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Forum – Zur Diskussion / A discuter

Die vorsorglichen Massnahmen, die von einem Gericht getroffen werden, dienen dazu, einer Partei einen vorlĂ€ufigen und schnellen Rechtsschutz zu gewĂ€hren. Sofern es sich um dringende beziehungsweise eilige Massnahmen handelt, kann das Gericht den Rechtsschutz auch superprovisorisch anordnen. Dies hat aber zur Folge, dass die Beklagtenseite zunĂ€chst keine Möglichkeit hat, zur Klage Stellung zu nehmen. Die Massnahme wird angeordnet und die beklagte Partei hat dieser Massnahme Folge zu leisten. Welche Möglichkeit hat die Beklagte dennoch, vor Erlass der VerfĂŒgung Stellung zu nehmen?

Les mesures provisionnelles ordonnĂ©es par un tribunal ont pour but d’offrir Ă  une partie une protection juridique provisoire et rapide. Pour autant qu’il s’agisse de mesures urgentes, le tribunal peut ordonner des mesures provisionnelles dites d’extrĂȘme urgence. La partie intimĂ©e n’a donc pas la possibilitĂ© de se dĂ©terminer sur la requĂȘte avant le prononcĂ© de telles mesures. La mesure est ordonnĂ©e et la partie intimĂ©e doit s’y soumettre. Quelles sont toutefois les possibilitĂ©s pour la partie intimĂ©e de se dĂ©terminer avant que la dĂ©cision ne soit prononcĂ©e?

Bei vorsorglichen und insbesondere auch bei superprovisorischen Massnahmen findet in der Regel keine Anhörung der Parteien statt. Die Anordnung wird ausschliesslich auf der Grundlage des Inhaltes, den die KlĂ€gerin vortrĂ€gt, erlassen. Die Anhörung wird erst nach der Anordnung in einem sogenannten BestĂ€tigungsverfahren nachgeholt. Erst in diesem Stadium, nachdem bereits die Anordnung verfĂŒgt worden ist, besteht auch fĂŒr die Beklagte die Möglichkeit, Stellung zu nehmen. Ein in der Schweiz noch nicht sehr bekanntes Mittel, um sich prophylaktisch gegen befĂŒrchtete Massnahmen (insbesondere superprovisorische Massnahmen) zu verteidigen, ist die sogenannte Schutzschrift. Der Zweck einer solchen Schutzschrift ist, möglicherweise den Erlass solcher Massnahmen zu verhindern, indem dem zustĂ€ndigen Gericht bereits im Voraus die Standpunkte der Beklagten vorgetragen werden. Die Schutzschrift eignet sich somit fĂŒr alle Verfahren, die vom Gericht ohne vorherige Anhörung der Beklagtenseite angeordnet werden. Insbesondere in den Bereichen des ImmaterialgĂŒterrechtes (Marken und Patente sowie Designschutz) ist die Anwendung der Schutzschrift von Vorteil, da auf diese Weise die Standpunkte der Beklagtenseite auch umfangreich vorgetragen werden können.

Gesetzlich sieht das schweizerische Zivilgesetzbuch in Art. 28d ZGB​1 vorsorgliche Massnahmen zur Durchsetzung insbesondere von ImmaterialgĂŒterrecht im Bereich des lauteren Wettbewerbs vor. Im Zuge der Vereinheitlichung des schweizerischen Zivilprozessrechts ist auch eine Regelung des Instruments der Schutzschrift vorgesehen​2. Daher wird die Schutzschrift mehr und mehr an Bedeutung gewinnen.

Die Anwendung des prophylaktischen Verteidigungsmittels hat jedoch einen entscheidenden Nachteil, nĂ€mlich dass die Schutzschrift bei dem jeweils zustĂ€ndigen Gericht hinterlegt werden muss. Insbesondere bei der Zugrundelegung des UbiquitĂ€tsprinzips, das insbesondere dann auftritt, wenn Verletzungen im Internet stattfinden, ist es notwendig, die Schutzschriften bei allen möglichen Gerichten zu hinterlegen, da nahezu alle Gerichte fĂŒr eine Klage zustĂ€ndig sein können. Dies ist jedoch ein erheblicher administrativer Aufwand und je nach Klagegrund können Bezirksgerichte oder auch Handelsgerichte fĂŒr den Erlass einer solchen Anordnung zustĂ€ndig sein. Dies bedeutet insbesondere fĂŒr denjenigen, der die Verteidigung durchfĂŒhren muss, zum einen, neben dem hohen administrativen und kostenintensiven Aufwand, eine Rechtsunsicherheit dahingehend, dass möglicherweise nicht alle Gerichte mit der entsprechenden Schutzschrift versorgt worden sind. Ein anderer wesentlicher Nachteil ist dabei, dass das Gericht aufgrund der gesetzlichen Grundlage nicht verpflichtet ist, die Schutzschrift auch entsprechend zu sichten. Dies bedeutet fĂŒr den Beklagten, dass auch hier fĂŒr ihn eine erhebliche Rechtsunsicherheit besteht, da er im «worst case» davon ausgehen muss, dass trotz Vorlage der Schutzschrift beim zustĂ€ndigen Gericht sein Vortrag keine Beachtung findet.

Somit kann der Hinterleger nur hoffen, dass seine Schutzschrift zum einen beim zustÀndigen Gericht eingegangen ist und zum anderen, dass der zustÀndige Richter auch tatsÀchlich von dieser Schutzschrift aus dem «grossen Schrank», in dem die Schutzschriften lagern, Kenntnis bekommt.

Der praktische Nutzen einer solchen Schutzschrift ist an sich nicht von der Hand zu weisen. Nur auf diese Weise kann der Richter Informationen von der Beklagtenseite erhalten, um eine objektive Entscheidung fÀllen zu können. Der entscheidende Schwachpunkt der Schutzschriften ist und bleibt die Verteilung und die Verwaltung der Schutzschriften bei Gericht.

Bereits im Jahre 2006 hat Rechtsanwalt Axel Richter, zugelassen beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe​3, dazu aufgerufen, ein sogenanntes Schutzschriftenregister in Deutschland ins Leben zu rufen. Er begrĂŒndete es damit, dass Register wie das Bundeszentralregister, das Handelsregister, Insolvenzveröffentlichungen oder Ähnliches bereits zeigen, dass Online-Einsichtnahmen von Vorteil sind. Damit könnte auch ein zentrales Schutzschriftenregister von Erfolg gekrönt sein. Bereits ein Jahr spĂ€ter hat in Zusammenarbeit mit der EuropĂ€ischen EDV Akademie des Rechtes gGmbH (EEAR) dieser Aufruf gegriffen und es ist ein Schutzschriftenregister entwickelt worden, das bereits eine Testphase erfolgreich bestanden hat. Unter der Domain www.schutzschriftenregister. de wird eindrucksvoll gezeigt, wie der Ablauf des Schutzschriftenregisters ist. Inzwischen haben sich schon mehrere Gerichte in Deutschland​4 dazu verpflichtet, obwohl noch keine gesetzliche Grundlage hierfĂŒr vorhanden ist, vor Erlass einer superprovisorischen Massnahme das Schutzschriftenregister nach Antragsteller beziehungsweise Beklagtenseite zu konsultieren.

Somit ist an sich schon heute ein funktionsfĂ€higes zentrales Schutzschriftenregister fĂŒr Deutschland online erreichbar.

Es wĂ€re wĂŒnschenswert, wenn dieses System in der Schweiz ebenfalls seinen vollen Nutzen entfalten könnte. Ein solches Schutzschriftenregister kann jedoch nur dann von Erfolg gekrönt sein, wenn damit bundesweit gearbeitet wird. In rechtlicher (resp. tatsĂ€chlicher) Hinsicht muss sichergestellt sein, dass die Gerichte verpflichtet sind (resp. sich wie in Deutschland freiwillig dazu verpflichten), vor Erlass einer superprovisorischen Massnahme eine Abfrage beim Schutzschriftenregister vorzunehmen. Im Interesse des attraktiven Standortes Schweiz wĂ€re damit ein effektiver weiterer Baustein bereitgestellt, der die schnelle Gerichtsbarkeit der Schweiz unterstĂŒtzt. Das Bundesamt fĂŒr Justiz, Fachbereich Rechtsinformatik, welchem die Projekt-Idee eines Schutzschriftenregisters fĂŒr die Schweiz unterbreitet wurde, begrĂŒsst grundsĂ€tzlich diese Initiative, verweist fĂŒr die Umsetzung aber auf die involvierten InteressenverbĂ€nde (z. B. Verband Schweizerischer Patent- und MarkenanwĂ€lte, Schweizer Verband der Richter in Handelssachen). Nun sind Wirtschafts- und AnwaltsverbĂ€nde an der Reihe, das System zu prĂŒfen und eine einheitliche Regelung fĂŒr die Hinterlegung der Schutzschriften zu fordern. Die Beteiligten sind zu ĂŒberzeugen, sich freiwillig zur Konsultation eines schweizerischen Schutzschriftenregisters zur verpflichten.

Fussnoten:
*

Dipl.-Ing. (Univ.), Patentanwalt CH/D; Weinfelden-TG/Konstanz; www.technikrecht.ch.

1

2

Den entsprechenden Wortlaut finden Sie im Entwurf unter http://www.admin.ch/ch/d/ff/2006/7413.pdf (vgl. BBl 2006, 7475), den Kommentar dazu unter http://www.admin.ch/ch/d/ff/2006/7221.pdf (vgl. BBl 2006, 7357).

3

MMR 2006, 270 ff.

4

Dies sind: Hamburg, Mannheim, Bremen, Heidelberg, Mosbach, SaarbrĂŒcken, NĂŒrnberg-FĂŒrth, Waldshut-Tiengen.