Die diesjĂ€hrige Sommertagung im Lake Side ZĂŒrich wurde von Dr. ÂMichael Ritscher geleitet, wĂ€hrend Dr. Christoph Gasser fĂŒr die Organisation verantwortlich war.
Me ÂMichael Ritscher, Dr en droit, a dirigĂ© la journĂ©e qui sâest tenue lâĂ©tĂ© passĂ© au Lake Side Zurich, alors que Me Christoph Gasser, Dr en droit, en a assurĂ© lâorganisation.
Susanna Ruder, PatentanwĂ€ltin in Wil SG, prĂ€sentierte zunĂ€chst ausgewĂ€hlte Fragen zum Urteil BPatGer vom 15. Juni 2018, O2015_018, «SchreibgerĂ€t», sowie zum diesbezĂŒglichen Urteil BGer vom 29. Januar 2019, 4A_435/2018 und 4A_441/2018. Betroffen waren ein Schweizer (CH 704â 790 C1) sowie ein europĂ€isches (EP 2497 648 B1) Patent mit fast identischem Inhalt bezĂŒglich eines SchreibgerĂ€ts. Die vom EP beanspruchte Erfindung stammte von Herrn Garinaud, wurde aber an die KlĂ€gerin («Guenat») abgetreten. Die KlĂ€gerin («Guenat») klagte insbesondere auf Nichtigkeit des schweizerischen Patents, das auf die Beklagte («Swiss ÂFinest») registriert war. Als Reaktion auf die Nichtigkeitsklage klagte SwissFinest auf Abtretung des EuropĂ€ischen Patents sowie auf Verletzung ihres Schweizer Patents.
Nach ErlĂ€uterung der Abweisung des Antrags auf Ăbertragung des europĂ€ischen Patents sowie der Abweisung der Verletzungsklage ging, Ruder auf die Nichtigkeitsklage gegen das ÂSchweizer Patent ein. Die Nichtigkeitsklage stĂŒtzte sich im Wesentlichen auf Âmangelnde erfinderische TĂ€tigkeit (Art. 26 Abs. 1 lit. a PatG) und auf mangelnde Berechtigung (Art. 26 Abs. 1 lit. d PatG).
Die mangelnde Berechtigung stĂŒtzte Guenat auf die Behauptung, dass Garinaud durch eine AbtretungserklĂ€rung sein Recht an das EuropĂ€ische Patent explizit an Guenat abgetreten habe, Guenat mithin die gesamten Rechte an der Erfindung erhalten habe und Rechtsnachfolgerin von Garinaud sei. Allerdings bezog sich die ErklĂ€rung nicht auf die Erfindung, sondern nur auf die europĂ€ische Anmeldung und das europĂ€ische Patent (vgl. BPatGer vom 15. Juni 2018, O2015_018, E. 13 â bestĂ€tigt durch BGer vom 29. Januar 2019, 4A_435/2018 und 4A_441/â2018). Da Guenat weder Erfinderin noch Rechtsnachfolgerin war, stellte das BPatGer fest, dass Guenat an der Erfindung nicht berechtigt und das diesbezĂŒgliche Rechtsbegehren unzulĂ€ssig war. Dieser Fall lehre, so Ruder, wie wichtig es in einem konkreten Fall sei, deutlich zu machen, ob die gesamten Rechte an einer Erfindung oder nur das einzelne Patent ĂŒbertragen werden solle.
Die erfinderische TĂ€tigkeit bejahte das BPatGer, obwohl es eine (fĂ€lschÂlicherweise) mit dem Vermerk «breveté» versehene Powerpoint-PrĂ€sentation zum Stand der Technik zĂ€hlte.
Ruder hob zudem hervor, dass Guenat vor BGer u.âa. erfolglos eine Verletzung der Dispositionsmaxime darin gesehen hatte, dass das BPatGer eine andere Auslegung eines Merkmals Âvorgenommen hatte als die von Guenat vertretene, sowie darin, dass Swiss ÂFinest sich zu diesem Merkmal gar nicht geĂ€ussert hatte. Die Referentin hielt fest, dass die Auslegung von erhobenen Merkmalen gemĂ€ss BGer eine Rechtsfrage darstelle, in der Praxis aber oft unklar sei, was Sach- und was Rechtsfrage ist.
Zum Schluss prÀsentierte Ruder vier beim EuropÀischen Patentamt («EPA») pendente Vorlagen, G1/18, G1/19, G2/19 sowie G3/19.
Nach Ruders Vortrag fand eine Diskussion ĂŒber die Abgrenzung zwischen Tatfragen und Rechtsfragen im Lichte des Verhandlungsgrundsatzes statt. In der Diskussionsrunde wurde zunĂ€chst hervorgehoben, dass TatÂsachen mit Beweisen erhoben werden. DemgegenĂŒber werde ĂŒber Rechtsfragen diskutiert. Als Beispiel wurden die tatsĂ€chlich ĂŒbereinstimmenden WillensĂ€usserungen der Parteien genommen, welche als Tatfragen gelten. DemgegenĂŒber erfolge die Auslegung dieser WillensĂ€usserungen gestĂŒtzt auf den Vertrauensgrundsatz und stelle somit eine Rechtsfrage dar. Im Patentrechterfolge die Auslegung von PatentÂansprĂŒchen aus Sicht eines hypotheÂtischen Fachmannes, dessen VerstĂ€ndnis objektiviert werde, sodass die ÂAuslegung â gemĂ€ss der Diskussionsrunde â als Rechtsfrage kategorisiert wird.
Maria Iskic, RechtsanwĂ€ltin in ZĂŒrich, referierte zu ausgewĂ€hlten Fragen aus den Urteilen BPatGer vom 22. Oktober 2018, S2018_004, und BGer vom 12. MĂ€rz 2019, 4A_575/2018, «KombinationsprĂ€parat», sowie aus den Urteilen BPatGer vom 14. MĂ€rz 2018, O2015_008, und BGer vom 4. Oktober 2018, 4A_282/2018, «Balancier de montre».
Gegenstand der Urteile «KombinationsprĂ€parat» war ein Gesuch um ÂErlass vorsorglicher Massnahmen und die Verletzung eines ESZ. Die Beklagte argumentierte, dass der KlĂ€gerin gar kein Schaden und damit auch kein leicht wiedergutzumachender Nachteil entstehen könne, weil die Inhaberin der Marktzulassung und Vertreiberin des Produkts in der Schweiz nicht die KlĂ€gerin selber, sondern eine Gruppengesellschaft (keine Tochtergesellschaft) der KlĂ€gerin sei.
Das BGer schĂŒtzte die Vorinstanz und hielt fest, dass ein etwaiger Schaden, der durch die unberechtigte Nutzung des Schutzrechts verursacht werde, fĂŒr die Inhaberin des Schutzrechts als weitere Gesellschaft derselben Konzerngruppe ebenfalls einen Nachteil bedeuten könne. Ein Schutzrecht könne auch insofern an Wert verlieren, als Dritte dazu verleitet werden könnten, das dem Anschein nach nicht mehr durchgesetzte Schutzrecht ebenfalls zu verletzen. Deshalb sei es bei einer rechtmĂ€ssigen Nutzung Dritter mindestens vertretbar und daher nicht willkĂŒrlich anzunehmen, dass die zum Vertrieb des Heilmittels in der Schweiz berechtigte Gesellschaft einen direkten und die Inhaberin des gewerblichen Schutzrechts zumindest einen indirekten Nachteil erleiden.
Diese Urteile werfen gemĂ€ss Iskic insbesondere die Frage auf, ob nun eine grosszĂŒgige Praxis mit Bezug auf die Glaubhaftmachung des nicht leicht wiedergutzumachenden Nachteils zu erwarten sei.
Weiter prĂ€sentierte Iskic die Urteile «Balancier de montre», welche insbesondere Fragen zu neuen EventualantrĂ€gen nach dem Fachrichtervotum aufwarfen. Dort fĂŒhrte die KlĂ€gerin nach dem Fachrichtervotum neue Sub-EventualantrĂ€ge ein, mit welchen sie Anspruch 1 des Streitpatents um ein zusĂ€tzliches Merkmal ergĂ€nzte. GemĂ€ss BPatGer stellen neue (Sub-)EventualantrĂ€ge keine teilweise Klageanerkennung i.S.v. Art. 227 Abs. 3 ZPO dar, da das Gericht trotzdem das ganze Rechtsbegehren prĂŒfen muss. Das BPatGer geht von neuen Sachverhaltsvorbringen aus. Es mĂŒssen folglich die Voraussetzungen von Art. 229 Abs. 1 ZPO erfĂŒllt sein, welche das BPatGer vorliegend in E. 23 verneinte: Das Fachrichtervotum sei ein Beitrag zur Urteilsfindung und keine neue Tatsache i.S.v. Art. 229 ZPO. Es sei keine Einladung an die Parteien, ihre womöglich unvollstĂ€ndigen Eingaben zu ergĂ€nzen. Auch enthielt das Fachrichtervotum keine neuen Tatsachen, die nicht bereits von den Parteien vorgetragen wurden. Das BGer bestĂ€tigte das Urteil der Vorinstanz, dies aber mit anderer BegrĂŒndung. Die HinzuÂfĂŒgung eines Merkmals komme vorÂliegend einer jederzeit zulĂ€ssigen KlagebeschrĂ€nkung gemĂ€ss Art. 227 Abs. 3 ZPO gleich. Ob ein zusĂ€tzliches Merkmal die bisher streitigen PatentansprĂŒche in zulĂ€ssiger Weise einschrĂ€nke, ergebe sich erst aufgrund einer BeurÂteilung, welche sich nicht auf reine Rechtsfragen beschrĂ€nke, sondern die BerĂŒcksichtigung von Sachverhaltselementen erfordere.
Auch diese Urteile werfen gemĂ€ss Iskic weitere Fragen auf, u.âa., ob ein neuer Anspruch einem neuen Sachverhalt gleichkommt und somit immer nach Art. 229 ZPO zu prĂŒfen ist. Gegebenenfalls wĂ€re somit dessen VorÂbringen als unechtes Novum an der Hauptverhandlung (BGer vom 8. Mai 2018, 4A_543/2017, E. 2.3) oder nach dem Fachrichtervotum zu spĂ€t (BGer vom 4. Oktober 2018, 4A_282/2018, E. 5.2). BezĂŒglich des Vorbringens ÂwĂ€hrend des Schriftenwechsels liess die Referentin die Frage offen und wies auf das Urteil BPatGer vom 18. Dezember 2018, O2016_009, hin, das zum Zeitpunkt der Veranstaltung noch beim BGer hĂ€ngig war.
Mark Schweizer, Dr. iur., LL.M., PrÀsident des Bundespatentgerichts, ging zunÀchst auf das Urteil BPatGer vom 8. Februar 2019, S2018_006, «Spiralfeder», ein. Gegenstand des Urteils war ein Gesuch um Erlass einer vorsorglichen Massnahme, wobei sich namentlich die Frage stellte, ob das Gesuch verspÀtet gestellt worden sei.
Schweizer erlĂ€uterte, dass sich dabei sowohl das BPatGer als auch das BGer auf eine «relative Dringlichkeit» stĂŒtzten: Der Anspruch auf Erlass einer vorsorglichen Massnahme ist verwirkt, wenn der Gesuchsteller, obwohl er in der Lage ist, das Gesuch einzureichen, mit dessen Einreichung so lange zuwartet, dass ein ordentliches Verfahren, das er im frĂŒhesten möglichen Zeitpunkt eingeleitet hĂ€tte, eher abgeschlossen wĂ€re als das (verspĂ€tet) eingeleitete Massnahmeverfahren. Schweizer wies darauf hin, dass dieses Urteil erstmals konkrete Zeitangaben enthalte. Bei einer durchschnittlichen Dauer von ordentlichen Verletzungsverfahren vor dem BPatGer von rund 2 Jahren bis zum Abschluss der ersten Stufe und einer durchschnittlichen Dauer von auf Unterlassung gerichteten Massnahmeverfahren von rund 8 bis 10 Monaten ergebe sich daher, dass der Anspruch auf Erlass vorsorglicher Massnahmen prozessual verwirkt sei, wenn der Gesuchsteller mit der Geltendmachung rund 14 Monate von dem Zeitpunkt an zuwartet, in dem ein ordentliches Verfahren hĂ€tte eingeleitet werden können.
Auch sei zu bemerken, dass die Verwirkung des Anspruchs auf Erlass vorsorglicher Massnahmen durch Zuwarten ein Ausfluss des (prozessualen) Rechtsmissbrauchsverbots ist. Demzufolge trage die Beklagte die Beweislast fĂŒr das Vorliegen der UmstĂ€nde, die auf ein ĂŒbermĂ€ssig langes Zuwarten bis zur Einreichung des Massnahmegesuchs schliessen lassen (rechtsvernichtender Einwand). Zudem werde keine positive Kenntnis von der Verletzung verlangt. Es genĂŒge fahrlĂ€ssige Unkenntnis. Allerdings dĂŒrften die Anforderungen diesbezĂŒglich nicht ĂŒberspannt werden. FĂŒr weitere Urteile zur relativen Dringlichkeit wurde auf die Urteile BPatGer vom 25. MĂ€rz 2019, S2019_001, und BPatGer vom 9. April 2019, S2019_004, hingewiesen.
Weiter prĂ€sentierte Schweizer die VerfĂŒgung BPatGer vom 4. Januar 2019, O2018_018, «KlageĂŒberfall», zum Thema der Verteilung der Prozesskosten. Vorliegend wurde eine Nichtigkeitsklage eingereicht. Daraufhin liess die Beklagte (Patentinhaberin) das Klagepatent löschen und brachte in ihrer Klageantwort vor, dass sie vor Einreichung der Klage von der KlĂ€gerin nicht verwarnt worden sei. Ansonsten hĂ€tte sie das Klagepatent umgehend löschen lassen, wodurch der Prozess hĂ€tte vermieden werden können. Das BPatGer entschied, dass der Patentinhaber, der nach Eingang der Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Patents sein Patent aus dem Patentregister löscht, auch dann die Prozesskosten trĂ€gt, wenn er vor Einreichung der Klage nicht abgemahnt wurde. Es widersprĂ€che nĂ€mlich der Lebenserfahrung, dass der Patentinhaber zwar die GebĂŒhren fĂŒr die Aufrechterhaltung des Patents rechtzeitig bezahlt, aber auf erste Aufforderung hin das Patent löschen wĂŒrde.
Zum gleichen Thema stellte Schweizer noch das Urteil BPatGer vom 1. Mai 2019, S2019_006, «Tadalafil II», vor. Die KlĂ€gerin reichte ein Gesuch um Erlass superprovisorischer Massnahmen ein, ohne die Beklagte vorÂgĂ€ngig zu verwarnen. Das Gesuch wurde gutgeheisÂsen. In der Massnahmeantwort machte die Beklagte aber glaubhaft, dass sie fĂŒr die Verletzungshandlungen gar nicht verantwortlich sei. Demzufolge entschied das BPatGer â anders als in der VerfĂŒgung «KlageĂŒberfall» â, dass die KlĂ€gerin die Kosten des Massnahmeverfahrens tragen mĂŒsse (Abweisung der Klage wegen fehlender Glaubhaftmachung einer Rechtsverletzung). In der Praxis sei die Frage der Abmahnung dementsprechend kein trivialer Entscheid bezĂŒglich der Verteilung von allfĂ€lligen Prozesskosten.
Catherine Chammartin, Dr. iur. et lic. rer. pol., RechtsanwĂ€ltin und Direktorin des Eidgenössischen Instituts fĂŒr Geistiges Eigentum («IGE»), eröffnete die zweite Vortragsreihe mit einem Einblick in das Projekt «eGovernment» beim IGE». Ziel sei die elektronische Einbindung der Kunden in die Verfahren und registerfĂŒhrenden Prozesse unter Einhaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen sowie der Sicherheitsaspekte mit folgenden Vorhaben:
- â Ablösung von Swissreg durch eine Lösung, die es erlaubt, RegisterĂ€nderungen online zu beantragen;
- â elektronische Suche fĂŒr sĂ€mtÂliche in der Schweiz gĂŒltigen Schutztitel;
- â EinfĂŒhrung eines Verfahrenscockpits fĂŒr Eingaben, GebĂŒhrenzahlungen usw. im Anmelde- und Gesuchsverfahren;
- â EinfĂŒhrung eines Portfoliomanagements fĂŒr die individuelle Verwaltung von schweizerischen Schutztiteln durch Anmelder, Hinterleger oder deren Vertreter;
- â EinfĂŒhrung von B2B-Schnittstellen fĂŒr Anmelde- und Gesuchsverfahren oder die RegisterfĂŒhrung.
Zur Umsetzung tausche sich das IGE insbesondere mit den interessierten Kreisen aus. Der Stand der Arbeiten im Juli 2019 umfasste die Erstellung einer Beta-Version von Swissreg mit einer Google-Ă€hnlichen Suche, die DurchfĂŒhrung von Usability Tests und eines Security-Audits fĂŒr Online-RegisterĂ€nderungen und eĂbermittlung. Die Veröffentlichung dieser Module sei bis spĂ€testens Mitte des GeschĂ€ftsjahres 2020 zu erwarten.
Michael Reinle, Dr. iur., LL.M., Rechtsanwalt in ZĂŒrich, ging zunĂ€chst auf das Urteil BGer vom 8. Februar 2019, 4A_433/2018, betreffend die Teilnehmerhaftung des Access-Providers (vorliegend Swisscom), mit dem Hinweis ein, dass dies einen der wichtigsten IT-Entscheide in letzter Zeit darstelle. Streitgegenstand waren Internetportale, auf welchen von Uploadern Filme unrechtmĂ€ssig zur VerfĂŒgung gestellt werden, welche dann von den Nutzern heruntergeladen oder gestreamt werden können.
Umstritten war vor allem die Passivlegitimation der Swisscom, da diese keine Direktverletzerin war. Das BGer stĂŒtzte sich auf Art. 50 OR und leitete aus dieser Bestimmung zur Solidarhaftung implizit eine zivilrechtliche Verantwortlichkeit von Teilnehmern ab. Die Bestimmung könne nicht nur fĂŒr reparatorische, sondern auch fĂŒr negatorische AnsprĂŒche gegenĂŒber Teilnehmern an Rechtsverletzungen herangezogen werden.
Das BGer prĂŒfte somit, wer die rechtswidrige Haupttat begangen hatte. Der Internetnutzer, der die strittigen Internetseiten aufruft und die dort bereitgestellten Filme konsumiert, beging gemĂ€ss BGer ein Herunterladen zum Eigengebrauch (Art. 19 Abs. 1 lit. a URG) und somit keine Urheberrechtsverletzung. Vielmehr liege die Urheberrechtsverletzung bei den Portal-Betreibern, den Hostern und den Uploadern. Die Beurteilung einer Teilnehmerhaftung der Swisscom als Access-Provider hing davon ab, ob in der Dienstleistung der Swisscom ein adĂ€quat kausaler Tatbeitrag an der illegalen ZugĂ€nglichÂmachung durch die Direktverletzer vorlag. GemĂ€ss BGer genĂŒgt fĂŒr einen adĂ€quaten Kausalzusammenhang Âjedenfalls nicht jede beliebige Teilnahmehandlung, die lediglich «irgendwie» von förderndem Einfluss ist, jedoch nicht in einem hinreichend engen Zusammenhang mit der Tat selbst steht. Das BGer verneinte das Vorliegen eines adĂ€quat kausalen Beitrags der Swisscom: Die Funktion des Access-Providers liege im (automatisierten) Anbieten eines ÂZuganges zum weltweiten Internet, nicht im Angebot bestimmter ÂInhalte. Auch könnten keine Urheberrechtsverletzungen von Kunden der Swisscom nachgewiesen werden. Deshalb sei einzig ein Tatbeitrag der Swisscom an den Handlungen derjenigen Direktverletzer zu beurteilen, welche die Filme im Internet zugĂ€nglich gemacht haben. Diese stehen jedoch in keinerlei vertraglicher Beziehung zur Swisscom. Am ZugĂ€nglichmachen auf den Rechnern liefere die Swisscom daher keinen konkreten Tatbeitrag. Ihre Beteiligung liege einzig (wie auch diejenige vieler anderer Access-Provider in der Schweiz) in der Bereitstellung der technischen Infrastruktur fĂŒr einen Internetzugang von der Schweiz aus. Dies reiche fĂŒr eine zivilrechtliche Verantwortlichkeit nicht aus. Art. 50 OR sieht keine Systemhaftung vor, und Netzsperren wĂ€ren vom Gesetzgeber anzuordnen, so wie dies z.âB. im Geldspielgesetz (BGS) und in der revidierten FMG der Fall ist.
Weiter ging Reinle auf das Urteil des OLG Hamburg vom 28. Februar 2019, 5 U 146/16, ein. Streifrage war, ob die Beklagte fĂŒr eine eigene Virtualisierungssoftware Linux Open Source Codes genutzt und dabei die entsprechenden Lizenzbestimmungen verletzt hatte (sog. Copyleft-Klausel). Die Klage wurde jedoch ohne PrĂŒfung dieser Frage abgewiesen, weil der KlĂ€ger den Nachweis seiner Urheberschaft nach Ansicht des Gerichts nicht erbringen konnte.
Zuletzt wies Reinle auf den Streit zwischen Oracle und Google bezĂŒglich der Benutzung von Java API fĂŒr Android-Smartphones hin. Google hat die ĂŒbernommenen Java API-Pakete nicht vollstĂ€ndig kopiert, sondern lediglich den Declaration Code. Oracle macht geltend, dass Google einerseits die ÂUrheberrechte von Oracle an den Titeln und Ăberschriften im Declaration Code, andererseits die Rechte an der sog. Struktur, Sequenz und Organisation («SSO») der Java API verletzt habe. ÂDas Gericht erachtet als rechtlich relevante Fragen,
- â ob die Titel und Ăberschriften bzw. die SSO schutzfĂ€hig seien und somit eine Urheberrechtsverletzung vorliege und
- â ob gegebenenfalls das Verhalten von Google Fair Use entspreche.
Der Referent fasste zusammen, dass die erste Frage vom District Court for the Northern District of California verneint, jedoch vom Court of Appeals for the Federal Circuit bejaht wurde.
GemĂ€ss dem Court of Appeal seien kurze Titel und Ăberschriften sowie die SSO, welche vorliegend auch als System bezeichnet wurden, nicht per se vom Urheberrechtsschutz ausgeschlossen. Auch bei der zweiten Frage, welche vom District Court bejaht wurde, war der Court of Appeals anderer Meinung. Bei der Ăbernahme der Java API durch Google handle es sich nicht um einen sog. transformative use. Der Court of Appeals beurteilte auch den sog. Market Harm anders und betonte insbesondere, dass man hier auch potenzielle, zukĂŒnftige MĂ€rkte berĂŒcksichtigen mĂŒsse. In der nachfolgenden Diskussion wurde die Frage aufgeworfen, ob sich Google nach schweizerischem Recht auf Art. 21 URG berufen könnte.
Philipp Dannacher, Dr. iur., FĂŒrsprecher, KommissionssekretĂ€r der Eidgenössischen Schiedskommission fĂŒr die Verwertung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten («ESchK»), eröffnete sein Referat mit einer kurzen Vorstellung der ESchK. Diese steht unter der administrativen Aufsicht des Generalsekretariats des Eidgenössischen Justiz- und PolizeiÂdepartements. GemĂ€ss Dannacher fĂŒhrt die Bezeichnung «Schiedskommission» im Namen der ESchK oft zu Verwirrungen. Die bisherige Rechtsprechung des BVGer bezeichne die ESchK konstant als Fachgericht, sie sei daher als Justizbehörde zu qualifizieren. Diese Frage werde derzeit allerdings im Rahmen eines vor dem BVGer hĂ€ngigen BGĂ-Verfahrens geklĂ€rt.
Zu den Neuerungen zĂ€hlte Dannacher folgende Punkte:Erstens gab es im Jahr 2016 eine Welle von AntrĂ€gen um vorsorgliche Massnahmen. Bis Âanhin wurde ĂŒber diese AntrĂ€ge erst bei der Kommissionssitzung der ESchK (alias «Hauptverhandlung») entschieden. Neu erlasse die ESchK eine separate schriftliche (PrĂ€sidial-)ZwischenverfĂŒgung möglichst frĂŒhzeitig nach Eingang des Gesuchs, um tariflose ZustĂ€nde zu vermeiden (z.âB. ZwischenverfĂŒgung ESchK vom 10. Juli 2018 zu GT 5). Zweitens wurde in Ă€hnlicher Weise die Parteistellung von Dritten jahrelang erst anlĂ€sslich der «Sitzung» zur Beurteilung des Tarifgenehmigungsgesuchs abgeklĂ€rt, was hinsichtlich des Rechtsschutzes problematisch war. Heute werde darĂŒber ebenfalls in Form einer separaten ZwischenverfĂŒgung entschieden. Anders als bei vorsorglichen Massnahmen ist die gesamte Spruchkammer zum Erlass dieser VerfĂŒgung zustĂ€ndig. Drittens fand eine PraxisĂ€nderung ebenfalls bei der Bemessung der SpruchgebĂŒhr statt. Seit Mai 2007 sieht Art. 2 VKEV die BerĂŒcksichtigung von Vermögensinteressen bei dieser Bemessung vor â analog zur Praxis des BVGer zum VGKE in Tarifverfahren. Trotz dieser gesetzlichen Ănderung datiere der erste bedeutende Fall betreffend den GT 5 vom Jahr 2018 (noch nicht rechtskrĂ€ftig). Viertens gebe es eine weitere Neuerung, die gemĂ€ss Dannacher in der Praxis oft missverstanden werde. So enthielten die BeschlĂŒsse der ESchK nun eine Klausel zu deren Rechtswirksamkeit. Hier seien dogmatisch klar Rechtskraft, Rechtswirksamkeit und Vollstreckbarkeit auseinanderzuhalten. FĂŒnftens wurde im Fachsekretariat insbesondere das Archiv bis 1974 digital aufbereitet. Neu gebe es auch in allen drei Amtssprachen ein Merkblatt fĂŒr die Tarifeingaben auf <www.eschk.ch>.
Zuletzt erlĂ€uterte Dannacher die aktuellen Herausforderungen der ESchK. Grundlegende dogmatische Fragen seien noch ungeklĂ€rt, wie z.âB. die Rechtsnatur der urheberrechtlichen Tarife. Das BGer erliess im Dezember 2017 ein Urteil zum GT 3a Zusatz (BGer vom 13. Dezember 2017, 2C_685/2016 und 2C_806/2016) und wendete das RĂŒckwirkungsverbot fĂŒr Erlasse auf Tarife an. Dannacher schliesst daraus, dass Tarife nach Auffassung des BGer als Erlasse gelten. Diese Klassifikation werfe allerdings einige Fragen auf: So wĂŒrden Erlasse des Bundes entsprechend dem PublG und dem SpG auf Deutsch, Französisch und Italienisch publiziert, und alle Sprachfassungen seien gleichwertig. Dannacher wies darauf hin, dass im Widerspruch dazu bei manchen Tarifen bis jetzt nur die deutsche Fassung als verbindlich erklĂ€rt werde oder etwa eine italienische Fassung gĂ€nzlich fehle. Zum Schluss hielt Dannacher fest, dass das Anstossen von GesetzesĂ€nderungen manchmal parallel zum Rechtsmittelweg gegen missliebige Urteile erfolge.
Pascal Spycher, Rechtsanwalt in Bern, referierte zu drei Urteilen des BGer betreffend Firmen-, Namens- und Markenrecht.
Zum Urteil BGer vom 29. Januar 2019, 4A_541/2018, «SRC WirtschaftsprĂŒfungen GmbHâ /â SRC Consulting GmbH», hob Spycher hervor, dass ÂgemĂ€ss dem BGer unter UmstĂ€nden eine relativ stark prĂ€gende Wirkung besteht, wenn die Aussprache des Akronyms als Fantasiewort aufgrund von Vokalen sowie Gross- und Kleinschreibung möglich ist (z.âB. «Mipa»). DemÂgegenĂŒber werde die Kennzeichnungskraft als schwach eingestuft, wenn das Akronym nur buchstabiert werden könne. Von Bedeutung sei auch, dass die Anzahl möglicher Kombinationen von zwei oder drei Buchstaben beschrĂ€nkt ist. Im vorliegenden Fall enthielt das gemeinsame Akronym keine Vokale und konnte nur als «SRC» buchstabiert werden, sodass diesem eine eher schwache Kennzeichnungskraft zugeordnet wurde. Spycher hinterfragte diese Beurteilung, da bei der Aussprache von «SRC» Vokale benĂŒtzt werden und die lĂ€ngere Aussprache von «SRC» beispielsweise gegenĂŒber «Mipa» auch von Relevanz sein könnte. Das BGer wĂŒrdigte die ZusĂ€tze «WirtschaftsprĂŒfungen» und «Consulting» als kennzeichnungsschwach; dennoch fĂŒhren diese gemĂ€ss BGer zu genĂŒgend Abstand. Der ĂŒbereinstimmende Sitz in Kreuzlingen Ă€nderte nichts, denn ĂŒberschneidende Abnehmerkreise waren nicht bewiesen. Demzufolge entschied das BGer, dass keine Verwechslungsgefahr bestand. Bemerkenswert sei hier, dass nicht auf die statutarischen Zwecke der Beteiligten abgestellt wurde. Spycher sieht diesen Entscheid in einem Widerspruch zu den GrundsĂ€tzen des Kennzeichenrechts. Die Verwechslungsgefahr hĂ€tte bejaht werden mĂŒssen. DafĂŒr spreche insbesondere, dass die Unterschiede zwischen «WirtschaftsprĂŒfungen» und «Consulting» beschreibender Natur und somit im VerhĂ€ltnis zum Element SRC derart schwach sind, dass sie den GesamtÂeindruck nicht massgeblich beeinflussen können. Weiter warf Spycher die Frage auf, welche Auswirkungen der Entscheid im Markenrecht hat, und Âargumentierte, dass in einem hypothetischen analogen Fall im Markenrecht eine Verwechslungsgefahr höchstwahrscheinlich bejaht worden wĂ€re. Diese Kritik wurde wĂ€hrend der Diskussion auch von anderen Teilnehmern an der Veranstaltung geteilt.
Weiter prĂ€sentierte der Referent das Urteil BGer vom 1. Oktober 2018, 4A_83/2018, «Pachmann RechtsanwĂ€lte AGâ /â Bachmann RechtsanwĂ€lte AG». Beide Parteien haben Sitz in der Stadt ZĂŒrich und bieten im WesentÂlichen Ă€hnliche Rechtsdienstleistungen an. Das BGer hielt fest, dass auch einer neu gegrĂŒndeten Aktiengesellschaft die Aufnahme eines der Wahrheit entÂsprechenden Familiennamens in die Firma firmenrechtlich nicht untersagt werden kann, auch dann nicht, wenn der gleiche Name bereits Bestandteil der Firma einer in der gleichen Branche tĂ€tigen Ă€lteren Gesellschaft bildet. ÂAnwĂ€lte haben aufgrund der ausgeÂsprochen personenbezogenen TĂ€tigkeit Âsowie der vertrauensspezifischen ÂBesonderheit ihres Berufs ein namensrechtlich schĂŒtzenswertes Interesse an der ÂFĂŒhrung ihres Familiennamens in der Firma. BezĂŒglich der VerÂwechslungsgefahr stellen die Angabe des ÂgeschĂ€ftlichen TĂ€tigkeitsbereichs («RechtsanwĂ€lte») wie auch der Rechtsform («AG») kennzeichnungsschwache Firmenbestandteile dar, weswegen auf die beiden Familiennamen «Pachmann» und «Bachmann» abzustellen ist. Bei den unterschiedlichen Buchstaben Âhandelt es sich jeweils um die Anfangsbuchstaben beider Familiennamen, Âwomit diesem Unterschied eine beÂsonders prĂ€gende Wirkung zukommt. GemĂ€ss dem BGer erkennt das schweizerische Publikum bei ĂŒblicher Aufmerksamkeit den Unterschied im WortÂanfang zwischen dem ausserordentlich seltenen Familiennamen «Pachmann» und dem weitverbreiteten Namen «Bachmann» in den beiden Firmen. Eine Verwechslungsgefahr sei selbst fĂŒr den Fall auszuschliessen, dass dem Firmenbestandteil «Pachmann» aufgrund seiner Seltenheit erhöhte Kennzeichnungskraft zukommen sollte. Spycher hob hervor, dass das BGer diesbezĂŒglich nicht ausgefĂŒhrt habe, es sei aufgrund der namensrechtlichen Interessen ein anderer gradueller Massstab an die Verwechslungsgefahr i.S. eines InteressensÂausgleichs zu legen, sondern sich nur auf die Unterscheidbarkeit gemĂ€ss Wahrnehmung des schweizerischen Publikums gestĂŒtzt habe.
GemĂ€ss Spycher könne dem Entscheid im Ergebnis zugestimmt werden, wenn auch mit anderer BegrĂŒndung: Obwohl Zweifel an einer Auseinanderhaltung zwischen den beiden Firmen bestehe, habe die Beklagte ein ĂŒberÂwiegendes Interesse an der Verwendung von «Bachmann» in Alleinstellung beziehungsweise in Kombination mit kennzeichnungsschwachen Elementen.
Zuletzt wurde das Urteil BGer vom 4. Juli 2018, 4A_515/2017, «Bentley Motors Ltdâ /â Bentley Spirit SA», betreffend die Löschung einer Schweizer ÂExportmarke wegen Nichtgebrauchs prĂ€sentiert. Bei der Exportmarke handelte es sich um die Wortmarke «BENTLEY» in Klasse 14, u.âa. fĂŒr Uhren. Vorliegend strittig waren der genĂŒgende Bezug zur Schweiz und der Gebrauch im Wirtschaftsverkehr. Zur ersten Frage hielt das BGer fest, dass, wenn eine Marke im Ausland auf ein Uhrenzifferblatt gedruckt und dieses Zifferblatt dann in der Schweiz in eine Uhr eingebaut wird, die ihrerseits sodann im Ausland vertrieben wird, ein genĂŒgender Bezug zur Schweiz gegeben ist und vom Vorliegen einer Exportmarke im Sinne von Art. 11 Abs. 2 i.f. MSchG ausgegangen werden kann. Zur zweiten Frage entschied das BGer, dass vorliegend ein Gebrauch zwischen eng verbundenen Unternehmen vorlag, was somit fĂŒr einen Gebrauch im Wirtschaftsverkehr nicht ausreiche. Spycher hob hervor, dass der Begriff von «eng verbundenen Unternehmen» abÂstrakt nicht definiert werden könne, eine vollstĂ€ndige Konzernierung gemĂ€ss dem BGer jedoch nicht erforderlich sei. Auch ist gemĂ€ss BGer unerheblich, dass Lieferungen in den BĂŒchern als KĂ€ufe oder VerkĂ€ufe erscheinen oder ein Verbundmitglied auch Uhren von Konkurrenten kauft. Indiz gegen den Gebrauch im Wirtschaftsverkehr sei auch, dass Arbeit in Rechnung gestellt wurde (und nicht der Marktwert). Spycher bemerkte diesbezĂŒglich, dass aus dem Urteil nicht deutlich hervorgehe, wie stark diese Indizien je zu gewichten sind.
CĂ©line Blank-Emmenegger, FĂŒrsprecherin, Markenabteilung des Eidgenössischen Instituts fĂŒr Geistiges Eigentum (IGE), referierte zum Löschungsverfahren von Marken wegen Nichtgebrauchs und hielt einleitend fest, dass das IGE seit dem 1. Januar 2017 116 LöschungsantrĂ€ge (Stand 31. Mai 2019) erhalten habe, im Schnitt 50 pro Jahr, und zurzeit noch keine Urteile des BVGer vorlĂ€gen.
Die Instruktion bereite keine Schwierigkeiten, da die gut funktionierenden Verfahrensregeln vom Widerspruchsverfahren ĂŒbernommen worden seien. Dabei seien zwei Aspekte von besonderem Interesse: Erstens, die Bezeichnung eines Zustellungsdomizils in der Schweiz. Diese erfolgte anfĂ€nglich nach Haager Ăbereinkommen und fĂŒhrte zu Verzögerungen. Seit dem 1. November 2017 könne die Aufforderung zu einer solchen Bezeichnung fĂŒr internationale Registrierungen («IR») gemĂ€ss Regel 23bis GAFO ĂŒber die WIPO eröffnet werden. ErfahrungsgemĂ€ss könne das Verfahren innerhalb von 5 Monaten weitergefĂŒhrt werden. Zweitens die Sistierung, welche aufgrund eines hĂ€ngigen Zivilprozesses oder eines diesbezĂŒglichen Gesuchs der Parteien zwecks Einigung erfolgte.
Weiter hob Blank-Emmenegger hervor, dass das IGE seit der EinfĂŒhrung (1. Januar 2017) 64 FĂ€lle erledigt habe. In 49 FĂ€llen wurde ein formeller und in 15 FĂ€llen ein materieller Entscheid erlassen. GrĂŒnde fĂŒr ein Nichteintreten seien, dass die Karenzfrist noch nicht abgelaufen sei oder die IR-Marke keine Schutzausdehnung fĂŒr die Schweiz beansprucht habe. GrĂŒnde fĂŒr eine Abschreibung seien meistens die Löschung der Marke mit und ohne Abmahnung oder ein Vergleich (gemĂ€ss Art. 33b VwVG). Art. 24e Abs. 2 MSchV sehe bei formellen Entscheiden die RĂŒckerstattung der ganzen oder halben GebĂŒhr vor. Zu den materiellen Entscheiden wurde darauf hingewiesen, dass diese auf der Website des IGE publiziert seien. Die Glaubhaftmachung des NichtÂgebrauchs der Marke dĂŒrfe nicht an allzu strenge Voraussetzungen geknĂŒpft werden. Diese Glaubhaftmachung erfolge ĂŒber Beweismittel wie Benutzungsrecherchen, HandelsregisterauszĂŒge (nebst weiteren Beweismitteln) sowie AuskĂŒnfte Dritter (vgl. VerfĂŒgung des IGE vom 26. MĂ€rz 2019 im Löschungsverfahren Nr. 100â 046/7). An dieser Stelle wies Blank-Emmenegger darauf hin, dass der Konkurs der Gegenpartei per se nicht ausreiche, da die Marke möglicherweise an einen Dritten verĂ€ussert worden sei. Ăberdies sei eine professionelle Recherche nicht zwingend nötig, diese werde aber, auf Antrag hin, bei Obsiegen entschĂ€digt. Die Kosten dafĂŒr beliefen sich durchschnittlich auf CHF 1000. Bei der Glaubhaftmachung des Gebrauchs der Marke wies Blank-Emmenegger darauf hin, dass die Voraussetzungen und Folgen dieselben seien wie im Widerspruchsverfahren. Zudem sei der Gebrauch einer Marke leichter zu belegen als der Nichtgebrauch (vgl. Urteil BGer vom 4. Juli 2018, 4A_515/2017, E. 2.3.2). Als Beispiel wurde das Löschungsverfahren Nr. 100â 028 (vgl. VerfĂŒgung des IGE vom 1. Oktober 2018 im Löschungsverfahren Nr. 100â 028) genannt.
Ăber das Ganze gesehen sei die Bilanz positiv. Die Glaubhaftmachung des Nichtgebrauchs sei nicht mit Schwierigkeiten verbunden und stelle keine HĂŒrde fĂŒr einen Löschungsantrag dar. Der Erfolg des Löschungsverfahrens dĂŒrfe nicht nur aufgrund der Anzahl AntrĂ€ge und Entscheide gemessen werden. Denn bereits die Drohung mit einem Löschungsverfahren könne die Markeninhaberin dazu bewegen, die Marke zu löschen.
Claudia Walz, RechtsanwĂ€ltin, M.A. (HSG) in Law & Economics, Gerichtsschreiberin am BVGer, II. Abteilung, schloss die Tagung mit einem Referat zur Rechtsprechung des BVGer im Markenrecht und sprach zunĂ€chst ĂŒber Formmarken. Waren- und Verpackungsformen werden normalerweise als ÂHinweis auf die Beschaffenheit der Ware bzw. Verpackung statt als Hinweis auf deren Herkunft wie bei zweidimensionalen Marken verstanden. DemÂzufolge ist bei Formmarken stets die Frage entscheidend, ob das Zeichen in seinem Gesamteindruck einen Bezug zur betrieblichen Herkunft der Ware herstelle. Das BGer beantwortet diese Frage anhand von zwei PrĂŒfkriterien: Der BanalitĂ€t der Formmarke als negatives Kriterium und der Ungewöhnlichkeit der Formmarke als positives ÂKriterium, sprich die Tatsache, dass die Formmarke fĂŒr einen DurchschnittsÂverbraucher im beanspruchten Waren- bzw. Dienstleistungssegment ein ÂAbweichen vom Gewohnten und Erwarteten darstelle. Walz prĂ€sentierte diesbezĂŒglich die Urteile BVGer vom 16. November 2018, B-6201/2017, «1800 Cristallino (fig.)», BVGer vom 21. MĂ€rz 2019, B-2294/2018, «ALEXANDRA Laurent-Perrier (3D)», und ÂBVGer vom 7. August 2018, B-1061/2017, «NussknackermĂ€nnchen (3D)». Dabei hob die Referentin hervor, dass bei banalen oder wenig unterscheidungskrĂ€ftigen Waren- oder Verpackungsformen, die mit unterscheidungskrĂ€ftigen zweidimensionalen Elementen kombiniert sind, der Ausschlussgrund des Gemeinguts entfĂ€llt, wenn die zweidimensionalen Elemente den dreidimensionalen Gesamteindruck wesentlich beeinflussen. Das Urteil BVGer vom 8. Mai 2019, B-227/2018, «Ovale Dose (3D)», wurde nicht kommentiert, da dieses beim BGer angefochten wurde.
Walz referierte danach ĂŒber den Bekanntheitsschutz. Die Bekanntheit fĂŒhre in der Regel zu grösserem Schutzumfang, wie dies z.âB. das Urteil BVGer vom 30. April 2019, B-6173/2018, «World Economic Forum (fig.)â /â Zurich Economic forum (fig.)», aufzeige. Zum Urteil BVGer vom 18. MĂ€rz 2019, B-6783/2017, «UBERâ /â uberall (fig.)», hob Walz hervor, dass fehlende Gleichartigkeit mit der Bekanntheit der Marke nicht kompensiert werden könne; andernfalls werde das SpezialitĂ€tsprinzip ausgehebelt. Zum Urteil BVGer vom 15. MĂ€rz 2019, B-5334/2016, «THINK DIFFERENTâ /â Tick different (fig.)», merkte Walz insbesondere mit Blick auf die Mitwirkungspflicht an: Wer sich auf die Bekanntheit einer Marke berufe, mĂŒsse diese glaubhaft machen. Die behördennotorische Bekanntheit des Markeninhabers belege nicht die verkehrsnotorische Bekanntheit der Marke. Dies stelle zudem eines der wenigen Urteile zur Frage von Marken dar, die ihre notorische Bekanntheit erlangt, diese jedoch im Zeitverlauf wieder verloren haben. Auch wies die Referentin auf das Urteil BVGer vom 6. Dezember 2018, B-720/2017, «BLACKBERRYâ /â blackphone (fig.)», hin.
Zu diesem Thema erwĂ€hnte Walz ebenfalls das Urteil BVGer vom 24. Juli 2018, B-6304/2016, sowie das Urteil BGer vom 9. April 2019, 4A_503/2018, «Apple», und machte auf Folgendes aufmerksam: GemĂ€ss diesem Urteil könne die Bekanntheit einer Marke im Rahmen der Beurteilung ihrer ursprĂŒngÂlichen Unterscheidungskraft im Eintragungsverfahren berĂŒcksichtigt werden, wenn sie den allgemeinen SprachÂgebrauch verĂ€ndert habe. Dies war aufgrund der notorisch ĂŒberragenden ÂBekanntheit von Apple in der Schweiz vorliegend gegeben. Die Verkehrskreise verstehen das Zeichen «Apple» ausser fĂŒr Obst nicht mehr in seiner lexikaÂlischen Bedeutung «Apfel», sondern primĂ€r als Hinweis auf die MarkeninÂhaberin. Daher sei die Marke auch fĂŒr Schmuckwaren, Spiele und elektronische Spiele unterscheidungskrĂ€ftig. Walz merkte insbesondere an, dass somit neben der Verkehrsdurchsetzung und eventuell dem WeiterbenĂŒtzungsrecht nun auch der Sprachwandel eine Form des rechtsschaffenden Gebrauchs darstelle. GegenĂŒber dem Sprachwandel habe die Verkehrsdurchsetzung Âallerdings zwei wesentliche Nachteile: Erstens sei die durchgesetzte Marke insofern geschwĂ€cht, als die Verkehrsdurchsetzung bei jedem Verfahren glaubhaft gemacht werden mĂŒsse. Zweitens beschrĂ€nke sich die Verkehrsdurchsetzung auf den bisherigen Gebrauch der Marke. Weiter erlĂ€uterte Walz, dass das Urteil weitere Fragen aufwerfe, u.âa., ob das Ergebnis des «Apple»-Urteils auch fĂŒr andere Elemente wie z.âB. Herkunftsangaben erreicht werden könnte und ob ein «secondary meaning» bereits einen Sprachwandel darstelle.
Weiter prĂ€sentierte Walz Urteile zum Gleichartigkeitsbegriff und zur Âadditiven Nachahmung. Anhand der Urteile BVGer vom 13. MĂ€rz 2019, B-259/2017, «TESLA, POWERWALLâ /â âTESLA POWERWALL», sowie BVGer vom 2. April 2019, B-3209/2017, «BLANC DU PARADISâ /â ROUGE DU ÂPARADIS», erinnerte Walz daran, dass der Gleichartigkeitsbegriff nicht an die Beschaffenheit der Waren anknĂŒpfe. Entscheidend sei, ob der Markt gleiche oder Ă€hnliche Verkehrswege, potenziell dieselbe betriebliche Herkunft, der ÂWaren und Dienstleistungen erwarte, unabhĂ€ngig davon, ob diese Ă€hnlich Âbeschaffen seien oder Ă€hnlichen Zwecken dienen. Das «Tesla»-Urteil sei Âausserdem ein Beispiel von additiver Nachahmung. Als additive Nachahmung bezeichnete Walz eine neue Marke, die einer bestehenden Marke einen Zusatz hinzufĂŒgt (z.âB. Marke «A» wird zu «AB»). Eine additive Nachahmung bringe grundsĂ€tzlich eine starke ZeichenĂ€hnlichkeit mit sich (vgl. Urteil BVGer vom 20. Juli 2018, B-3706/2016, «PUPAâ /â Fashionpupa»). Eine Ausnahme dazu ist die Verschmelzung, sprich, wenn eine Ă€ltere Marke ihre selbstĂ€ndige, kennzeichnende Stellung verliert. In diesem Fall ist der ĂŒbernommene Bestandteil derart mit der neuen Marke verschmolzen, dass er seine IndividualitĂ€t verliert und als untergeordneter Teil des jĂŒngeren Zeichens erscheint (vgl. Urteile BVGer vom 11. Dezember 2018, B-2208/2016, «SKYâ /â SKYFIVE»; BVGer vom 28. November 2018, B-1403/2017, «Real Nature Pure Quality for Dogs Wilderness (fig.)â /â WOLF OF WILDERNESS»). Eine weitere Ausnahme kann unter UmstĂ€nden bei Âeinem ausreichend verĂ€nderten Sinngehalt bestehen (vgl. BVGer vom 4. Dezember 2018, B-552/2017, «HIRSCHâ /â âAPFELHIRSCH»; vom 31. Oktober 2018, B-5294/2016, «MEISTERâ /â ZeitMeister»). Die entscheidende Frage bei additiver Nachahmung sei somit nicht: «Sind die anderen Teile (z.âB. âčBâș) ÂprĂ€gender als die ĂŒbernommene Marke (z.âB. âčAâș)?», sondern: «Bleibt die ĂŒbernommene Marke (z.âB. âčAâș) prĂ€gender Bestandteil der angefochtenen Marke (z.âB. âčABâș)?»
Zuletzt Ă€usserte sich Walz zur Markenanpassung. Diese sei vor der ÂRegisterbehörde zu beantragen und fĂŒhre zu einem neuen Hinterlegungsdatum. Sie sei nicht vor BVGer vorÂzubringen, da dies eine unzulĂ€ssige Ănderung des Streitgegenstands darstelle und zu einem Nichteintreten des BVGer fĂŒhre (vgl. BVGer vom 9. Mai 2018, B-7210/2017, «SCHELLEN-URSLIâ /â âSchellenursli», bezĂŒglich der Anpassung der beanspruchten Waren und Dienstleistungen und Urteil BVGer vom 30. Juli 2018, B-446/2017, bestĂ€tigt im Urteil BGer vom 3. Januar 2019, 4A_489/2018, «adb (fig.)», bezĂŒglich der Anpassung der Markenkategorie).
Die nĂ€chste INGRES-SommerÂtagung findet am 2. Juli 2020 erneut im Lake Side ZĂŒrich statt.
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Fussnoten: |
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MLaw, RechtsanwĂ€ltin, ZĂŒrich. |