Die alljährliche von Michael Ritscher konzipierte und geleitete Tagung zum europäischen Immaterialgüterrecht fand wiederum im Jugendstil-Hotel «Zürichberg» statt. Traditionsgemäss ging der Tagung ein Wochenendausflug mit Skifahren, Langlaufen, Schneeschuhlaufen oder Spazieren – dieses Jahr im Wintersportgebiet Valbella/Arosa – voraus. An der Tagung trafen sich Vertreter von Gerichten und Behörden, der Industrie sowie der Anwaltschaft aus zahlreichen Staaten, um sich über die neuesten Entwicklungen des Immaterialgüterrechts in Europa auszutauschen.
Dr. Klaus Grabinski (Richter am deutschen Bundesgerichtshof [BGH]) begann seine Ausführungen mit einem Entscheid des deutschen BGH vom 14. Mai 2015 (X ZR 95/18, «Schutzverkleidung») zum Thema «Vorbenutzungsrecht bei Modifikation der vorbenutzten Sache». Der BGH befasste sich mit der Frage, ob das Vorbenutzungsrecht auch auf eine abgewandelte Variante eines Merkmals ausgedehnt werden darf. Eine mögliche Überschreitung der Vorbenutzung liegt demnach vor, wenn die Modifikation einen besonderen zusätzlichen Vorteil verwirklicht und in der Patentschrift als besonders vorteilhaft hervorgehoben wird oder Teil eines Unteranspruchs ist. Eher nicht in unzulässiger Weise überschritten ist das Vorbenutzungsrecht hingegen, wenn die modifizierte Variante in der Patentschrift zusammen mit anderen Varianten als gleichwertige Alternative offenbart wird oder wenn es sich bei der Modifikation der Vorbenutzung um eine aus der Sicht des Fachmanns selbstverständliche Abwandlung handelt.
Der BGH hielt weiter fest, ein Hersteller von Einzelteilen, welche technisch und wirtschaftlich sinnvoll nur zur erfindungsgemässen Gesamtvorrichtung zusammengesetzt werden können, sei auch Hersteller im Sinne des Vorbenutzungsrechts, selbst wenn die Einzelteile von einem Dritten zusammengesetzt werden. Ein Verzicht auf das Vorbenutzungsrecht dürfe zudem im Zweifel nicht leichthin angenommen werden. Insbesondere die Tatsache, dass die Vorbenutzung gewisse zeitliche Lücken aufweist, kann nicht als Verzicht auf das Vorbenutzungsrecht gewertet werden.
Der nächste von Grabinski vorgestellte Entscheid des BGH vom 4. September 2018 (X ZR 14/17, «Drahtloses Kommunikationsnetz») betrifft die Bestimmung der Referenzzeit einer öffentlichen Zugänglichmachung über das Internet. Der BGH entschied entgegen der Auffassung der Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts (EPA), dass es für die Zugehörigkeit zum Stand der Technik nicht ausreichend ist, wenn eine Entgegenhaltung in einer beliebigen Zeitzone vor dem Anmelde- oder Prioritätstag zugänglich war. Die Frage, ob auf die Zeitzone am Ort des Amtes der Patent- oder Prioritätsanmeldung (englische Rechtsprechung) oder auf die Zeitzone, in der die Entgegenhaltung öffentlich zugänglich gemacht wurde, abzustellen ist, liess der BGH offen.
Schliesslich referierte Grabinski kurz zum Entscheid des BGH vom 20. Dezember 2018 (X ZR 56/17, «Schaltungsanordnung III»). Der BGH schloss in diesem Entscheid auf eine unzulässige Schutzbereichserweiterung. Dies insbesondere vor dem Hintergrund der Rechtsprechung, dass die Einfügung eines Merkmals dann nicht zu einer Erweiterung des Schutzbereichs führt, wenn dieses Merkmal in einer funktionalen Wechselwirkung mit dem Gegenstand des Patents steht.
Cordula Schuhmacher (Rechtsanwältin, Partnerin Arnold Ruess, Düsseldorf) stellte als Erstes einen Entscheid des Oberlandesgerichts (OLG) München vom 12. Dezember 2019 vor (6U 5689/19). Der Sachverhalt gestaltete sich vereinfacht wie folgt: In einem FRAND-Verfahren in den USA beantragte Continental eine sogenannte anti-suit injunction gegen Nokia. Das Landgericht München verpflichtete Continental darauf, den Antrag auf anti-suit injunction beim amerikanischen Gericht zurückzunehmen. Gegen diese anti-anti-suit injunction legte Continental Berufung ein. Das OLG hielt fest, dass es sich bei einer anti-suit injunction um einen rechtswidrigen Eingriff in die patentrechtlichen Ausschliesslichkeitsrechte von Nokia handelt. Zumal mit der vom Oberlandesgericht München erlassenen anti-anti-suit injunction die Abwehr einer drohenden Beeinträchtigung in Deutschland bezweckt wurde, ist gemäss Auffassung des Gerichts auch die dadurch entstehende reflexartige extraterritoriale Wirkung legitimiert.
Schuhmacher präsentierte als Zweites einen Entscheid des OLG München vom 11. Juli 2019 (29 U 2134/19) im Pemetrexed-Streit von Eli Lilly gegen diverse Hersteller von Generika. Eli Lilly erwirkte eine einstweilige Verfügung gegen die Listung von spezifischen Pemetrexed-Generika durch die Informationsstelle für Arzneimittelspezialitäten (IFA). Die IFA akzeptierte die einstweilige Verfügung gegen die Listung der betreffenden Generika und erlies in der Folge eine Abschlusserklärung. Nach der Nichtigerklärung des betreffenden Patents listete die IFA neue Pemetrex-Generika wieder. Nachdem eine Aufhebungsklage der IFA gegen die einstweilige Verfügung in erster Instanz gutgeheissen worden war, führte das OLG München in Gutheissung der dagegen eingereichten Berufung aus, dass die Abschlusserklärung der IFA einem rechtskräftigen Hauptsachetitel gleichgestellt ist, an welchen die IFA gebunden ist. Schuhmacher erklärte im Anschluss, dass dieser Entscheid für die Anbieter von Generika für Pemetrexed zu einer Ungleichbehandlung führt.
Schliesslich widmete sich Schuhmacher kurz dem Thema des Geheimnisschutzes in Patentverletzungsverfahren, der vor allem in FRAND-Verfahren eine massgebliche Rolle spielt. Prozessgegner in FRAND-Fällen werden daher oftmals zum Abschluss von aussergerichtlichen Vertraulichkeitsvereinbarungen verpflichtet (vgl. beispielsweise OLG Düsseldorf, Beschl. vom 25. April 2018, I-2 W 8/18). Die Weigerung der Unterzeichnung einer solchen Vereinbarung wird dem Prozessgegner als nicht FRAND-konformes Verhalten angelastet.
Der Präsentation von Schuhmacher folgte eine Diskussion im Plenum unter der Leitung von Dr. Mark Schweizer (Rechtsanwalt, Präsident des Schweizer Bundespatentgerichts). Dabei war der von Grabinski vorgestellte Entscheid des BGH zum Vorbenutzungsrecht Gegenstand einiger Fragen. So beispielsweise, ob bei der Prüfung, ob die Modifikation der Vorbenutzung noch vom Vorbenutzungsrecht erfasst ist, nicht hätte auf Neuheit und Naheliegen der Modifikation ausgehend von der Vorbenutzung geprüft werden können. Grabinski betonte, dass es von grosser Wichtigkeit ist, einen fairen Interessensausgleich zu schaffen. Wird bei der Prüfung von der Vorbenutzung ausgegangen, führt dies dazu, dass das Patent vollkommen ausser Acht gelassen wird. Es soll insbesondere verhindert werden, dass der Vorbenutzer seine Vorbenutzung anhand des Patents modifiziert. Aus dem Publikum wurde daraufhin die folgende Faustregel aufgestellt: «Als Vorbenutzer darf ich grundsätzlich alles machen, was im Patent steht, mit Ausnahme dessen, was im Patent als besonders vorteilhaft hervorgehoben wird.» Grabinski stimmte dieser Faustregel im Prinzip zu und ergänzte, es sei noch besser, wenn der Gegenstand der Modifikation banal sei oder dieser im Patent überhaupt nicht thematisiert werde.
Im Anschluss referierte Fritz Blumer (Mitglied der Juristischen Beschwerdekammer, EPA) über die Entwicklungen in den Beschwerdekammern des EPA im Jahr 2019. In T 2037/18 hielt die zuständige Beschwerdekammer in einem Fall zur offenkundigen Vorbenutzung fest, dass die Übergabe eines vorbenutzten Gegenstands durch den Einsprechenden, eine etwaige Geheimhaltungsvereinbarung dagegen durch den Patentinhaber zu beweisen ist. Dabei besteht keine Vermutung, dass in einem Liefervertrag Vertraulichkeit vereinbart worden ist. In T 1085/13 – ebenfalls betreffend Neuheit – änderte die zuständige Beschwerdekammer die bisherige Rechtsprechung aus T 990/96 und schloss, dass ein Anspruch auf eine chemische Verbindung von bestimmter Reinheit nur als neuheitsschädlich vorweggenommen gilt, wenn der entgegengehaltene Stand der Technik die beanspruchte Reinheit wenigstens implizit offenbart.
Daraufhin wandte sich Blumer dem Thema der computerimplementierten Erfindungen zu. Im kürzlich ergangenen Entscheid T 1503/12 erklärte die zuständige Beschwerdekammer unter Verweis auf die COMVIK-Rechtsprechung eine Erfindung betreffend einen «Giftserver» als nicht patentierbar. Die Beschwerdekammer hielt fest, die Beurteilung der Brauchbarkeit eines Geschenks sei keine technische Aufgabe, sondern ein reines Geschäftskonzept. In T 697/17 hielt die Beschwerdekammer fest, dass Merkmale, welche in isolierter Betrachtung nicht technisch sind, bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit berücksichtigt werden können, wenn sie mit einem technischen Merkmal in einer Weise interagieren, dass ein technisches Problem gelöst wird. Dies gilt beispielsweise bei der Umsetzung von technischen Überlegungen betreffend Geschwindigkeit, Sicherheit, übermittelte Datenmengen, Speicherplatz etc.
Blumer präsentierte danach zwei im Jahr 2019 ergangene Entscheidungen der Grossen Beschwerdekammer. Gemäss G 1/18 gilt eine Beschwerde nicht als eingelegt, wenn die Beschwerdegebühr erst nach Ablauf der Beschwerdefrist von 2 Monaten bezahlt wird. Die Beschwerdegebühr wird in der Folge zurückerstattet. In G 2/19 beschloss die Grosse Beschwerdekammer, dass mündliche Verhandlungen in Haar, Deutschland, nicht gegen das EPÜ verstossen.
Weiter verwies Blumer auf T 844/18. Die zuständige Beschwerdekammer verneinte, dass eine Patentanmeldung beim EPA die Priorität einer Patentanmeldung in den USA beanspruchen kann, wenn die in der europäischen Anmeldung genannten Erfinder nicht mit den in der US-Anmeldung genannten Erfindern übereinstimmen.
Schliesslich präsentierte Blumer die Stossrichtung der neuen Verfahrensordnung der Beschwerdekammern des EPA. Durch diese neue Verfahrensordnung sollen eine Steigerung der Effizienz und eine Harmonisierung der Rechtsprechung erreicht werden.
Dr. Stefan Luginbühl (Direktion Internationale Rechtsangelegenheiten des EPA) eröffnete seine Präsentation mit einem Blick in das vergangene Jahr: 2019 hat das EPA 138 000 Patente erteilt. Weiter wies Luginbühl darauf hin, dass, verglichen mit den vielen Patenterteilungen für Anmelder aus der Schweiz (im Jahr 2018 erreichten Anmeldungen aus der Schweiz 5 % aller Anmeldungen beim EPA), nur wenige Schweizer beim EPA tätig sind.
Luginbühl präsentierte danach einige Neuerungen im EPÜ-Verfahren. Ab dem 1. Juli 2020 müssen Patentanmelder in Japan die Prioritätsdokumente selber beim Amt einreichen, sofern diese Dokumente nicht über das elektronische WIPO-DAS-System abgerufen werden können. Weiter wird eine Änderung von Regel 142(2) EPÜ vorgeschlagen: Bisher wurden Verfahren beim EPA unterbrochen, wenn der Patentanmelder verstorben war oder geschäftsunfähig wurde. Neu sollen solche unterbrochenen Verfahren nach drei Jahren von Amtes wegen wiederaufgenommen und erledigt werden können. Ein weiteres aktuelles Thema ist die Diskussion um die Möglichkeit einer Aufschiebung der Sachprüfung um drei Jahre. Der Strategieplan 2023 des EPA sieht anstatt dieser Aufschiebung die mögliche Einführung einer differenzierten Bearbeitungsdauer im Recherche- und Prüfungsverfahren vor. Ebenfalls Teil der Neuerungen ist ein Paket gebührenbezogener Massnahmen, welches am 1. April 2020 in Kraft getreten ist.
Luginbühl wies noch auf eine kürzlich ergangene Entscheidung der Eingangsstelle des EPA hin, wonach eine künstliche Intelligenz nicht als Erfinder angegeben werden kann. Luginbühl erwartet, dass eine Beschwerde gegen diese Entscheidung eingereicht wird.
Anschliessend an die Präsentation von Luginbühl folgte eine Diskussion im Plenum unter der Leitung von Dr. Tobias Bremi (Patentanwalt und European Patent Attorney, hauptamtlicher Richter beim Schweizer Bundespatentgericht). Betreffend die Schwierigkeiten einer Anmeldung eines Patents mit einer künstlichen Intelligenz als Erfinder wurde aus dem Publikum darauf hingewiesen, dass auch die bei der Anmeldung erforderliche Angabe zum Übergang des Rechts vom Erfinder an den Anmelder in dieser Hinsicht problematisch ist. Aus dem Publikum wurde zur von Luginbühl erwähnten Erhöhung der Beschwerdegebühr beim EPA gefragt, wie hoch diese Gebühr sein müsste, um einen Deckungsgrad von 25 % zu erreichen. Luginbühl führte aus, dass die Gebühr in etwa bei EUR 5000 angesetzt werden müsste. Eine Verletzungsklage beim UPC wird allerdings etwa EUR 20 000 und im Vergleich zu den Gebühren beim EPA somit erheblich mehr kosten. Bremi gab zu bedenken, dass die von Blumer präsentierten Änderungen der Verfahrensordnung des EPA dazu führen, dass ganze Bücher von Hilfsanträgen eingereicht werden. Es ist daher fraglich, ob das Verfahren durch diese Massnahmen tatsächlich verkürzt wird. Zudem stellt sich gemäss Bremi auch die Frage, wie bei einer Verkürzung der Verfahren deren Qualität sichergestellt wird. Grabinski merkte an, dass in der Vergangenheit oft ein «Pingpong» stattgefunden hat, zumal die Beschwerdekammern die Sache in einem Verfahren mehrere Male an die Einspruchsabteilungen zurückgewiesen haben. Er fragte Blumer, ob die neue Verfahrensordnung in dieser Hinsicht Verbesserungen bringt. Blumer bestätigte, dass dieses Anliegen in die neue Verfahrensordnung eingeflossen ist. Abschliessend wies Bremi darauf hin, dass die von Blumer präsentierte Änderung der Rechtsprechung der Beschwerdekammern in Bezug auf die Reinheit von chemischen Verbindungen (T 1085/13) seiner Ansicht nach grosse Auswirkungen im Bereich Chemie haben werde.
Prof. Dr. Alexander Peukert (Goethe-Universität Frankfurt am Main) umriss zunächst die Neuerungen der Gesetzgebung der Europäischen Union. Am 17. April 2019 wurde die Richtlinie (EU) 2019/790 über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinien 96/9/EG und 2001/29/EG (DSM-RL) verabschiedet mit dem Ziel, die Rechtssicherheit bei der grenzüberschreitenden Nutzung im digitalen Umfeld zu verbessern. Die Mitgliedstaaten haben bis zum 7. Juni 2021 Zeit, um die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.
Die wesentlichen Neuerungen der DSM-RL betreffen erstens verbindliche Ausnahmen vom und Beschränkungen des urheberrechtlichen Schutzes beim Text und Daten-Mining für Bildungseinrichtungen. Zweitens enthält die DSM-RL Regelungen zur Digitalisierung vergriffener Werke zum Zweck der Erhaltung des Kulturerbes. Drittens finden sich Massnahmen zum Schutz von Presseveröffentlichungen im Hinblick auf die Online-Nutzung. Ein viertes Anliegen der DSM-RL sind Verträge mit Urhebern und ausübenden Künstlern, deren Entschädigung sowie ein Verfahren zum Widerruf der Übertragung ausschliesslicher Rechte. Von hoher praktischer Relevanz sind sodann die in der DSM-RL enthaltenen Bestimmungen über die Haftung von Anbietern von Online-Diensten wie z. B. Youtube.
Im zweiten Teil griff Peukert aktuelle Vorabentscheidungsersuchen zur öffentlichen Wiedergabe heraus: Im Entscheid C-263/18 hielt der Gerichtshof fest, dass die Überlassung eines E-Books zur dauerhaften Nutzung durch Herunterladen gemäss den Bestimmungen des WIPO-Urheberrechtsvertrags (WCT) eine öffentliche Zugänglichmachung und nicht eine Verbreitung gemäss Art. 6 Abs. 1 WTC darstellt, sodass der Erschöpfungsgrundsatz, der für gedruckte Bücher gilt, nicht greift. Die Überlassung eines E-Books zur dauerhaften Nutzung durch Herunterladen fällt unter den Begriff der «öffentlichen Wiedergabe» und insbesondere unter den Begriff der «Zugänglichmachung der Werke» im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der RL 2001/29, denn das Zugänglichmachen eines E-Books wird im Allgemeinen mittels einer Nutzungslizenz eingeräumt, die nur das Lesen des E-Books durch den herunterladenden Benutzer gestattet. Durch Anbieten auf einem virtuellen Markt wird ein neues Publikum erreicht, an das die Inhaber des Urheberrechts nicht bereits gedacht hatten, als sie die ursprüngliche Wiedergabe erlaubten. Insbesondere sind E-Books keine Computerprogramme, denn ein solches Programm hat gegenüber dem im Buch enthaltenen Werk nur akzessorischen Charakter. Daher sind die spezifischen Bestimmungen der Computerprogramm-Richtlinie 2009/24 (lex specialis im Verhältnis zur Richtlinie 2001/29) nicht anwendbar.
Vorabentscheidungsverfahren C-753/18 hat das Recht der öffentlichen Wiedergabe gemäss Art. 3 der Richtlinie 2001/29/EG zum Gegenstand. Dem Gerichtshof wurde die Frage unterbreitet, ob die Vermietung von Fahrzeugen mit empfangsbereitem Radio eine öffentliche Wiedergabe darstellt.
Das Vorabentscheidungsverfahren C-392/19 hat das sog. Framing (d. h. das Einbetten in der eigenen Homepage) zum Gegenstand. Nach Ansicht des BGH stellt dieses eine unzulässige öffentliche Wiedergabe dar, wenn es unter Umgehung technischer Schutzmassnahmen erfolgt, da mit dieser ein neues Publikum erreicht wird, ohne dass dies vom Rechtsinhaber gestattet ist. Erlaubt ist hingegen das Verlinken oder Framing von legal im Netz befindlichen Inhalten.
Sodann wendete sich Peukert der Haftung von Host-Providern zu. Auch 15 Jahre nachdem Youtube seine Dienste aufnahm, ist die Frage der Haftung von Youtube und anderen Host-Providern nach dem Unionsrecht vollständig ungeklärt. Auch zu diesem Thema sind vier Vorabentscheidungsersuchen eingegangen, nämlich des BGH (Deutschland) i.S. C-683/18 sowie des BGH (Deutschland) i.S. C-682/18, des OGH (Österreich) i.S. 4 Ob 74/19i, und des Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) i.S. C442/19. Darin werden die täterschaftliche öffentliche Wiedergabe, der Verlust des Haftungsprivilegs der E-Commerce-Richtlinie bei Einnahme einer aktiven Rolle oder aber bereits bei allgemeiner Kenntnis rechtsverletzender Inhalte sowie die Voraussetzungen für Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche thematisiert.
Ein Teil dieser Fragen wurde parallel zu diesen Vorabentscheidungsverfahren zum alten Recht in Art. 17 der DSM-RL kodifiziert (die allerdings auf die vorliegenden Verfahren noch keine Anwendung findet). Der Entwurf des Schweizer URG sieht in Art. 39d eine deutlich weniger strenge Haftung vor.
Der letzte Themenkreis hatte die Pirateriebekämpfung zum Gegenstand. Peukert wies zunächst auf das Vorabentscheidungsverfahren i.S. C-597/19 hin, das die Klärung der Frage verlangt, ob und unter welchen Umständen eine Technologie des «Peer-to-Peer-Filesharing», bei der eine Datei über ein «Peer-to-Peer»-Netz heruntergeladen und gleichzeitig (bisweilen im Verhältnis zum Ganzen sehr fragmentarische) Teile, sog. Pieces, zum Hochladen («seeden») bereitgestellt werden, unter den Begriff der öffentlichen Wiedergabe im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der DSM-RL fällt.
Des Weiteren erwähnte Peukert die Urteile im Vorabentscheidungsersuchen des EuGH i.S. C-149/17 sowie den Beschluss des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 18. Februar 2019 i.S. 1 BvR 2556/17, die klarstellen, dass bei der Nutzung eines Anschlusses durch eine Familie der Anschlussinhaber bei Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing haftet, sofern er nicht bekannt gibt, welche anderen Personen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen.
Zuletzt erläuterte Peukert die Bestrebungen zur Bekämpfung organisierter Kriminalität unter dem Prinzip «Follow the money». Namentlich wird in den USA im Rahmen der «Rouge Block-Initiative» der International Anti Counterfeiting Coalition mit Paypal und Visa zusammengearbeitet; wenn eine Seite klar als Piraterie-Seite identifiziert wird, bieten die Zahlungsdienstleister ihre Dienste nicht mehr an.
In der anschliessenden Diskussion wurden die Grenzen der Haftung diskutiert sowie der Umstand, dass die besagten Plattformen in Europa derart lange betrieben werden können, ohne dass die grundlegenden Rechtsfragen hierzu geklärt sind. Ein wesentlicher Grund dafür ist das Bestreben der Provider, Urteile hinauszuzögern bzw. Streitigkeiten mit Vergleichen zu klären, um einen Entscheid über ihre Haftung zu vermeiden.
Rechtsanwalt Áron MÁrk László befasste sich in seinem Vortrag mit der Frage der Berücksichtigung technischer Merkmale im nicht technischen Immaterialgüterrecht, die bereits am Ittinger Workshop im August 2019 Anlass zu angeregten Diskussionen gegeben hatte. Zunächst skizzierte László die verschiedenen Entscheidungen, die den Weg zum Cofemel-Entscheid (EuGH vom 12. September 2019, C-683/17) bildeten:
Erstens hielt der EuGH im Entscheid C-5/08 fest, dass der Begriff der eigenen geistigen Schöpfung weit auszulegen ist und es keine unterschiedlichen Schutzmassstäbe für unterschiedliche Schutzgegenstände gibt, sofern diese eine eigene geistige Schöpfung des Urhebers darstellen. Zweitens wurde im Entscheid des EuGH C-168/09 statuiert, dass ein früherer Designschutz den Urheberrechtsschutz für dasselbe Werk nicht ausschliesst. Drittens entschied der EuGH in den Fällen C-403/08 und C-429/08, dass Sportereignisse wie z. B. Fussballspiele keine Werke sind, da sie Spielregeln unterliegen, die für künstlerische Freiheit und damit den Ausdruck einer eigenen geistigen Schöpfung keinen Raum lassen. Im vierten vorgestellten Fall C-145/10 hielt der EuGH fest, dass Portraitfotografien dann geschützt sind, wenn die Persönlichkeit des Fotografen sich in den bei der Herstellung getroffenen freien kreativen Entscheidungen widerspiegelt. Die fünfte Entscheidung des EuGH C-604/10 zum Urheberrechtsschutz von Datenbanken (über den sui generis Schutz hinaus) bekräftigt, dass für den Urheberrechtsschutz Raum für kreative Wahlfreiheit des Urhebers bestehen muss, in casu bei der Auswahl und Anordnung der in der Datenbank enthaltenen Daten. Im sechsten Urteil des EuGH C-310/17 wurde der urheberrechtliche Schutz des Geschmacks eines Käses verneint, da das Schutzobjekt nicht mit hinreichender Klarheit und Genauigkeit und unter Ausschluss jedes subjektiven Elements identifiziert werden kann.
Sodann ging László vertieft auf den Cofemel-Entscheid (C-683/17) ein, in dem der EuGH festhielt, dass der Begriff «Werk» autonom auszulegen sei und zwei Tatbestandsmerkmale erfordere, nämlich erstens eine eigene geistige Schöpfung, d. h. den Ausdruck freier kreativer Entscheidungen des Urhebers, und zweitens einen mit hinreichender Genauigkeit und Objektivität identifizierbaren Gegenstand. Der Schutz von Mustern und Modellen und Urheberrechtsschutz schliessen sich nicht aus, sondern können in bestimmten Fällen kumulativ zur Anwendung gelangen. Insbesondere dürfen darüber hinaus keine weiteren Voraussetzungen wie z. B. eine artistische oder ästhetische Wirkung gefordert werden. Nach Ansicht von László wurde damit ein Tor geöffnet, dass eine Abwertung des Urheberrechts und Beschränkung des Wettbewerbs durch die lange Schutzdauer zur Folge haben könnte. Daher sei zu erwarten, dass der EuGH in anderen Punkten klare Grenzen setzen werde. Spannend werde in diesem Zusammenhang auch der Entscheid i.S. C-833/18 zur urheberrechtlichen Schutzfähigkeit eines Erzeugnisses sein, dessen Form teilweise zur Erreichung eines technischen Ergebnisses erforderlich ist.
Sodann präsentierte László das Urteil C-395/16, in dem der EuGH die z. B. in Deutschland vertretene Theorie der «multiplicity of forms» verwarf, wonach ein Erzeugnis nur vom Geschmacksmusterschutz ausgeschlossen sei, wenn keine andere gangbare Gestaltungsalternative bestehe, mit der dieselbe technische Wirkung erzielt werden könne. Gemäss EuGH ist stattdessen darauf abzustellen, ob die Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses ausschliesslich durch dessen technische Funktion bedingt sind und ob diese Funktion der einzige diese Merkmale bestimmende Faktor ist. Das Bestehen alternativer Formen ist nicht ausschlaggebend.
Im Mittelpunkt der anschliessenden Diskussion stand die Frage, ob das Bestehen technischer Alternativen für den Urheberrechtsschutz ausreichend ist. Nach Ansicht von László sind dem Urheberrechtsschutz durch gesunden Menschenverstand und Billigkeitsüberlegungen Grenzen zu setzen, damit nicht alles urheberrechtlich geschützt ist. Ritscher wies darauf hin, dass gemäss der Richtlinie 2006/116/EG über die Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte sowie der Richtlinie 2009/24/EG über den Rechtsschutz von Computerprogrammen einzig erforderlich ist, dass ein Mensch eine gestalterische Entscheidung trifft, alle anderen Kriterien sind verboten. Keine gestalterische Leistung liegt nur dann vor, wenn überhaupt keine Alternative möglich ist. Allerdings ist auch Voraussetzung, dass das Werk die Persönlichkeit des Schöpfers widerspiegeln muss. Die Originalität und der bestehende kreative Spielraum sind vor allem hinsichtlich technisch bedingter Merkmale streng zu prüfen.
Im Anschluss referierte Rechtsanwältin Dr. Karin Sandberg, Hamburg, zur europäischen Rechtsprechung im Markenrecht. Zunächst thematisierte sie die seit 2019 geltende Einschränkung der Zulassung von Rechtsmitteln im Bereich des Markenrechts gemäss Art. 58a der neuen Satzung des EuGH. Bisher war der EuGH für Vorlagefragen nationaler Gerichte zuständig und amtete auch als Rechtsmittelinstanz gegen Entscheidungen des Gerichts der Europäischen Union (EuG), die Entscheidungen der Beschwerdekammer des EUIPO betreffen. Neu steht eine Beschwerde gegen einen Entscheid des EuG, die bereits Gegenstand einer zweifachen Überprüfung durch die Vorinstanzen war, unter Vorbehalt der Zulassung durch den EuGH und setzt voraus, dass die Korrektur des rechtsfehlerhaften Entscheids für die Einheit bzw. die Entwicklung des Unionsrechts wichtig ist. Die Anforderungen für eine Zulassung sind sehr hoch, der EuGH scheint sich primär auf Vorlagefragen beschränken zu wollen. Bisher sind rund 30 Beschlüsse ergangen, es wurde noch kein Rechtsmittel zugelassen. Folglich ist faktisch das EuG nunmehr letzte Instanz.
Anschliessend griff Sandberg vier Entscheide zum Themenkreis der absoluten Eintragungshindernisse heraus: Im ersten Urteil i.S. C-541/18 folgte der EuGH in Änderung der bisherigen Rechtsprechung der Ansicht des BGH, wonach bei der Prüfung der Unterscheidungskraft nicht nur die wahrscheinlichste Verwendungsform einzubeziehen ist, sondern sämtliche wahrscheinlichen Verwendungsarten, die im Lichte der Branchenüblichkeit praktisch bedeutsam sein können. Ein Zeichen ist dann unterscheidungskräftig, wenn es bei irgendeiner dieser möglichen Verwendungen als unterscheidungskräftig beurteilt wird.
Zweitens wurde der Entscheid i.S. C-21/18 thematisiert, in dem der EuGH klarstellte, dass die Erweiterung des Schutzhindernisses für Formmarken gemäss Art. 7 Abs. 1 lit. e Nr. iii keinen rückwirkenden Charakter hat für Marken, die vor dem 23. März 2016 eingetragen wurden.
Im dritten vorgestellten Entscheid i.S. T-687/16 präzisierte der EuGH, dass die Bösgläubigkeit des Markenanmelders weit auszulegen ist und ein Anmelder auch bösgläubig sein kann, wenn noch kein ähnliches Zeichen von einem Drittem verwendet wird oder wegen fehlender Waren- und Dienstleistungsähnlichkeit keine Verwechslungsgefahr begründet wird. Das Verhalten ist im Kontext des Geschäftslebens auszulegen und ist bösgläubig, wenn einer Anmeldung eine unternehmerische Logik fehlt.
Viertens ging Sandberg auf C-371/18 ein, in der zum Tagungszeitpunkt erst die Schlussanträge des Generalanwalts vorlagen. Der Generalanwalt vertrat die Auffassung, dass der Anmelder, der eine Marke anmeldet, ohne die Absicht, sie für sämtliche angemeldeten Waren und Dienstleistungen zu benutzen, in Bezug auf diejenigen Bereiche, für die er sie nicht benutzen, sondern nur eine Sperrwirkung gegenüber Wettbewerbern erzielen will, teilweise bösgläubig sei, da diesbezüglich die erforderliche unternehmerische Rechtfertigung fehle.1
Zuletzt stellte die Referentin den Entscheid i.S. C-172/18 vor, der den Ort der unerlaubten Handlung gemäss Art. 125 UMV für ein rechtsverletzendes Angebot im Internet dort verortet, wo die Händler bzw. Abnehmer sind, an welche sich das Angebot richtet (Erfolgsort). Nicht massgebend sei, wo der Verletzer den Prozess der Veröffentlichung des Angebots auf einer Website in Gang setzte (Handlungsort).
Die anschliessende Diskussion drehte sich um die Bösgläubigkeit. Elisabeth Fink verwies auf die Vorgeschichte im Verfahren C-371/18, die wohl massgeblich zur Auffassung des Generalanwalts beigetragen hatte, nämlich, dass Sky kontinuierlich neue Marken anmeldete, sodass die Benutzung der Marken nie nachgewiesen werden musste. Ritscher verwies rechtsvergleichend auf den Entscheid des BGH i.S. I ZR 93/98 sowie den Entscheid des Schweizer Bundesgerichts 4A_429/2011, in dem schon vor Ablauf der Benutzungsschonfrist geprüft wurde, ob es sich bei der angeblich verletzten Marke um eine für ein missbräuchlich weites Waren- und Dienstleistungsverzeichnis angemeldete Defensivmarke handelte. Sodann warf Ritscher die Frage auf, ob sich der Markeninhaber mit der Behauptung verteidigen könne, dass er die Marke selber nicht benutzen, jedoch an Dritte lizenzieren werde. Nach Ansicht von Sandberg muss dies im Ergebnis zulässig sein, jedoch seien die Voraussetzungen für den Nachweis einer Lizenzierung noch nicht geklärt.
Elisabeth Fink, Mitglied der Beschwerdekammer des EUIPO, stellte aus der aktuellen Spruchpraxis der Beschwerdekammer im Markenrecht und im Designrecht folgende Fälle vor: Zum Thema der Unterscheidungskraft R 2672/2017, in welchem das sich wiederholende geometrische Muster, das einer Holzmaserung ähnlich sieht, als nicht unterscheidungskräftig beurteilt wurde für die beanspruchten Stricknadeln, da diese auch tatsächlich aus Holz hergestellt werden.
Im Entscheid R 958/2017 wurde die Marke BREXIT zwar als nicht sittenwidrig beurteilt, da der Begriff keine Meinungsäusserung enthalte und daher nicht anstössig sei, allerdings sei der Verweis auf ein politisches Ereignis nicht geeignet, als Herkunftshinweis für ein Unternehmen zu dienen, und somit nicht unterscheidungskräftig.
Ebenso wurde in R 1878/2018 die grundsätzlich fehlende Unterscheidungskraft von FOREIGN AFFAIRS für Magazine und Informations-Websites bestätigt. Für einen Teil der Waren konnte allerdings mittels der eingereichten Unterlagen ohne demoskopisches Gutachten die Verkehrsdurchsetzung nachgewiesen werden.
Zum Themenkreis der Verwechslungsgefahr zitierte Fink die Entscheidung R 649/2018-4 bezüglich zweier Marken, die je Schutz für eine – praktisch identische – Flaschenform in Kombination mit dem Wortelement AQUA bzw. VODAVODA beanspruchten. Eine Verwechslungsgefahr wurde verneint, da die Flaschenform nicht ungewöhnlich sei und die die Zeichen dominierenden Wortelemente nicht ähnlich seien, da die Verkehrskreise, die VODAVODA (slawisch) als «Wasser-Wasser» verstehen, AQUA (romanisch) nicht verstünden und umgekehrt.
Ein weiterer Entscheid, R 2057/2018-4 hatte den Bekanntheitsschutz zum Gegenstand: Der Sportartikelhersteller Puma erhob gestützt auf zwei Bildmarken der springenden Raubkatze Widerspruch gegen die Eintragung einer Abbildung einer springenden Raubkatze für Maschinen für Holzverarbeitung in Klasse 7. Zwar ging das Board of Appeal von einer erhöhten Bekanntheit der Marken von Puma für «Bekleidung, Schuhwaren und Kopfbedeckungen» aus, wies den Widerspruch jedoch ab, da die Widersprechende keine Ausführungen gemacht hatte, warum völlig unterschiedliche Verkehrskreise eine Verbindung zwischen den Waren herstellen sollten.
Im letzten Entscheid, R 1849/2017, bestätigte das Board of Appeal die Zurückweisung einer Marke für bereits mit früher erfolgten Markenanmeldungen beanspruchte Waren und Dienstleistungen, da diese zum Zweck der missbräuchlichen Ausdehnung der Benutzungsschonfrist erfolgten. Die früher noch nicht beanspruchten Waren und Dienstleistungen blieben dagegen bestehen.
In der anschliessenden Diskussion warf Ritscher die Frage auf, ob die Entscheidung i.S. VODAVODA gleich ausgefallen wäre, wenn die ältere Marke ohne Wortbestandteil angemeldet worden wäre. Zudem wies er darauf hin, dass der Erfahrungssatz, wonach Abnehmer sich mehr am Wortbestandteil denn an einer Form oder Farbe orientieren, gemäss mehreren Studien realitätsfremd ist. Ritscher kritisierte, dass die Formmarke, wenn ihr der Abstraktionsgrad nicht gewährt werde, zu einer verkappten Wort-Formmarke werde.
Gemäss Ritscher wird das Thema der Rufausbeutung in der Schweiz nicht berücksichtigt. Allerdings überschneiden sich die Abnehmer im besprochenen Fall Puma ja doch, da der Abnehmerkreis des Sportartikelherstellers jedermann umfasse. Fink und Sandberg warfen ein, dass eine Rufausbeutung nur dann vorliege, wenn eine Verknüpfung zwischen den Angeboten gemacht werde, eine blosse Überschneidung der Abnehmer reiche nicht. Ritscher hielt abschliessend fest, dass bei der berühmten Marke also Ausnahmen vom Spezialitätsprinzip gemacht würden, aber das Ausmass der Ausnahme gehe nur so weit, als die Verbraucher Assoziationen machten.
Zum Designrecht präsentierte Fink die Entscheidung R 649/2018-4. Das Board of Appeal wies den Löschungsantrag gegen die Gemeinschaftsgeschmackmusteranmeldung gestützt auf die ältere schwedische Marke ab, da die ältere Marke mit der Form der Ware verschmilzt, sodass der Marke nur eine schwache originäre Kennzeichnungskraft zukommt. Zwischen den Zeichen besteht zwar Warenähnlichkeit, jedoch nur eine geringe bildliche Ähnlichkeit (Frosch-Logo, COQUI-Aufschrift) und klangliche Unähnlichkeit.
Anhand des Entscheids R 31/2018-3 illustrierte Fink sodann den Löschungsgrund der «Erscheinungsmerkmale, die ausschliesslich der technischen Funktion dienen». Der Inhaber hat nicht vorgetragen, dass über rein technische Intentionen hinaus auch ästhetische Erwägungen mitspielten, daher ordnete das Board of Appeal die Löschung des Gemeinschaftsgeschmacksmusters an.
In der Diskussion hob Fink hervor, dass der Inhaber eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters zu den technischen Merkmalen ein zusätzliches ästhetisches Merkmal vortragen muss, um dem Schutzausschlussgrund von Art. 8 Abs. 1 GGV zu entgehen. Ritscher wies darauf hin, dass in diesem Entscheid erstmals die im Fall DOCERAM entwickelten Kriterien angewandt wurden, wonach die Absicht des Designers zentral ist. Zudem ist darauf zu achten, dass die eingebrachten Beweismittel (z. B. eine Patentanmeldung) nicht kontraproduktiv sind für die eigene Argumentation.
Einleitend zum Referat von Dr. Stefan Kettler (Rechtsanwalt, Deutsche Telekom AG) zum viel diskutierten Thema der Verhältnismässigkeit im Sanktionsrecht bemerkte Ritscher, dass Aspekte der Verhältnismässigkeit insbesondere im Verfügungsverfahren relevant sind. Besonders bei FRAND-Fällen stellt sich die Frage, wie weit eine Unterlassungsanordnung gehen kann und sinnvoll ist.
Kettler präsentierte zunächst einen Überblick über den Status quo von Verhältnismässigkeitsüberlegungen im Zivilverfahren in Deutschland. Im Gegensatz zu der Regelung bei Vernichtungsanordnungen (§ 140a Abs. 1 PatG) ist die Verhältnismässigkeit im Zusammenhang mit dem Unterlassungsanspruch nicht vorgeschrieben. Entgegen Art. 3 Abs. 2 der Enforcement-Richtlinie (2004/48/EG) wird daraus in Deutschland oftmals geschlossen, dass die Verhältnismässigkeit bei der Unterlassung keine Rolle spielen soll. Einzig eine Aufbrauchsfrist wurde vom BGH in seinem «Wärmetauscher»- Urteil bereits thematisiert, jedoch aufgrund der hohen diesbezüglichen Anforderungen nicht gewährt. Eine Aufbrauchsfrist kann gemäss Rechtsprechung nicht auf Dritte ausgedehnt und insbesondere nicht auf Dritt- oder Allgemeininteressen abgestützt werden. Im Gegensatz dazu müssen gemäss § 140a Abs. 1 PatG bei der Prüfung der Verhältnismässigkeit des Vernichtungsanspruchs auch berechtigte Interessen Dritter berücksichtigt werden. Zur Verhältnismässigkeit beim Vernichtungsanspruch gibt es nur sehr wenig Rechtsprechung.
Im Sinne eines Ausblicks auf die Zukunft wies Kettler auf einen kürzlich veröffentlichten Diskussionsentwurf des deutschen Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz für ein zweites Gesetz zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts hin. Demnach soll die Verhältnismässigkeit auch beim Unterlassungsanspruch gesetzlich vorgeschrieben werden. Im Diskussionspapier wird dazu festgehalten, dass der Unterlassungskläger sich auch in Zukunft nur zur Verhältnismässigkeit äussern muss, wenn der Patentverletzer beachtliche Gründe für eine ausnahmsweise Einschränkung des Unterlassungsanspruchs vorbringt. Die folgenden im Rahmen der Verhältnismässigkeit zu berücksichtigenden Kriterien werden im Diskussionspapier aufgezählt: i) Das Interesse des Patentinhabers an der Unterlassungsverfügung, ii) wirtschaftliche Auswirkungen der Unterlassungsverfügung, iii) komplexe Produkte, iv) subjektive Elemente (insbesondere das Verschulden das Patentverletzers) sowie v) Drittinteressen (in diesem Zusammenhang wird allerdings auch auf das Recht auf Zwangslizenzen verwiesen). Die Konsequenz einer festgestellten Unverhältnismässigkeit einer Unterlassungsanordnung kann gemäss dem Diskussionspapier auch in einem längerfristigen oder dauerhaften Ausschluss eines Unterlassungsanspruchs bestehen. Gemäss Kettler geht die in Diskussionsentwurf vorgesehene Regelung weit über das hinaus, was seit «Wärmetauscher» möglich war.
Schuhmacher gab zu Bedenken, dass die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Auswirkungen einer Unterlassungsanordnung auf den Patentverletzer problematisch ist. Im Ergebnis bedeutet dies, dass Verletzer mit wirtschaftlich wichtigen Produkten einen Freibrief zur Patentverletzung erhalten. Schuhmacher wirft die Frage auf, ob eine Einschränkung des Unterlassungsanspruchs nicht auch eine gewisse Entschädigung des Patentinhabers zur Folge haben müsste.
Kettler erwiderte, es gehe insbesondere um das immense Drohpotenzial der Patentinhaber. Um einschneidende Folgen einer Unterlassungsanordnung zu verhindern, lässt sich ein Verletzer viel eher auf überzogene Lizenzforderungen des Patentinhabers ein.
Schuhmacher wies darauf hin, dass eine solche Regelung im Ergebnis zu einer Ungleichbehandlung führt. Grosse Anbieter mit Produkten von grosser wirtschaftlicher Bedeutung müssen sich viel weniger um die Patentrechte Dritter kümmern, wenn eine Unterlassungsanordnung in der Folge ohnehin aufgrund von Verhältnismässigkeitsüberlegungen eingeschränkt wird. Kleinere Unternehmen hingegen könnten sich eine Patentverletzung viel weniger leisten, da sie sich angesichts ihrer geringeren wirtschaftlichen Bedeutung nicht auf eine Beschränkung einer Unterlassungsanordnung verlassen können.
Ritscher bemerkte, dass dies im Ergebnis zu einer Art «too big to infringe»-System führen könnte. Angesichts der bereits fortgeschrittenen Zeit schlug Ritscher vor, den offiziellen Teil der Tagung an diesem Punkt abzuschliessen und das interessante und umstrittene Thema der Verhältnismässigkeit beim Unterlassungsanspruch in informellem Rahmen bei einem Glas Wein beim anschliessenden Aperitif weiterzudiskutieren.
Nach dem Apéritif liessen die Tagungsteilnehmer den Tag bei einem gemeinsamen Abendessen im Hotel «Zürichberg» ausklingen.
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Fussnoten: |
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Rechtsanwältin, LL.M, Zürich. |
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Rechtsanwältin, Zürich. |
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Der Entscheid erging am 29. Januar 2020, der EuGH folgte den Anträgen des Generalanwalts grösstenteils nicht. Vielmehr verwies er für die fehlende Benutzung auf den Ablauf der fünfjährigen Benutzungsschonfrist. Die absoluten Nichtigkeits- bzw. Ungültigkeitsgründe finden nur Anwendung, wenn der Anmelder der betreffenden Marke die Absicht hatte, entweder in einer den redlichen Handelsbräuchen widersprechenden Weise Drittinteressen zu schaden oder sich auch ohne Bezug zu einem konkreten Dritten ein ausschliessliches Recht zu anderen als zu den zur Funktion einer Marke gehörenden Zwecken zu verschaffen. |