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Berichte / Rapports

Am 24. September 2021 fand in Baden das von den Patentanwaltsverbänden VESPA und VIPS gemeinsam veranstaltete Herbstseminar zum Thema «Grenzen der Patentierbarkeit» statt. Wegen der Covid-Auflagen wurde das Herbstseminar in hybrider Form durchgeführt, also optional vor Ort mit Zertifikatspflicht oder über Videokonferenz. Nach anderthalb Jahren von reinen Online-Veranstaltungen nahmen knapp 60 Teilnehmende gerne die Gelegenheit zum persönlichen Treffen und direkten Gespräch wahr. Weitere ca. 40 Teilnehmende wohnten dem Seminar online bei.

Le séminaire d’automne organisé conjointement par les associations de conseils en brevets VESPA et VIPS sur le thème «Limites de la brevetabilité» a eu lieu le 24 septembre 2021 à Baden. En raison des contraintes liées au COVID, le séminaire d’automne a été organisé sous une forme hybride, c’est-à-dire en présentiel avec certificat obligatoire, ou par vidéoconférence. Après un an et demi de manifestations exclusivement en ligne, près de 60 participants ont saisi l’occasion d’une rencontre personnelle et d’un dialogue direct. Une quarantaine d’autres participants ont assisté au séminaire en ligne.

Zacharias Stelzer, Dr. sc. ETH Zürich, Europäischer Patentanwalt, Zürich.

Christian Berk, Dr. sc. ETH Zürich, Patentingenieur, Zürich.

I. Funktionsorientierte Betrachtung der Patentierungsausschlüsse im EPÜ

Einleitend nahm Prof. Martin Stierle von der Universität Luxemburg die Teilnehmenden mit auf eine Reise in den «akademischen Elfenbeinturm» und beleuchtete die im EPÜ vorgesehenen Patentierungsausschlüsse vor dem Hintergrund der Funktion (dem Zweck) des Patentsystems (Patentfunktionslehre).

Zunächst wurden die klassischen Patenttheorien nach Machlup verglichen. Diese wurden in «deontologische Theorien» (Fokus auf Ethik, Fairness) und «utilitaristische Theorien» (Fokus auf Gemeinwohl) unterteilt, wobei letztere heute in der Lehrmeinung vorherrschen. In diesem Sinne wird das Patentsystem als Anreizinstrument verstanden, welches sich im Spannungsfeld zwischen «dynamischer Effizienz» (Anreizsetzung durch Gewährung eines Monopols) und «statischer Ineffizienz» (Nutzungsrestriktion eines öffentlichen Gutes) bewegt. Ziel des Patentsystems ist demnach die Schaffung technischen Fortschritts; es ist somit zunächst wertneutral.

Patentierungsausschlüsse im engeren Sinne finden sich in Art. 53 EPÜ, solche im weiteren Sinne in Art. 52 (2), (3) EPÜ. Während Art. 52 (2), (3) EPÜ aus der Funktion des Patentsystems abgeleitet werden können (mangelnde Technizität als Gemeinsamkeit), werden für Art. 53 EPÜ patentfunktionsexterne Gründe herangezogen (Beitrag zum technischen Fortschritt prinzipiell gegeben). Diese ergeben sich beispielsweise aus ethischen Erwägungen (Ethikvorbehalt; Art. 53 (a) EPÜ) oder einer gewünschten Privilegierung der Heilberufe bei der Behandlung/Diagnose (Art. 53 (c) EPÜ). Insbesondere die Grundlage für Art. 53 (b) EPÜ war jedoch Gegenstand der anschliessenden Diskussion.

Ferner wurde mit Blick auf Art. 53 EPÜ diskutiert, ob, aufgrund mangelnder Rechtfertigung aus der Funktion des Patentsystems heraus, die genannten Ausschlüsse entweder (i) eng auszulegen oder gar (ii) ersatzlos zu streichen seien und sich die gewünschten Wirkungen nicht auf andere Weise erreichen liessen. Beispielhaft wurde diskutiert, ob eine Privilegierung der Heilberufe nicht zielgerichteter durch eine Schrankenregelung, d.h. einer Ausnahme vom Verletzungstatbestand, zu erreichen sei (vgl. CH: Art. 9 PatG).

Auf die theoretische Auseinandersetzung mit den Patentierungsausschlüssen im EPÜ folgten Vorträge zu Fragen der Patentierbarkeit computerimplementierter und biotechnologischer Erfindungen.

II. Patentierbarkeit von künstlicher Intelligenz

Die Grenzen der Patentierbarkeit im Bereich der künstlichen Intelligenz (artificial intelligence, AI) und der Software im Allgemeinen wurden in drei Vorträgen beleuchtet. Diese beschäftigten sich eingehend mit den diesbezüglichen Vorgaben in Europa, China und den USA.

1. China

In einem ersten Vortrag referierte Prof. Jyh-An Lee von der Chinese University of Hong Kong zum Thema «When AI Meets Patents in China». Als Einleitung präsentierte er |einige Artikelüberschriften und Statistiken, aus denen das starke Wachstum in China im Bereich AI in den vergangenen Jahren hervorgeht. Gemäss Prof. Jyh-An Lee werden in China – rein zahlenmässig – mehr Patentanmeldungen zu AI eingereicht und mehr wissenschaftliche Artikel zu dem Thema zitiert als in den USA oder Europa. Ausserdem ist gemäss seinen Darstellungen auch die Anwendung von AI in chinesischen Unternehmen verbreiteter.

Software und mathematische Verfahren an sich – und somit auch AI Algorithmen ohne spezifische Anwendung – werden in China als «Regeln und Verfahren für geistige Aktivitäten» interpretiert. Diese sind gemäss dem chinesischen Patentgesetz und den Prüfungsrichtlinien nicht patentierbar. Als Beispiel für einen nicht-patentierbaren Anspruch brachte Prof. Jyh-An Lee ein «Trainingsverfahren für einen Klassifikator einer Support Vector Machine (SVM) basierend auf überwachtem Lernen» aus der Patentanmeldung Nr. 201320231254.4: Ohne Anwendung auf eine spezifisches technisches Feld oder spezifische Daten seien dies blosse «Regeln und Verfahren für geistige Aktivitäten».

Als Kriterium für die Patentierbarkeit von Software-Erfindungen nennen die Prüfungsrichtlinien von 2020 den «triple technical requirements» Test, wonach eine technische Aufgabe durch eine technische Lösung mit einem technischen Effekt gelöst werden muss. Gerade letzteres scheint ein zentraler Punkt zu sein: Sowohl für die Erfindung als auch für die Patentanmeldung muss der technische Effekt gegeben sein. Als Beispiel für einen patentierbaren Anspruch brachte Prof. Jyh-An Lee ein «Verfahren für zielgerichtetes Werben auf Basis von Big Data zu Nutzer-Gewohnheiten in einer Region». Das beanspruchte System kann Verkäufer benachrichtigen, ihr Lager an bestimmten Produkten aufzustocken, welche die Kunden bald kaufen werden. Ausserdem kann das System die Kunden benachrichtigen, diese Produkte zu kaufen, bevor sie ausverkauft sind.

Offenbar könnten in Zukunft noch deutlich mehr Computer-Programme für patentierbar erachtet werden. So ist eine Ergänzung der Prüfungsrichtlinien vorgesehen, nach der alle Merkmale eines Anspruchs als Ganzes angeschaut werden müssen. Nicht-technische Merkmale, z.B. Merkmale bezüglich eines Algorithmus oder einer Geschäftsmethode, könnten demnach nicht vernachlässigt werden, wenn sie in Verbindung mit den technischen Merkmalen des Anspruchs eine technische Aufgabe lösen.

Beim Thema «AI als Erfinder?» dürfte China aber beim bisherigen Standpunkt bleiben: Gemäss dem zweiten Entwurf für die neuen Prüfungsrichtlinien kann AI nicht als Erfinder genannt werden.

2. Europa

In einem zweiten Vortrag beleuchtete Patentanwalt Bastian Best die «Patentierbarkeit von CII- und KI-Erfindungen in Europa». Auch beim Europäischen Patentamt (EPA) wächst die Zahl der Patentanmeldungen für Computer-implementierte Erfindungen (CII), so z.B. im Bereich der digitalen Kommunikation in 2020 um 1%. Im Bereich der reinen AI Algorithmen («Core AI») bleiben die absoluten Zahlen trotz Wachstum aber niedrig. Als ein möglicher Grund wurde gerade für das EPA eine «kulturelle Voreingenommenheit» oder gar «Feindseligkeit» gegenüber der Patentierung von Software und AI-bezogenen Technologien genannt.

Software ist in Europa (nur) dann patentierbar, wenn sie ein technisches Problem auf nicht naheliegende Weise löst. So ist eine zentrale Voraussetzung für die Patentierbarkeit gemäss Art. 52(1) EPÜ, dass die Erfindung sich auf ein Gebiet der Technik bezieht. Der Technik-Begriff wurde dabei bewusst offengelassen, damit er an die fortschreitende Entwicklung anpassbar ist. Gleichzeitig sind nach der «Blacklist» von Art. 52(2) EPÜ mathematische Methoden, Programme für Datenverarbeitungsanlagen und die Wiedergabe von Informationen «als solche» von der Patentierung ausgeschlossen. Anschaulich gesprochen stehen sich beim EPA gemäss Bastian Best also technische und nicht-technische Software gegenüber.

Die erste Hürde lässt sich in den meisten Fällen leicht überwinden: Wenn die Software, z.B. der AI Algorithmus, auf einem Computer implementiert ist, entkommt sie nach dem «any hardware»-Ansatz den «Blacklist»-Kategorien von Art. 52 (2) EPÜ. Um die erste Hürde zu überwinden, genügt es also, das «magische» Wort «computer-implemented» in den Anspruch zu schreiben. In der Praxis ist eher die zweite Hürde problematisch, nämlich ob die Software ein technisches Problem löst – und dies auf nicht naheliegende Weise.

Die Herangehensweise des EPA bei der Beurteilung von Software-Erfindungen ist zwar dogmatisch einfach und stellt gemäss dem Vortragenden ein schlankes Framework dar, mit dem man in der Praxis umgehen kann. Die grundlegende Frage bleibt aber bestehen: Was ist ein «technisches Problem»? Hierzu hat das EPA eine reichhaltige Rechtsprechung entwickelt, deren Grundzüge mittlerweile in den «Richtlinien für die Prüfung» des EPA abgebildet sind. So befasst sich der dortige Abschnitt G-II, 3.3 mit mathematischen Methoden und gibt Beispiele für einen technischen Zweck einer mathematischen Methode. Auch zu AI und maschinellem Lernen äussern sich die Richtlinien: Diese basieren gemäss RiLi G-II, 3.3.1 auf Rechenmodellen und Algorithmen, die «per se von abstrakter mathematischer Natur [sind], unabhängig davon, ob sie anhand von Trainingsdaten ‹trainiert› werden können». Insofern stellt sich die Frage nach dem technischen Zweck hier in gleicher Weise.

Als Leitlinie für den Praktiker stellte Bastian Best zwei Fallgruppen vor, in denen ein Beitrag zur Erzeugung einer technischen Wirkung vom EPA anerkannt wird, nämlich wenn die mathematische Methode «auf ein Gebiet der Technik angewandt und/oder für eine spezifische technische Umsetzung angepasst wird» (RiLi G-II, 3.3). Für eine Erfindung, in welcher AI zum Einsatz kommt, könnte dies bedeuten, dass ein entsprechender Patentanspruch entweder auf eine bestimmte Anwendung der AI eingeschränkt sein oder eine enge Verwebung von Software und Hardware betreffen muss, z.B. eine CPU/GPU-Aufteilung. Als nicht-patentierbares Gegenbeispiel wurde T 0022/12 «Spam classification/Microsoft» vorgestellt. In diesem Fall entschied die |betreffende Beschwerdekammer des EPA, dass die Klassifizierung von Nachrichten – auch von E-Mails – abhängig von ihrem Inhalt per se nicht technisch ist.

Insgesamt wünschte sich Bastian Best mehr Progressivität vom EPA bei der Beurteilung der Patentierbarkeit von AI-Anwendungen, da sonst nützliche Tools wie der obige AI-basierte Spam Filter von der Patentierung ausgeschlossen bleiben. Mithin warf der Vortragende die Frage auf, ob AI tatsächlich «abstrakte Mathematik» sei, und wünschte sich zur Klärung dieser Frage weitere Beschwerdefälle. Zum Abschluss kam auch die Entscheidung G1/19 vom März 2021 als neuer Standard für die Patentierung von CII zur Sprache: Nach dem Technikverständnis der Grossen Beschwerdekammer des EPA sei eine «direkte Verbindung mit der physischen Realität» zwar nicht zwingende Voraussetzung für die Patentierung, reiche in vielen Fällen jedoch aus. Während reine Software und insbesondere «Core AI» also nicht patentierbar bleiben, bleibt es bei den weiteren (Grenz-)Fällen spannend für den Praktiker im Umfeld von (technischer) Software und AI-Anwendungen.

3. USA

Im dritten Vortrag zum Themenblock «AI Erfindungen» gab der US Patentanwalt Ryan N. Phelan, J.D., MBA, einen Überblick über die derzeitige Situation in den USA. In einer vergleichenden Gegenüberstellung mit den Richtlinien des EPA stellte er den aktuellen Prüfungsansatz des USPTO vor. Gemäss dem Manual of Patent Examining Procedure (MPEP 2106, R-10.2019) ist ein «Subject Matter Eligibility Test» vorgesehen, bei dem basierend auf der breitesten sinnvollen Interpretation des Anspruchs die folgenden Schritte geprüft werden: (1) – Ist der Anspruch auf eine der vier statutarischen Kategorien gerichtet (process, machine, manufacture and composition of matter)? (2A) – Ist der Anspruch auf ein Naturgesetz, eine Naturerscheinung oder eine abstrakte Idee gerichtet (Patentierungsauschlüsse, geprüft in Unterschritten «Prong One» und «Prong Two»)? (2B) – Nennt der Anspruch zusätzliche Elemente, die signifikant über die Patentierungsauschlüsse hinausgehen? An den «Subject Matter Eligibility Test» schliessen sich dann die Prüfung der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit an.

Während beim EPA die eigentliche Hürde bei der Patentierung von Software und insbesondere AI Anwendungen in der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit liegt (siehe oben), besteht sie nach US-Praxis im «Subject Matter Eligibility Test», insbesondere in dessen Schritt 2A/2B. Wenn ein Anspruch auf CII oder AI durch korrekte Formulierung entsprechend der vier statutarischen Kategorien den Test-Schritt 1 passiert hat, muss er in den Schritten 2A und 2B der Einordnung als «abstrakte Idee» entgehen bzw. signifikant über eine «abstrakte Idee» hinausgehen, um als «patent eligible» beurteilt zu werden. Dies kann z.B. dadurch erreicht werden, dass offenbart wird, dass die Erfindung einen zugrundeliegenden Computer verbessert. Alternativ kann z.B. gezeigt werden, dass die Erfindung eine bestimmte Maschine (ausserhalb des Computers) nutzt oder steuert. Trotz unterschiedlicher Prüfungsschritte im Vergleich zum EPA ist es auch nach US-Praxis ratsam, technische Effekte der Software in der Anmeldung explizit vorzubringen.

Im Sinne einer Leitlinie für einen erfolgreichen Patentanspruch auf eine AI-bezogene Erfindung identifizierte Ryan N. Phelan drei Merkmalstypen, die den Anspruch üblicherweise «patent eligible» machen: (1) das Pre-Processing von Trainingsdaten, z.B. das Generieren von spezifischen Datensätzen; (2) der Trainingsprozess, z.B. welcher Algorithmus angewendet wird und/oder Verbesserungen im Algorithmus; (3) die Verwendung der trainierten Modelle, z.B. um eine Maschine zu steuern oder spezifische Ergebnisse zu erzeugen. Als Beispiel wurde u.a. ein Verfahren zum Trainieren eines neuronalen Netzes zur Gesichtserkennung aus der 2019 Patent Eligibility Guidance des USPTO besprochen. Der Anspruch auf ein entsprechendes Computer-implementiertes Verfahren umfasst Merkmale der obigen Typen (1) und (2) und wurde entsprechend als «patent eligible» eingestuft.

Zusammenfassend hilft es bei der Patentierung von CII oder AI also (auch) in den USA, die obigen konkreten Merkmale einerseits zu beanspruchen und andererseits in der Beschreibung samt technischer Wirkung und praktischer Anwendung detailliert aufzuführen. Ein funktionaler Begriff wie z.B. «a machine learning engine» im Anspruch reicht nicht aus, um den «Subject Matter Eligibility Test» zu bestehen.

Ein interessanter Aspekt zur US-Prüfung wurde in der Diskussion näher beleuchtet: Da mathematische Konzepte gemäss MPEP in die Kategorie «abstrakte Idee» fallen, sollten mathematische Formeln in Ansprüchen – zumal in unabhängigen Ansprüchen – nach Möglichkeit vermieden werden.

III. Patentierbarkeit von biotechnologischen Erfindungen

1. Patentierungsausschlüsse und Ausnahmen im Bereich Life Science

Zum Einstieg in den Themenblock «Biotechnologie» gab Dr. Michael A. Kock den Anwesenden einen Überblick über die Patentierungsausschlüsse und Ausnahmen im Bereich Life Science und ordnete diese in das Spannungsfeld zwischen «dynamischer Effizienz» und «statischer Ineffizienz» ein.

Wie eingangs erwähnt beziehen sich Patentierungsausschlüsse auf Erfindungen, die trotz Erfüllung der allgemeinen Patentierungserfordernisse als nicht patentfähig eingestuft werden. Ausnahmen von der Wirkung des Patents hingegen beziehen sich auf Handlungen, die trotz kommerziellen Charakters ein Patent nicht verletzen.

Ausgangspunkt der Betrachtungen war der berühmte Leitsatz des US Supreme Courts im Fall Diamond v Chakrabarty (1980): «Anything under the sun that is made by man» is patentable; allerdings garniert mit dem Beisatz: «… wäre es doch so einfach!»

|Als erstes wurde die Frage nach natürlich vorkommendem biologischem Material erörtert. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um einen Patentierungsausschluss im klassischen Sinne, sondern vielmehr um eine Anwendung des Neuheitskriteriums. Gemäss US-Rechtsprechung (133 S. St. 2107 «Myriad Genetics, Inc.» und ff.) kann solches Material nicht neu sein. Nicht als natürlich vorkommend gilt jedoch insbesondere cDNA, d.h. aus RNA hergestellte DNA ohne Introns (nicht kodierende Sequenzen, die in natürlich vorkommender DNA vorhanden sind). In Europa und China hingegen kann Neuheit hergestellt werden durch die Herstellung oder Isolierung eines biologischen Materials aus der natürlichen Umgebung mittels eines technischen Verfahrens (R. 27(1) EPÜ).

Der zweite Themenblock betraf die Patentierungsausschlüsse im Gesundheitsbereich. Zunächst wurden Patentierungsausschlüsse betreffend höhere Lebensformen und die diesbezüglich divergierende Rechtsprechung in Kanada und Europa diskutiert. Während in Kanada ein transgenes Tier (d.h. ein Tier, das zusätzlich Fremdgene im Genom trägt) generell nicht patentfähig ist, bezieht sich Art. 53 (b) EPÜ lediglich auf Tierrassen und Pflanzensorten, nicht jedoch auf Tiere und Pflanzen allgemein (G1/98). Offen bleibt damit jedoch die Frage nach der Anwendbarkeit von Art. 53 (a), nämlich die Frage, ob die gewerbliche Verwertung solcher Tiere gegen die öffentliche Ordnung verstosse (T 19/90; «Onco-mouse»). Im vorliegenden Fall wurde das Patent schliesslich auf Grund des grossen Nutzens der Erfindung für die Gesellschaft erteilt (R. 28 (d) EPÜ). Der menschliche Körper in den einzelnen Phasen seiner Entstehung und Entwicklung ist in Europa (R. 29 (1) EPÜ) sowie den meisten anderen Jurisdiktionen (einschliesslich USA) von der Patentierung ausgeschlossen.

Unterschiede gibt es jedoch im Hinblick auf die Patentierbarkeit von Erfindungen mit Bezug zu humanen embryonalen Stammzellen (hESZ). In Europa sind Erfindungen generell nicht patentfähig, die am Anmeldetag die Zerstörung menschlicher Embryos zwingend voraussetzen (G 2/06), wobei der Zeitpunkt der Zerstörung irrelevant ist (T 2221/10). Patentfähig sind jedoch menschliche pluripotente Stammzellen, inkl. hESZ, sowie deren Verwendung oder davon abgeleitete Erzeugnisse, sofern (i) das effektive Anmeldedatum an oder nach dem 05. Juni 2003 (Verfügbarkeit eines Protokolls zur parthenogenetischen Aktivierung) liegt und (ii) die hESZ von parthenogenetisch aktivierten Oocyten stammen (T 0385/14).

Gemäss EPA-Richtlinien (Teil G, Kapitel II-41) ist eine Parthenote (künstlich aktivierte, unbefruchtete Eizelle, aus welcher sich jedoch kein lebensfähiger menschlicher Embryo entwickeln kann) weder als menschlicher Körper in einer Phase seiner Entstehung und Entwicklung noch als einer seiner Bestandteile anzusehen. Ebenfalls patentfähig sind fetale und post-natale menschliche Zellen, für die Verwendung mit hESZ entwickelte Kulturmedien und Vorrichtungen, sowie Erfindungen, die therapeutische oder diagnostische Zwecke verfolgen und auf den menschlichen Embryo zu dessen Nutzen angewandt werden (EU Dir. 98/44/EC, rec. 42).

In der Schweiz hingegen sind «Verfahren der Parthenogenese unter Verwendung menschlichen Keimguts und die damit erzeugten Parthenoten» explizit von der Patentierung ausgeschlossen (Art. 2 (c) PatG; europäische Patente mit Wirkung für die Schweiz sind jedoch gültig).

In den USA liegt die Hürde für die Patentierung von hESZ in der Erfüllung des Neuheitskriteriums (natürlich vorkommendes biologisches Material, «Product-of-Nature»). In den USA patentfähig sind Stammzellen jedoch dann, wenn sie sich von den natürlich vorkommenden Stammzellen deutlich unterscheiden («markedly different»).

Diagnostizierverfahren sind in Europa von der Patentierung ausgeschlossen, jedoch nur wenn alle der in G1/04 definierten technischen Schritte am menschlichen oder tierischen Körper durchgeführt werden. Reagenzien, Primer, Kontrastmittel, Biomarker etc. zur Anwendung in diagnostischen Verfahren sind in Europa patentierbar. In den USA ist die Patentfähigkeit von Primern und Biomarkern jedoch in Folge des o.g. Myriad-Urteils (132 S. Ct. 1794) beschränkt. In den USA können Primer jedoch patentfähig sein, wenn diese spezielle Modifikationen enthalten. Hierbei darf es sich jedoch nicht um Routinemodifikationen handeln.

Der Patentierungssausschluss bzgl. Verfahren zur chirurgischen Behandlung ist in Europa hingegen weiter auszulegen als jener betreffend Diagnostizierverfahren (G1/07). Ein chirurgisches Verfahren ist demnach bereits als nicht-patentfähig einzustufen, wenn es auch nur ein Merkmal enthält, das eine physische Tätigkeit oder Massnahme definiert, die einen Verfahrensschritt zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers darstellt (im Unterschied zu allen technischen Schritten gem. G1/04). Eine tatsächliche Beteiligung eines Mediziners ist jedoch nicht notwendig. Verfahren zur kosmetischen Behandlung sind jedoch patentfähig (T 0144/83).

Zum Abschluss des Vortrags wurden Handlungen besprochen, die von der Wirkung des Patents ausgenommen sind (CH: Schranken gem. Art. 9 PatG). Hier wurde insbesondere das Forschungsprivileg hervorgehoben, d.h. Handlungen zu Forschungs- und Versuchszwecken zur Gewinnung von Erkenntnissen über den Gegenstand einer Erfindung und deren Verwendung (auch zu kommerziellen Zwecken, z.B. Studien zur Zulassung eines Generikums).

2. Neue Entwicklungen in China

Im Anschluss wurden die mit der Revision des chinesischen Patentgesetzes verbundenen Auswirkungen auf den Gesundheitsbereich erörtert. Vortragende zu diesem Thema war die auf China spezialisierte Patentanwältin Jennifer Che.

In einem ersten Schritt wurde die historische Entwicklung des chinesischen Gesundheitsbereichs beleuchtet. Dabei wurde der Frage nachgegangen, warum westliche Pharmafirmen in der Vergangenheit keinen Fokus auf den chinesischen Markt gelegt haben. Hierfür wurden insbesondere drei Gründe ausfindig gemacht:

1) Es wurden nur relativ enge Patentansprüche gewährt, die durch eine breite Datengrundlage gestützt sein mussten;

2) Schwierigkeiten beim Eintritt auf den chinesischen Markt, z.B. durch vorgeschriebene Partnerschaften mit chinesischen Unternehmen;

3) Unsicherheiten in Bezug auf die Durchsetzung der IP Rechte

In der Folge kam es zu einem Mangel an innovativen Arzneimitteln auf dem chinesischen Markt. Um diesen Mangel zu beheben, wurden in den vergangenen Jahren erhebliche Reformen angestrengt. Ein Meilenstein war die Schaffung eines auf geistiges Eigentum spezialisierten Gerichtswesens, inklusive der Schaffung eines auf Ergänzende Schutzzertifikate spezialisierten Gerichtshofs.

Ein weiterer Meilenstein war die vierte Revision des Patentgesetzes, welches am 1. Juni 2021 in Kraft trat und neue Möglichkeiten zum Schutz geistigen Eigentums speziell für den Gesundheitsbereich schafft. Auch wenn bisher nur ein Entwurf der neuen Richtlinien veröffentlicht wurde und somit die Umsetzung der neuen Massnahmen im Detail noch offen ist, fasste die Vortragende vorab die Neuerungen wie folgt zusammen:

Patent Term Compensation: Verlängerung der Patentlaufzeit als Kompensation für eine durch das chinesische Patentamt (CNIPA) verschuldete, unangemessen lange Prüfungsdauer (ähnlich zu USA). Derzeit ist allerdings noch nicht im Detail geklärt, unter welchen Kriterien eine verzögerte Prüfung als selbstverschuldet betrachtet wird (Richtlinien sind noch nicht veröffentlicht).

Patent Term Extension: Laufzeitverlängerung für Patente betreffend einen in einem neuen Arzneimittel enthaltenen (i) Wirkstoff als solchen (Stoffschutz), (ii) Verfahren zu dessen Herstellung oder (iii) dessen medizinischer Verwendung, als Kompensation für das Durchlaufen eines Zulassungsverfahrens; ähnlich zu ergänzenden Schutzzertifikaten in Europa: maximale Laufzeitverlängerung 5 Jahre bzw. bis maximal 14 Jahre nach der Zulassung (Europa maximal 5 Jahre bzw. 15 Jahre nach Zulassung).

Design Patents: Im Unterschied zu Europa sind die Schutzrechte für Designs in China im Rahmen des Patentgesetzes geregelt. Die Revision des Patentgesetzes erleichtert die Inanspruchnahme ausländischer Prioritäten für Design-Anmeldungen in China und erweitert die Schutzmöglichkeiten.

Patent Linkage: Zusammenarbeit der nationalen Zulassungsbehörde (NMPA) und des Patentamtes (CNIPA) zur Schaffung eines Registrierungssystem für Patente zu zugelassenen Arzneimitteln, inkl. Biologika (ähnlich zu «Orange Book» der FDA). Die Registrierung der Patente vereinfacht die Durchsetzung der IP-Rechte gegenüber Generikaherstellern («declatory judgement action»).

Höhere Schadenersatzforderungen bei Patentverletzung: Der gesetzliche Schadenersatzanspruch wurde signifikant erhöht (bis zu 5-fach höher als zuvor). Zudem sind nun über den gesetzlichen Schadenersatzanspruch hinausgehende Forderungen bei vorsätzlicher Patentverletzung möglich (bis zu 5-facher gesetzlicher Schadenersatz). Ferner kann zukünftig im Patentverletzungsverfahren auf Beweise des Klägers zur Ermittlung des Schadenersatzanspruchs zurückgegriffen werden, falls der Beklagte keine glaubwürdigen Beweise vorlegen kann.

Weitere Änderungen:

(i) Flexibilisierung der Regelungen bei Arbeitnehmererfindungen

(ii) Einführung einer sechsmonatigen Schonfrist für nicht neuheitsschädliche Veröffentlichungen bei aussergewöhnlichen nationalen Notlagen

(iii) Möglichkeit zum Einreichen einer (ex nunc) widerrufbaren Erklärung einer «open license» (ähnlich zu DE: Lizenzbereitschaftserklärung an jedermann zu angemessenen Lizenzgebühren nach § 23 PatG); im Gegenzug ist eine Verringerung oder Befreiung von Jahresgebühren möglich

(iv) Verjährungsfrist für Patentverletzungsklagen wird von zwei auf drei Jahre erhöht

IV. Fazit

Die VESPA-Tagung bot einen breiten Überblick der Patentierungsausschlüsse sowie hilfreiche Informationen zu aktuellen Entwicklungen bei der Patentierbarkeit von AI- und biotechnologischen Erfindungen, insbesondere in Europa, China und den USA. In den Vorträgen sowie den Diskussionen klang verschiedentlich der Wunsch durch, Innovationen in diesen Fachgebieten mehr zu honorieren, indem z.B. durch Anpassung der Prüfungskriterien ein breiterer Schutzumfang ermöglicht wird. Als Gegenposition wurde vertreten, dass es rechtspolitisch sinnvoll sein könnte, einen überbreiten Patentschutz zu vermeiden, da ansonsten später ein anderes Korrektiv, z.B. das Wettbewerbsrecht, zur Beseitigung unerwünschter Auswirkungen herangezogen werden müsse.