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Berichte / Rapports

«Massenwerbung»

Entscheid der Schweizerischen Lauterkeitskommission (SLKE) vom 17. MĂ€rz 2021 (I. Kammer)

Mitgeteilt von Mischa Senn, Prof. Dr. iur., Fachexperte und VizeprĂ€sident der SLK, ZĂŒrich.

UWG 3 I o (Massenwerbung). Die SLK beurteilt ihr unterbreitete kommerzielle Kommunikationen unabhÀngig und frei; insbesondere kann sie eine Sache frei beurteilen, welche zuvor Gegenstand eines Strafverfahrens war (E. 5).

Hinsichtlich der Umschreibung von Massenwerbung als «Werbung, die automatisiert, d.h. ohne massgeblichen menschlichen Aufwand, erfolgt», ist die Automatisierung des Versands entscheidend. Erfasst wird demnach auch der einmalige automatisierte Versand einer geringen Anzahl von E-Mails. Ein Versand fĂ€llt des Weiteren auch dann unter den Begriff «Massenwerbung», wenn die Werbesendung zwar individualisiert ist, etwa durch eine persönliche Anrede, diese Individualisierung aber automatisiert erfolgt (E. 7).​1

LCD 3 I o (PublicitĂ© de masse).La CCS Ă©value les communications commerciales qui lui sont soumises librement et de maniĂšre indĂ©pendante; elle peut en particulier Ă©valuer librement un cas ayant fait antĂ©rieurement l’objet d’une procĂ©dure pĂ©nale (consid. 5).

S’agissant de la dĂ©finition de publicitĂ© de masse en tant que «publicitĂ© rĂ©alisĂ©e de maniĂšre automatisĂ©e, c’est-Ă -dire sans intervention humaine considĂ©rable», le caractĂšre automatisĂ© de l’envoi est dĂ©terminant. Par consĂ©quent, l’envoi automatisĂ© unique d’un nombre restreint de courriels rĂ©pond Ă©galement Ă  cette dĂ©finition. En outre, un envoi relĂšve Ă©galement de la notion de «publicitĂ© de masse» s’il est certes personnalisĂ© (par ex. au moyen d’une formule personnelle), mais que cette personnalisation est effectuĂ©e de maniĂšre automatisĂ©e (consid. 7)​2.

Der BeschwerdefĂŒhrer erhielt von der Beschwerdegegnerin wiederholt E-Mail-Werbung und beklagte sich bei dieser darĂŒber. Da er mit der Antwort der Beschwerdegegnerin nicht zufrieden war, erhob er Ende November 2020 Beschwerde bei der SLK. VorgĂ€ngig reichte er gegen die Beschwerdegegnerin eine Strafanzeige basierend auf Art. 23 UWG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 lit. o UWG ein. Die erstbehandelnde III. Kammer des SLK sistierte das Beschwerdeverfahren, da das Strafverfahren noch hĂ€ngig war. Nachdem die SLK von der NichtanhandnahmeverfĂŒgung der Staatsanwaltschaft Kenntnis erhielt, wurde der Fall der nĂ€chst-tagenden I. Kammer ĂŒberwiesen. Diese hat die Beschwerde gutgeheissen und der Beschwerdegegnerin empfohlen, dem BeschwerdefĂŒhrer keine Werbe-E-Mails mehr zuzusenden.

ErwÀgungen der I. Kammer:

1.

Der BeschwerdefĂŒhrer macht geltend, dass er wiederholt und trotz fehlender Zustimmung E-Mail-Werbung von der Beschwerdegegnerin erhalte, welche nicht den Vorgaben von Art. 3 Abs. 1 lit. o des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) entspreche.

2.

Die Beschwerdegegnerin macht geltend, dass sie die E-Mail-Adresse des BeschwerdefĂŒhrers öffentlich im Internet gefunden habe. Es habe sich um einzelne E-Mails an den BeschwerdefĂŒhrer gehandelt, weil er aufgrund seiner TĂ€tigkeit im Bereich PC-Support ein Interesse an einer Zusammenarbeit haben könnte. Es sei in der Sache auch ein Strafverfahren hĂ€ngig, das Urteil stehe noch aus.

3.

Da in der vorliegenden Sache ein Strafverfahren war, wurde das Verfahren mit Beschluss der Dritten Kammer vom 20. Januar 2021 sistiert (Art. 16 Abs. 2 des GeschÀftsreglements der Lauterkeitskommission), bis ein rechtskrÀftiger Entscheid der Strafbehörden vorliegt.

4.

In der Zwischenzeit wurde eine NichtanhandnahmeverfĂŒgung der Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau vom 6. Januar 2021 rechtskrĂ€ftig.

5.

Einleitend ist festzuhalten, dass die Lauterkeitskommission ihr unterbreitete Massnahmen der kommerziellen Kommunikation unabhĂ€ngig und frei beurteilt. Insbesondere kann die Lauterkeitskommission eine Sache frei beurteilen, welche zuvor Gegenstand eines Strafverfahrens war, das ohne materiellen Entscheid erledigt wurde. Die von der Beschwerdegegnerin vorgelegte NichtanhandnahmeverfĂŒgung hindert die Lauterkeitskommission daher nicht, auf die Beschwerde einzutreten und die Angelegenheit materiell zu beurteilen.

6.

GemĂ€ss Art. 3 Abs. 1 lit. o UWG handelt unlauter, wer Massenwerbung ohne direkten Zusammenhang mit einem angeforderten Inhalt fernmeldetechnisch sendet oder solche Sendungen veranlasst und es dabei unterlĂ€sst, vorher die Einwilligung der Kunden einzuholen, den korrekten Absender anzugeben oder auf eine problemlose und kostenlose Ablehnungsmöglichkeit hinzuweisen. Die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau verneinte in ihrer EinstellungsverfĂŒgung vom 6. Januar 2021 das Vorliegen des Tatbestandselements «Massenwerbung» mit folgender BegrĂŒndung (E. B.1): «AnlĂ€sslich der polizeilichen Einvernahme gab der Beschuldigte zu Protokoll, die beiden fraglichen E-Mails an ungefĂ€hr 50 EmpfĂ€nger versendet zu haben. Die entsprechenden E-Mail-Adressen habe er gefunden, indem er in Branchenverzeichnissen gezielt nach möglicherweise interessierten Unternehmen gesucht habe. (
) Angesichts der geringen Anzahl EmpfĂ€nger scheint der Beschuldigte einen relativ grossen menschlichen Aufwand getĂ€tigt zu haben, um die fraglichen Werbesendungen an potentielle Kunden zu schicken. Damit liegt keine Massenwerbung vor.»

7.

Die Botschaft zur Revision des Fernmeldegesetzes FMG, im Rahmen derer auch die vorliegende UWG-Bestimmung erlassen wurde, umschreibt den Begriff der «Massenwerbung» wie folgt (Botschaft FMG 2003, 7991): «Massenwerbung wird als Werbung umschrieben, die automatisiert erfolgt, d.h. ohne massgeblichen menschlichen Aufwand.». Dieser auch in der Lehre weitgehend aufgenommene «qualitative Ansatz» knĂŒpft demnach an den Vorgang des Versandes der Werbebotschaft an (vgl. z.B. D. Vasella, in: R. Heizmann/L. D. Loacker [Hg.], UWG. Kommentar zum Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, ZĂŒrich 2018, UWG 3 I o N 16 f.). Hingegen ergibt sich weder aus dem Wortlaut des Gesetzes, dem Zweck der Bestimmung noch aus den Materialien, dass der Begriff der «Massenwerbung» an einen allfĂ€lligen menschlichen Aufwand beim Sammeln der EmpfĂ€ngeradressen geknĂŒpft ist. Entscheidend ist alleine die Automatisierung des nachfolgenden Versands. Erfasst wird demnach auch der einmalige automatisierte Versand einer geringen Anzahl von E-Mails, nicht aber der Versand von E-Mails, der «von Hand» erfolgt (Vasella, UWG 3 I o N 17). Ein Versand fĂ€llt schliesslich auch dann unter den Begriff «Massenwerbung», wenn die Werbesendung zwar individualisiert ist, etwa durch eine persönliche Anrede, diese Individualisierung aber automatisiert erfolgt (vgl. C. Oetiker, in: P. Jung/P. Spitz, StĂ€mpflis Handkommentar zum Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), Bern 2016, UWG 3 I o N 10).

8.

In diesem Sinne ist das Tatbestandselement der «Massenwerbung» entgegen der ErwĂ€gungen der zitierten EinstellungsverfĂŒgung der Strafuntersuchungsbehörden erfĂŒllt. Aufgrund der Gestaltung der vorliegenden zwei E-Mail-Werbungen ist glaubhaft, dass der Versand automatisiert erfolgte (z.B. unpersönliche Ansprache verbunden mit allgemeinen, unpersönlichen Inhalten und Botschaften). Aus den Beschwerde-Akten und der NichteinstellungsverfĂŒgung der Strafuntersuchungsbehörden ergeben sich ebenfalls keine widersprechenden Anhaltspunkte. Unbestritten ist zudem, dass die Beschwerdegegnerin vom BeschwerdefĂŒhrer keine vorgĂ€ngige Einwilligung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. o UWG einholte und dass zwischen den Parteien kein KundenverhĂ€ltnis bestand. Der Tatbestand der unlauteren Werbung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. o UWG ist damit ebenfalls erfĂŒllt und die Beschwerde ist gutzuheissen.

Fussnoten:

1

Die LeitsÀtze und die Sachverhaltsdarstellung sind nicht Bestandteil des offiziellen Entscheides; sie stammen vom Berichterstatter.

2

Les principes gĂ©nĂ©raux et l’exposĂ© des faits ne font pas partie de la dĂ©cision officielle, mais proviennent du rapporteur.