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Berichte / Rapports

Diskussionsbeitrag zum 33. Debating Competition Dinner

Fabio Babey,

Dr. iur., EMBA (HSG), Zürich.

Dominic Schopf,

Rechtsanwalt, Zürich.

Die Autoren geben ihre persönliche Auffassung wieder.

Am 12. September 2024 fand das 33. Debating Competition Dinner zum Thema «Submissionskartelle: Wer hat seine Hausaufgaben gemacht?» statt. Debating Competition ist die erste und führende Veranstaltung für Kartellrechtsjuristen und Wettbewerbsökonomen in der Schweiz. Die beiden Impulsreferate wurden von Frank Stüssi (Sekretariat WEKO) und Marquard Christen (CMS) gehalten. Die Veranstaltung wurde von Fabio Babey (IXAR Legal AG) moderiert, der gemeinsam mit Dominic Schopf Co-Autor des vorliegenden Beitrages ist.

Le 12 septembre 2024 a eu lieu la 33e édition du dîner de la Debating Competition sur le thème «Cartels de soumission: qui a fait ses devoirs?». La Debating Competition est la première et la plus importante manifestation destinée aux juristes spécialisés en droit des cartels et aux économistes spécialistes de la concurrence en Suisse. Les deux exposés liminaires ont été présentés par Frank Stüssi (secrétariat de la COMCO) et Marquard Christen (CMS). L’événement était animé par Fabio Babey (IXAR Legal AG), co-auteur, avec Dominic Schopf, du présent article.

I. Einführung

Submissionskartelle stellen eine spezifische Form von Wettbewerbsbeschränkungen dar, die den Marktmechanismus im Bereich der öffentlichen Ausschreibungen stören. Durch Absprachen bei der Angebotsabgabe manipulieren die beteiligten Unternehmen den Wettbewerb zugunsten höherer Preise und Marktanteile, was zu höheren Kosten für den Staat und letztlich die Steuerzahler führt.​1 Solche Kartelle werden kartellrechtlich sanktioniert, da sie das Grundprinzip des Wettbewerbs untergraben und im Widerspruch zu den Zielsetzungen des Kartellgesetzes stehen.

Im schweizerischen Wettbewerbsrecht ist die Bekämpfung solcher Kartelle klar verankert. Das Bundesgesetz über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz, KG) von 1995 und dessen Revisionen zielen darauf ab, den Wettbewerb zu schützen, indem missbräuchliches Verhalten wie Preisabsprachen unterbunden wird. Die schweizerische Wettbewerbskommission (WEKO), ist verantwortlich für die Durchsetzung des Kartellgesetzes und die Sanktionierung von Wettbewerbsbeschränkungen. Sie untersucht regelmässig Fälle von Submissionskartellen, insbesondere in wettbewerbsintensiven Sektoren wie dem Bau- und Transportwesen.

II. Rückblick: Praxis der Schweizer WEKO

1. Betroffene Branchen

In den vergangenen Jahrzehnten hat die WEKO mehrere Fälle von Submissionskartellen untersucht und sanktioniert. Die WEKO hat sich dabei auf verschiedene Branchen konzentriert, die anfällig für entsprechende Kartellabreden sind, insbesondere der Bau- und Infrastruktursektor.​2 Zahlreiche Untersuchungen und Sanktionen in diesen Bereichen haben nicht nur das Ausmass von Submissionskartellen aufgezeigt, sondern auch deren negative Auswirkungen auf die Kosten öffentlicher Projekte und die Preisentwicklung in der Schweiz.

2. «Bau-Kartell Graubünden»

Der bedeutendste Fall war das sogenannte «Bau-Kartell» im Kanton Graubünden. Zwischen 2004 und 2012 trafen Bauunternehmen illegale Wettbewerbsabreden zur Aufteilung von Bauaufträgen in verschiedenen Regionen. Die WEKO verhängte hohe Bussen gegen mehrere der beteiligten Unternehmen und leitete Massnahmen ein, um zukünftige Absprachen zu verhindern. Der Fall «Graubünden» ist exemplarisch für das Vorgehen der WEKO bei der Aufdeckung und Sanktionierung von Submissionskartellen. Aktuell hat die WEKO eine Untersuchung zu allfälligen Abreden im Tief- und Hochbau im Kanton Neuenburg eingeleitet. Sie führte hierzu Hausdurchsuchungen bei mehreren Unternehmen durch.​3

3. Konzept der Gesamtabrede

Die Gesamtabrede ist ein zentrales Konzept bei Submissionskartellen und bezeichnet die umfassende Absprache zwischen mehreren Unternehmen, um Preise, Angebotsstrategien oder die Aufteilung von Aufträgen zu manipulieren.​4 In der Praxis bedeutet eine Gesamtabrede, dass die beteiligten Unternehmen sich bereits im Vorfeld einer Ausschreibung darauf einigen, wer den Zuschlag für einen bestimmten Auftrag erhält, während die übrigen Unternehmen entweder bewusst überhöhte Angebote einreichen oder ganz auf eine Teilnahme verzichten. Solche Absprachen führen dazu, dass das Prinzip des freien Wettbewerbs im Beschaffungswesen unterlaufen wird, und sie ermöglichen es den beteiligten Unternehmen, überhöhte Preise durchzusetzen. Die Herausforderung liegt jedoch darin, solche weitreichenden Absprachen gerichtsverwertbar nachzuweisen, da die beteiligten Unternehmen in der Regel intensiv bemüht sind, die Gesamtabrede zu verschleiern.

4. Whistleblowing und Prävention

Einige Submissionskartelle konnten nur dank Whistleblower-Hinweisen aufgedeckt werden, was zeigt, wie wichtig solche Hinweise für die Arbeit der Behörde sind. Zusätzlich zu den Sanktionen nutzt die WEKO präventive und abhilfeorientierte Massnahmen, um ähnliche Verstösse in der Zukunft zu verhindern. Die WEKO fördert zudem die Kooperation der Unternehmen mit den Behörden, indem sie eine Kronzeugenregelung anbietet. Unternehmen, die an Submissionskartellen beteiligt sind und freiwillig mit der WEKO zusammenarbeiten, können unter bestimmten Bedingungen eine Reduktion der Sanktionen oder sogar vollständige Immunität erhalten. Diese Regelung hat dazu beigetragen, die Aufdeckung von Kartellen zu erleichtern, da Unternehmen so Anreize erhalten, illegales Verhalten offenzulegen.

III. Aktuelle Herausforderungen

Die Bekämpfung von Submissionskartellen in der Schweiz steht vor einer Vielzahl von Herausforderungen, die sowohl rechtlicher als auch praktischer Natur sind. Die zunehmende Komplexität von Vergabeverfahren und die vielfältigen Möglichkeiten zur Verschleierung illegaler Absprachen stellen die WEKO vor erhebliche Schwierigkeiten.

1. Arbeitsgemeinschaften

Aus kartellrechtlicher Sicht sind Arbeitsgemeinschaften (ARGE) von besonderer Relevanz, insbesondere in Branchen wie dem Bauwesen, wo Unternehmen häufig in Form von Konsortien oder ARGE zusammenarbeiten, um grosse Projekte zu realisieren. Während Arbeitsgemeinschaften in vielen Fällen aus praktischen und wirtschaftlichen Gründen notwendig sind und prokompetitive Effekte haben,​5 bestehen im Zusammenhang mit dem Kartellrecht jedoch spezifische Risiken. Die Bildung von ARGE kann kartellrechtliche Fragen aufwerfen, wenn diese Kooperationen den Wettbewerb beeinträchtigen, insbesondere bei nicht notwendigen ARGE, die zu einer Verringerung der Angebote führen oder unzulässige Absprachen über Preise und Marktaufteilungen beinhalten.​6

2. Beweisführung und Ressourcen

Eine der grössten Herausforderungen ist die Aufdeckung und Beweisführung von Submissionskartellen. Die beteiligten Unternehmen sind oft geübt darin, Absprachen zu verbergen und den Anschein von Wettbewerb aufrechtzuerhalten. Selbst bei Hinweisen auf mögliche Absprachen benötigt die WEKO umfangreiche Ressourcen, um die nötigen Beweise zu sammeln. Die Behörde ist darauf angewiesen, detaillierte Dokumentationen und Kommunikationsaufzeichnungen sicherzustellen, um den illegalen Charakter der Absprachen gerichtsfest nachweisen zu können. Angesichts der Vielzahl von Ausschreibungen und der Ressourcenknappheit bei der WEKO kann jedoch nicht jeder Verdacht umfassend geprüft werden.​7

3. Abschreckungswirkung von Sanktionen

Die von der WEKO verhängten Sanktionen sind zwar beträchtlich, doch stellt sich die Frage, ob sie ausreichend abschreckend wirken. Kalkulierende Unternehmen berücksichtigen die möglichen Bussen als betriebswirtschaftliches Risiko, wenn die zu erwartenden Gewinne aus den Absprachen die potenziellen Kosten übersteigen – wobei ein Reputationsschaden nur schwer abschätzbar ist. Um eine stärkere Abschreckungswirkung zu erzielen, wird daher diskutiert, ob der Sanktionsrahmen angehoben oder ergänzende Massnahmen eingeführt werden sollten, wie etwa eine persönliche Haftung der Geschäftsführung.

4. Einfluss der Digitalisierung und technologischer Innovationen

Die fortschreitende Digitalisierung eröffnet Unternehmen neue Möglichkeiten, Submissionsabsprachen zu verschleiern. Durch den Einsatz von digitalen Kommunikationsmitteln und verschlüsselten Plattformen können Absprachen leichter verheimlicht werden. Zudem besteht das Risiko, dass durch die Nutzung von Algorithmen und automatisierten Systemen neue Formen von Marktmanipulation und Kartellbildung entstehen, die schwer zu erkennen sind.​8 Hier steht die WEKO vor der Herausforderung, technische Kompetenzen aufzubauen, um solche Verhaltensmuster zu identifizieren und zu verfolgen.

5. Compliance und Präventionspolitik

Viele Unternehmen verfügen mittlerweile über Compliance-Programme, die dazu dienen sollen, Verstösse gegen das Wettbewerbsrecht zu verhindern. Allerdings zeigt die Praxis, dass diese Programme oft unzureichend implementiert sind oder nicht ernsthaft verfolgt werden. Compliance-Programme sind nur dann wirksam, wenn sie als integraler Bestandteil der Unternehmenspolitik verstanden und regelmässig überprüft werden.​9 Die WEKO könnte die Unternehmen stärker in die Pflicht nehmen, diese Programme effektiver umzusetzen und Sanktionen für unzureichende Compliance-Massnahmen verschärfen.

IV. Ausblick

Im Hinblick auf die Zukunft der Bekämpfung von Submissionskartellen in der Schweiz zeichnen sich mehrere Trends und mögliche Anpassungen ab. Der Schwerpunkt liegt dabei auf einer Verstärkung der Präventionsmassnahmen, der Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit und dem verstärkten Einsatz von Big Data und digitalen Überwachungsmethoden.

1. Revision des Kartellgesetzes

Die Revision des Schweizer Kartellgesetzes umfasst sieben zentrale Änderungen, die auf eine Modernisierung und Effizienzsteigerung des Wettbewerbsrechts abzielen: die Modernisierung der Zusammenschlusskontrolle, die Stärkung des Kartellzivilrechts, Verbesserung des Widerspruchsverfahrens, die Einführung von Ordnungsfristen bei Verwaltungsverfahren, die Einführung von Parteientschädigungen für Verwaltungsverfahren, die Revision der Art. 4, 5 und 27 KG (Umsetzung der Motion Français) und die Statuierung des Untersuchungsgrundsatzes, der Unschuldsvermutung und der Beweislast.​10

Mit Blick auf Submissionsabreden ist v.a. die Revision der Art. 4, 5 und 27 KG relevant, welche die Rechtssicherheit mit Bezug auf die Bildung von ARGE verbessern, indem prokompetitive ARGE gemäss neuem Art. 4 Abs. 1bis KG explizit nicht unter den Begriff der Wettbewerbsabrede nach Art. 4 Abs. 1 KG fallen.

2. Internationale Zusammenarbeit

Submissionskartelle sind nicht nur ein nationales, sondern ein internationales Problem. Die WEKO arbeitet bereits mit anderen Wettbewerbsbehörden, insbesondere innerhalb Europas, zusammen.​11 Diese Zusammenarbeit soll in Zukunft intensiviert werden, um grenzüberschreitende Kartellaktivitäten besser verfolgen zu können. Gemeinsame Untersuchungen und der Austausch von Informationen könnten dazu beitragen, auch internationale Submissionskartelle effizienter aufzudecken und zu bekämpfen.

3. Big Data und Algorithmen als Instrumente zur Kartellbekämpfung

Der Einsatz von Big Data und Algorithmen eröffnet der WEKO neue Möglichkeiten zur Überwachung und Aufdeckung von Submissionskartellen. Durch die Analyse grosser Datenmengen, beispielsweise von Angebotsmustern und Preisentwicklungen, können ungewöhnliche Verhaltensweisen frühzeitig erkannt werden. Mustererkennungsalgorithmen könnten Anomalien aufzeigen, die auf Absprachen hindeuten. Solche technischen Lösungen könnten die Effizienz der WEKO deutlich steigern und die Präventionsarbeit verbessern.

4. Stärkung der Compliance-Kultur

Eine langfristige Lösung für das Problem der Submissionskartelle liegt in der Förderung einer Kultur der Compliance in den Unternehmen. Die WEKO könnte hier stärker auf die Verantwortung der Unternehmen setzen, proaktiv Massnahmen zur Vermeidung von Wettbewerbsverstössen zu ergreifen. Durch die Förderung einer «Kultur des Wettbewerbs» könnte es gelingen, das Bewusstsein für die Bedeutung fairer Märkte zu schärfen. Unternehmen, die nachweislich umfassende und wirksame Compliance-Programme umsetzen, könnten möglicherweise im Fall von Verstössen eine Minderung der Sanktionen erhalten, was zusätzliche Anreize schaffen könnte.

Zusammenfassung

Submissionskartelle bleiben in der Schweiz eine zentrale Herausforderung für die Wettbewerbsbehörden und die Volkswirtschaft insgesamt. Während die WEKO in der Vergangenheit bedeutende Erfolge bei der Aufdeckung und Bekämpfung solcher Kartelle erzielt hat, stehen die Behörden vor neuen Herausforderungen. Die Digitalisierung und die zunehmende Komplexität der Ausschreibungsverfahren erfordern innovative und technische Lösungen, um Absprachen zu verhindern und aufzuklären. Durch eine gezielte Stärkung der WEKO, eine verstärkte internationale Zusammenarbeit und den Einsatz von Big Data-Analysen könnte die Effizienz bei der Bekämpfung von Submissionskartellen gesteigert werden. Langfristig wird es entscheidend sein, eine starke Compliance-Kultur in den Unternehmen zu etablieren, um den Wettbewerb zu fördern und Submissionskartelle nachhaltig zu verhindern.

Résumé

Les cartels de soumission restent en Suisse un défi central pour les autorités de la concurrence et l’économie nationale dans son ensemble. Alors que la COMCO a obtenu par le passé des succès significatifs dans la découverte et la lutte contre de tels cartels, les autorités sont confrontées à de nouveaux défis. La numérisation et la complexité croissante des procédures d’appel d’offres exigent des solutions techniques innovantes pour prévenir et mettre en lumière les ententes. Un renforcement ciblé de la COMCO, une coopération internationale accrue et l’utilisation d’analyses du big data permettraient d’augmenter l’efficacité de la lutte contre les cartels de soumission. À long terme, il sera décisif d’établir une forte culture de la conformité dans les entreprises afin de promouvoir la concurrence et d’empêcher durablement les cartels de soumission.

Fussnoten:
1

Bellamy/Child, in: D. Bailey/L. E. John (ed.), European Union Law of Competition, 8th ed., N 5.103.

2

Jahresbericht 2023 der WEKO, 5 f.

3

Medienmitteilung der WEKO vom 14. März 2024, WEKO weitet Untersuchung im Kanton Neuenburg aus.

4

Vgl. R. H. Weber/S. Volz, Fachhandbuch Wettbewerbsrecht, 2. Aufl., Zürich 2023, N 2.141 ff.

5

S. Bangerter/B. Zirlick, in: R. Zäch/R. Arnet/M. Baldi/R. Kiener/O. Schaller/F. Schraner/A. Spühler (Hg.), KG. Kommentar zum Bundesgesetz über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen, Zürich 2018, KG 5 N 561.

6

WEKO, RPW 2021/1, 90 ff., Dauer-ARGE Graubünden, Rz. 151.

7

Vgl. zum Ganzen M. Tschudin, Glauben, Wissen, Zweifeln – über das Beweismass im Kartellrecht, AJP/PJA 10/2014, 1343.

8

V. Vallone, Wenn sich Algorithmen absprechen, ex/ante 2/2018, 39 ff.

9

Vgl. D. Lengauer/L. Ruckstuhl, Compliance, Zürich 2017, N 836 ff.

10

Vgl. zum Ganzen: Botschaft des Bundesrates zur Teilrevision des Kartellgesetzes vom 24. Mai 2023, 20 ff.

11

A. Heinemann, Fortschritt und Rückschritt im schweizerischen Kartellrecht, 11 f.

Fabio Babey / Dominic Schopf | 2025 Ausgabe 3