«gratis»
Entscheid der Schweizerischen Lauterkeitskommission (SLKE) vom 23. MĂ€rz 2022 (I. Kammer)
Mitgeteilt von Mischa Senn,
Prof. Dr. iur., Fachexperte und VizeprÀsident der SLK.
ICC-Kodex 10 (Gebrauch von «gratis/kostenlos»).
Der Begriff «gratis» sollte in der kommerziellen Kommunikation nur verwendet werden, wenn die einzige Verpflichtung in der Zahlung von Versandkosten besteht, die nicht ĂŒber die dem Anbieter schĂ€tzungsweise entstandenen Kosten hinausgehen. Wird ein Mindermengenzuschlag berechnet, aber in der Werbung darauf nicht hingewiesen, liegt in einer Aussage wie «Nur 6.90 Fr. â Gratis mit A-Post» eine unlautere Werbung vor (E. 4).â1
Code ICC 10 (utilisation de «gratuit»).
Dans la communication commerciale, le terme «gratuit» doit uniquement ĂȘtre utilisĂ© lorsque lâunique obligation est le paiement de frais dâexpĂ©dition pour un montant nâexcĂ©dant pas les coĂ»ts estimĂ©s encourus par lâoffrant, auteur de la communication. Si un supplĂ©ment pour petites quantitĂ©s est facturĂ©, mais que la publicitĂ© nâen fait pas mention, une affirmation telle que «Seulement CHF 6,90 â gratuit en courrier A» constitue une publicitĂ© dĂ©loyale (consid. 4).â2
Auf einem Facebook-Inserat wurde eine Werbung mit der Aussage «Nur 6.90 Fr. â Gratis mit A-Post» geschaltet. Der BeschwerdefĂŒhrer rĂŒgte diese Werbung, da kein Hinweis auf einen Mindermengenzuschlag gemacht worden sei. Die Beschwerdegegnerin bestreitet nicht, dass dieser Hinweis gefehlt habe, stellt sich jedoch auf den Standpunkt, dass dies eine gĂ€ngige Werbepraxis bei kleinen Produktepreisen sei.
Die I. Kammer der SLK heisst die Beschwerde teilweise gut. Der Beschwerdegegnerin wird empfohlen, in ihrer kommerziellen Kommunikation Klarheit ĂŒber die fĂŒr den Besteller entstehenden Kosten zu schaffen und insbesondere den Begriff «gratis» nicht zu verwenden, wenn ein Mindermengenzuschlag geleistet werden muss. Im Ăbrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
1.
Der BeschwerdefĂŒhrer macht geltend, dass die im beanstandeten Facebook-Inserat gemachte Aussage «Nur 6.90 Fr. â Gratis mit A-Post» falsch sei, da bei einem Bestellwert von weniger als Fr. 14.95 ein Mindermengenzuschlag von Fr. 4.90 aufgerechnet werde. Der Mindermengenzuschlag werde lediglich im sogenannten Hilfebereich des HĂ€ndlers erwĂ€hnt, nicht aber in der Werbung. Der Artikel könne nur fĂŒr den angegebenen Preis erworben werden, wenn man davon mindestens drei Verkaufseinheiten bestelle. Der BeschwerdefĂŒhrer macht ĂŒberdies eine Verletzung der Firmengebrauchspflicht geltend.
2.
Die Beschwerdegegnerin fĂŒhrt aus, dass keine Verletzung der Firmengebrauchspflicht vorliege, da das Impressum auf der deutlich verlinkten Webseite einfach auffindbar sei. In Bezug auf den Mindermengenzuschlag rĂ€umt die Beschwerdegegnerin ein, dass dieser in der Werbung nicht erwĂ€hnt werde. Dies sei jedoch eine gĂ€ngige Werbepraxis, da der Mindermengenzuschlag bei einem durchschnittlichen Warenkorbwert von ĂŒber Fr. 40.â nur fĂŒr die Minderheit der Bestellungen relevant sei. Ebenso sei es gĂ€ngig, dass der Mindermengenzuschlag erst beim Checkoutvorgang ausgewiesen werde. Es sei gerechtfertigt, die Beschreibung «Gratis mit A-Post» zu erwĂ€hnen, da das Produkt fĂŒr den angegebenen Preis mit kostenlosem Versand erhĂ€ltlich sei, entweder unter Inkaufnahme des Mindermengenzuschlags oder durch den zusĂ€tzlichen Kauf von gleichen oder anderen Artikeln.
3.
Die Lauterkeitskommission vermag keine Verletzung der Firmengebrauchspflicht zu erkennen. Es liegt weder ein Verstoss gegen Art. 326ter StGB noch gegen den Grundsatz Nr. B.10 der Lauterkeitskommission vor. FĂŒr den Durchschnittsadressaten ist die vollstĂ€ndige und unverĂ€nderte, im Handelsregister eingetragene Firma der Beschwerdegegnerin auf deren Webseite leicht und schnell auffindbar. Durch die direkte Verlinkung vom Facebook-Inserat auf die Webseite und aufgrund der Tatsache, dass ein Vertragsabschluss erst auf der Webseite der Beschwerdegegnerin erfolgt, ist keine Angabe der Firma im Facebook-Inserat erforderlich. DiesbezĂŒglich ist die Beschwerde abzuweisen.
4.
Im Ăbrigen ist die Beschwerde jedoch gutzuheissen. FĂŒr den Durchschnittsadressaten wird durch das beanstandete Inserat mit der Aussage «Nur 6.90 Fr. â Gratis mit A-Post» der falsche Eindruck erweckt, das Produkt sei fĂŒr den angegebenen Betrag und ohne Versandkosten erhĂ€ltlich. GemĂ€ss Art. 10 ICC-Kodex (Richtlinien der Internationalen Handelskammer zur Praxis der Werbe- und Marketingkommunikation) ist bei der Verwendung von Begriffen wie «gratis» oder «kostenlos» besondere Vorsicht geboten. «Gratis» sollte in der kommerziellen Kommunikation nur verwendet werden, wenn das Angebot tatsĂ€chlich keine Verpflichtung beinhaltet oder wenn die einzige Verpflichtung in der Zahlung von Versandkosten besteht, die nicht ĂŒber die dem Anbieter schĂ€tzungsweise entstandenen Kosten hinausgehen; oder wenn in Verbindung mit dem Kauf eines anderen Produktes der Preis eben dieses Produktes nicht erhöht wurde, um die Kosten oder einen Teil der Kosten fĂŒr das Angebot abzudecken. Vorliegend ist der Mindermengenzuschlag eine Verpflichtung, die der Besteller ĂŒbernehmen muss, damit er das Produkt zu den Konditionen gemĂ€ss beanstandetem Inserat erhĂ€lt. Durch den Begriff «Gratis» und aufgrund des fehlenden Hinweises auf einen Mindermengenzuschlag in der beanstandeten kommerziellen Kommunikation, fĂŒhrt dieselbe die Durchschnittsadressaten in Bezug auf die mit einer Bestellung entstehenden Kostenpflichten in die Irre.
Fussnoten:
1 |
Die LeitsÀtze und die Sachverhaltsdarstellung sind nicht Bestandteil des offiziellen Entscheides; sie stammen vom Berichterstatter. |
2 |
Les principes gĂ©nĂ©raux et lâexposĂ© des faits ne font pas partie de lâarrĂȘt officiel, mais proviennent du rapporteur. |