Diese traditionelle, wieder von Michael Ritscher konzipierte und geleitete und von Christoph Gasser organsierte Tagung zu den neuesten Entwicklungen im europäischen Immaterialgüterrecht fand erneut auf dem Zürichberg und im Anschluss an ein Wochenende im Schnee statt und war wiederum sehr gut besucht.
Cette traditionnelle conférence sur les derniers développements en matière de propriété intellectuelle européenne, à nouveau conçue et dirigée par Michael Ritscher et organisée par Christoph Gasser, s’est à nouveau déroulée sur le Zürichberg et à la suite d’un week-end dans la neige et a de nouveau attiré un grand nombre de participants.
MLaw, Zürich.
MLaw, St. Gallen.
MLaw, Zürich.
Dr. Klaus Grabinski, Richter am Deutschen Bundesgerichtshof (BGH) und seit über sechs Monaten Präsident des einheitlichen Patentgerichts (UPC), stellte zwei für die weitere Rechtsentwicklung relevante Entscheidungen des BGH vor.
In der Entscheidung (BGH vom 20. Juni 2023, X ZR 61/21, «Faserstoffbahn») befasste sich der BGH mit dem Umfang des Vorbenutzungsrecht, welches dem Vorbenutzer eines Produktes zukommt, nachdem ein Gebrauchsmuster angemeldet wurde, welches das eben erwähnte Produkt in seinem Anspruch schützt. Konkret ging es um die Frage, wann die Grenzen eines Vorbenutzungsrechts überschritten werden, wenn eine Modifikation vorgenommen wurde.
Gegenstand des Verletzungsverfahrens war eine Slipeinlage. Die Klage stützte sich auf die kombinierten Ansprüche 1, 10 und 11, wobei die angegriffene Ausführungsform alle Merkmale dieser Ansprüche verwirklichte, während die vorbenutzte Ausführungsform zwar Anspruch 1 umfasste, nicht aber die Ansprüche 10 und 11, weil sie keine superabsorbierende Polymere (SAP) aufwies.
Das Berufungsgericht verneinte das geltend gemachte Vorbenutzungsrecht mangels SAP bei der vorbenutzten Slipeinlage. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur erneuten Entscheidung und Verhandlung an die Vorinstanz zurück. Die Begründung lautete wie folgt:
Ob der vorbenutzte Gegenstand so modifiziert werden darf, dass er auch SAP umfasst, hängt davon ab, ob mit der Modifikation ein zusätzlicher, durch die Gebrauchsmusterschrift hervorgehobener Vorteil verbunden ist oder ob es sich um eine ohne Weiteres in Betracht zu ziehende Abwandlung des ursprünglich geschützten Gegenstands handelt. Der Umstand, dass SAP Gegenstand eines Unteranspruchs ist, kann zwar dafür sprechen, dass es sich um einen relevanten zusätzlichen Vorteil handelt, jedoch ersetzt dies eine inhaltliche Prüfung nicht. Ob eine Modifikation noch vom Vorbenutzungsrecht gedeckt ist, muss sich aus der ursprünglich eingetragenen Fassung des Gebrauchsmusters ergeben. Nachträgliche Gebrauchsmusterlöschungsverfahren sind unerheblich.
Als Leitsätze gelten:
i) Die Modifikation eines vorbenutzten Gegenstandes, der alle Merkmale eines unabhängigen Schutzanspruchs des Klagegebrauchsmusters verwirklicht, kann auch dann von einem Vorbenutzungsrecht gedeckt sein, wenn der vorbenutzte Gegenstand weitere Merkmale, die nach dem Klageantrag zwingend vorgesehen sind, nicht aufgewiesen hat.
ii) Dies gilt unabhängig davon, ob lediglich die Verletzungsklage auf eine in der genannten Weise beschränkte Fassung eines unabhängigen Schutzanspruchs gestützt wird oder ob das Gebrauchsmuster in einem Löschungsverfahren entsprechend beschränkt worden ist.
Im zweiten Entscheid war die Beklagte Inhaberin eines mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents (Streitpatents), das 1999 unter Inanspruchnahme von zwei deutschen Prioritäten angemeldet wurde und mittlerweile durch Zeitablauf erloschen ist.
Das Streitpatent betrifft ein Schlossgehäuse mit elektrischen Anschlusseinrichtungen. Vor dem Hintergrund der Ausführungen in der deutschen Offenlegungsschrift (NKL2) betrifft das technische Problem die Bereitstellung eines Gehäuses für einen Kraftfahrzeug-Türverschluss, welcher einfach zu montieren ist, allen Anforderungen an die Stabilität genügt, einen einwandfreien Kontakt gewährleistet und auftretende Federkräfte möglichst nicht auf die elektrischen Bauteile überträgt. Zur Lösung schlägt das Streitpatent in Patentanspruch 1 ein Schlossgehäuse vor, welches unter anderem das Merkmal von Anschlussleitern aufweist, welche i.) in etwa als orthogonal zur Fügerichtung aus dem Mikroschalter austreten und ii.) ein in etwa parallel zur Fügeeinrichtung abgewinkeltes Kontaktende enthalten, das eine auffedernde, Ω-förmig ausgebildete Klemmausnehmung hat, die auf Kontaktstege aufsteckbar ist. Das unter ii.) genannte Merkmal wurde in NKL2 nicht offenbart. Hinsichtlich des Stands der Technik hielt der BGH fest, dass nach seiner Rechtsprechung eine erfinderische Tätigkeit nicht auf ein Merkmal gestützt werden kann, welches eine beliebige, von einem bestimmten technischen Zweck losgelöste Auswahl aus mehreren Möglichkeiten darstellt (Bestätigung von BGH, GRUR 2008, 56 Rn. 25, «Injizierbarer Mikroschaum», BGH, BecksRS 2018, 40825 Rn. 46). Zudem können mit einem Merkmal verbundene besondere Vorteile nur dann zur Begründung einer erfinderischen Tätigkeit herangezogen werden, wenn sie in der Patentschrift offenbart oder für die Fachperson erkennbar sind (Bestätigung von BGH, BecksRS 2018, 40825 Rn. 46).
Das besagte Merkmal stellt nach dem BGH jedoch keine beliebige Auswahl im oben genannten Sinne dar. Die Ω-typischen Rundungen führen zu einer besonderen Art der Kraftverteilung, die bei anderen Formen nicht in gleicher Weise auftritt. Zudem beurteilte der BGH die Zusammenhänge zwischen der Form der Ausnehmung und der Art der Federwirkung als allgemeines Fachwissen. Diese waren deshalb für die Fachperson erkennbar, weshalb irrelevant ist, dass diese in der Beschreibung nicht ausdrücklich dargestellt waren.
Anschliessend präsentierte Dr. Fritz Blumer, Mitglied einer der Juristischen Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts (EPA), ausgewählte Rechtsprechung des EPA.
Blumer ging zunächst auf den Entscheid G 2/21 vom 23. März 2023 ein. Ob eine erfinderische Tätigkeit vorliegt, was entscheidend für die Erteilung eines europäischen Patents ist, richtet sich im Verfahren vor dem EPA nach dem sog. Aufgabe-Lösungs-Ansatz. Dabei können experimentelle Daten, die eine technische Wirkung im Vergleich zum Stand der Technik belegen, zur Feststellung der erfinderischen Tätigkeit beitragen. Da der nächstliegende Stand der Technik zum Zeitpunkt der Anmeldung häufig nicht bekannt ist, enthält eine Patentanmeldung häufig keine experimentellen Daten, die einen technischen Effekt gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik für das Unterscheidungsmerkmal nach dem Aufgabe-Lösungs-Ansatz zeigen. Es kann entscheidend sein, dass nach der Einreichung der Patentanmeldung experimentelle Daten vorgelegt werden, um eine technische Wirkung im Vergleich zum Stand der Technik nachzuweisen. Gemäss den aktuellen Richtlinien können solche Nachweise, die zur Bewertung der erfinderischen Tätigkeit dienen, auch nach dem Anmeldetag als «nachveröffentlichte Beweismittel» («post-published evidence») wirksam sein. Allerdings können neu erwähnte technische Wirkungen nur berücksichtigt werden, wenn sie bereits in der ursprünglichen Anmeldung impliziert waren oder zumindest damit im Zusammenhang stehen.
Im Vorlagefall T 116/18 vor der technischen Beschwerdekammer war die beanspruchte Erfindung eine Mischung von zwei vorbekannten Insektiziden A und B, wobei das Argument für die erfinderische Tätigkeit deren synergistische Wirkung war. Für das EPA sind neu eingereichte experimentelle Daten für die Feststellung der erfinderischen Tätigkeit entscheidend. Diese Daten ermöglichen es, eine anspruchsvolle technische Aufgabe zu formulieren, bei der eine synergistische Aktivität von Insektiziden gegen einen bestimmten Schädling nachgewiesen werden soll. Die Rechtsbeständigkeit des Patents hängt daher von der Berücksichtigung dieser Daten ab. Es stellte sich somit die Frage, wie mit nachveröffentlichten Beweismitteln umzugehen ist. In der Vorlageentscheidung wurden folgende Fallgruppen identifiziert:
i) «Ab inito plausibility»: Berücksichtigung der nachveröffentlichten Beweismittel, wenn die Fachperson am Anmeldetag der strittigen Patentanmeldung ausgehend von den darin enthaltenen Angaben oder vom allgemeinen Fachwissen die Wirkung für plausibel erachtet hätte.
ii) «Ab initio implausibility»: Berücksichtigung, wenn die Fachperson am Anmeldetag der strittigen Patentanmeldung ausgehend von den darin enthaltenen Angaben oder vom allgemeinen Fachwissen keinen Grund gesehen hätte, die Wirkung für unplausibel zu erachten.
iii) «No plausibility»: Die Frage nach der Plausibilität wird nicht gestellt.
Die Grosse Beschwerdekammer des EPA hatte folgende Vorlagefragen zu beantworten: Wenn sich der Patentinhaber für die Anerkennung erfinderischer Tätigkeit auf eine technische Wirkung beruft und Beweismittel vorlegt, die vor dem Anmeldetag nicht öffentlich zugänglich waren und erst nach diesem Tag eingereicht wurden, i.) ist dann eine Ausnahme vom Grundsatz der freien Beweiswürdigung dahingehend zuzulassen, dass nachveröffentlichte Beweismittel unberücksichtigt bleiben müssen, weil der Nachweis für die Wirkung ausschliesslich auf diesen beruht? und ii.) wenn diese Frage bejaht wird, gilt dann Ab-initio-Plausibilität bzw. Ab-initio-Unplausibilität? Nach der Grossen Beschwerdekammer dürfen die nachveröffentlichten Beweismittel nicht allein aus dem Grund nicht unberücksichtigt bleiben, dass sie vor dem Anmeldetag des Streitpatents nicht öffentlich zugänglich waren und erst nach diesem Tag eingereicht wurden, da der Grundsatz der freien Beweiswürdigung einerseits uneingeschränkt gilt und es hierbei andererseits nicht um Ausnahmen der freien Beweiswürdigung geht, sondern eher um etwas, das der Anmelder nachweisen muss, damit er sich auf eine streitige Wirkung der Erfindung stützen kann. Ein Patentanmelder oder -inhaber kann nach dem Anmeldetag Beweise für eine technische Wirkung einreichen. Diese Beweise werden anerkannt, wenn ein Fachmann anhand des allgemeinen Fachwissens und der ursprünglichen Offenbarung der Anmeldung nachvollziehen kann, dass die Wirkung von der technischen Lehre umfasst ist und zur ursprünglich offenbarten Erfindung gehört. Die Grosse Beschwerdekammer gelangte sodann zum Schluss, dass der Begriff «Plausibilität», wie er allgemein vom und beim EPA verwendet wird, keinen eigenen Rechtsbegriff und kein spezifisches Rechtserfordernis darstellt. Massgebend ist, was die Fachperson der Anmeldung am Anmeldetag als Erfindung entnehmen konnte. Bei der Beurteilung dieses Punktes müssen jeweils die spezifischen Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden.
Darauffolgend erläuterte Blumer den Entscheid T 522/21 vom 5. Juli 2023. Festzuhalten ist, dass bei einer US-Anmeldung (Prioritätsanmeldung) die Erfindung und ihre Vorteile für den Patentschutz bereits am Anmeldetag vollständig aufgezeigt und nachgewiesen werden müssen. Ansonsten ist es nicht gerechtfertigt, Priorität anzuerkennen. Vorliegend war die Prioritätsanmeldung unvollständig und fehlerhaft. Der korrekte Inhalt der Anmeldung wurde zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht. Es folgten die EP-Nachanmeldung und Erteilung des europäischen Patents, wogegen vier Einsprüche erhoben wurden. Das Patent wurde im geänderten Umfang aufrechterhalten. Im besagten Fall war besonders, dass vier weitere Parteien mit neuen Einsprachegründen in Laufe des Beschwerdeverfahrens beitraten. Der letzte Beitretende brachte den Einwand der «non-enabling priority», d.h. dass die Priorität nicht gelte, am 25. Juli 2022 hervor. Das Patent wurde wegen ungültiger Priorität bzw. mangelnder Neuheit widerrufen.
Weiter thematisierte Blumer die neue Rechtsprechung des EPA hinsichtlich Prioritätsrecht. Die Entscheidung der Grossen Beschwerdekammer in Sachen G 1/22 und G 2/22 betrifft das Recht auf Inanspruchnahme einer Priorität aus einer früheren Anmeldung nach Art. 87 (1) EPÜ. Insbesondere ging es um die Frage, wer die Priorität für seine spätere Anmeldung beanspruchen kann (sog. formale Priorität). Das Recht auf Inanspruchnahme der Priorität steht der Person, welche die Prioritätsanmeldung eingereicht hat, oder ihrem Rechtsnachfolger zu. Die formale Priorität wurde oft in Einspruchsverfahren angefochten, besonders wenn der Anmelder der Nachanmeldung nicht der Anmelder der Prioritätsanmeldung war. Die Beweislast lag hierbei bei den Patentanmeldern, die den Erwerb des Prioritätsrechts vor der Einreichung der Nachanmeldung beweisen mussten. Viele Verfahren betrafen Prioritätsanmeldungen, die in den USA eingereicht wurden, da diese vom Erfinder selbst eingereicht werden mussten. Dies führte häufig zu Situationen, in denen die Prioritätsanmeldung und die Nachanmeldung von unterschiedlichen Personen eingereicht wurden und in der nachfolgenden PCT-Anmeldung der Erfinder nur als Anmelder für die USA genannt wurde und für alle anderen benannten Staaten ein anderer Anmelder.
Die Grosse Kammer bejahte vorliegend die erste Vorlagefrage, ob das EPA überhaupt für die Beurteilung der Berechtigung zur Inanspruchnahme der Priorität nach Art. 87 (1) EPÜ zuständig ist in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung EPA zur stillschweigenden Zuständigkeit. Gleichzeitig wurde ein neues Rechtskonzept, nämlich die widerlegbare Prioritätsvermutung, eingeführt, wonach vermutet wird, dass der Anmelder, der eine Priorität beansprucht, zur Inanspruchnahme der Priorität berechtigt ist. Dadurch wird die Beweislast auf die Partei verlagert, welche die Gültigkeit der Prioritätsbeanspruchung bestreitet. Die zweite Vorlagefrage wurde dahingehend beantwortet, dass die widerlegbare Vermutung auch in den Fällen gilt, in denen die europäische Patentanmeldung auf einer PCT-Anmeldung beruht und/oder keine Identität zwischen den Prioritätsanmeldern und den Nachanmeldern besteht. Wird eine PCT-Anmeldung von den Parteien A und B gemeinsam eingereicht, wobei i.) die Partei A für einen oder mehrere Bestimmungsstaaten und die Partei B für einen oder mehrere Bestimmungsstaaten benannt wird und ii.) die Priorität einer früheren Patentanmeldung beansprucht wird, in der nur die Partei A als Anmelder genannt wird, impliziert die gemeinsame Einreichung der PCT-Anmeldung – falls keine erheblichen tatsächlichen Anhaltspunkte dagegen sprechen – eine Abrede zwischen den Parteien A und B, welche die Partei B zur Inanspruchnahme der Priorität berechtigt.
Am Tag des Entscheids kam der BGH unter deutschem Recht bei der Beantwortung der gleichen Frage zum selben Resultat (vgl. BGH X ZR 83/21, «Sorafenib-Tosylat», verkündet am 28. November 2023).
Zum Schluss gab Blumer eine Warnung und eine Entwarnung zum Verfahren: Zunächst wies er daraufhin, dass die Zehn-Tage-Zustellungsfiktion abgeschafft wird, was bedeutet, dass ab dem 1. November 2023 das Schriftstück an dem Tag als zugestellt gilt, auf den es datiert wird, was die Fristen generell um zehn Tage verkürzt (Regel 126(2) EPÜ). Zugleich entwarnte Blumer, dass die Frist für die Beschwerdeantwort nicht verkürzt wird. Die Frist für die Einreichung der Beschwerdebegründung beträgt vier Monate und für die Einreichung der Beschwerdeantwort vier Monate mit Erstreckungsmöglichkeit auf sechs Monate (Art. 12(1)c) i.V.m. Art. 12(7) Verfahrensordnung 2020); eine Verkürzung auf zwei Monate ist nicht vorgesehen.
Dr. Klaus Gabrinski berichtete in seiner zweiten Präsentation der Tagung von ersten Erfahrungen mit dem UPC, welches zurzeit für siebzehn Mitgliedsstaaten zuständig ist. Zunächst hatte auch das UK das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) ratifiziert, trat nach dem Brexit jedoch davon zurück. Gabrinski wies darauf hin, dass der Verwaltungsausschuss das Übereinkommen an das EU-Recht durch einen Beschluss anpassen kann, sofern keiner der Mitgliedstaaten eine Ratifizierungsurkunde verlangt. Da Ungarn nicht beabsichtigt, das Übereinkommen zu ratifizierten, werden auch künftige Trainingsmassnahmen nicht mehr dort stattfinden. Die Verwaltung des UPC obliegt dem Präsidium. Bis anhin wurden beim Gericht zahlreiche Verletzungs- und Nichtigkeitsklagen eingereicht, wobei eine bedeutende Anzahl der isolierten Nichtigkeitsklagen die Klasse A betrafen. Widerklagen gab es bisher keine.
Zur Zusammensetzung der Spruchkörper kann Folgendes festgehalten werden: Bei der Zentralkammer setzt sich der Spruchkörper aus zwei rechtlich qualifizierten Richtern und einem technisch qualifizierten Richter zusammen, bei der Lokal- und Regionalkammer aus drei rechtlich qualifizierten Richtern und meistens einem technisch qualifizierten Richter und beim Berufungsgericht aus drei rechtlich qualifizierten und zwei technisch qualifizierten Richtern. Die Richter sind jeweils aus unterschiedlichen Mitgliedsstaaten. Wird eine Berufung nicht zugelassen, kann die Nichtzulassung von einem Richter überprüft werden. Endgültig entscheidet das Panel beim Berufungsgericht.
Bevor das Übereinkommen in Kraft trat, gab es grosse Diskussionen hinsichtlich Unabhängigkeit der Richter. Die Art. 17(4) UPC-Übereinkommen und Art. 4(3) UPC-Verhaltenskodex hält fest, wann ein Interessenskonflikt vorliegt. Ausgeschlossen ist z.B. dass ein Patentanwalt, der technischer Richter ist, gleichzeitig einen UPC-Fall entscheidet, selbst wenn es sich um zwei komplett verschiedene Fälle handelt. In gewissen Konstellationen möchte man dem technischen Richter aber auch entgegenkommen, indem die blosse Eintragung als Parteivertreter, um von der Grossväterregelung (s. Regel 12 EPLC Ordnung) in angemessener Zeit Gebrauch zu machen, nicht als Verletzung der besagten Regel im Verhaltenskodex angesehen wird. Intern wird zudem eine Interessenskonfliktprüfung von technischen Richtern verlangt. Nach aktuellem Stand wurde beim Berufungsgericht noch nicht so oft ein technischer Richter zugewiesen. Wenn es nur um rechtliche Fragen geht, ist es nicht unbedingt notwendig, einen technischen Richter beizuziehen.
Bei der Zentralkammer ist die Verfahrenssprache die Sprache des Patents, bei der Lokal- und Regionalkammer gelten als Verfahrenssprachen grundsätzlich die offiziellen Sprachen der Mitgliedsstaaten und beim Berufungsgericht ist grundsätzlich die Sprache der ersten Instanz massgeblich.
Die Ausgestaltung der Verfahrensberufung ist «nur» in der Verfahrensverordnung geregelt (z.B. auch die Zusammensetzung des Spruchkörpers).
Die UPC-Gerichtsverfahren sollen hauptsächlich schriftlich sein, um tagelange Verhandlungen zu vermeiden. Im schriftlichen Verfahren gibt es einen doppelten Schriftenwechsel, wobei alle relevanten Tatsachen und Beweise vorgetragen werden müssen, nicht nur «skeleton arguments». Bei der mündlichen Verhandlung kann die Redezeit beschränkt werden, denn diese sollte innerhalb eines Tages beendet werden. Auf die Zeitkontingente werden die Parteien im Vorfeld hingewiesen. Es ist möglich, der mündlichen Verhandlung per Videokonferenz beizuwohnen (Regel 112 VerfO).
Regel 262 VerfO sieht vor, dass eine Drittperson einen begründeten Antrag stellen kann, die Schriftsätze einzusehen. Wo die Schwelle liegt, um tatsächlich Einsicht zu erhalten, ist unklar, jedoch ist eine konkrete Begründung erforderlich. Die Regionalkammer Stockholm ist in dieser Hinsicht weniger streng. Eine Partei kann verlangen, dass bestimmte Informationen vertraulich behandelt werden.
Das Konzept des UPC ist ein elektronisches, mit welchem alle Unterlagen in Sekundenschnelle zugestellt werden können. Die erste Anordnung des Berufungsgerichts vom 13. Oktober 2023 (CoA 320/2023) beinhaltet:
1. Eine Klageschrift kann dem Beklagten auch ohne Anlagen wirksam zugestellt werden, sofern die Klageschrift es dem Beklagten auch ohne diese ermöglicht, seine Rechte in dem Gerichtsverfahren vor dem UPC geltend zu machen (Regel 271 VerfO).
2. Einem Antrag des Beklagten auf Verlängerung der Fristen zur Erhebung eines Einspruchs und zur Klageerwiderung ist bereits dann zu entsprechen, wenn ein Kläger die Anlagen – entgegen Regel § 3.2 VerfO – nicht gleichzeitig mit der Klageschrift in das Case Management System (CMS) hochgeladen hat und die Anlagen deshalb nicht verfügbar sind, wenn der Vertreter des Beklagten mit dem Zugangscode, welchen er mit der Klageschrift erhalten hat, auf das CMS zugreift.
3. Sofern nicht besondere Umstände des Einzelfalles eine andere Frist rechtfertigen, sind die genannten Fristen um den Zeitraum zu verlängern, in dem die Anlagen entgegen Regel 13.2 VerfO nicht zur Verfügung standen.
Das von Ritscher geleitete Panel setzt sich aus Grabinski, Lars Meinhardt (Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht München), Dr. Stefan Luginbühl (Direktion Internationale Rechtsangelegenheiten des EPA), Dr. Mark Schweizer (Präsident am Bundespatentgericht), Dr. Tobias Bremi (Zweiter hauptamtlicher Richter am Bundespatentgericht) und Dr. Nina Bayerl (Rechtsanwältin bei Freshfields Bruckhaus Deringer) zusammen.
Luginbühl berichtete zunächst von den Entwicklungen beim Einheitspatent. Die Einführung des Einheitspatents wurde sehr positiv aufgenommen und es gingen täglich etwa 100 Anträge auf einheitliche Wirkung ein. Dies, obwohl man anfangs Zurückhaltung erwartete, weil die Einheitlichkeit des Patents neben Chancen auch Risiken birgt. Da das Einheitspatent in allen teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten die gleiche Rechtswirkung hat, verliert ein Patent, das in einem Land für nichtig erklärt wird, auch in allen anderen Ländern, in denen es einheitliche Wirkung hat, seine Gültigkeit. Die meisten Anträge kamen aus Deutschland. Das grosse Interesse der Schweiz am Einheitspatent zeigt sich an ihren ca. 1 500 Anträgen, womit sie mehr Anträge als China, Japan, das UK und Italien gestellt hat. Insbesondere macht die Pharmaindustrie Gebrauch vom Einheitspatent. Abweisungen gab es sehr wenige, wenn jedoch, betrafen diese meistens Patente, die nicht in allen teilnehmenden 25 Staaten zugelassen wurden. Teilweise gab es auch zu späte Einreichungen, da man nur einen Monat Zeit hat, um den Antrag zu stellen. Es besteht jedoch die Möglichkeit des Wiedereinsetzungseintrags. Im Zusammenhang mit der Schweizer Beteiligung vor dem UPC wird zudem festgehalten, dass im CMS nur diejenigen Entscheide angezeigt werden, bei denen die Zustellung der Klage erfolgt ist und die Formalitäten erfüllt worden sind.
Bayerl nahm Bezug auf die Präsentation betreffend UPC und hob dabei die lokale Vielschichtigkeit des UPC und die mit ihr einhergehende Optionsvielfalt hervor. Anlass zur Sorge bereiten die zeitlichen Faktoren: Die Verfahren werden immer kürzer, allenfalls gerade wegen des Wettbewerbs. Das UPC will effizient sein und kurze Verfahren haben: Von der Klageeinreichung bis zum Abschluss der Verhandlung sollten höchstens zehn Monate vergehen. Schnelle Verfahren werden befürwortet, jedoch sollten sie nicht zu schnell sein. Wichtig sei es, das Augenmerk auf das zu richten, was erforderlich sei, und das könne je nach Verfahren variieren.
Meinhardt beantwortete die Frage, an welcher Stelle im Wettbewerb die Zukunft des Landesgerichts München gesehen wird. Nach seiner Einschätzung scheinen Richter im Bereich Patente begierig darauf zu sein, schwierige Fälle zu behandeln, sie jedoch auch schnell wieder loszuwerden. Zurzeit gilt es abzuwarten und die Entwicklung zu beobachten. Ein Gericht muss durch schnelle und sorgfältige Verfahren punkten und nicht durch Patentfreundlichkeit. Ein Gericht muss in der Lage sein, vernünftig zu entscheiden.
Grabinski fand den Begriff des Wettbewerbs vorliegend etwas schwierig, obwohl das UPC gewisse Vorgaben hat, dass ein Verfahren innerhalb eines Jahres abgeschlossen werden sollte. Letztlich liegt es auch an den Parteien, wo sie die Klage anhängig machen.
Die Frage wurde aufgeworfen, ob es technische Richter überhaupt braucht. Wenn es nur juristische Richter gäbe, würde sich mit der Zeit ein Erfahrungswissen bilden, wenn jedem der fünf Standorte, die sich mit dem Patent befassen, ein Bereich zugewiesen würde. Dann gäbe es allerdings auch weniger Wettbewerb.
Bayerl erwähnte, dass es der Gedanke der Zentralkammern ist, dass es eine Aufteilung gibt.
Schweizer war der Ansicht, dass die Vorschriften der verschiedenen Gerichte nebeneinanderstehen müssen und gleich auszulegen sind.
Es wurde diskutiert, ob die Beschwerdekammer auch das UPC positiv beeinflussen kann, wobei man zum Schluss gelangte, dass die Antwort «Ja» lauten muss. In der Tat hat die Beschwerdekammer nur die Zuständigkeit für die Rechtsbeständigkeit (Priorität etc.). Ansonsten sollte sich das Gericht, wenn möglich, harmonisch zum UPC entwickeln. Unterschiedliche Handhabung sollte auf sachlichen Gründen basieren.
Bemerkt wurde, dass bei EU-Recht der EuGH das letzte Wort hat, Patentrecht aber ungleich dem Markenrecht eben kein EU-Recht ist.
Bayerl wies darauf hin, dass oft der Entscheid des EuGH abgewartet werden will und die Entscheide nicht zum Berufungsgericht kommen (oftmals wegen einer Unterlassungsverfügung).
Luginbühl betonte, dass der Einfluss des UPC zunehmen wird und ein neues Kompetenzzentrum aufgebaut wird.
Schweizer hielt fest, dass der EuGH in seiner Rechtsprechung festgelegt hat, dass das Verfahren nicht verzögert werden darf. Man spricht von neun Monaten Zustellungszeit.
Aus dem Publikum gab jemand zu bedenken, dass vor allem die Unternehmen entscheiden werden, wo geklagt wird. Entscheidend seien vor allem die Kosten. Die Anwälte werden die Klage lediglich ausführen und die Richter werden dies annehmen. Es geht letztlich um «Invest and Return»: Möchte man z.B. ein schnelles Verfahren, klagt man beim UPC, im Wissen, mehr zu investieren. Die Kosten sind hingegen schwierig vorherzusehen, da es eine Gegenseite gibt sowie das Gericht. Vorhersehbarkeit ist sicher zumindest in Deutschland ein Faktor, der mitberücksichtigt wird. In Deutschland ist das Kostenrisiko eher eruierbar. Beim UPC sind zumindest die Gerichtsgebühren ebenfalls gut vorhersehbar, und das UPC istgrundsätzlich sogar günstiger als deutsche Gerichte. Bei französischen Gerichten wäre dem z.B. nicht so, denn dort handelt es sich bei den Gerichtsgebühren nur um einen symbolischen Betrag.
Seit Januar bzw. Juli 2021 und vorerst bis Ende Mai 2022 wurden alle mündlichen Verhandlungen vor den Einspruchsabteilungen bzw. vor der Eingangsstelle und der Rechtsabteilung als Videokonferenz durchgeführt. Weiter wurden digitale Einrichtungen etabliert, etwa ein digitales Einreichungstool. Entsprechend musste der Rechtsrahmen, insbesondere mit Blick auf Formerfordernisse, angepasst werden.
Anschliessend erläuterte Elisabeth Fink (Mitglied der Beschwerdekammern des EUIPO) die Konvergenzprogramme des EPA. 2011 wurde das «Trade Mark and Design Networks» (TMDN) u.a. mit dem Ziel einer Konvergenz der Prüfungspraxis (EUIPO, nationale Ämter und Nutzerverbände) gegründet. Die Rechtsgrundlage für die Konvergenzprogramme findet sich in den Art. 151 und 152 der Unionsmarkenverordnung. 2019 wurden die zwölf abgeschlossenen Konvergenzprogramme (CP1-CP12) Teil des Kooperationsprojekt ECP4. Kernstück eines Konvergenzprogramms ist eine gemeinsame Mitteilung, die auf der Website des EUIPN unter PRAKTIKEN veröffentlicht wird. Die zwölf Programme werden detailliert beschrieben. Neue Konvergenzprogramme werden als ECP auf der Website veröffentlicht.
Die praktische Umsetzung von CP3 (Unterscheidungskraft von Wort-Bildmarken mit beschreibenden/nicht unterscheidungskräftigen Wörtern) wurde untersucht. Mitwirkende nationale Ämter und Nutzerverbände erhielten einen Fragebogen mit der Aufforderung, geeignete Beispiele auszuwählen. Der Fragebogen umfasste sowohl fiktive Beispiele als auch «echte» Marken. Lediglich die Beispiele mit 80% Übereinstimmung wurden berücksichtigt. Die Ergebnisse der Untersuchung sind im «Schulungsmaterial 2023» veröffentlicht.
Es wurden zwei Beispiele aus den aktualisierten Materialien gezeigt, welche die Fragen beantworten, welche Wirkung die Schriftart und das Schriftbild auf die Unterscheidungskraft haben bzw. welchen Unterschied eine Farbe machen kann. Beispielsweise ist das blosse «Hinzufügen» einer einzigen Farbe zu einem beschreibenden bzw. nicht unterscheidungskräftigen Wortelement, sei es zu den Buchstaben selbst oder als Hintergrund, nicht ausreichend, um einer Marke Unterscheidungskraft zu verleihen. Es wurde darauf hingewiesen, dass national wohl immer ein Interesse daran besteht, der nationalen Marke zum Erfolg zu verhelfen. Entscheidend ist, dass das, worauf man sich geeinigt hat, in die Richtlinien übernommen wird.
Durch die Ausarbeitung der Konvergenzprogramme wird der Erfahrungsaustausch innerhalb des Netzwerks gefördert und üblicherweise finden die Grundsätze einer gemeinsamen Praxis Eingang in die Prüfungsrichtlinien des EUIPO und der (teilnehmenden) nationalen Ämter. Für die Kammern besteht keine Bindungswirkung. Es gibt diverse Aktivitäten, um die Spruchpraxis zu vereinheitlichen, sowie fünf Arbeitsgruppen (Consistency Circles) bestehend aus Kammermitgliedern, juristischen Mitarbeitern und «Litigators». Es werden Berichte zu bestimmten Rechtsfragen verfasst, welche nach der Genehmigung durch das Präsidium auf der EUIPO-Website veröffentlicht werden. Für die Kammern sind diese Entwicklungen insofern von Bedeutung, als dass eine Analyse gemacht wird, bei der einheitlich beurteilt wird, wann abweichend entschieden wird, wo es Trends gibt und wohin diese gehen. Weiter muss ermittelt werden, wo es noch offene Fragen gibt. Selbst wenn die Berichte keine Bindungswirkung haben, muss eher begründet werden, warum etwas auf den konkreten Fall nicht zutrifft. Dies hilft für die Vorhersehbarkeit und steigert die Vereinheitlichung.
Zurzeit ist die Handhabbarkeit der Berichte noch etwas schwierig, weshalb ein Stichwortverzeichnis – wie bei den Richtlinien – wünschenswert wäre.
Prof. Benjamin Raue, Professor für Zivilrecht, insbesondere Recht der Informationsgesellschaft und des Geistigen Eigentums an der Universität Trier, präsentierte den aktuellen Stand der Revision des Unions-Designrechts.
Inhalt der vorläufigen politischen Einigung vom 5. Dezember 2023 war es, ein Design-Package einzuführen, anstatt einer Reparaturklausel. Als vorläufiger Termin für die Plenarsitzung ist der 11. März 2024 vorgesehen. Ziel ist es, die Design-Richtlinien und die Gemeinschaftsgeschmacksmuster-VO zu überarbeiten, damit Designschutz im digitalen Zeitalter standhalten kann und europäische sowie internationale Verfahren harmonisiert werden. Der Gesetzestext wurde durch das Parlament im März 2024 genehmigt und im Oktober 2024 durch den Rat verabschiedet.
Kernbereiche des Design-Packages sind die Reparaturklausel mit neuen Regeln für Ausnahmen für Ersatzteile, die Nichteintragung kulturellen Erbes von nationalem Interesse und höhere Gebühren im Vergleich zu nationalen Schutzsystemen wegen des räumlich grösseren Anwendungsbereichs.
Durch die Reparaturklausel wird der Ersatzteilmarkt liberalisiert und der Wettbewerb gefördert. Ersatzteile für ein komplexes Erzeugnis, die zur Wiederherstellung seines ursprünglichen Erscheinungsbildes verwendet werden, sind vom Designschutz ausgeschlossen. Geschützt sind nur Ersatzteile zu Reparaturzwecken, sofern diese genau wie das Originalstück aussehen. Für «must-match»-Ersatzteile, deren Aussehen vom Aussehen der Originalteile abhängt, gibt es keinen Geschmacksmusterschutz mehr. Die Wirksamkeit der Klausel ist letztlich von der marken- und urheberrechtlichen Schutzfähigkeit abhängig.
Es wird eine Erweiterung der Schranken in Art. 20a der Unionsgeschmacksmuster-VO geben.
Die Rn. 88 des EuGH-Entscheids C-397/16 und C-435/16, «Acacia», nämlich dass der Hersteller oder Anbieter den Verkauf eines solchen Bauelements unterlassen muss, wenn er weiss oder annehmen muss, dass das Bauelement nicht gemäss den Voraussetzungen nach Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 verwendet werden wird, wurde nicht in die Reparaturklausel der Unionsgeschmacksmuster-VO übernommen.
Hinsichtlich Gebühren fällt insbesondere auf, dass sie ab dem elften Design sprunghaft ansteigen. Zudem ist die erste Verlängerungsgebühr deutlich teurer als bis anhin.
Als nächstes stellte Elisabeth Fink die Rechtsprechung der Beschwerdekammer des EUIPO und des EuG zum Marken- und Designrecht vor. Im Rahmen ihres Vortrages wurden die Urteile T-315/22, «Sütat», T-519/22, «FITNESS», T-679/22, «LAPLANDIA» und T-617/21, «Elektrode» behandelt.
Dem Entscheid «Sütat» liegt die Frage betreffend die Schutzfähigkeit fremdsprachiger Angaben zugrunde. Das Zeichen «Sütat» wurde für die Klasse 29 (Milchprodukte) eingetragen. Es erfolgte ein Löschungsantrag. Die Antragstellerin argumentierte, dass das Zeichen aus türkischen Wörtern bestehe (Süt = Milch, tat = Geschmack). Folglich sei das Zeichen für die beanspruchten Waren beschreibend. Die Löschungsabteilung wies den Antrag zurück. Denn der Gesamtbegriff sei nicht lexikalisch nachgewiesen. Zudem bestehe kein Nachweis, dass das Zeichen nach den Regeln der türkischen Sprache gebildet worden sei. Auch fehle eine Stellungnahme eines Sprachexperten. Darüber hinaus bestünden keine Anhaltspunkte, dass die Abweichung von Süttat zu Sütat als unwesentlich wahrgenommen werde. Schliesslich sei auch eine andere Bedeutung des Zeichens denkbar, wobei insbesondere das Wort «At» der türkische Begriff für Pferd ist. Die Beschwerdekammer folgte diesen Erwägungen nicht, hob den Entscheid auf und ordnete die Löschung an.
Die Löschungsanordnung wurde sodann vom EuG bestätigt, da ein Eintragungshindernis in Bezug auf einen nicht unerheblichen Teil der angesprochenen Verkehrskreise genüge. Türkisch sei zwar keine EU-Amtssprache, aber Amtssprache Zyperns. Ausserdem lebe eine Vielzahl türkischer Staatsangehörige in der Union, u.a. in Deutschland. Dieser türkischsprachige Teil der Verbraucher verstehe «Sütat» als «Milchgeschmack». Die grammatisch fehlerhafte Struktur und falsche Schreibweise stehen diesem Verständnis nicht entgegen. Die Sprachgutachten und die Internetrecherche seien nur zur Bestätigung herangezogen worden. Schliesslich sei das Urteil des OLG Düsseldorf nicht beachtlich.
Fink erwähnte, dass die Kriterien für die Beurteilung von nicht EU-Amtssprachen nach wie vor unklar sei: Ist «Teil der Union» dasselbe wie «nicht unerheblicher Teil der Verbraucher»? Wie bemisst sich die «Nicht-Unerheblichkeit»? Weiter stellt sich die Frage, ob Sprachgutachten als neues Indiz für Sprachüblichkeit fungieren können.
Dem Entscheid «FITNESS» liegt ein Löschungsantrag vom 2. September 2011 (absolute Schutzhindernisse) zugrunde. Dieser betraf die Wortmarke «FITNESS», welche für Waren in den Klassen 29, 30 und 32 eingetragen war. Die Streitfrage war, ob die von der Antragstellerin verspätet vorgelegten Unterlagen zu berücksichtigen seien oder nicht. Es bestehe eine uneinheitliche Praxis der Kammern zur Frage, ob Begründungsmängel grundsätzlich einen Widerruf gemäss Art. 103 UMW rechtfertigen würden. Für eine solche Praxis spreche, dass die Parteien ein Interesse an einer korrekten Rechtsprechung haben. Zudem verursache die Aufhebung wegen Begründungsmangels unnötige Kosten und Verfahrensverzögerungen. Gegen eine solche Praxis spreche, dass die Parteien auf den Rechtsbestand der Entscheidung vertrauen dürfen müssten. Zudem sei nicht jeder Begründungsmangel offensichtlich. Schliesslich wirke sich nicht jeder Begründungsmangel auf das Ergebnis aus.
Fink referierte über den Entscheid «LAPLANDIA». Verschiedene Wort-/Bildmarken wurden während der Periode 2008–2016 für Brandavid eingetragen. 2017 wurden die Marken auf die Global Drinks Finland übertragen. Am 27. Juli 2020 wurde eine ausschliessliche Lizenz für Shaman Spirits eingetragen. Schliesslich wurde am 18. März 2021 der Eintrag widerrufen gemäss Art. 103 UMV. Die Eintragung einer Lizenz setzt voraus, dass die Lizenz auf Antrag eines Beteiligten eingetragen wird (Art. 25(2) UMV). Die Art. 20(5) und (6) UMV gelten für die Eintragung entsprechend. Gemäss diesen Bestimmungen muss der Antrag u.a. Unterlagen enthalten, aus denen sich der Rechtsübergang (Lizenz) ergibt. Mögliche Arten, diesen Nachweis zu erbringen sind i.) ein vom Antragsteller und Markeninhaber gemeinsam unterzeichneter Antrag, ii.) ein Antrag des Lizenznehmers mit Zustimmung des Markeninhabers, iii.) ein Antrag des Markeninhabers mit Zustimmung des Lizenznehmers sowie iv.) eine von beiden Beteiligten unterzeichnete Lizenzvereinbarung. Vorliegend war die Eintragung rechtmässig. Der einzige Nachweis besteht in der Lizenzvereinbarung zwischen Brandavid und Shaman Spirits. Die Zustimmung der eingetragenen Markeninhaberin wurde nicht vorgelegt. Die angebliche Kenntnis von der Lizenz beim Erwerb der Marken sei unbeachtlich. Zudem sei finnisches Recht unbeachtlich, weil sich die Eintragung der Lizenz ausschliesslich nach Unionsrecht bestimmt. Die EUIPO habe ausschliesslich die formalen Voraussetzungen zu prüfen. Daher enthalte die Eintragung der Lizenz einen offensichtlichen Fehler i.S.v. Art. 103 UMV.
Abschliessend erläutert Fink den Entscheid «Elektrode». Dem Entscheid lag ein Nichtigkeitsantrag gestützt auf Art. 25(1)(b) i.V.m. Art. 4 und 5 GGV zugrunde. Die Parteien hatten sich im Rahmen einer prozessleitenden Massnahme des Gerichts zu folgenden Fragen zu äussern: Ist der Markt für Elektroden, die mit «ElektrodeHyptertherm»-Brennern verwendet werden, aufgrund des angegriffenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters «monopolistisch» (captive market)? Und inwieweit kann die fragliche Elektrode auch bei anderen Brennern verwendet werden?
Gemäss den Entscheiden C-397/16 und C-435/16, «Acacia», Rz. 65, bezeichnet ein «Bauteil eines komplexen Erzeugnisses» verschiedene Einzelteile, die zu einem komplexen industriellen oder handwerklichen Gegenstand zusammengebaut werden sollen und sich ersetzen lassen, sodass ein solcher Gegenstand auseinander- und wieder zusammengebaut werden kann und deren Fehlen dazu führen würde, dass das komplexe Erzeugnis nicht bestimmungsgemäss verwendet werden kann. Dieser Begriff ist anhand verschiedener Indizien zu beurteilen.
Die Beschwerdekammer hatte folgende Indizien zutreffend berücksichtigt: i.) Betreffend den Verschleiss stellte die Beschwerdekammer fest, dass die Elektrode kein dauerhafter Teil des Brenners sei und keine feste Verbindung bestünde. Der Endbenutzer sei infolge des häufigen Austausches aufgrund der geringen Lebensdauer in der Lage, die Erscheinungsmerkmale der Elektrode wahrzunehmen; ii.) Darüber hinaus setzt das Ersetzen der Elektrode kein Auseinanderbauen von Brenner und Schneidsystem voraus; es sind keine Fachkenntnisse erforderlich; iii.) Zudem ist bezüglich der Vollständigkeit des Erzeugnisses zu berücksichtigen, dass der Brenner mit und ohne Elektrode verkauft wird. Die Elektrode wird auch getrennt vom Brenner beworben und verkauft; iv.) Der Brenner kann im Weiteren mit verschiedenen Elektroden verwendet werden, was für eine Substituierbarkeit spricht; v.) Letztlich sei die Elektrode kein Bauelement i.S.v. Art. 4 (2) GGV.
Marc Steinmayer, Rechtsanwalt bei Hildebrandt Rechtsanwälte, referierte zur Rechtsprechung der nationalen Gerichte und des EuGH zum Marken- und Designrecht.
Zunächst ging Steinmayer auf den EuGH als Rechtsmittelgericht ein. Gemäss Art. 58a Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs und Art. 170a Abs. 1 der Verfahrensordnung des EuGH muss der Rechtsmittelführer in Markensachen seiner Rechtsmittelschrift einen Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels als Anlage beifügen. Zulassungsvoraussetzung ist, dass das Rechtsmittel eine Frage betrifft, die für die Einheit, die Kohärenz oder die Entwicklung des Unionsrechts bedeutsam ist.
Gemäss der Rechtsprechungsstatistik des Gerichtshofs wurden in den vergangenen Jahren von insgesamt 166 Rechtsmitteleingaben lediglich drei zugelassen.
Fraglich sei, so Steinmayer, ob die Voraussetzungen des relativen Eintragungshindernisses resp. des Löschungsgrundes zum Zeitpunkt der Anmeldung oder der Entscheidung erfüllt sein müssen, falls zwischenzeitlich ein Wegfall aufgrund des Brexits vorliegt. Hierzu nennt Steinmayer die Entscheide C-751/22 P, «Shopify», und C-337/22 P, «Nowhere», sowie C-801/21 P, «Indo European Foods». Zur Beantwortung der Frage, inwieweit die Prioritätsregel des Art. 41 GGM-VO mit Art. 4 PVÜ vereinbar sei, verwies Steinmayer auf den Enscheid C-382/21 P, «The KaiKai Company Jaeger Wichmann».
Als Nächstes ging Steinmayer auf den EuGH als Vorlagegericht ein. Seit Februar 2024 seien zwei marken- und designrechtlich relevante Vorlagefragen anhängig. Zu Beginn des Jahres 2023 waren es noch zwölf. Es sind elf Entscheidungen ergangen, drei davon aus dem Januar 2024.
Steinmayer präsentierte anschliessend die Entscheidungen C-334/22, «Audi», C-473/22, «Mylan», C-104/22, «Lännen», C-654/21, «LM», C-472/21, «Monz» und C-684/21, «Papierfabriek Doetinchen».
Der Entscheid «Audi» ist eine Ergänzung zu C-500/14, «Ford», wonach der Art. 110 GGM-VO (Reparaturklausel) nicht zur Einschränkung von Markenrechten führen kann. Vorliegend stellt sich die Frage, ob der Kühlergrill eine rechtsverletzende Benutzung einer Marke darstellt. Und, falls ja, ob sie unter Art. 16(1)c) UMV fällt?
Zum Entscheid «Mylan» führte Steinmayer aus, dass gemäss dem Generalanwalt Szpunar kein «Wilder Westen» bei der Verteidigung der Rechte des geistigen Eigentums herrschen solle. Der EuGH erkannte, dass die verschuldensabhängige Haftung nicht der Durchsetzungs-RL widerspreche, wenn das Gericht befugt ist, die Höhe des Schadenersatzes unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls anzupassen, einschliesslich einer etwaigen Beteiligung des Antragsgegners an der Verwirklichung des Schadens. Gemäss Steinmayer sei dies in Deutschland wohl über § 254 BGB gewährleistet.
Der Entscheid «Lännen» sei Fortführung von C-172/18, «AMS Neve», wonach eine Verletzungshandlung im Rahmen des Art. 125 V UMV in dem Mitgliedstaat vorliege, in dem sich die Verbraucher und Händler befinden, an welche sich die Werbung/Handlung richtet. Die gesponsorte Anzeige mit länderspezifischer Zieldomain stelle ein Ausrichten auf dieses Land dar. Das Setzen von Metatags auf «.com-Webseiten» stelle hingegen kein Ausrichten dar, auch wenn dies zu organischen Suchmaschinentreffern in einem bestimmten Land führt.
Der EuGH erkannte im Entscheid «LM», dass die Widerklage nicht durch den Rahmen begrenzt werde, der durch die Verletzungsklage abgesteckt wurde. Dies sei eine weitere Stärkung der Widerklage (C-256/21). Denn die Anhängigkeit der Widerklage bleibt auch nach Rücknahme der Verletzungsklage erhalten.
Der Entscheid «Monz» konkretisierte in der Rn. 55 f. den Begriff «bestimmungsgemässe Verwendung» im Sinne des Art. 3 Abs. 3 RL (EG) 98/71 (Geschmacksmuster-RL).
Als letzten Entscheid des EuGH als Vorlagegericht präsentierte Steinmayer «Papierfabriek Doetinchen». Dieser Entscheid sei die Fortführung des Entscheids C-395/16, «DOCERAM». Gemäss dieser Rechtsprechung sprechen alternative Geschmacksmuster, mit denen sich dieselbe Funktion erfüllen lässt, nicht gegen die technische Bedingtheit der Erscheinungsmerkmale. Neu ist, dass das Gleiche gilt, wenn es sich um mehrere alternative Geschmacksmuster handelt, die der Inhaber des betreffenden Geschmacksmuster hat eintragen lassen.
Raue stellte den aktuellen Stand der Gesetzgebung des Unions-Urheberrechts vor und thematisiert die neuen Herausforderungen, vor welchen das Unions-Urheberrecht angesichts der rasanten Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI), insbesondere generativer KI, steht. Ein zentraler Punkt in der aktuellen Gesetzgebung ist die DSM-Richtlinie (Richtlinie (EU) 2019/790), die sowohl für nicht-kommerzielle als auch kommerzielle Forschung wichtige Schrankenregelungen einführt. Diese erlauben es, urheberrechtlich geschützte Werke für Text- und Datamining zu nutzen, welche für die Entwicklung von KI-Modellen unerlässlich sind. Art. 4 der DSM-Richtlinie stellt klar, dass die Analyse solcher Werke durch KI-Systeme keine Urheberrechtsverletzung darstellt, solange keine dauerhafte Vervielfältigung erfolgt, es sei denn, der Rechtsinhaber hat sich dies ausdrücklich und in angemessener Weise (maschinenlesbar) vorbehalten. Art. 4 DMS-RL stellt somit den Input, d.h. das tatsächliche Training der KI frei, nicht aber den Output.
Ein weiteres Thema ist das Territorialitätsprinzip des Unions-Urheberrechts, das durch Erwägungsgrund 60j des AI Act ausgehebelt wird. Bislang war die Vervielfältigungshandlung dem Urheberrecht des Landes unterstellt, in dem die Handlung stattfand. Erwägungsgrund 60j deutet jedoch auf eine extraterritoriale Wirkung hin, die es Anbietern von General-Purpose AI-Modellen (GPAI) ermöglicht, urheberrechtlich relevante Handlungen ausserhalb der EU vorzunehmen, während sie dennoch den EU-Vorschriften unterliegen.
Die Gesetzgebung fordert ausserdem erhöhte Transparenz von Anbietern solcher Modelle. Diese müssen detaillierte Dokumentationen ihrer Trainingsdaten öffentlich zugänglich machen, um Rechteinhabern die Möglichkeit zu geben, ihre Urheberrechte durchzusetzen. Gleichzeitig schützt die EU die Geschäftsgeheimnisse und vertraulichen Informationen dieser Unternehmen.
Betreffend den Schutz von Urheberrecht besteht weiterer Regulierungsbedarf. Dies ist jedoch bislang aufgrund der Territorialität nur für die EU möglich. Diesbezüglich besteht vereinzelt auch die Sorge, dass Betreiber von AI-Modellen aus der EU vertrieben werden, wenn diese vom Urheberrecht erfasst werden.
Im letzten Teil der Tagung berichtet Dr. Timmy Pielmeier, Rechtsanwalt bei MLL Legal AG, die Rechtsprechung der nationalen Gerichte und des EuGH zum Urheberrecht. Zunächst widmete sich Pielmeier den Werkbegriffen nach unionalem und deutschem Recht. Weiter behandelte Pielmeier die BGH-Entscheide «Silberdistel», «Geburtstagszug» und «Vitrinenleuchte», indem er auf die Schutzbegründung und den Schutzumfang einging. Zudem gelte der europäische Werkbegriff auch im Bereich der angewandten Kunst, das Verhältnis zum Designrecht sei jedoch unklar, wie es im Entscheid «Cofemel» des EuGH verdeutlicht werde.
Pielmeier betonte sodann die unterschiedliche Betrachtung der urheberrechtlichen Schutzbegründung anhand verschiedener Entscheide durch nationale Gerichte. Die schwedische Vorlage C-570/23, «Mio», warf verschiedene Fragen auf: Was sind die relevanten Faktoren? Erfolgt die Beurteilung prozessbezogen oder ergebnisbezogen? Was ist die Bedeutung des vorbekannten Formenschatzes und nachfolgender (Parallel-)Schöpfungen? Wie erfolgt die Beurteilung der Ähnlichkeit? Schliesslich ist die Bedeutung des Grades an Originalität (Wechselwirkungslehre) unklar.
Pielmeier ging auf die Pastiche ein. Anhand der BGH-Vorlage «Metall auf Metall V» zeigt er auf, dass sich im Zusammenhang mit der Pastiche verschiedene Fragen stellen. Ist die Pastiche ein Auffangtatbestand für die künstlerische Auseinandersetzung mit Werken, oder sind einschränkende Kriterien, wie das Vorliegen von Humor, Stilnachahmung oder Hommage, anzuwenden? Ist die subjektive Absicht des Nutzers massgeblich oder die objektive Erkennbarkeit?
Schliesslich widmete sich Pielmeier dem Beiwerk anhand der Entscheide «Fototapete» der Landgerichte Köln und Düsseldorf. Diesen Entscheiden lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Hintergrund von Anzeigen auf beispielsweise «airbnb» und «booking.com» waren Fototapeten ersichtlich. Das Landgericht Köln erkannte, dass ein Beiwerk vorliege, da kein Nutzungsrecht und kein unwesentliches Beiwerk i.S.d. § 57 UrhG gegeben sei. Das Landgericht Düsseldorf entschied gegenteilig, indem es argumentierte, dass eine konkludente Nutzungsrechtseinräumung oder eine Einwilligung vorliege. Eigentlich ginge es aber, so Pielmeier, um eine Schranken-Frage (§ 57 UrhG/Art. 5 III lit. i InfoSoc-RL).