bekannte Begriffe und Marken aus. In Deutschland stehen jĂ€hrlich bloss rund 80 FĂ€lle von BösglĂ€ubigkeit bei Marken rund 70 000 Anmeldungen entgegen. Das liegt laut Bingener u.a. in den nach wie vor viel zahlreicheren Einzelanmelderinnen – im Vergleich zu Grossunternehmen – mit jeweils eigenen (beschrĂ€nkten) Handlungsperspektiven begrĂŒndet.

Mit diversen Beteiligungen des Publikums wurde schliesslich diskutiert, inwiefern eine Aneignung von Kennzeichen ohne Eigenleistung im System des Kennzeichenrechts gefördert werden sollte. WÀhrend eine kritische Stimme in solcher Aneignung einen globalen Trend erkennt, sieht eine andere Stimme die Grenzen zum Konzept des weiterbestehenden (residual) Goodwills weniger klar gezeichnet. Weitere Anmerkungen betrafen die Einordnung dieser Praktiken als Wertungsfrage sowie die mögliche Tendenz zur Emotionalisierung und Moralisierung. Nach letzter Meinung sollte sich eine rechtliche Begutachtung im Sinne eines möglichst objektiven Vorgehens, wo immer möglich, von Wertungen lösen.

Die letzten Wortmeldungen erkannten zentrale Abgrenzungsfragen – und gelegentliche Kollisionen – der BösglĂ€ubigkeit im Kennzeichen- mit jener im Designschutz. Das erinnerte wiederum an die ersten BeitrĂ€ge des Workshops (siehe vorne I., II.), welche die BösglĂ€ubigkeit ĂŒber das Markenrecht hinaus als Grundbegriff des Zivil- und ImmaterialgĂŒterrechts verbanden. Damit war der thematische Bogen gespannt. Die zahlreichen, wĂ€hrend des abschliessenden Mittagessens gefĂŒhrten, angeregten Diskussionen weckten Vorfreude auf den kommenden Workshop am 29.–30. August 2024, welcher die Erschöpfung im Kennzeichenrecht behandeln wird.