Die Wintertagung des Instituts fĂŒr gewerblichen Rechtsschutz INGRES zur Praxis des ImmaterialgĂŒterrechts in der EuropĂ€ischen Union fand auch dieses Jahr im Anschluss an den traditionellen Skiausflug im Hotel «ZĂŒrichberg» statt. Geleitet wurde die Tagung inhaltlich von Dr. Michael Ritscher, wĂ€hrend Dr. Christoph Gasser fĂŒr die Organisation verantwortlich war.
La journĂ©e dâhiver de lâINGRES (Institut pour la protection de la propriĂ©tĂ© intellectuelle) consacrĂ©e Ă la pratique du droit de la propriĂ©tĂ© intellectuelle au sein de lâUnion europĂ©enne sâest Ă©galement dĂ©roulĂ©e cette annĂ©e Ă lâhĂŽtel «ZĂŒrichberg» Ă la suite de la traditionnelle sortie Ă ski. La journĂ©e a Ă©tĂ© conduite par Me Michael Ritscher, Dr en droit, alors que Me Christoph Gasser, Dr en droit, en a assurĂ© lâorganisation.
Dr. Klaus Grabinski, Richter am Bundesgerichtshof (BGH), rĂŒckte zwei sehr unterschiedliche Entscheide in den Vordergrund seiner PrĂ€sentation.
Im Entscheid «Gurtstraffer» (Akten-Nr. X ZR 50/16) stand die Frage der PatentfĂ€higkeit im Vordergrund. Bestritten wurde zudem die AusfĂŒhrbarkeit. Das BPatGer hatte das strittige Patent wegen fehlender AusfĂŒhrbarkeit und fehlender erfinderischer TĂ€tigkeit fĂŒr nichtig erklĂ€rt. Der BGH bestĂ€tigte die Nichtigkeit. Hinsichtlich der fehlenden AusfĂŒhrbarkeit folgte der BGH dem BPatGer jedoch nicht. Der BGH begrĂŒndete seine abweichende Auffassung mit einer anderen Interpretation eines Anspruchsmerkmals. GemĂ€ss stetiger Praxis des BGH «ist die Patentschrift in einem sinnvollen Zusammenhang zu lesen und der Patentanspruch im Zweifel so zu verstehen, dass sich keine WidersprĂŒche zu den AusfĂŒhrungen in der Beschreibung und den bildlichen Darstellungen in den Zeichnungen ergeben». Nach Auffassung des BGH fĂŒhrt eine widerspruchsfreie und kontextbezogene Interpretation des strittigen Anspruchsmerkmals â es ging um die Interpretation des Merkmals «Stirnradgetriebe» â dazu, dass die AusfĂŒhrbarkeit als gegeben betrachtet werden kann.
Von Bedeutung sind auch die AusfĂŒhrungen des BGH zur fehlenden erfinderischen TĂ€tigkeit. Die Aufgabe des Patents bestand darin, die GerĂ€uschemissionen eines Gurtstraffers beim Einsatz eines Elektromotors zu reduzieren. Dies sollte gemĂ€ss Patentanspruch so erfolgen, dass als erstes Getriebe ein Schneckenradgetriebe das fĂŒr die nachteiligen GerĂ€uschemissionen «verantwortliche» Kronenradgetriebe ersetzt und als zweites Getriebe entweder ein Schneckenradgetriebe oder ein Stirnradgetriebe eingesetzt wird. Zum Stand der Technik gehörte allerdings bereits eine Gurtstraffervorrichtung (D2), bei welcher zuerst ein Kronenradgetriebe und erst als zweites Getriebe ein Schneckenradgetriebe eingesetzt wird. Nach Auffassung des BPatGer und auch des BGH bestand jedoch fĂŒr den Fachmann Veranlassung dazu, fĂŒr das erste Getriebe in D2 ebenfalls ein Schneckenradgetriebe zu verwenden. Denn die mit dem Kronenradgetriebe verbundenen nachteiligen GerĂ€uschemissionen waren dem Fachmann bekannt und die D3 offenbarte ihm, dass zwei Schneckenradgetriebe prinzipiell als 90°-Umlenkgetriebe eingesetzt werden können, um die GerĂ€uschemissionen zu reduzieren. Die Patentinhaberin machte hiergegen geltend, dass ein zweites Schneckenradgetriebe zu einer noch höheren Umsetzung fĂŒhrt als die Kombination von Kronenrad- und Schneckenradgetriebe. Der BGH hielt fest, dass das Vorliegen einer erfinderischen TĂ€tigkeit nicht mit im Stand der Technik bekannten Schwierigkeiten oder Nachteilen â in casu der höheren Umsetzung und damit höheren Drehzahl â begrĂŒndet werden kann, sofern das Streitpatent keine Hinweise zur Ăberwindung dieser bekannten Schwierigkeiten oder Nachteile liefert. Die PatentfĂ€higkeit wurde damit verneint.
Daraufhin prĂ€sentierte Grabinski den Fall «Ăstrogenblocker» (OLG DĂŒsseldorf, Akten-Nr. I-2 W 6/17), in dem sich das Oberlandesgericht DĂŒsseldorf (OLG) mit der Verletzung eines sog. «Swiss-Type Claims» befasste. Die Antragstellerin ist die Inhaberin des Patents EP 1272 195 B1 (VerfĂŒgungspatent). Patentanspruch 1 lautet wie folgt: «Use of A. in the preparation of a medicament for the treatment of a patient with breast cancer who previously has been treated with an aromatase inhibitor and B. and has failed with such previous treatment.» Der Antrag auf eine einstweilige VerfĂŒgung war gegen das Anbieten und Inverkehrbringen eines Arzneimittels A ⊠C ⊠als 250-ml-Injektionslösung in einer Fertigspritze zur therapeutischen Verwendung bei einer bestimmten Patientinnengruppe gerichtet. Auf Berufung hin bestĂ€tigte das OLG die Nichterteilung der einstweiligen VerfĂŒgung wegen fehlender Dringlichkeit. Entscheidend war die Frage, ab wann die Antragstellerin verlĂ€ssliche Kenntnis aller Tatsachen hatte, die eine Rechtsverfolgung erfolgsversprechend machen. In der deutschen Rechtsprechung ist seit Langem anerkannt (grundlegend BGH-Urteil «Hydropyridin»), dass ein Verwendungsanspruch, ein «Swiss-Type»-Anspruch oder ein zweckgebundener Stoffschutz von einem Dritten benutzt wird, wenn dessen Arzneimittel vor seinem Vertrieb sinnfĂ€llig fĂŒr den patentgemĂ€ssen Einsatzzweck hergerichtet worden ist, etwa indem es erkennbar fĂŒr den geschĂŒtzten Verwendungszweck formuliert, dosiert oder konfektioniert oder dieser in einer Information, wie einem Beipackzettel, angegeben worden ist. Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall nicht vor. Nach dem Urteil des OLG DĂŒsseldorf ist aber eine Benutzung auch in anderer Weise denkbar, solange die Zweckbindung fĂŒr den geschĂŒtzten Wirkstoff sichergestellt ist. Voraussetzung dafĂŒr soll sein, dass das Arzneimittel fĂŒr den patentgemĂ€ssen Zweck geeignet ist und sich der Vertreiber UmstĂ€nde zunutze macht, die â Ă€hnlich wie eine aktive sinnfĂ€llige Herrichtung â dafĂŒr sorgen, dass es mit dem Produkt zu dem zweckgebundenen therapeutischen Gebrauch kommt. Es seien insoweit ein hinreichender, nicht bloss vereinzelter Verwendungsumfang entsprechend dem Schutzzweck und ein diesbezĂŒgliches Wissen oder zumindest ein treuwidriges Verschliessen vor der Kenntnisnahme erforderlich. Das OLG DĂŒsseldorf beruft sich fĂŒr diesen «erweiterten Ansatz» auf die Urteile «Kollagenase» und «Pemetrexed» des BGH, wonach Gegenstand eines auf die Verwendung eines Stoffs zur Behandlung einer Krankheit gerichteten Patentanspruchs die Eignung des Stoffs fĂŒr einen bestimmten Einsatzzweck und damit letztlich eine dem Stoff innewohnende Eigenschaft ist. Die Antragstellerin habe die einstweilige VerfĂŒgung erst im Februar 2017 und damit mehr als ein halbes Jahr nach der Veröffentlichung des BGH-Urteils «Pemetrexed» erhoben, obwohl sie nach dessen Veröffentlichung durch rechtliche Ăberlegungen hĂ€tte erkennen können, dass eine Benutzung des «Swiss-Type Claims» des VerfĂŒgungspatents bereits in Betracht kommt, wenn sich der Verwender UmstĂ€nde zunutze macht, die dafĂŒr sorgen, dass es zu dem zweckgebundenen therapeutischen Gebrauch kommt. Der VerfĂŒgungsantrag konnte daher dem OLG DĂŒsseldorf zufolge nicht mehr als dringlich angesehen werden.
Im Fall «Dexmedetomidin» des OLG DĂŒsseldorf (Akten-Nr. I-2 U 30/17) wies dieses das Gesuch um eine einstweilige VerfĂŒgung ab. Das Arzneimittel sei in diesem Fall nicht sinnfĂ€llig durch eine Patienteninformation zur patentgeschĂŒtzten Verwendung hergerichtet worden. Die patentverletzende Verwendung sei auch nicht derart gebrĂ€uchlich, dass sie der Antragsgegnerin bekannt sein musste und sie sich diese daher zunutze gemacht habe.
Anhand des Entscheides «Warner Lambert vs. Actavis» des UK Supreme Court zeigte Grabinski auf, dass die Richter im UK einen vergleichbaren Ansatz wie die sinnfĂ€llige Herrichtung anwenden. Drei der Richter prĂŒften anhand des sog. «outward presentation test», ob eine unmittelbare Verletzung eines «Swiss-Type Claims» vorliegt. Zwei der Richter stellten jedoch auf die Absicht der Antragsgegnerin ab («subjective intention test»). Die sinnfĂ€llige Herrichtung ist bei diesem Test lediglich ein Indiz fĂŒr die Absicht.
Zuletzt ging Grabinski auf die Frage ein, wie die Rechtsfolgen der Verletzung eines «Swiss-Type Claims» auszugestalten sind. Die Frage stellt sich, weil bei einem Unterlassungsverbot der Vertrieb zu gemeinfreien Zwecken weiterhin erlaubt sein muss.
Dr. Roberto Romandini, zum Zeitpunkt der Tagung noch Senior research fellow am Max-Planck-Institut fĂŒr Innovation und Wettbewerb (MPI) in MĂŒnchen, berichtete ĂŒber die Max-Planck-Studie zu den ergĂ€nzenden Schutzzertifikaten (ESZ). Die Studie wurde am 28. Mai 2018 durch die EuropĂ€ische Kommission veröffentlicht. In ihr wird untersucht, ob das System der ESZ funktioniert bzw. wo es Reformbedarf gibt. Handlungsbedarf sieht die Studie vor allem in der Beseitigung von unter anderem durch die EuGH-Rechtsprechung entstandenen Unklarheiten, der Schaffung eines ergĂ€nzenden Schutzzertifikats mit einheitlicher Wirkung sowie der Erweiterung des bestehenden Schrankenkatalogs. Aus den 33 Empfehlungen der Studie stellte der Referent exemplarisch die Ergebnisse der Analyse von Art. 3 lit. a VO Nr. 469/2009 vor. Dieser Vorschrift nach soll das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschĂŒtzt sein, damit ein ESZ erteilt werden kann. Trotz ihres einfach scheinenden Wortlauts ist diese Bestimmung zu einer der am hĂ€ufigsten dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegten Vorschriften des Unionsrechts auf dem Gebiet des Geistigen Eigentums geworden.
Dabei prÀsentierte Romandini die Rechtsprechung vor «Teva» (C-121/17) anhand der Urteile «Farmitalia» (C-392/97), «Medeva» (C-322/10), «Elli Lily» (C-493/12) sowie «Actavis I» (C-443/12) und «Actavis II» (C-577/13) und erlÀuterte die darauf bezogene Kritik des MPI.
Diese Abweichungen fĂŒhrten zu weiteren Vorlagen an den EuGH. Hierzu hielt der EuGH in «Medeva» fest, dass ein ESZ nach Art. 3 lit. a VO 469/2009 nur fĂŒr Wirkstoffe erteilt werden darf, welche im Wortlaut der AnsprĂŒche des Grundpatentes genannt sind. In «Elli Lily» musste sich der EuGH mit der Frage befassen, ob ein Wirkstoff als geschĂŒtzt im Sinne von «Medeva» gelten kann, wenn die Struktur des betreffenden Wirkstoffes weder in den PatentansprĂŒchen, noch in der Beschreibung des Grundpatents offenbar wurde. Der EuGH hielt dabei fest, dass die Struktur des Wirkstoffes nicht explizit genannt werden muss. Auch funktionell verfasste PatentansprĂŒche könnten Art. 3 lit. a VO 469/2009 genĂŒgen. Dies gelte jedoch nur unter der Voraussetzung, dass sich die betreffenden PatentansprĂŒche «stillschweigend, aber notwendigerweise auf den in Rede stehenden Wirkstoff beziehen», und «zwar in spezifischer Art und Weise». Dieser neue Test des EuGH half jedoch nicht, die Rechtsunsicherheiten zu lösen, wie weitere Vorlagen an den EuGH belegen.
ZusĂ€tzliche Schwierigkeiten fĂŒr die Umsetzung der EuGH-Rechtsprechung zu Art. 3 lit. a VO 469/2009 ergaben sich aus den «Actavis»-Entscheidungen. Dort ging es um Konstellationen, in denen bereits ein ESZ fĂŒr einen aktiven Wirkstoff erteilt worden war und nun gestĂŒtzt auf dasselbe Grundpatent ein zweites ESZ fĂŒr eine Kombination des betreffenden Wirkstoffes mit mindestens einem anderen Wirkstoff beantragt wurde. Vorrangig zu prĂŒfen war daher das Erteilungshindernis gemĂ€ss Art. 3 lit. c VO 469/2009. Der EuGH hielt hierbei fest, dass das zweite ESZ nicht erteilt werden darf, wenn ausschliesslich der bereits durch das erste ESZ geschĂŒtzte Wirkstoff «den Gegenstand der Erfindung» oder den «Kern der erfinderischen TĂ€tigkeit» des Grundpatents darstelle. Aus den Entscheidungen des EuGH geht jedoch nicht klar hervor, ob dieser Ansatz bereits bei der PrĂŒfung relevant ist, wenn ein Erzeugnis vom Grundpatent geschĂŒtzt ist (Art. 3 lit. a VO 469/2009), oder nur im Rahmen der Anwendung von Art. 3 lit. c VO 469/2009 zum Tragen kommen soll.
Die MPI-Studie zeigt drei Kritikpunkte gegen diese Rechtsprechung auf. Erstens findet die vom EuGHpostulierte Unterscheidung zwischen Erzeugnissen, auf die sich die PatentansprĂŒche in spezifischer Art und Weise beziehen, und Erzeugnissen, die diesen Anforderungen nicht genĂŒgen, keine Grundlage im Patentrecht. Dennoch mĂŒssen die Erteilungsbehörden aufgrund von Art. 69 EPĂ prĂŒfen, ob die PatentansprĂŒche des Grundpatents diesen Anforderungen genĂŒgen und das Erzeugnis zertifikatsfĂ€hig ist. Zweitens hat der EuGH das VerhĂ€ltnis zwischen «Actavis I» und «Actavis II» sowie «Medeva» nicht geklĂ€rt. Schliesslich hat der EuGH den rechtspolitischen Zweck der «Medeva»-Rechtsprechung nicht erlĂ€utert. Vor diesem Hintergrund empfiehlt die MPI-Studie eine gesetzgeberische Klarstellung. Verschiedene Optionen wurden dabei analysiert («infringement test»; «Art. 123 Abs. 2 EPC standard-disclosure-test»; «inventive-advance»-Ansatz). Welche dieser Optionen zu bevorzugen ist, hĂ€ngt von rechtspolitischen ErwĂ€gungen ab.
Nach der Veröffentlichung der MPI-Studie erging das «Teva»-Urteil (C-121/17). Damit ein ESZ erteilt werden kann, muss nach dieser Entscheidung das Erzeugnis zwei Voraussetzungen erfĂŒllen: Es muss (i) notwendigerweise unter die Erfindung fallen, die vom Grundpatent erfasst wird, und (ii) im Lichte der in diesem Patent offenbarten Informationen spezifisch identifizierbar sein. Nach Ansicht des Referenten ist es fraglich, ob diese Rechtsprechung die MPI-Kritik sowie die daraus folgenden Empfehlungen obsolet gemacht hat, zumal die beiden Voraussetzungen unterschiedlich ausgelegt werden können.
Dr. Fritz Blumer, Mitglied der Beschwerdekammern des EuropĂ€ischen Patentamts (EPA), berichtete zuerst ĂŒber die letzten Entwicklungen in Sachen Patentierbarkeit von Pflanzen nach der Entscheidung G 2/12 und G/13 («Tomaten II» und «Broccoli II»). In diesem Entscheid wurde festgehalten, dass ein auf Pflanzen oder Pflanzenmaterial gerichteter Erzeugnisanspruch gewĂ€hrt werden könne, auch wenn das Erzeugnis mit einem vom Patentschutz ausgeschlossenen biologischen Verfahren gezĂŒchtet wurde. Dieser Entscheid wurde kritisiert und fĂŒhrte zu einer Ănderung der AusfĂŒhrungsordnung zum EPĂ. In der neuen Regel 28 Abs. 2 der AO EPĂ wurde nun ausdrĂŒcklich festgehalten, dass entgegen den Entscheiden in G 2/12 und G 2/13 kein Erzeugnisanspruch erteilt werden darf, wenn die betroffene Pflanze oder das Tier ausschliesslich durch ein im Wesentlichen biologisches Verfahren gewonnen wurde. Im Verfahren T 1063/18 (Paprikapflanzen) wies die PrĂŒfungsabteilung einen Erzeugnisanspruch gestĂŒtzt auf Regel 28 Abs. 2 AO EPĂ zurĂŒck. Auf Beschwerde der Anmelderin und Einwendungen Dritter hin hatte sich die Beschwerdekammer mit dem VerhĂ€ltnis zwischen Regel 28 Abs. 2 AO EPĂ und Art. 53 lit. b EPĂ zu befassen. Die Kammer entschied, dass ein Konflikt zwischen den beiden Bestimmungen existiert. In diesem Fall geht Art. 53 lit. b EPĂ vor. Das Verfahren wurde zur weiteren PrĂŒfung an die PrĂŒfungsabteilung zurĂŒckgewiesen.
Daraufhin referierte BlumerÂ ĂŒber die Frage der PlausibilitĂ€t im Hinblick auf ausreichende Offenbarung und erfinderische TĂ€tigkeiten.
Im Entscheid T 1868/16 ging es um die PlausibilitĂ€t hinsichtlich der ausreichenden Offenbarung. Art. 83 EPĂ schreibt vor, dass die Erfindung in der europĂ€ischen Patentanmeldung so deutlich und vollstĂ€ndig zu offenbaren ist, dass ein Fachmann sie ausfĂŒhren kann. Im besagten Entscheid wurde ein Patent widerrufen, weil keine klinischen Daten vorlagen, welche die Eignung des Wirkstoffes fĂŒr die beanspruchte Wirkung plausibel machten, weil ohne weitere Informationen lediglich auf gewisse Beobachtungen verwiesen wurde, weil auch die Beschreibung im Patent die Eignung nicht plausibel machte und weil es auch kein allgemeines Fachwissen gab, welches dem Leser der Anmeldung eine plausible ErklĂ€rung fĂŒr die Geeignetheit vermittelt hĂ€tte.
Der Entscheid T 488/16 befasste sich mit der Frage der PlausibilitĂ€t im Hinblick auf die erfinderische TĂ€tigkeit. Die behauptete AktivitĂ€t eines Wirkstoffes wurde zwar nachgewiesen, aber erst drei Jahre nach der Anmeldung. Nach stĂ€ndiger Praxis muss jedoch die erfinderische TĂ€tigkeit am Anmeldetag beurteilt werden. SpĂ€tere Beweismittel werden nur berĂŒcksichtigt, wenn die behauptete AktivitĂ€t eines Wirkstoffes am Anmeldetag zumindest plausibel gemacht wird. Der Entscheid hat zu einer lebhaften Debatte gefĂŒhrt. Umstritten ist, ob dieser Entscheid effektiv die FortfĂŒhrung einer stĂ€ndigen Praxis darstellt oder ob unter dem Stichwort «PlausibilitĂ€t» die Anforderungen erhöht worden sind.
Danach besprach Blumer die Patentierbarkeit von Simulationsverfahren am Beispiel des Entscheids T 625/11. Die Erfindung diente dort der Ermittlung eines Grenzwerts fĂŒr den Betrieb eines Kernreaktors. Die technische Natur der Erfindung war kein Problem, aber bei der PrĂŒfung der erfinderischen TĂ€tigkeit werden nur Merkmale berĂŒcksichtigt, die zum technischen Charakter des beanspruchten Gegenstands beitragen («Comvik»-Rechtsprechung). Simulationsverfahren zeigen grundsĂ€tzlich keine (unmittelbare) technische Wirkung. Die Rechtsprechung betreffend Patentierbarkeit von Simulationsverfahren ist nicht gefestigt. Bei der Simulation von technischen VorgĂ€ngen wurden jedoch schon Patente erteilt, auch in Deutschland und England.
Schliesslich referierte BlumerÂ ĂŒber die Verfahrensordnung der Beschwerdekammern, die derzeit revidiert wird. Hintergrund der Revision ist der Grundsatz der Amtsermittlung mit EinschrĂ€nkung (Art. 114 EPĂ). Das EPA ermittelt den Sachverhalt von Amtes wegen (Art. 114 Abs. 1 EPĂ). Das EPA muss jedoch Tatsachen und Beweismittel, welche von den Beteiligten verspĂ€tet vorgebracht werden, nicht berĂŒcksichtigen (Art. 114 Abs. 2 EPĂ). Es handelt sich hiermit um einen Ermessensentscheid. Dies fĂŒhrte zu einer reichhaltigen, teilweise als widersprĂŒchlich kritisierten Praxis der Kammern zum verspĂ€teten Vorbringen. Die Revision bezweckt eine grössere Effizienz und Harmonisierung zwischen den Kammern. Mit einer Genehmigung durch den Verwaltungsrat wird im Juli 2019 gerechnet.
Koen Bijvank, Patentanwalt in Amsterdam, stellte die neuesten Entwicklungen im niederlÀndischen Patent- und GeschÀftsgeheimnisrecht vor.
Zuerst referierte BijvankÂ ĂŒber die Entscheide in der «Nikonâ /â ASML»-Saga. Nikon machte die Verletzung von patentierter Halbleiter-Produktionstechnologie und deren Nutzung in den Lithografiesystemen von ASML geltend. In einem Verfahren vor dem District Court Den Haag hatte ASML widerklageweise ein allgemeines Vollstreckungsverbot verlangt, mit welchem Nikon u.âa. verboten werden sollte, Unterlassungsverbote zu verlangen oder zu vollstrecken. Das Gericht kam jedoch zum Schluss, dass die Patente von Nikon nicht de- facto standard-essenziell sind (SEP). Nikon musste daher auch keine FRAND-ErklĂ€rung abgeben. Solange daher Nikon ASML keine neue Lizenz gewĂ€hrt hat, kann Nikon seine Patente gegen ASML durchsetzen â vorausgesetzt die Patente sind rechtsbestĂ€ndig und es liegt eine Verletzung vor. Eine andere Entscheidung wĂ€re nur bei grobem Rechtsmissbrauch zu fĂ€llen. Die beiden Parteien befinden sich gemĂ€ss Medienmitteilungen offenbar vor einer vergleichsweisen Lösung der Streitigkeiten.
Danach diskutierte Bijvank das Thema einer EinschrĂ€nkung eines Patents gemĂ€ss Art. 138 Abs. 3 EPĂ und deren Einfluss auf inlĂ€ndische Verfahren. Die entscheidende Frage war, ob das nationale Verfahrensrecht das Anpassungsrecht gemĂ€ss EPĂ beschrĂ€nken kann. Im Fall «High Pointâ /â KPN» wurde High Point die Ănderung seines Patentanspruches im Laufe des Verfahrens vom Obergericht Den Haag verweigert. Die Ănderung erfolgte zwar vor der mĂŒndlichen Verhandlung, aber erst nach Abschluss des Schriftenwechsels. GemĂ€ss der anwendbaren Verfahrensordnung war dies verspĂ€tet. Der niederlĂ€ndische Oberste Gerichtshof entschied damit, dass die Verfahrensordnung durch das Recht auf AbĂ€nderung nicht verdrĂ€ngt wird. Auch die darauffolgende zentrale EinschrĂ€nkung durch das EPA Ă€nderte daran nichts. Das Appellationsgericht in Den Haag berĂŒcksichtigte diese EinschrĂ€nkung nicht. Dies bedeutet, dass im niederlĂ€ndischen Verfahren AnsprĂŒche berĂŒcksichtigt werden, welche gemĂ€ss EPĂ nicht mehr rechtsbestĂ€ndig sind. Der Fall liegt jetzt beim Obersten Gerichtshof.
Schliesslich referierte Bijvank zum Thema des Schutzes von GeschĂ€ftsgeheimnissen. Im Fall «Dowâ /â Organik» ging es um die Frage, ob Organik GeschĂ€ftsgeheimnisse von Dow gestohlen hatte. In den USA kam die International Trade Commission zum Schluss, dass ein solcher Diebstahl vorlag. Die Beweise aus diesem Verfahren waren durch einen US-amerikanischen protective order geschĂŒtzt, mit der Folge, dass lediglich die AnwĂ€lte der Parteien auf sie Zugriff hatten und sie in anderen LĂ€ndern nicht als Beweismittel ins Verfahren eingebracht werden durften. Deshalb beantragte Dow in den Niederlanden ex parte eine vorlĂ€ufige Beschlagnahme von Beweisen in den RĂ€umlichkeiten von Organik in Rotterdam. Dow beantragte daraufhin Einsicht in die beschlagnahmten Dokumente, wĂ€hrend Organik die Aufhebung der Beschlagnahme verlangte. Um Einsicht zu erhalten, musste Dow glaubhaft machen, dass GeschĂ€ftsgeheimnisse gestohlen wurden. Dies fĂŒhrt zu einer paradoxen Situation: Dow muss Beweismittel liefern, um den Diebstahl glaubhaft zu machen, damit es Einsicht in die Beweismittel erhalten wĂŒrde, welche den Diebstahl beweisen sollten. Der niederlĂ€ndische Oberste Gerichtshof entschied in diesem Verfahren, dass die IP-Vollstreckungsmassnahmen gemĂ€ss Art. 7 Richtlinie 2004/48/EG auch bei Verfahren betreffend die Verletzung von GeschĂ€ftsgeheimnissen anwendbar sind (z.âB. die Beschreibung eines Verfahrens).
Dr. Stefan LuginbĂŒhl, Chef der Sektion EuropĂ€ische Rechtsangelegenheiten des EPA, gab zunĂ€chst einen kurzen Ăberblick ĂŒber die vor Kurzem umgesetzten oder demnĂ€chst geplanten Ănderungen im EPĂ-Verfahren, insbesondere:
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zum Austausch von PrioritĂ€tsunterlagen mittels WIPO-DAS fĂŒr europĂ€ische Patentanmeldungen, mit welchem es zu einer wesentlichen Vereinfachung des Verfahrens zur Einreichung von PrioritĂ€tsunterlagen kommt,
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zur ErgĂ€nzung der PrĂŒfungsrichtlinien insbesondere betreffend die Patentierbarkeit von kĂŒnstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen,
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zum kontroversen Vorschlag zur EinfĂŒhrung einer aufgeschobenen SachprĂŒfung auf europĂ€ischer Ebene sowie
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zur umstrittenen Frage der Patentierbarkeit von Erzeugnissen, die durch im Wesentlichen biologische Verfahren gewonnen werden, und der damit verbundenen Frage der Anwendbarkeit der revidierten Regeln 27b) und 28 der AO EPĂ.
Weiter referierte LuginbĂŒhlÂ ĂŒber die verschiedenen Validierungsabkommen, die eine Erstreckung der Wirkungen europĂ€ischer Patente auf Staaten ausserhalb Europas ermöglichen. 2018 kam ein neues Abkommen mit Kambodscha zustande. Zurzeit gibt es Verhandlungen insbesondere mit Angola, Brunei, Jordanien, Laos und Malaysia. Zudem hat der Verwaltungsrat inzwischen die Republik Montenegro eingeladen, dem EPĂ beizutreten. Danach prĂ€sentierte LuginbĂŒhl eine Auswahl der letzten Studien und Publikationen des EPA, namentlich «Patents and the Fourth Industrial Revolution» (<www.epo.org/news-issues/news/2017/2017â1211.html>), «The jurisdiction of European courts in patent disputes» (<www.epo.org/learning-events/materials/jurisdiction.html>) und «Compulsory licensing in Europe» (<www.epo.org/learning-events/materials/compulsory-licensing-in-europe.html>), die kostenlos auf der Webpage des EPA erhĂ€ltlich sind.
Im Weiteren berichtete der Referent, dass das EPA zurzeit daran arbeite, nach dem Vorbild des EUIPO einen ambitionierten strategischen Plan mit Arbeitsprogramm bis 2023 zu entwickeln. Die entsprechende Konsultation von Vertragsstaaten, Nutzerorganisationen und weiteren Beteiligten lĂ€uft in einem ersten Ansatz bis Mitte MĂ€rz 2019. Der finalisierte Plan wird dem Verwaltungsrat im Juni 2019 zur Annahme prĂ€sentiert. Schliesslich ging LuginbĂŒhl zum EU-Einheitspatentpaket ĂŒber und machte deutlich, dass das deutsche Bundesverfassungsgericht noch immer keine Entscheidung zur einschlĂ€gigen Verfassungsklage erlassen hat und es daher unklar sei, wann das lang erwartete neue System in Kraft treten kann.
Dr. Stefan Dittmer, Rechtsanwalt und Unternehmensberater in Deutschland, widmete sein Referat dem GeschĂ€ftsgeheimnisschutz im Prozess. Als Ausgangslage fĂŒr seine AusfĂŒhrungen nahm er den Rechtsstreit zwischen Qualcomm und Apple. Qualcomm klagte gegen Apple wegen Patentverletzung. Verletzt sei eine Technologie, welche den Stromverbrauch von Telekommunikations-Chips reduziert. Apple hĂ€tte als Verteidigung die tatsĂ€chliche Funktionsweise der Chips offenlegen mĂŒssen. Dies war wegen Geheimhaltungsinteressen des Zulieferers nicht möglich. HĂ€tte Apple die GeschĂ€ftsgeheimnisse hinter dem Chip offengelegt, wĂ€ren es keine GeschĂ€ftsgeheimnisse mehr. Ohne Offenlegung verliert Apple den Prozess.
GemĂ€ss Dittmer sind die Regeln zum Schutz der GeschĂ€ftsgeheimnisse im deutschen Zivilprozessgesetz zur Lösung dieses Dilemmas unzureichend: Die aktuellen Massnahmen schĂŒtzen den Inhaber des Geheimnisses gegenĂŒber der Gegenpartei nicht, da GeschĂ€ftsgeheimnisse in der Klage offengelegt werden mĂŒssen. Erst in der mĂŒndlichen Verhandlung kann das Gericht den Ausschluss der Ăffentlichkeit und die Geheimhaltung anordnen. Zudem kann das Gericht Dritten die Akteneinsicht verwehren. Dies ist jedoch alles im Ermessen des Gerichts. Zudem betrifft dies nur Dritte, nicht die Verfahrensbeteiligten.
Dittmer setzte sich sodann mit der Richtlinie (EU) 2016/943 und dem Gesetzesentwurf zum Schutz von GeschĂ€ftsgeheimnissen (GeschGehG-E) in Deutschland auseinander und erörterte, ob diese betreffend das vorangehend erlĂ€uterte Dilemma von Apple eine Verbesserung bringen. Die Begriffsbestimmung des GeschĂ€ftsgeheimnisses, die Voraussetzungen an die Rechtsverletzung (erlaubte Handlungen, Handlungsverbote sowie RechtfertigungsgrĂŒnde) und die besonderen Prozessregeln sind wichtige Neuerungen. Unter den neuen Prozessregeln sticht die strafbewehrte Geheimhaltungsverpflichtung hervor. Diese kann auf Antrag hin vom Gericht angeordnet werden. Voraussetzung sind die Glaubhaftmachung der GeheimhaltungsbedĂŒrftigkeit und die Kennzeichnung geheimhaltungsbedĂŒrftiger Informationen im Schriftsatz. Die Geheimhaltungspflicht gilt wĂ€hrend und nach Abschluss des Verfahrens. Die Verletzung kann mit einem Ordnungsmittel von bis zu EUR 100â 000 sanktioniert werden.
Die Neuerungen sind im Vergleich zum aktuellen Regime eine Verbesserung. GemĂ€ss Dittmer ist der Anwendungsbereich jedoch zu beschrĂ€nkt (nur bei Klagen, bei denen AnsprĂŒche aus dem GeschGehG geltend gemacht werden) und die Ordnungsmittelhöhe zu tief. Zudem werden GeschĂ€ftsgeheimnisse dem Gegner weiterhin offenbart. Insbesondere wegen der BeschrĂ€nkung des Anwendungsbereichs hĂ€tte Apple das neue GeschGehG nicht geholfen. Im besagten Verfahren ging es um eine patentrechtliche Klage. Als Alternative wĂ€ren gemĂ€ss Dittmer Schiedsgerichte denkbar.
Nach dem zweiten Vortrag und zum Abschluss des patentrechtlichen Teils fanden zwei Paneldiskussionen statt, an welchen neben den vorangehend erwÀhnten Referenten auch Dr. Mark Schweizer (PrÀsident des Schweizer BPatGer) und Dr. Tobias Bremi (zweiter hauptamtlicher Richter am Schweizer BPatGer) teilnahmen.
Grabinski hielt fest, dass die Erlangung eines Schutzzertifikats fĂŒr «A» + «B» eine Erweiterung darstellt, wenn nur «A» durch das Grundpatent geschĂŒtzt ist. «Teva» seinerseits kombiniert die Konstellationen von «Medeva» und «Elli Lily». Grabinski kam deshalb zum Schluss, dass kein Reformbedarf von Art. 3 lit. a VO 469/2009 besteht: «Mit diesem System hat man ein System, das zwar schwierig anzuwenden ist, das aber zumindest nachvollziehbar ist.» Bremi teilte mit, dass er die Logik nicht ganz nachvollziehen könne, und dass die Rechtsprechung des EuGH, wie die Vielzahl von Vorlagefragen zu genau dem Thema fĂŒr den EuGH zeige, offenbar in der Praxis mehr Verwirrung als Rechtssicherheit schaffe. «Spannend wird es jetzt fĂŒr uns, weil die Schweiz dieser Praxis auch folgen muss», so Bremi. Romandini brachte dann einen rechtsvergleichenden Aspekt in die Diskussion ein. Als der Gesetzgeber diese Vorschrift eingefĂŒhrt hat, handelte es sich nicht um eine europĂ€ische Schöpfung, sondern um einen «Import» aus dem US-amerikanischen Recht. Dies hat jedoch in den USA nie zu einem Problem gefĂŒhrt. Es ist erstens in den USA nicht möglich, ein ESZ fĂŒr Kombinationen zu erhalten, wenn diese Kombinationen bereits zugelassene Wirkstoffe zum Gegenstand haben. Zweitens ist es nicht möglich, ein ESZ aufgrund einer Marktzulassung zu erhalten, welche fĂŒr eine dritte Partei â weder den Lizenznehmer noch ein Mitglied derselben Gruppengesellschaft â erlangt wurde. Dies ist in der EU anders. Daher besteht â gemĂ€ss Romandini â ein rechtspolitisches BedĂŒrfnis, das vom Gesetzgeber geklĂ€rt werden muss.
Schweizer stellte dann die Frage an das Publikum, ob der Entscheid des BGH in Sachen Gurtstraffer richtig war. Ein Teilnehmer reagierte darauf und hielt fest, dass der BGH sehr oft auf den Fachmann abstellt, wenn er einen Anspruch auslegt. Das sei deshalb richtig, weil das VerstĂ€ndnis des Fachmanns als Massstab fĂŒr viele Auslegungsfragen im Patentrecht relevant ist.
In Bezug auf die PlausibilitĂ€t hielt Blumer fest, dass sie nicht separat, sondern im Rahmen der PrĂŒfung einer Voraussetzung beurteilt wird, wenn nĂ€mlich eine Verbesserung oder ein Vorteil im Rahmen der PrĂŒfung der erfinderischen TĂ€tigkeit nachzuweisen ist.
Aus dem Publikum erwĂ€hnte sodann Freyke Bus zum Thema GeschĂ€ftsgeheimnis, dass die Person, die die Dokumente prĂŒft, in der Lage sein muss, diese Dokumente zu verstehen. Es braucht nicht nur etwa einen Anwalt; ansonsten wird es sehr schwierig zu beweisen, dass GeschĂ€ftsgeheimnisse ausgenutzt worden sind. Hohe Strafen bei Verletzung von GeschĂ€ftsgeheimnissen seien schliesslich fĂŒr den Inhaber des GeschĂ€ftsgeheimnisses wenig relevant.
Ritscher bedankte sich bei den PodiumsgÀsten und schloss damit den patentrechtlichen Teil der Veranstaltung ab.
Prof. Dr. Benjamin Raue, UniversitÀt Trier, stellte dem Publikum die seines Erachtens drei wichtigsten Urteile des EuGH zum Urheberrecht aus dem Jahre 2018 vor. Diese betrafen das Verbreitungsrecht, den Werkbegriff und das Recht auf öffentliche Wiedergabe.
Im Urteil «Imran Syed» (C-572/17) befasste sich der EuGH mit der Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der InfoSoc-RL. In einem schwedischen Strafverfahren hatte sich die Vorfrage gestellt, ob bereits das Lagern von Kleidern mit urheberrechtlich geschĂŒtzten Motiven in einem Lagerraum zum unstreitigen Zwecke des spĂ€teren Verkaufs in das Verbreitungsrecht des Urheberrechtsinhabers eingreift. Raue meinte, dass mit diesem Urteil das letzte Wort zur «Verbreitung an die Ăffentlichkeit» gesprochen sei, indem Vorfeldhandlungen als Verletzungshandlungen sowohl nach objektiven (bspw. das Angebot zum Abschluss des Kaufvertrages) als auch nach subjektiven Kriterien (bspw. die Zweckbestimmung der Lagerung von Waren, d.âh. die Absicht, diese Waren ohne Zustimmung des Urheberrechtsinhabers an die Ăffentlichkeit zu verkaufen) erfasst werden. Dadurch werde das Urheberrecht ausgeweitet, weshalb es wichtig sei, dass die nationalen Gerichte bei der Beurteilung der Vorfeldhandlungen alle Indizien berĂŒcksichtigten.
Im Urteil «Levolaâ /â Smilde» (C-310/17) wurde die Frage nach der Existenz eines durch die InfoSoc-RL harmonisierten Werkbegriffs behandelt. Der deutsche BGH hatte dies im Entscheid «Geburtstagszug» verneint. Der EuGH bestĂ€tigte in diesem Entscheid seine bisherige Praxis und bekrĂ€ftigte nochmals, dass es einen harmonisierten Werkbegriff gibt und zur einheitlichen Anwendung des Unionsrechts auch geben muss. Im Verfahren vor dem niederlĂ€ndischen Berufungsgericht ging es in erster Linie um den urheberrechtlichen Schutz des Geschmacks eines StreichkĂ€ses. GemĂ€ss EuGH gilt beim harmonisierten Werkbegriff aus GrĂŒnden der Rechtssicherheit der Bestimmtheitsgrundsatz. Das geschĂŒtzte Werk muss klar und genau erkennbar sein. Der Geschmack eines Lebensmittels sei subjektiv und verĂ€nderlich. Es fehlte daher die Möglichkeit der prĂ€zisen und objektiven Identifizierung bzw. diese sei mit den aktuellen technischen Mitteln nicht möglich. Der Geschmack eines FrischkĂ€ses kann daher (noch) nicht urheberrechtlich geschĂŒtzt werden. GemĂ€ss Raue verdeutlicht dieser Entscheid, dass der EuGH seine bisherige Rechtsprechung nicht nur bekrĂ€ftigt, sondern den harmonisierten Werkbegriff mit Blick auf die Rechtssicherheit noch weiter eingeschrĂ€nkt hat und eine gewisse Bestimmtheit dessen verlangt, was urheberrechtlich geschĂŒtzt werden kann.
Im Urteil «NRWâ /â Renckhoff» (C-161/17) ging es um die Auslegung des Begriffs der «öffentlichen Wiedergabe» im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der InfoSoc-RL. Der EuGH hatte sich auf Vorlage des BGH hin mit der Frage zu befassen, ob eine Fotografie, die ohne BeschrĂ€nkungsmassnahme und mit Zustimmung des Urheberrechtsinhabers auf einer Webseite abgebildet wurde, auch auf einer anderen Webseite ohne Einwilligung des Urhebers veröffentlicht werden könne. Der EuGH bestĂ€tigte dabei die Voraussetzungen an die öffentliche Wiedergabe, welche er in frĂŒheren Entscheiden, u.âa. zum Linking und Framing, herausgearbeitet hatte. Unter die Voraussetzung der Ăffentlichkeit der Wiedergabe fĂ€llt als Teilvoraussetzung die Wiedergabe an ein neues Publikum. Unter einem neuen Publikum ist ein Publikum zu verstehen, an das der Inhaber des Urheberrechts nicht gedacht hatte, als er die ursprĂŒngliche öffentliche Wiedergabe seines Werks erlaubte. Beim Linking und Framing hatte der EuGH entschieden, dass kein neues Publikum gegeben ist. Vorliegend ist die Konstellation jedoch anders. Denn die Wiedergabe auf der «neuen» Webseite erfolgte unabhĂ€ngig von der Wiedergabe auf der ursprĂŒnglichen Webseite. Anders als beim Linking oder Framing hĂ€tte daher die Löschung der Fotografie auf der ursprĂŒnglichen Webseite keinen Einfluss auf die Wiedergabe auf der neuen Webseite. Die Fotografie wĂŒrde weiter abgebildet bleiben. Zudem seien Hyperlinks fĂŒr das gute Funktionieren des Internets und fĂŒr die gewĂŒnschte Informationsverbreitung zentral. DafĂŒr sei eine Abspeicherung eines Werkes auf einem eigenen Server nicht erforderlich, sodass diese Form der Wiedergabe nicht auf Kosten des Rechtsinhabers privilegiert werden mĂŒsse.
Prof. Dr. iur. Florent Thouvenin, Professor fĂŒr Informations- und Kommunikationsrecht an der UniversitĂ€t ZĂŒrich, eröffnete sein Referat mit dem Hinweis, dass er als Jurist versuchen werde, eine Ăbersetzungsfunktion wahrzunehmen und dem Publikum einen Ăberblick ĂŒber das breite Spektrum von möglichen Fragen rund um ImmaterialgĂŒterrecht und kĂŒnstliche Intelligenz zu vermitteln, wobei der Fokus auf dem Patent- und Urheberrecht liegen werde. Anhand einer einfachen Darstellung erklĂ€rte Thouvenin sodann, wie ein neuronales Netzwerk grosse Mengen von Daten verarbeitet. Die Beispiele zeigen, dass die neuronalen Netze durch grosse Mengen von Daten trainiert werden mĂŒssen, bspw. um ein Bild richtig zu klassifizieren. Je nach Output (richtig oder falsch) mĂŒssen die Parameter des Netzwerkes leicht angepasst werden; dies ist so oft zu wiederholen, bis das neuronale Netz in der Lage ist, seine Aufgabe zuverlĂ€ssig zu erfĂŒllen. Es handelt sich hier bis zu einem gewissen Grade um ein Trial-and-Error-Verfahren. Wie das Netz das Ergebnis genau berechnet, sei praktisch nicht erkennbar, weshalb auch von einer Blackbox gesprochen werde. Eine grosse Herausforderung bestehe deshalb darin, die Verantwortlichkeit bei Fehlern zuzuweisen, etwa beim Einsatz von KI im Bereich des autonomen Fahrens. Als heute schon weitverbreitete AnwendungsfĂ€lle nannte Thouvenin die klassische Bild- und Spracherkennung, Ăbersetzungsprogramme und das Erstellen von Texten, Musik und Bildern.
Im zweiten Teil seines Referats widmete sich Thouvenin den Schutzvoraussetzungen und Rechtsinhabern von KI-generierten GĂŒtern im Patent- sowie Urheberrecht. Betreffend Patentrecht brachte Thouvenin mehrere Beispiele von KI-generierten Erfindungen. Bei all diesen Erfindungen fĂŒhrte KI zu Produktgestaltungen, welche sich deutlich von den bekannten unterscheiden (z.âB. neuartige Antennen der NASA, neue Borstenanordnung bei ZahnbĂŒrsten). In all diesen FĂ€llen lag eine erfinderische TĂ€tigkeit der KI vor, weil der Fachmann ohne den Beitrag der KI wohl nicht auf die betreffende Gestaltung gekommen wĂ€re. GemĂ€ss Thouvenin könnte der flĂ€chendeckende Einsatz von KI in der Forschung und Entwicklung dazu fĂŒhren, dass die Anforderungen an die erfinderische TĂ€tigkeit steigen werden, wenn KI bald als «state of the art» jedem Erfinder zur VerfĂŒgung stehe. Dies könnte zu einer Abnahme von Patenterteilungen fĂŒhren. Teilweise werde sogar behauptet, dass KI das Ende des Patentrechts sei. Er selbst sei bei dieser Prophezeiung (wie bei anderen, die rund um KI oft zu hören seien) eher zurĂŒckhaltend. So sei etwa nicht davon auszugehen, dass verschiedene KI-Systeme zum selben Output kommen â selbst dann, wenn der Input identisch oder vergleichbar ist. Zudem könne es bereits als eine erfinderische TĂ€tigkeit gewertet werden, KI zur Lösung einer Aufgabe einzusetzen, neuronale Netze zu einem bestimmten Zweck zu trainieren oder die erfinderische Lösung (in einem Set von unzĂ€hligen Lösungen) zu erkennen. Was die Rechtsinhaber von Patenten von KI-generierten GĂŒtern betrifft, stellt sich die Frage, ob KI als Miterfinderin in Betracht kommt. Schliesslich werde ein wesentlicher Teil der geistigen Leistung durch die KI selbst erbracht. Thouvenin hĂ€lt jedoch fest, dass basierend auf der heutigen Gesetzeslage KI kein Rechtssubjekt sei und damit nicht TrĂ€gerin von Rechten sein könne. Und daran werde sich wohl, trotz der Diskussion um die EinfĂŒhrung einer «E-Personhood», einstweilen (zu Recht) auch nichts Ă€ndern.
Die Diskussion zum Urheberrecht an KI-generierten Werken leitet Thouvenin wiederum mit spannenden Beispielen ein (z.âB. das «Next Rembrandt»-Projekt und «Google Deep Dream»). Eine Voraussetzung fĂŒr den Urheberrechtsschutz ist bekanntlich das Vorliegen einer geistigen Schöpfung und damit eine menschliche TĂ€tigkeit. Werke, die von Tieren oder Maschinen geschaffen werden, geniessen in den kontinentaleuropĂ€ischen «droit dâauteur»-Systemen keinen Schutz. Damit sei klar, dass KI-generierte Werke urheberrechtlich nicht geschĂŒtzt seien.
Im Folgenden setzte sich Thouvenin mit der Frage auseinander, ob KI-Systeme (z.âB. neuronale Netze) selbst patent- oder urheberrechtlich geschĂŒtzt werden können. Naheliegend wĂ€re der Schutz als Computerprogramm. KI-Systeme sind jedoch nicht vergleichbar mit den bisherigen Computerprogrammen. Der urheberrechtliche Schutz von Computerprogrammen bezieht sich auf den Source Code, also die Ausformulierung einer Befehlsfolge in einer fĂŒr den Menschen verstĂ€ndliche Programmiersprache und deren Umsetzung im maschinenlesbaren BinĂ€rcode. Trainierte neuronale Netze bestehen dagegen nur aus einem Maschinencode. Der «linguistische Ansatz» des Urheberrechts gehe deshalb ins Leere. Hinzu komme, dass der Mensch beim Trainieren von neuronalen Netzen nicht kontrollieren könne, wie sich das Netz verĂ€ndere, es fehle also auch hier an einer Steuerung des Ergebnisses durch den menschlichen Geist und damit an einer geistigen Schöpfung. Möglich sei dagegen die Patentierung von KI-Systemen. Massgeblich und wohl auch sinnvoll anwendbar seien dabei die heutigen Kriterien fĂŒr die Patentierung von computerimplementierten Erfindungen. Schwierigkeiten dĂŒrften sich allerdings bei der Offenbarung ergeben, weil â wie erwĂ€hnt â die Funktionsweise von KI-Systemen, bspw. von neuronalen Netzen, nicht immer erkennbar sei. Damit sei fraglich, ob KI-Systeme in einer Patentanmeldung hinreichend klar beschrieben werden können.
Freyke Bus, Richterin in der IP-Abteilung des District Court in Den Haag, befasste sich mit verschiedenen Urteilen des EuGH aus dem Jahr 2018.
EinfĂŒhrend ging die Referentin auf die Verkehrsdurchsetzung einer dreidimensionalen Form im «KitKat»-Entscheid (C-596/2018) ein. Hier entschied der EuGH, dass die Verkehrsdurchsetzung einer dreidimensionalen Formmarke fĂŒr die gesamte Union, d.âh. prima vista fĂŒr jeden Mitgliedsstaat und nicht nur fĂŒr einen wesentlichen Teil des Unionsgebiets, nachzuweisen sei. Die Referentin kritisierte, dass mit diesem Urteil das Kernmotiv der EuropĂ€ischen Union, nĂ€mlich grenzĂŒberschreitende GeschĂ€fte durch einen gemeinsamen Markt zu erleichtern, unterminiert werde. Zudem fĂŒhre das Urteil dazu, dass die Thematik gesamtes Unionsgebiet vs. wesentliche Teile nun fĂŒr verschiedene markenrechtliche Fragen unterschiedlich angewandt werde (berĂŒhmte Marke, Nichtgebrauch, Verkehrsdurchsetzung).
Weiter ging Bus auf einen jahrelangen Namensstreit ein, in dem entschieden wurde, dass die EU-weit geltende Marke Neuschwanstein â(C-673/2018) fĂŒr Souvenirartikel im Besitz des Freistaats Bayern bleibt. Der Souvenirverband, der Fabrikanten und HĂ€ndler vertritt, war der Ansicht, dass Neuschwanstein eine geografische Herkunftsangabe darstelle und daher markenrechtlich nicht schutzfĂ€hig sei. Der EuGH entschied, dass «Neuschwanstein» ein Fantasiename sei. Das Schloss sei kein geografischer Ort, sondern primĂ€r eine Museums-Ărtlichkeit. Zudem seien Souvenirs von der Nizza-Klassifikation nicht als eigenstĂ€ndige Ware anerkannt. Die registrierte Dienstleistung war daher «Museumsdienste». Neuschwanstein sei fĂŒr die Museums-Dienstleistungen nicht beschreibend. Zuletzt sei Neuschwanstein auch keine geographische Herkunftsangabe. Neuschwanstein sei nicht bekannt fĂŒr Souvenirs, sondern fĂŒr seine Architektur. Problematisch an diesem Urteil ist gemĂ€ss der Referentin, dass der Markeninhaber allenfalls den Gebrauch der Marke durch andere SouvenirhĂ€ndler verbieten könnte. Es stellt sich die Frage, ob dies effektiv im öffentlichen Interesse ist.
Im Urteil «Mitsubishi Shoji Kaisha Ltd gegen Duma Forklifts» (C-129/17) entschied der EuGH, dass die Entfernung der Marke von eingefĂŒhrten Originalwaren und der Weitervertrieb unter dem Namen des Importeurs eine Markenverletzung darstellt. Entscheidend war, dass die Marken im Hinblick auf den Import in den EWR entfernt und die Markenprodukte im EWR noch nicht vertrieben wurden. Eine der Markenfunktionen sei die Herkunftsgarantie. Der Markeninhaber habe das Recht, das erste Inverkehrbringen auf einem Markt zu kontrollieren. Das vorliegende «Debranding» habe die Herkunftsgarantie verletzt. Bus brachte vor, dass es möglicherweise besser gewesen wĂ€re, in diesem Fall eine Klage wegen unlauteren Wettbewerbs einzureichen, anstatt als Rechtsfolge des Urteils den Markenschutz unnötig zu erweitern.
Weiter widmete sich die Referentin zwei Entscheiden ĂŒber Schuhsohlen der Marken Louboutin und Birkenstock und deren SchutzfĂ€higkeit unter der alten Markenrechtsrichtlinie. Konkret untersuchte das Gericht im «Louboutin»-Entscheid (C 423/2018), ob der in Art. 3 Abs. 1 lit. f. der alten Richtlinie verwendete Begriff «Form» auch nicht dreidimensionale Eigenschaften der Ware, wie etwa Farben, erfasse. Der EuGH kam zum Schluss, dass unter der alten Richtlinie der Begriff «Form» nur 3D-Formen erfasse. Dies wird von der Referentin infrage gestellt. Bus macht dabei auf den Ausschlussgrund der technischen Notwendigkeit aufmerksam. Mit diesem Ausschlussgrund sollen Monopolisierungen verhindert werden. Wenn z.âB. die Farbe zur QualitĂ€t (technischen Notwendigkeit) des Produkts beitrĂ€gt, wie z.âB. das grĂŒne Glas bei Bier, mĂŒsste an sich der Ausschlussgrund vorliegen. Die neue RL sieht nun vor, dass nicht nur die Form, sondern auch andere charakteristische Merkmale zum Schutzausschluss fĂŒhren können. Damit könnte durchaus auch die Farbe gemeint sein. GemĂ€ss Bus sorgt jedoch die Formulierung der revidierten RL fĂŒr gewisse Rechtsunsicherheiten. Unklar sei insbesondere auch, was mit Marken geschehe, welche unter der alten Richtlinie registriert wurdenâ1. Es gibt keine Ăbergangsbestimmungen, welche sich mit dieser Frage beschĂ€ftigen. Es sei folglich abzuwarten, wie der EuGH die revidierte RL auslege.
Im «Birkenstock»-Fall (C-714/â2018) ging es um die Frage, ob der beschreibende Charakter eines Musters als 3D-Marke beurteilt werden muss. GemĂ€ss EuG ist dies der Fall, wenn die Möglichkeit der Nutzung als OberflĂ€chen-Muster besteht. Dies muss fĂŒr jede Ware im Warenverzeichnis der Anmeldung separat geprĂŒft werden. Der EuGH bestĂ€tigte diesen Entscheid. Das Muster sei dazu prĂ€destiniert, auf der OberflĂ€che der beanspruchten Ware angebracht zu werden.
Christoph Bartos gab im Rahmen seines Referats einen Einblick in die jĂŒngste Rechtsprechung der EUIPO-Beschwerdekammern 2018. Einleitend machte der Referent auf das «EUIPO Academy Learning Portal» aufmerksam, wo Kurse im IP-Markenrecht angeboten werden sowie neu auch «Tuesday Live Webinars».
Hinsichtlich der Frage, in welcher Sprache die PrĂŒfungen abgehandelt werden, erlĂ€uterte der Referent zunĂ€chst den Löschungsfall «Plombir» (T-830/16). Der Referent hielt fest, dass je nach Relevanz fĂŒr die Waren und Dienstleistungen auch Sprachen wie Russisch, Hindi und Japanisch geprĂŒft werden. Das Gericht hob vorliegend die Entscheidung der Beschwerdekammer mit der BegrĂŒndung auf, dass es eine allgemein bekannte Tatsache sei, dass in Deutschland die russische Sprache ineinem ausgeprĂ€gten Kreis prĂ€sent sei.
Im Entscheid «Puma» (C-564/16P) brachte das Gericht vor, dass frĂŒhere Entscheide, welche die Bekanntheit von Marken bereits festgestellt haben, zu berĂŒcksichtigen sind. Laut Bartos sei dies fĂŒr Ă€ltere Marken jedoch nicht per se von Vorteil, da die Feststellung von deren Bekanntheitsgrad oftmals bereits zu lange zurĂŒckliege und nicht mehr aktuell sei.
Zum Schluss kam der Referent auf die Ungewissheiten im Zusammenhang mit dem Brexit zu sprechen. Heute geniesse die Unionsmarke Schutz in der gesamten Union, und dies bedeute, dass wenn ein neuer Mitgliedsstaat hinzukomme, sich das Gebiet ausdehne und im umgekehrten Fall das Gebiet kleiner werde. Die Konsequenz, dass bei einem harten Brexit ab dem 31. Oktober 2019 die Unionsmarken in Grossbritannien keinen Schutz mehr geniessen könnten, bringe eine gewisse Rechtsunsicherheit und viele offene Fragen mit sich.
FachĂ€nwĂ€ltin fĂŒr Urheber- und Medienrecht Dr. Sabine Zentek hielt einleitend fest, der Schwerpunkt ihres Referats sei der Schnittbereich zwischen der Ă€sthetischen Formgestaltung und der ausschliesslichen technischen Bedingtheit. Die Bedeutung und Auslegung der technischen Bedingtheit schilderte die Referentin anhand des Designrechts im engeren Sinne und des Urheberrechts. In Deutschland sowie in anderen LĂ€ndern der EU streite man seit vielen Jahren darĂŒber, wie dieses Merkmal auszulegen sei.
GemĂ€ss Zentek hĂ€tten viele Gerichte (vor allem in DĂŒsseldorf) in Deutschland bis vor kurzem die Formenvielfaltstheorie vertreten. Dieser Theorie zufolge wird die ausschliessliche Bedingtheit verneint, sobald es Designalternativen gibt, welche die technische Funktion ebenfalls erfĂŒllen können. Dabei genĂŒgte es bereits, wenn der KlĂ€ger aufzeigen konnte, wie die Form anders ausgestaltet werden könnte. Als Beispiele dieser schutzfreudigen Rechtsprechung nannte die Referentin Entscheide zum Dentalmischer, zum Stacheothermopflaster sowie den Einkaufswagenchip. Bei diesen habe die Tatsache, dass die OberflĂ€che des schlichten runden Chips unterschiedlich gestaltet werden könne, ausgereicht, um einen Schutzausschluss abzulehnen.
Im Entscheid «Zentrierstifte» sei das Landgericht DĂŒsseldorf dann zum Erstaunen der Referentin erstmalig der KausalitĂ€tstheorie anstatt der Formenvielfaltstheorie gefolgt. Technische Bedingtheit liegt gemĂ€ss dieser Theorie bereits vor, wenn die betreffenden Merkmale allein auf der Notwendigkeit beruhen, eine technische Lösung zu entwickeln. Auf Vorlage des OLG DĂŒsseldorf hatte der EuGH im Fall «Zentrierstifte» zu beurteilen, ob ein Schutzausschlussgrund auch vorliege, wenn die gestalterische Wirkung keinerlei Bedeutung fĂŒr das Produktdesign habe, sondern allein die technische FunktionalitĂ€t fĂŒr das Design bestimmend sei. Der EuGH stellte sich dabei auf den Standpunkt der KausalitĂ€tstheorie und hielt fest, dass der Nachweis von Designalternativen alleine nicht ausreiche. Ein Schutzausschluss sei gegeben, wenn die FunktionalitĂ€t fĂŒr das Design bestimmend sei. Massgeblich seien alle objektiven UmstĂ€nde, aus denen die Motive fĂŒr die Wahl der Designmerkmale hervorgingen. Zentek kritisierte diesen Wandel und betonte dabei, welche rechtlichen Konsequenzen und Unsicherheiten diese neue Rechtsprechung vor allem in Bezug auf den Vertrieb von und die Werbung fĂŒr Produkte mit sich bringe.
Zentek betonte, dass es damit nun schwieriger sei, fĂŒr Produkte mit Patentschutz oder technischen Schutzrechten auch gestalterischen Schutz zu erhalten. Patentinhaber wĂŒrden nun die Gefahr laufen, dass das Design der Produkte aufgrund technischer Vorteile schutzlos bleibe. Als Beispiel hierfĂŒr nennt die Referentin den «Bratpfannen»-Entscheid.
Daraufhin befasste sich die Referentin mit der technischen Bedingtheit im deutschen Urheberrecht. Mit dem Entscheid «Geburtstagszug I» gab der BGH die frĂŒhere, hohe Anforderung des deutlichen Ăberragens der Durchschnittsgestaltung auf. Eine «kĂŒnstlerische» Leistung sei ausreichend. Die Referentin hielt jedoch fest, dass sich das Urheberrecht seither alles andere als erfreulich entwickle. Als Grund fĂŒr diese negative Entwicklung nennt Zentek das Urteil «Seilzirkus», wo das Gericht die Patentanmeldung als starkes Indiz wahrnahm, um die technische Leistung in den Vordergrund zu stellen und vom Urheberrechtsschutz abzusehen. Gefordert ist eine «kĂŒnstlerische» Leistung. Die Merkmale dĂŒrfen nicht dem Gebrauchszweck geschuldet sein.
Noch unerfreulicher sind aus Sicht der Referentin die Argumente des Landgerichts Stuttgart im Fall «Porsche». GemÀss Landgericht Stuttgart folgt aus dem Entscheid «Seilzirkus», dass der Schutzumfang bei technisch bedingten Merkmalen eng sei. Es urteilte sodann, gewisse Merkmale seien bei allen Porsche-Modellen gleich und viele dieser Merkmale technisch bedingt. Die Referentin kritisierte vor allem, dass sich der Entscheid «Seilzirkus» mit der Frage der SchutzfÀhigkeit und nicht mit dem Schutzumfang befasste. Beim Schutzumfang war nach bisheriger Rechtsprechung der Abstand zum vorbekannten Formenschatz bestimmend.
Zuletzt setzte sich die Referentin mit der Frage der technischen Bedingtheit im deutschen Wettbewerbsrecht auseinander. Es wird zwischen technisch bedingten und technisch notwendigen Merkmalen unterschieden. Nur technisch notwendige Merkmale sind vom Schutz ausgeschlossen. Im Entscheid BodendĂŒbel lehnte das OLG den Schutz u.âa. deshalb ab, weil ein Patent am «BodendĂŒbel» abgelaufen war. Das UWG könne nicht den Patentschutz verlĂ€ngern. Der BGH sah dies anders und wies die Sache zur Neubeurteilung an das OLG zurĂŒck. Der BGH hielt insbesondere fest, gewisse Merkmale seien nicht technisch notwendig. Dies wĂŒrden die Gestaltungen von Konkurrenzprodukten zeigen. Der Entscheid des BGH ist umstritten. Es wird befĂŒrchtet, dass das UWG in dieser weiten Interpretation zu einem verlĂ€ngerten Patentschutz fĂŒhren kann.
Zum Abschluss der diesjĂ€hrigen Tagung gab Luca Ghedina, Rechtsanwalt aus Turin, einen erhellenden Ăberblick ĂŒber die Besonderheiten von IP-Prozessen in Italien. ZunĂ€chst ging der Referent auf die Tatsache ein, dass die italienische Gerichtspraxis oftmals der «italienische Torpedo» genannt werde. In den letzten Jahren habe jedoch die Neuorganisation der Spezialgerichte dazu gefĂŒhrt, dass fĂŒr IP-Verfahren 22 spezialisierte Zivilkammern an Land- bzw. Oberlandesgerichten (nur 11, wenn eine Partei im Ausland ist) eine ausschliessliche ZustĂ€ndigkeit geniessen. Bemerkenswert sei auch, dass, wenn beide Parteien ihren Sitz im Ausland haben, Rom als einziges Gericht zustĂ€ndig ist. Vor den spezialisierten IP-Gerichten könne z.âB. auch Nichtigkeit eigenstĂ€ndig geltend gemacht werden, wobei im Unterschied zu frĂŒher alle eingetragenen Rechtsinhaber gemeinsam passivlegitimiert sind. Dabei sei eine weitere Besonderheit des markenrechtlichen Verfahrens in Italien, dass kein erweiterter Schutz fĂŒr bekannte Marken bestehe und nur identische, Ă€hnliche oder eingetragene Marken geltend gemacht werden können.
Als NĂ€chstes schilderte Ghedina den Ablauf eines Eilverfahrens. Dabei sei besonders erwĂ€hnenswert, dass ein einstweiliger Rechtsschutz bei Patentsachen durch Gutachten eines SachverstĂ€ndigen («Consulente Tecnico dâUfficio»; «C.T.U.») auch vor der Registrierung geltend gemacht werden könne. Besonders sei ebenfalls, dass bei den italienischen Eilverfahren dem SachverstĂ€ndigen eine Ă€usserst bedeutende Rolle zukomme. Faktisch haben die Gutachten des C.T.U zwar keine Bindungswirkung fĂŒr das Gericht, allerdings werde in der RealitĂ€t höchst selten von seinen technischen Ergebnissen abgewichen. Der Gutachter wird aus diesem Grund als Hilfsperson des Gerichts angesehen. Er hilft dem Gericht bei der AufklĂ€rung bzw. Beratung bei nicht bekannten technischen VorgĂ€ngen.
Mit einer letzten Fragerunde schloss Ritscher den fachlichen Teil der Tagung ab und lud zum Besuch der Folgeveranstaltung am gleichen Ort am 27. Januar 2020 ein.
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Fussnoten: |
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MLaw, Junior Associate, ZĂŒrich. |
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MLaw, Junior Associate, ZĂŒrich. |
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Hinweis der Redaktion: In der Zwischenzeit hat der EuGH zu dieser Frage im «Textilis»-Urteil vom 14. MĂ€rz 2019 Stellung genommen. Art. 7 Abs. 1 lit. e Ziff. iii der Verordnung Nr. 207/2009 in geĂ€nderter Fassung sei dahin auszulegen, dass er nicht fĂŒr Marken gilt, die vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung in geĂ€nderter Fassung eingetragen wurden. |