Diese schon seit über zehn Jahren auf dem Zürichberg stattfindende Veranstaltung gilt auch unter den zahlreich teilnehmenden ausländischen Spezialisten als die beste Möglichkeit, sich auf hohem Niveau über die wichtigsten Entwicklungen im europäischen Immaterialgüterrecht zu informieren und auszutauschen. Konzipiert und geleitet wurde sie erneut von Dr. Michael Ritscher, während Dr. Christoph Gasser wiederum für die Organisation zuständig war. Und auch das vorangehende Wochenende im Schnee ist aus dem Kalender von immer mehr Immaterialgüterrechtlern nicht mehr wegzudenken. Wie bereits zuvor, war der Vormittag dem Patent- und der Nachmittag dem übrigen Immaterialgüterrecht gewidmet und es wurden bereits bewährte Referentinnen und Referenten durch neue Namen ergänzt.
Cette manifestation, qui a lieu depuis plus de dix ans déjà au Zürichberg, est considérée par les nombreux spécialistes étrangers qui y ont participé comme la meilleure opportunité de se renseigner et d’échanger des informations de haut niveau sur les principaux développements du droit européen de la propriété intellectuelle. Elle a à nouveau été conçue et dirigée par Dr. Michael Ritscher, tandis que Dr. Christoph Gasser était responsable de l’organisation. Le week-end précédent, qui s’est déroulé dans la neige, est perçu comme un rendez-vous incontournable pour un nombre croissant de spécialistes du droit de la propriété intellectuelle. Comme auparavant, la matinée a été consacrée au droit des brevets et l’après-midi aux autres aspects du droit de la propriété intellectuelle, et de nouveaux noms sont venus s’ajouter aux conférenciers et conférencières qui avaient déjà fait leurs preuves.
Nicole Lilian Jaggi,
MLaw, Zürich.
Michael Meidert,
MLaw, Bern.
Dr. Klaus Grabinski, der erst kürzlich auch zum ersten Präsidenten des UPC-Berufungsgerichts berufen worden war, präsentierte auch dieses Jahr wieder einige Entscheidungen des BGH.
In «Verbundelement» (BGH vom 26. April 2022, X ZR 44/20) ging es um die Auslegung, insbesondere die Bedeutung einer Abgrenzung zum Stand der Technik in der Beschreibung. Das Klagepatent beanspruchte die Herstellung eines Verbundelements unter Einsatz eines PUR(Polyurethan)-Haftvermittlers und eines PIR(Polyisocyanurat)-Verbundsystems. Das Merkmal C im Patentanspruch 1 war der Kern der Erfindung: «Aufbringen von PIR-Reaktionsmischung auf die noch reaktionsfähige Haftvermittlerschicht». Der Patentanspruch selbst enthielt keine konkreten Vorgaben, in welchem Umfang die Haftvermittlerschicht noch reaktionsfähig sein müsse. Der BGH zog daher die Beschreibung bei, laut der die Haftvermittlerschicht noch reaktionsfähig sei, wenn sie noch nicht vollständig ausgehärtet ist. Gemäss der ebenfalls in der Beschreibung erwähnten PCT-Anmeldung (NK5) wird der Haftvermittler kurz vor dem Aufbringen der PIR-Schaummischung ausgehärtet, aber es bleibt unklar in welchem Umfang. Das Streitpatent wolle sich hiervor abgrenzen. Aus NK5 sei nicht zu erkennen, dass die Reaktion nur möglich ist, wenn die Haftvermittlerschicht noch nicht vollständig ausgehärtet ist. Da eine Anregung fehlte, lag das Merkmal C im Streitpatent auch nicht nahe und das Streitpatent erwies sich als rechtsbeständig.
In «CQI-Bericht» (BGH vom 18. Januar 2022, X ZR 14/20) ging es um die öffentliche Zugänglichmachung durch ein Gespräch im Rahmen eines Treffens einer ETSI-Arbeitsgruppe. Laut dem BGH wäre eine Äusserung im Rahmen einer förmlichen Sitzung einer ETSI-Arbeitsgruppe öffentlich. Bei einer Äusserung ausserhalb der Sitzung gegenüber einer begrenzten Zahl von Personen hingegen nicht. Zudem habe keiner der Gesprächsteilnehmer die erwähnten Möglichkeiten als hinreichend ausgearbeitet und durchdacht angesehen, um sie einer Fachöffentlichkeit vorzustellen. Zur Veröffentlichung von Dokumenten auf einem ftp-Server verwies Grabinski auf BGH vom 13. Juli 2021, X ZR 81/19 und BGH vom 3. Mai 2022, X ZR 32/20.
In «Oberflächenbeschichtung» (BGH vom 12. April 2022, X ZR 73/20) ging es um eine angeblich offenkundige Vorbenutzung bei gewerblicher Entwicklungs- und Erprobungstätigkeit. Das Streitpatent betraf ein Verfahren sowie ein Werkzeug zur Vorbereitung einer Produktoberfläche zur Beschichtung. Diesbezüglich wurde eine technische Zeichnung vor dem Prioritätstag im Rahmen eines Forschungsprojekts an ein Tochterunternehmen der Klägerin übersandt. Laut dem BGH ergebe sich hieraus kein öffentliches Zugänglichmachen. Die Kopfzeile des übermittelten Dokuments wies als Absender ein Institut der TU Braunschweig aus und die Zeichnung betraf ein Werkzeug mit zwei handschriftlichen Fragen zur genauen Ausgestaltung des Werkzeugs. Dies spreche dafür, dass es um die Entwicklung eines individuell herzustellenden Werkzeugs ging, welches nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war und ein nicht am Projekt beteiligtes Unternehmen, welches einzelne Teile herstellt, nicht berechtigt sein sollte, Informationen an beliebige Dritte weiterzugeben. Laut BGH sei bei gewerblicher Entwicklungs- und Erprobungsarbeit im Regelfall die öffentliche Zugänglichkeit zu verneinen. Dies gelte auch dann, wenn die Herstellung oder einzelne Herstellungsschritte an Dritte übertragen werden. Abschliessend merkte der BGH noch an, dass Informationen, die nicht unter den Begriff des Geschäftsgeheimnisses nach § 2 Nr. 1 GeschGehG fallen, nicht ohne Weiteres im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 2 PatG der Öffentlichkeit zugänglich sind.
«Procalcitonin-Schwellenwert» (BGH vom 14. Dezember 2021, X ZR 109/19) betraf das Thema der unzulässigen Erweiterung. Gemäss Grabinski sind Verallgemeinerungen ursprünglich offenbarter Ausführungsbeispiele grundsätzlich zulässig. Insbesondere wenn bei einer Ausführung mehrere Merkmale bestünden, aber nur eines oder einzelne Aspekte in den Anspruch aufgenommen worden sind. Das Streitpatent betraf ein Verfahren zur Diagnose von Infektionen der Atemwege und der Lunge mit assoziierter Herzinsuffizienz unter Verwendung des Markers PCT. Fraglich war, ob der im Anspruch aufgeführte PCT-Schwellenwert zwischen 0.03 ng/ml und 0.25 ng/ml in der Anmeldung offenbart wurde. Aus den Figuren in der Anmeldung und der Beschreibung war für eine Diagnose nur ein Bereich zwischen 0.03 ng/ml und 0.06 ng/ml ersichtlich. Dieser Bereich wurde zwar nur als «bevorzugt» bezeichnet, aber andere Bereiche wurden nicht genannt. Bei dem in den Figuren genannten Schwellenwert von 0.25 ng/ml handle es sich lediglich um einen Vergleichswert. Es sei nur zu berücksichtigen, was unmittelbar aus der Offenbarung hervorgeht. Laut BGH könne auch dahinstehen, ob sich aus einer Heranziehung des allgemeinen Fachwissens eine weitergehende Erkenntnis ergebe, denn auch dann würde eine unzulässige Erweiterung vorliegen.
Zur Frage aus dem Publikum zu «Verbundelement», ob nur die Beschreibung für die Ermittlung des Stands der Technik berücksichtigt werde oder auch das Dokument, auf welches die Beschreibung verwies, antwortete Grabinski, dass man auch das Dokument beiziehe, auf welches verwiesen werde. Jedoch sollte dies aus dem Blickwinkel der Beschreibung erfolgen. Stand der Technik, welcher nur auf dem Deckblatt erwähnt würde, sieht Grabinski kritischer und würde hier persönlich zögern, nur das Deckblatt zur Ermittlung des Stands der Technik einzubeziehen. Zur Frage aus dem Publikum zu «CQI-Bericht», warum bei solchen Veranstaltungen nicht geprüft werde, ob eine implizite Geheimhaltungsvereinbarung besteht, antwortete Grabinski, dass bei solchen Zusammenkünften meist von den Organisationen geregelt werde, was geheim sei und was nicht. Die Frage aus dem Publikum zu «Oberflächenbeschichtung», ob Tochterunternehmen in einem Konzern als Dritte betrachtet werden, beantwortete Grabinski damit, dass der ganze Fall betrachtet werden müsse. Eine Konzernzugehörigkeit könne berücksichtigt werden, sei aber nicht entscheidend. Bei gewerblicher Entwicklungsarbeit hat ein Unternehmen unabhängig davon, ob es ein Konzernunternehmen oder einen Dritten kontaktiert, ein Geheimhaltungsinteresse. In der Praxis sei jedoch immer der Abschluss einer Geheimhaltungsverpflichtung zu empfehlen.
Dr. Fritz Blumer, Mitglied der Juristischen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts, erwähnte in einem ersten Themenblock zum Stand der Technik das Urteil G 1/92 vom 18. Dezember 1992, welches eine Präzisierung bezüglich der offenkundigen Vorbenutzung von Erzeugnissen enthält. Die chemische Zusammensetzung eines Erzeugnisses gehöre zum Stand der Technik, wenn das Erzeugnis selbst der Öffentlichkeit zugänglich ist und vom Fachmann analysiert und reproduziert werden kann. Dies sei unabhängig davon, ob es besondere Gründe gibt, die Zusammensetzung zu analysieren. Ob etwas zum Stand der Technik gehöre, sei nach Blumer unabhängig davon, ob jemand das Erzeugnis konkret analysiert hat. Weiter ging Blumer auf die Frage ein, welche Ergebnisse der Analyse zum Stand der Technik werden, und auf die Problematik der teilweisen Analysemöglichkeit (vgl. weitere Entwicklung im Verfahren T 438/19). Blumer sah als Rechtsfolgen zwei Möglichkeiten. Erstens könnte ein nicht reproduzierbares Produkt nicht als Stand der Technik gelten. Zweitens könnte nur die teilweise Information als Stand der Technik angesehen werden. Abschliessend ging Blumer auf die Thematik von Geheimhaltungsvereinbarungen anhand des Urteils T 34/18 vom 10. März 2022 ein. Darin wurde festgehalten, dass ein Vertraulichkeitsvermerk auf Papieren nicht ausreiche, um das Bestehen einer ausdrücklichen Geheimhaltungsvereinbarung zu beweisen. Auch konnte keine stillschweigende Geheimhaltungsvereinbarung bewiesen werden. Zusammenfassend hielt Blumer fest, dass das EPA eine strenge Praxis in Bezug auf stillschweigende Geheimhaltungsvereinbarungen hat, da es schwierig sei, einen gemeinsamen, nicht schriftlich abgefassten Parteiwillen nachzuweisen.
In einem Exkurs erwähnte Blumer das Urteil Egbert v. Lippmann, 104 U.S. 333 (1881). Nach damaliger Ansicht des Supreme Courts reichte es aus, dass allein die Verblobte des Erfinders während zwei Jahren vor der Patentanmeldung mit Zustimmung und ohne Verschwiegenheitspflichten die Erfindung öffentlich gebrauchte. Diese hätte durch Dritte analysiert werden können. Im ebenfalls kurz erwähnten Urteil T 670/20 vom 2. Dezember 2022 konnten Patienten im Rahmen von klinischen Versuchen abgegebene Medikamente nach Hause nehmen. Trotz fehlender expliziter Geheimhaltungspflicht wurde dort entschieden, dass die Medikamente nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden seien. Die Patienten stünden in einer «special relationship» zu den Versuchsleitern und seien somit nicht Mitglieder der Öffentlichkeit.
Im zweiten Themenblock ging Blumer auf das Urteil T 1234/17 vom 4. März 2022 ein. Fraglich war, ob die computerimplementierte Zuordnung von Beschleunigungsdaten zu einer Gangart zur Anpassung/Auswahl von Schuhen, technisch ist, technische Überlegungen einschliesst oder eine allgemeine technische Wirkung hat. Die Beschwerdekammer kam zum Schluss, dass nur die Verwendung von gemessenen technischen Parametern durch einen Algorithmus ungenügend sei, wenn keine zusätzlichen technischen Überlegungen zu den Parametern reflektiert würden. Weiter stellte Blumer das Urteil T 752/19 vom 4. April 2022 vor, welches die Erfindung eines interaktiven Computerprogramms betraf. Dieses stellte dem Patienten Fragen und gab ihm patientenspezifisches Feedback. Dadurch sollte eine verbesserte «patient compliance» bei der Einnahme eines medizinischen Wirkstoffs erzielt werden. Die Beschwerdekammer argumentierte, dass es keine Interaktion zwischen einer bekannten pharmazeutischen Formulierung und dem Computerprogramm gebe. Eine verbesserte «patient compliance» könne nicht zum Nachweis einer technischen Gesamtwirkung herangezogen werden, wenn sie das Ergebnis einer «broken technical chain» sei, d.h. die technische Wirkungskette durch den Patientenwillen unterbrochen werde. Blumer betonte, dass ein Verfahren dann nicht mehr technisch sei, wenn ein Mensch in das Verfahren eingreifen müsse.
Im dritten Themenblock referierte Blumer zu ausgewählten, noch hängigen Verfahren bei der grossen Beschwerdekammer. Im hängigen Verfahren G 2/21 (Vorlageentscheidung T 116/18 vom 11. Oktober 2021) geht es um die Frage, unter welchen Voraussetzungen Ergebnisse von Versuchen nach dem Anmeldetag berücksichtigt werden können (nachveröffentlichte Beweismittel). Diesbezüglich wurde der grossen Beschwerdekammer zuerst die Frage vorgelegt, ob eine Ausnahme vom Grundsatz der freien Beweiswürdigung dahin gehend zuzulassen ist, dass nachveröffentlichte Beweismittel unberücksichtigt bleiben müssen, weil der Nachweis für die Wirkung ausschliesslich auf diesen beruht. Falls die Beschwerdekammer dies bejahen würde, stellt sich zweitens die Frage, ob nachveröffentlichte Beweismittel berücksichtigt werden können, wenn aufgrund der Anmeldung der Effekt für die Fachperson plausibel gewesen wäre («ab-initio plausibility») und drittens, ob nachveröffentlichte Beweismittel berücksichtigt werden können, wenn die Fachperson keinen Grund gehabt hätte, den Effekt für nicht plausibel zu halten («ab-initio implausibility»).
Zum Thema der Identität einer Anmeldergruppe hielt Blumer fest, dass bei einer Prioritätsanmeldung durch mehrere Anmelder auch alle bei der Zweitanmeldung dabei sein müssen, sofern keine Abtretung stattgefunden hat (vgl. T 844/18 vom 16. Januar 2020). Ansonsten sei die Prioritätsanmeldung ungültig (all applicants approach). Weiter machte Blumer auf die Vorlagefälle T 1513/17 und T 2719/19 vom 28. Januar 2022 aufmerksam. Bei diesen ist fraglich, ob das EPA-Konzept der gemeinsamen Anmelder («joint applicants approach») auf PCT-Anmeldungen anwendbar ist, insbesondere wenn die benannten Anmelder für die verschiedenen benannten Staaten unterschiedlich sind.
Im letzten Themenblock beschäftigte sich Blumer mit Verfassungsbeschwerden über das Rechtsschutzsystem des EPA. Gerügt worden war, dass die angegriffenen Entscheidungen auf einem generellen und offenkundigen Rechtsschutzdefizit beruhen und Prozessgrundrechte verletzt werden. Mit Beschluss vom 8. November 2022 wurden die Verfassungsbeschwerden vom Deutschen Bundesverfassungsgericht als unzulässig erachtet, da diverse Beschwerdeführerinnen nicht beschwerdeberechtigt gewesen seien und nicht hinreichend substantiiert dargelegt worden sei, warum das Mindestmass an Rechtsschutz verfehlt würde. Im Hinblick auf die Struktur der Beschwerdekammern bemerkte Blumer, dass Defizite durch die Strukturreform 2016 jedenfalls soweit behoben wurden, als eine Gesamtschau eine Unterschreitung des Mindestmasses an Rechtsschutz nicht (mehr) trägt.
In der folgenden Diskussion wurde noch einmal die Problematik der Identität der Anmelder zur Sprache gebracht. So könnten verschiedene Vertragsstaaten verschiedene Anmelder haben. Blumer hielt fest, dass für jedes Territorium die Frage der Identität der Anmelder gesondert beantwortet werden muss. Grabinski merkte an, dass das Recht übertragen werden kann und ein grosszügiger Ansatz vertreten wird, wonach bei Indikationen eine Übertragung anzunehmen sei. Zuletzt kam aus dem Publikum Kritik zum Urteil T 34/18 vom 10. März 2022 im Zusammenhang mit Vertraulichkeitsvermerken. Es wurde angemerkt, dass es in der Praxis zeitlich meist kaum möglich sei, eine Geheimhaltungsvereinbarung abzuschliessen. Des Weiteren sei doch ein Vertraulichkeitsvermerk, dem beide Parteien zustimmen, ein Indikator dafür, dass beide Parteien Geheimhaltung vereinbaren wollten. Blumer antwortete, dass das Gesamtbild betrachtet werden müsse. Auch ein Vertraulichkeitsvermerk sei ein Teil des Gesamtbildes. Jedoch seien Vertraulichkeitsvermerke, die breit gestreut sind, als Indizien nicht mehr wirklich aussagekräftig.
Der patentrechtliche Teil der Tagung wurde durch eine Paneldiskussion zwischen Dr. Klaus Grabinski, Dr. Stefan Luginbühl (Head of Department Europäische Rechtsangelegenheiten des EPA), Dr. Mark Schweizer (Präsident des Bundespatentgerichts), Dr. Tobias Bremi (Richter am Bundespatentgericht), Beat Weibel (Chief IP Counsel bei Siemens) und Dr. Michael Ritscher abgeschlossen.
Luginbühl wies auf den Start des Einheitspatents und UPC am 1. Juni 2023 hin und darauf, dass für eine reibungslose Registrierung als Vertreter vor dem UPC zwingend eine Smartcard benötigt wird (‹www.unified-patent-court.org/en/faq›). Weiter könne bereits ein früher Antrag auf einheitliche Wirkung oder ein Antrag auf Verzögerung für bestehende europäisch Patente gestellt werden. Die generellen Vorteile des Einheitspatents seien das EPA als zentrale Anlaufstelle, die tieferen Kosten, keine Übersetzungen nach einer Übergangszeit und ein Verfahren mit nur einer Frist. Abschliessend ging Luginbühl auf die Organisation des UPC ein. Durch die dezentrale Organisation der ersten Instanzen in lokalen Kammern könne die lokale Auslegetradition weiterhin Einfluss haben. Auch können in den Vertragsstaaten die lokalen Patentgerichte für mindestens sieben Jahre weiter zuständig sein. Hier werde es, ebenso wie im Vereinigten Königreich und der Schweiz, abzuwarten sein, ob diese Gerichte der Rechtsprechung des UPC folgen. In den Beschwerdekammern des EPA gebe es hierzu ebenfalls noch keine Einheit. Regelmässige Treffen der verschiedenen Richter, wie beispielsweise am wiederbelebten Patentrichter Symposium, seien für eine einheitliche Praxis entscheidend.
Weibel stellte fest, dass für die Industrie die geringeren Kosten beim Einheitspatent entscheidend und grenzüberschreitende Verletzungen immer ein zentrales Thema sind. Grabinski geht auf die zukünftige nationale Rechtsprechungsentwicklung ein und hofft bei den Beschwerdekammern trotz ihrer Unabhängigkeit auf die Entwicklung einer harmonierungsfreundlichen Rechtsprechung. Weibel und Ritscher befürchteten, dass es eine Harmonisierung nach unten geben könnte, da einzelne Länder fortschrittlicher seien als andere. Bremi brachte die Sicht des Bundespatentgerichts ein, welches sich eher an die europäische Rechtsprechung angepasst habe. Vermutlich werden sich die Beschwerdekammern daher ebenfalls an das UPC anpassen. Luginbühl und Ritscher wiesen darauf hin, dass eine Harmonisierung im Vereinigten Königreich möglicherweise nicht angestrebt werde, um als Gerichtsstand attraktiv zu bleiben. Die Schweiz müsse nun ebenfalls entschieden, ob eine Harmonisierung angestrebt werde. Die Schweizer Rechtsprechung habe sich nach Schweizer schon immer stark mit ausländischer Rechtsprechung auseinandergesetzt. Es müsse im Einzelfall betrachtet werden, ob eine UPC-Entscheidung überzeuge, um zu entscheiden, ob ihr gefolgt werde. Grabinski ergänzte, dass er die befürchtete Tendenz im Vereinigten Königreich nicht beobachtet und bereits ein grosser Harmonisierungsgrad herrsche. Weibel machte abschliessend darauf aufmerksam, dass die Möglichkeit einer nationalen Anmeldung weiter bestehe. Daher erwarte er eine Akzentuierung zwischen dem Einheitspatent und dem nationalen Patent und nicht dem klassischen europäischen Patent.
Als nächstes sprach Bremi die geringeren Kosten des Einheitspatents an. Ergänzend wurden aus dem Publikum die von den Parteien zu tragenden gesamten Kosten eines Prozesses vor dem UPC kritisch hinterfragt. Grabinski ging in seiner Antwort zuerst auf die Gerichtsgebühren des UPC ein. Im Sinne eines Kompromisses seien diese etwas höher als beispielsweise in Frankreich jedoch tiefer als in Deutschland. Bei den Vertreterkosten gäbe es nicht wie in Deutschland Tabellen, sondern sog. «Ceilings», die vom Streitwert abhängig sind. Diese sind signifikant höher als in der deutschen Regelung. Es sei aber zu bedenken, dass es sich um Deckel handelt und das Gericht frei ist, die Kostenentscheidung darunter anzusetzen. Es könne beispielsweise nur bei ausserordentlichen Gründen in die Nähe des Deckels gehen, was sich jedoch in der Rechtsprechung herauskristallisieren werde. Aus dem Publikum wurde die Vermutung laut, dass ein UPC-Prozess wesentlich teurer werde als ein nationaler Prozess in Deutschland. Schweizer äusserte das Bedenken, dass die Deckel als Anker dienen. Ritscher sah dies auch als problematisch. Grabinski hielt erneut fest, dass dies in der Hand des Gerichts liegt. Schallmoser ging auf die niederländische Rechtsprechung ein, welche die Grenzen je nach Schwere des Falls angesetzt habe. Prof. Dr. Ulrich Hildebrandt erwähnte ergänzend den EuGH, welcher einen angemessenen Stundensatz von EUR 250 festgelegt habe. Grabinski hält Stundensätze für interessant, aber die Diskussion laufe noch und es gebe noch keine klare Linie.
Auf eine Frage von Ritscher zur Verfahrensdauer erwiderte Grabinski, dass es am Anfang dauern wird, bis sich alles eingespielt hat. Hier sei auch entscheidend, wie viele Fälle am Anfang zum UPC kommen. Grabinski vermutete, dass es viele sein werden und dass das Gericht unter Umständen aufgestockt werden müsse.
Auf die anschliessende Frage von Ritscher zur Zusammenarbeit mit dem EuGH antwortete Grabinski, dass dieselben Regeln gelten wie bei nationalen Gerichten. Patentrecht sei aber grösstenteils nicht Unionsrecht. Es müsse daher im Einzelfall geprüft werden, ob eine Vorlageverpflichtung besteht.
Weiter sprach Ritscher die Regelung zu nebenamtlichen Richtern bzw. technischen Richtern an. Grabinski sieht diese als Erkenntniserweiterung für das Wissen der juristischen Richter. Ausserdem sei Transparenz wichtig. Es solle offengelegt werden, wenn ein technischer Richter einen Punkt aufbringt, der sich noch nicht in den Schriftsätzen widerspiegelt. Grabinski stimmte Ritscher zu, dass aufgrund der Eventualmaxime im Zivilprozess die Richter nicht selbst nach dem Stand der Technik forschen dürfen. Aufgrund zweier Anmerkungen aus dem Publikum präzisierte Grabinski, dass Hinweise des Richters grundsätzlich nur anknüpfend an Punkte erfolgen sollen, welche im Schriftsatz angesprochen wurden. Es sei eine Ausnahme, dass der technische Richter etwas Neues an der mündlichen Verhandlung vorbringe. Wenn etwas vorgebracht werde, dass überhaupt noch nicht angesprochen wurde, müsse es in der Zwischenverhandlung geschehen. Aus dem Publikum wurde ergänzt, dass die Parteien selbst sehr frühzeitig den Beizug eines technischen Richters beantragen können. Es sei laut Grabinski auch hilfreich zu präzisieren, was für ein technischer Richter beigezogen werden solle (beispielsweise ein Physiker oder Mechaniker).
Schweizer sprach die vorgesehene Verfahrensdauer von einem Jahr an. Laut Grabinski würde dies so im Abkommen stehen, es sei aber wichtig, dass jedem Fall angemessen Zeit zukommt. Dies könne dazu führen, dass Verfahren auch länger als ein Jahr dauern.
Weiter kam Ritscher auf die Problematik von potenziellen Interessenskonflikten von technischen Richtern zu sprechen. Grabinski erklärte, dass hierzu bereits etwas im Abkommen stehe. Momentan sei ein Verhaltenskodex in Arbeit, welcher einen möglichst klaren Massstab festlegen werde. Genaueres könne Grabinski aber momentan nicht dazu sagen.
Abschliessend wies Grabinski darauf hin, dass es Anhaltspunkte für ein einheitliches Format der Urteile geben werde. Weiter gebe es die «non-binding Guidances», welche eine Vereinheitlichung der Anträge anstreben. Diese würden noch vor dem 1. Juni 2023 veröffentlicht und seien insbesondere für Anwälte relevant. Weiter wird es beim UPC neu auch prozessuale Mittel zur Rüge von Verfahrensfehler während des Prozesses geben.
Elisabeth Fink, Mitglied der Beschwerdekammern, begann mit dem Markenrecht und präsentierte das Urteil T-250/21 vom 6. Juli 2022 des EuG. Die Beschwerdekammer hatte die Marke «Nehera» mit der Begründung für nichtig erklärt, dass der Markenanmelder bösgläubig gehandelt habe. Der Markenanmelder habe um Jan Nehera, einen bekannten tschechischen Modeunternehmer, und dessen eingetragene tschechoslowakische Marke Nehera gewusst und mit seiner Anmeldung versucht, eine Verknüpfung zur älteren Marke herzustellen und so unlauter deren Bekanntheit ausgenutzt. Der EuG folgte dem Entscheid der Beschwerdekammer nicht. Das Schutzhindernis der Bösgläubigkeit sei einer Gesamtbetrachtung zu unterziehen. Vorliegend wurde die Marke bereits 1946 gelöscht. Somit waren fast 70 Jahre vergangen. Es konnte also nicht davon ausgegangen werden, dass einem relevanten Teil der Verkehrskreise die Marke noch bekannt war. Fink wies darauf hin, dass die blosse Kenntnis der Existenz und eine frühere Bekanntheit einer Marke nicht zur Bejahung der Bösgläubigkeit ausreiche, da zusätzlich eine Behinderungsabsicht nachzuweisen sei. Der EuG verneinte vorliegend die Behinderungsabsicht, da der Anmelder mit seinen eigenen wirtschaftlichen Anstrengungen die Bekanntheit der Marke, mit blosser Bezugnahme auf das Image von Jan Nehera, wiederherzustellen, nicht den anständigen Gepflogenheiten im Handel widerspräche.
Anhand des Urteils T-222/21 vom 12. Oktober 2022 ging Fink auf das Thema des Schutzumfangs «schwacher» Marken ein. Im vorliegenden Fall hatte «SHOPIFY» die Nichtigkeit der Marke «Shoppi» beantragt. Die Löschungsabteilung hatte die Marke «Shoppi» für nichtig erklärt. Die Beschwerdekammer gab hingegen der Beschwerde von Shoppi statt. Der EuG entschied, dass die Beschwerdekammer zu Recht festgestellt hat, dass der Bestandteil «SHOP» beschreibend sei. Der Bestandteil «ify» habe nur für die englischsprachigen Verkehrskreise eine Bedeutung («to make something become a shop»), während für die nicht englischsprachigen Verkehrskreise die Endung «ify» keine Bedeutung habe und der älteren Marke eine durchschnittliche Unterscheidungskraft verleihe. Eine Verwechslungsgefahr bestehe nicht. Der übereinstimmende Bestandteil «SHOP» habe nur einen geringen Einfluss auf die Beurteilung. Unter Berücksichtigung der schwachen Kennzeichnungskraft und der erhöhten Aufmerksamkeit sei die Zeichenähnlichkeit zu gering.
Anschliessend ging Fink auf die rechtserhaltende Benutzung für Dienstleistungen ausserhalb der EU anhand des Urteils T-768/20 vom 13. Juli 2022 ein. Im Urteil ging es um die Benutzung einer Hotelmarke in der EU, wobei das entsprechende Hotel seinen Sitz ausserhalb der EU hatte. Die Löschungsabteilung hatte die Marke für vollständig verfallen erklärt. Die Beschwerdekammer wies die Beschwerde zurück, da die Benutzung einer Marke für ausserhalb der EU erbrachte Dienstleistungen nicht rechtserhaltend sei. Ausserdem reiche die Werbung und der Vertrieb der Dienstleistung in der EU nicht aus, sei doch die Marke nicht für Werbung, Buchungs- und Reisebürodienstleistungen eingetragen. Der EuG vertrat eine andere Ansicht und stellte fest, dass zwischen dem Ort, an dem die Dienstleistung erbracht werde, und dem Ort der Benutzung der Marke zu unterscheiden sei. Das Angebot von Dienstleistungen sowie die Verwendung der Marke in der Werbung könne der Unionsmarkeninhaber nach Art. 9 Abs. 3 lit. b und e UMV verbieten und somit seien sie grundsätzlich als rechtserhaltend anzusehen, wenn sie im relevanten Gebiet erfolgen.
In der Folge behandelte Fink das Thema des Wegfalls einer älteren Marke als Brexit-Folge. Der EuG hatte sich im Verfahren T-342/20 vom 6. Oktober 2021 mit der Frage auseinanderzusetzen, ob der Brexit das gegenwärtige Verfahren gegenstandslos gemacht hat. Das Widerspruchsverfahren stützte sich auf eine ältere im UK als nicht eingetragene geschützte UK-Marke. Der EuG hielt fest, dass der Brexit das Verfahren nicht gegenstandslos gemacht hat. So sei der massgebliche Zeitpunkt für die Rechtmässigkeitskontrolle das Datum der angegriffenen Entscheidung, d.h. der 2. April 2020. Die Übergangsfrist des Austrittsabkommens endete jedoch erst am 31. Dezember 2020, womit das EU-Recht im Vereinigten Königreich weiterhin anwendbar war. Das EUIPO hat dagegen ein Rechtsmittel mit der Begründung ergriffen, dass das verfahrensrechtliche Erfordernis des Rechtschutzinteresses und der Grundsatz der Territorialität des Rechts des geistigen Eigentums verkannt wurde. Der EuGH hat das Rechtsmittel zugelassen (C-801/21 vom 7. April 2022). Im Zusammenhang mit dem Brexit erwähnte Fink zudem das Urteil T-281/21, in welchem der EuG die Entscheidung der Kammer aufgehoben hat und festhielt, dass für die Beurteilung, ob ein relatives Eintragungshindernis vorliegt, auf den Zeitpunkt der Anmeldung der mit dem Widerspruch angegriffenen Unionsmarke abzustellen sei. In Bezug auf eine mögliche Markenkollision zwischen dem Anmeldetag und der Ablauf der Übergangsfrist, hat der EuG festgehalten, dass der Anmelder neu hätte anmelden können, um eine Kollision zu vermeiden. Fink betonte, dass dieses Argument problematisch und eigentlich ein Argument aus dem Verletzungsverfahren und nicht aus dem Verwaltungsverfahren sei. Das EUIPO hat auch gegen diese Entscheidung ein Rechtsmittel ergriffen, das zugelassen wurde (C-337/22 vom 16. November 2022).
Abschliessend referierte Fink zur Designrechtsreform. Diese bezwecke, die Rechtssicherheit zu erhöhen und die Rechtsprechung zu integrieren. Fink betonte, dass die Aufnahme der Reparaturklausel sehr zu begrüssen sei. So würde es möglich, identische «must match»-Teile für Reparaturen anzubieten, wenn der Hersteller des Ersatzteiles dabei klar über dessen Ursprung informiert. Mit der Designrechtsreform soll weiter ein verbesserter Zugang zum Designschutz, insbesondere durch die Optimierung der Gebührenstruktur erreicht werden, was gemäss Fink besonders für KMUs wichtig ist.
Prof. Dr. Ulrich Hildebrandt, Rechtsanwalt in Berlin, wies zunächst auf die Kündigung des Übereinkommens zwischen dem deutschen Reich und der Schweiz betreffend den gegenseitigen Patent-, Muster- und Markenschutz vom 13. April 1892 zum 31. Mai 2022 hin. Schweizer Marken können somit nicht mehr in Deutschland und vice versa rechtserhaltend verwendet werden. Laut dem IGE wirke die Kündigung ex nunc und gelte daher erst für Gebrauchshandlungen, die nach dem 31. Mai 2022 erfolgt sind. Laut Hildebrandt gelte in Deutschland höchstwahrscheinlich das Gleiche.
Zur Unionsmarke führte Hildebrandt aus, diese sei eine gute Defensivmassnahme. Es gebe aber kaum die Möglichkeit, eine Klage zu gewinnen. Erstens herrsche Unklarheit über die Auslegung der rechtserhaltenden Benutzung. Weiter stellen ältere nationale Rechte oft ein Hindernis für die Durchsetzung einer Unionsmarke dar. Die Regelung der Zwischenrechte nach Art. 16 Abs. 2 UMV kranke daran, dass ein Verletzungsgericht wegen Art. 24 Nr. 4 EuGVVO den Rechtsbestand des nationalen Zwischenrechts nicht beurteilen dürfe und daher müsse man in allen einschlägigen Ländern klagen. Weiter könne bei einer Unionsmarke nach Art. 125 Abs. 5 UMV nur am Handlungsort geklagt werden und nicht auch am Erfolgsort wie bei nationalen Marken. Auch führe Art. 132 Abs. 1 UMV mit dem grundsätzlichen Vorrang des Amtsverfahrens in der Praxis dazu, dass sich ein Verletzungsverfahren leicht blockieren lässt. Noch extremer sei es bei Art. 128 Abs. 4 Nr. 3 UMV, wodurch der Verletzer das Verfahren zwingend blockieren könne, indem er zuerst einen Antrag auf Löschung beim Amt einreicht und danach Widerklage erhebt. Zuletzt sei auch die Umwandlung von Unionsmarken in nationale Marken ungeklärt. Hildebrandt wies darauf hin, dass diese Themen aktuell politisch diskutiert werden und dies hoffentlich bald zu einer Änderung führen werde.
Gino van Roeyen, Rechtsanwalt in Eindhoven, Niederlande, gab zuerst einen Überblick über den Rechtsstreit zwischen H&M und Adidas in den Niederlanden, in welchem er seit 1997 die Interessen von H&M vertreten hat und der inzwischen abgeschlossen ist.
H&M hatte 1997 Aerobic-Kleidung mit zwei Streifen verkauft, welche Adidas als Verletzung ihrer 3-Streifen-Marke ansah. Zwischen 1997 und 2015 ergingen mehrere Urteile in einstweiligen Verfahren mit unterschiedlichen Ergebnissen. Das OLG Arnheim hielt 2015 fest, dass eine Verwechslungsgefahr und eine Beeinträchtigung der Unterscheidungskraft bestehe. Anders entschied die zweite Instanz im durch Adidas anhängig gemachten Hauptsacheverfahren im Jahr 2020. Es bestehe keine Markenverletzung resp. Verwechslungsgefahr, da das Zwei-Streifen-Zeichen kein ähnliches Zeichen im Vergleich mit der 3-Streifen-Marke sei. Jede willkürliche Kombination von zwei Streifen sei so einfach und banal, dass sie keine Unterscheidungskraft habe. Die Streifen seien für sich genommen nur in geringem Mass für das Gesamterscheinungsbild ausschlaggebend. Es seien die spezifische Kombination der Streifen und Zwischenräume zwischen ihnen, die das Gesamterscheinungsbild bestimmen. Eine Beschwerde vor der letzten Instanz änderte an diesem Ergebnis nichts.
Anschliessend ging van Roeyen auf den EuGH-Entscheid C-197/21 vom 27. Oktober 2022 ein. MySoda hatte leere Gasflaschen, auf welchen die Marke Sodastream weiterhin sichtbar eingraviert war, wieder befüllt und an diesen ihre eigenen Etiketten mit dem Hinweis angebracht, dass keine Beziehung zu Sodastream bestehe. Gemäss EuGH kann der Markeninhaberin dieses Vorgehen nicht untersagen, sofern die Neuetikettierung bei Verbrauchern nicht den irrigen Eindruck hervorruft, dass zwischen dem Wiederverkäufer und dem Markeninhaber eine wirtschaftliche Verbindung bestehe. Dies sei anhand der Angaben auf der Ware und auf ihrer Neuetikettierung sowie anhand der Vertriebspraktiken des betreffenden Wirtschaftszweigs und des Bekanntheitsgrades dieser Praktiken bei den Verbrauchern umfassend zu beurteilen.
Abschliessend machte van Roeyen auf das vor dem EuGH hängige Verfahren C-472/21 aufmerksam. Der BGH stellte die Vorfrage, ob die Sichtbarkeit eines Bauelements bereits gegeben ist, wenn es objektiv möglich ist, das Design in eingebautem Zustand zu erkennen oder ob es auf die Sichtbarkeit unter bestimmten Nutzungsbedingungen oder Betrachtungsperspektiven ankommt. Die Schlussanträge des Generalanwalts M. Spunzar stellen auf die Sichtbarkeit bei bestimmungsgemässer Verwendung ab.
Hildebrandt schloss den marken- und designrechtlichen Teil. Aus persönlichen Überlegungen und seiner Erfahrung formulierte Hildebrandt einen Fragekatalog mit vereinfachter Fragestellung zur Prognose der Verwechslungsgefahr. Hierzu gebe es jedoch noch keine Studie.
Zuerst frage sich der Richter, ob er selbst die Marken verwechseln würde. Da er sich nicht als Durchschnittsverbraucher sehe, stelle er sich als nächstes die Frage, ob er die Marken auch verwechseln würde, wenn er weniger intelligent wäre. Da der Richter gerecht entscheiden wolle, frage er sich weiter, ob den Markeninhaber das Kollisionszeichen wirklich störe. Abschliessend stellt er sich die Frage, ob er es richtig finde, dass der Markeninhaber Unterlassung fordert. Nach den Erfahrungen von Hildebrandt sind sympathische Angriffsmarken bessergestellt und beliebte Marken hätten einen grösseren Schutzbereich als unsympathische Marken.
Abschliessend merkte Fink an, dass es tendenziell in mündlichen Verhandlungen viel schwieriger sei, den Hintergrund des Markeninhabers von der Marke selbst zu trennen als bei rein schriftlichen Verfahren.
Prof. Dr. Anne Lauber-Rönsberg, Professorin und Direktorin des Instituts für Internationales Recht, Geistiges Eigentum und Technikrecht an der Technischen Universität Dresden, referierte über die Praxis des EuGH und nationaler Gerichte in Fällen von sog. transformativer Werknutzung.
Zuerst thematisierte Lauber-Rönsberg die Frage, inwiefern der Schutzbereich durch Unionsurheberrecht prädeterminiert ist. Der Schutzbereich werde hierbei einerseits durch den Umfang der Verwertungsrechte, insbesondere dem Bearbeitungsrecht, sowie Urheberpersönlichkeitsrechte vorgegeben, und andererseits durch die Nutzungserlaubnisse, die sogenannten Schrankenregelungen. Auf die Urheberpersönlichkeitsrechte ging Lauber-Rönsberg nicht ein.
Die Schrankenregelungen finden sich abschliessend in einem Katalog in Art. 5 Informationsgesellschafts-RL (2001/29 vom 22. Mai 2001, InfoG-RL). Daher hat der EuGH in der Entscheidung «Pelham» (EuGH vom 29. Juli 2019, C-476/17) festgehalten, dass hierzu keine nationalen Regelungen getroffen werden können und den § 24 UrhG a.F. als mit dem Unionsrecht unvereinbar beurteilt.
Mit Blick auf das Bearbeitungsrecht argumentierte Lauber-Rönsberg für eine Harmonisierung durch Art. 2 bis 4 InfoG-RL aufgrund der Systematik der Richtlinie und der jüngeren Rechtsprechung des EuGH. Insbesondere in der «Pelham» Entscheidung ging der EuGH davon aus, dass die Übernahme weniger Sekunden einer Tonaufnahme in geänderter, aber beim Hören wiedererkennbarer Form im Rahmen des Samplings unter Art. 2 lit. c InfoG-RL falle. Der BGH lege diese Entscheidung dahingehend aus, dass eine Nutzung übernommener Werke bzw. Werkteile nur dann verboten sei, wenn die übernommenen Teile in der neuen Gestaltung wiederkennbar sind (BGH vom 7. April 2022, I ZR 222/20).
Lauber-Rönsberg wies auf die Aufnahme der unter § 24 UrhG a.F. geformten «Verblassens-Rechtsprechung» in den neuen § 23 Abs. 2 UrhG hin. Ob dieses «Verblassens-Kriterium» mit den EuGH-Vorgaben im Einklang sei, bleibe aber weiterhin fraglich.
Zusammenfassend hielt Lauber-Rönsberg fest, dass sich der Rechtsrahmen für transformative Nutzungen aus § 23 UrhG und der in § 51a UrhG enthaltenen Schrankenregelung für Parodien, Karikaturen und Pastiches ergibt.
Lauber-Rönsberg ging anschliessend auf die «Porsche 911» Entscheidung (BGH vom 7. April 2022, I ZR 222/20) ein. Laut dem BGH sei das Kriterium des Verblassens dahingehend unionsrechtskonform auszulegen, dass die schutzbegründenden eigenschöpferischen Elemente des benutzten Werks im Gesamteindruck nicht in der Neugestaltung wiedererkennbar sein dürfen. Der BGH nahm entsprechend eine abgestufte Prüfung vor: (1) Welche objektiven Merkmale bestimmen die schöpferische Eigentümlichkeit des benutzten Werks? (2) Wurden in der neuen Gestaltung eigenschöpferische Züge des älteren Werks übernommen? Wenn ja: (3) Vergleich des jeweiligen Gesamteindrucks der Gestaltungen aus der Perspektive des durchschnittlichen Autokäufers. Wenn eine Übereinstimmung vorliege, handle es sich um eine Vervielfältigung oder (unfreie) Bearbeitung. Der BGH kam zum Ergebnis, dass trotz Übernahme einiger Elemente, der Porsche 911 im Gesamteindruck nicht mit dem Porsche 356 übereinstimme. Lauber-Rönsberg wies darauf hin, dass es unklar sei, ob dieses Abstellen auf den Gesamteindruck mit den Vorgaben des EuGH vereinbar ist.
Als nächstes thematisierte Lauber-Rönsberg die Auslegung des Pastiche-Begriffs in Art. 5 Abs. 3 lit. k Info-G und § 51a UrhG. Hierfür präsentierte die Referentin kurz den deutschen Entscheid «The Unknowable» (LG Berlin vom 2. November 2021, 15 O 551/19) und den französischen Entscheid «Jeff Koons v Franck Davidovici» (Cour d’appel de Paris vom 21. Februar 2021, 19/09059), welche den Pastiche Begriff unterschiedlich auslegen.
Nach dem LG Berlin sei das Pastiche ein kommunikativer Akt der stilistischen Nachahmung. Hier sei auch die Übernahme fremder Werke oder Werkteile erlaubt, was eine bewertende Referenz auf ein Original voraussetze. Der übernommene Teil müsse, in Abgrenzung zum Plagiat, in veränderter Form erscheinen. Es benötige ein Mindestmass an eigener Kreativität, ohne dass ein neues Werk geschaffen werden muss. Weiter muss es im Einzelfall einen angemessenen Interessenausgleich zwischen Kommunikationsfreiheit und Urheberrecht geben. Für die Bewertung sei der objektive Massstab einer Person massgeblich, der das vorbestehende Werk bekannt ist und die für die Wahrnehmung der kommunikativen bzw. künstlerischen Auseinandersetzung das erforderliche intellektuelle Verständnis besitzt. Den ebenfalls im französischen Urheberrecht enthaltenen Pastiche-Begriff habe der Cour d’appel de Paris in Anlehnung an den Parodie-Begriff ausgelegt. Ähnlich dem «Deckmyn»-Entscheid des EuGH (EuGH vom 3. September 2014, C-201/13) müsse die neue Gestaltung demnach an ein bestehendes Werk erinnern und gleichzeitig wahrnehmbare Unterschiede ihm gegenüber aufweisen sowie einen Ausdruck von Humor oder eine Verspottung darstellen.
Bis zu einem Entscheid des EuGH werde es nach Lauber-Rönsberg wohl keine Klarheit zum Pastiche-Begriff geben. Eine Vorlage an den EuGH werde aber vermutlich im Rahmen des «Sampling-Falls» (Zuletzt: OLG Hamburg vom 28. April 2022, 5 U 48/05; Revision beim BGH anhängig unter Az. I ZR 74/22) durch den BGH erfolgen.
Prof. Dr. Felix Buchmann, Rechtsanwalt in Stuttgart, präsentierte die wichtigsten Entwicklungen im ICT-Recht.
Zunächst sprach Buchmann über die Digitalstrategie der EU, gemäss welcher in jüngster Zeit verschiedenste Verordnungen erlassen wurden. So ist am 11. Juni 2019 die Digitale-Inhalte-Richtline (2019/770 vom 20. Mai 2019, DIRL) in Kraft getreten, die den Rechtsrahmen für Verträge über digitale Inhalte und Dienstleistungen bildet. Buchmann wies darauf hin, dass nach Art. 3 Abs. 1 S. 2 DIRL grundsätzlich Daten als Zahlungsmittel verwendet werden können und es dafür bereits genügt, dass man sich mit seinen Daten beobachten lässt. In der Folge stellte Buchmann die Frage in den Raum, ob man nun mit massenweisen Vertragsschlüssen im Internet zu tun hat. Buchmann erwähnte, dass man auf vielen Webseiten die Option hat, entweder für die Nutzung zu bezahlen oder die Einwilligung zur Nutzung seiner personenbezogenen Daten zu geben. Entscheide man sich für die Option seine personenbezogenen Daten bereitzustellen, statt zu bezahlen, ist es allerdings fraglich, ob der Gegenwert der Bereitstellung der Daten nicht einen viel höheren Wert hat als die Kosten für die Nutzung der Webseite.
Als nächstes ging Buchmann auf die geltende Warenkaufrichtlinie (2019/771 vom 20. Mai 2019, WKRL) ein, die das ordnungsgemässe Funktionieren des digitalen Binnenmarkts bezweckt und gemeinsame Vorschriften betreffend die Anforderungen an Kaufverträge über Sachen mit digitalen Elementen zwischen Unternehmern und Verbrauchern festlegt. Buchman betonte, dass es sich dabei um kein echtes gemeinsames Kaufrecht handle. Im Weiteren verwies Buchmann auf Art. 5 ff. WKRL und dessen Mangelbegriff, welcher wichtige praktische Folgen hat. Insbesondere ging Buchmann auf die objektiven Anforderungen des Mangelbegriffs ein, wonach die Sache dem entsprechen muss, was objektiv von ihr erwartet werden kann. Digitale Produkte müssen also mängelfrei gehalten werden, was zu einer Aktualisierungspflicht führt und letztendlich in einem Dauerschuldverhältnis mündet. Obwohl Aktualisierungen in der DIRL und der WKRL in zwei eigenen Absätzen geregelt sind, sind Aktualisierungen nach Buchmann unter die objektiven Anforderungen zu subsumieren. Die problematischen Folgen bezüglich der Aktualisierungspflicht illustrierte Buchmann anhand eines Beispiels: Eine Handelskette erwirbt von einem ausländischen Hersteller Spielkonsolen, die an Kunden in Europa verkauft werden. Nach vier Jahren stellt sich eine Sicherheitslücke heraus, die nur durch ein Update behoben werden kann. Jedoch reagiert der Hersteller nicht auf diese Sicherheitslücke. Gemäss Buchmann ergibt sich folglich aufgrund der Aktualisierungspflicht bei der Handelskette ein Gewährleistungsfall; kann doch der Kunde erwarten, dass eine Spielkonsole länger als vier Jahre benutzt werden kann. Praktisch wirkt sich dies nach Buchmann so aus, dass Unternehmen nun für solche Gewährleistungsfälle Rückstellungen bilden müssen.
Anschliessend ging Buchmann im Rahmen der Preisangabe-Richtlinie (RL 98/6/EG) auf die Werbung mit Streichpreisen ein. Buchmann erwähnte Art. 6a Abs. 2 der Preisangabe-RL der besagt, dass der vorherige Preis der niedrigste Preis ist, den der Händler innerhalb eines Zeitraums von mindestens 30 Tagen vor der Anwendung der Preisermässigung angewandt hat. Wie dieser Artikel zu verstehen ist, sei aber höchst unklar. Die Tendenz gehe dahin, dass Abs. 2 so zu auszulegen ist, dass wer einmal für 30 Tage einen Mondpreis verlangt hat, damit unbegrenzt werben kann. Wird der Verordnungstext wörtlich ausgelegt, muss davon ausgegangen werden, dass es Streichpreise nur für einen Tag ab Bekanntmachung gibt und damit gängigen Rabattaktionen der Boden entzogen ist. Am sinnvollsten nach Buchmann wäre die Auslegung dahin, dass jeder Streichpreis immer 30 Tage angewandt werden kann und anschliessend gelöscht werden muss.
Als nächstes erwähnte Buchmann Art. 7 Abs. 6 der UGP-Richtlinie (RL 2005/29/EG), der neu eingeführt wird und sich auf die Ausgestaltung von Kundenbewertungen bezieht. Folge davon sei, dass Unternehmen darüber informieren müssen, ob und wie sie sicherstellen, dass von ihnen veröffentliche Kundenbewertungen tatsächlich von Kunden stammen. Buchmann erwähnte als Beispiel Amazon, das mit dem Zusatz «verifizierter Kauf» dem Verbraucher anzeigt, dass diese Bewertungen tatsächlich von einem Amazon-Kunden stammt. Im Weiteren behandelte Buchmann den Digital Services Act (VO (EU) 2022/2065 vom 19. Oktober 2022), der als Grundgesetz des Internets angesehen werden kann. Der Geltungsbereich der Verordnung ist in vier Stufen aufgeteilt und mit zunehmender Stufe nehmen die Verpflichtungen zu (von Berücksichtigungen von Grundrechten in den Nutzungsbedingungen bis zur Verpflichtung zum Datenaustausch mit Behörden und Forschung). Anschliessend erwähnte Buchmann den Digital Markets Act (VO (EU) 2022/1925 vom 14. September 2022), der die Marktmacht systemrelevanter Plattformen begrenzen soll. Nach Buchmann ist der Digital Markets Act aber eher eine Regelung aus dem Kartellrecht.
Mit Blick auf die Zukunft wies Buchmann auf den Verordnungsvorschlag des Data Act und den Vorschlag zur Erneuerung der ePrivacy-Verordnung hin. Weiter ging es mit einem Votum von Buchmann in Bezug auf die Datenschutzgrundverordnung (VO (EU) 2016/679, DSGVO). Dabei erwähnte Buchmann den Schlussantrag des Generalanwalts Manuel Campos Sánchez-Bordona zum Schadenersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO, welcher festhält, «[…], dass die DSGVO nicht bezweckt, die Verarbeitung personenbezogener Daten systematisch zu begrenzen, […]». Nach Buchmann bedeutet dies, dass ein Verstoss gegen die DSGVO nicht automatisch zu einem ersatzfähigen Schaden führt. Die Entscheidung diesbezüglich durch den EuGH wird noch folgen.
Zum Schluss referierte Buchmann zum Angemessenheitsbeschluss bezüglich des Datenschutzes im Verhältnis EU – USA und ging auf die zentrale Frage ein, ob der Clarifying Lawful Overseas Use of Data Act (CLOUD Act) und die DSGVO nebeneinander bestehen können. Buchmann beantwortete dies mit einem klaren Nein.
In der anschliessenden Diskussion stellte sich im Zusammenhang mit der UGP-RL die Frage, wie mit einer negativen Kundenbewertung umzugehen ist, wenn es aufgrund einer schlechten Erfahrung im Geschäft gar nicht erst zu einem Kauf gekommen ist. Buchmann bekräftigte, dass dies ein reales Problem sei und erwähnte Google, das den Nachweis eines Vertragsverhältnisses verlangt (bspw. eine Quittung). Kann das Vertragsverhältnis nicht nachgewiesen werden, löscht Google die Kundenbewertung.
Der fachliche Teil der Tagung wurde mit der Ankündigung der Folgeveranstaltung am 5. Februar 2024 sowie dem vorangehenden Wochenende im Schnee und dem traditionellen Abendessen über den Dächern von Zürich abgeschlossen.