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Berichte / Rapports

Bericht über die INGRES-Winterveranstaltung vom 25. Januar 2016 in Zürich

Christoph Berchtold*

Die diesjährige Tagung des Instituts für gewerblichen Rechtsschutz (INGRES) zur Praxis des Immaterialgüterrechts in der Europäischen Union wurde von Dr. Michael Ritscher, LL.M., geleitet, während Dr. Christoph Gasser, LL.M., für die Organisation verantwortlich war. Die Tagung fand wie üblich im Hotel Zürichberg statt und bot einen bunten Strauss an Referaten zu den neuesten Entwicklungen in den wichtigen Bereichen des Immaterialgüterrechts in der Europäischen Union.

I. Patentrecht

1. Aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Patentrecht

Dr. Klaus Grabinski, Richter am Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe, eröffnete die Tagung mit einer Tour d’Horizon durch die seines Erachtens bemerkenswertesten patentrechtlichen Entscheide des Geschäftsjahres 2015.

Der erste vorgestellte Entscheid mit Akten-Nr. X ZR 110/13 («Entsperrbild») betraf ein Nichtigkeitsverfahren gegen ein Patent, welches zum Entsperren eines Smartphones (bzw. eines Tablets) eine bestimmte, als Entsperrbild vorgegebene Fingerbewegung («Wischbewegung») auf dem berührungsempfindlichen Bildschirm beinhaltete. Anders als noch das deutsche Bundespatentgericht (BPatG) bewertete der BGH die Lehre, dem Benutzer einen Entsperrvorgang optisch kenntlich zu machen, teilweise als technische Lösung eines technischen Problems.

Weil dem Gericht jedoch Unterlagen zu einem «virtuellen Schalter» vorlagen, der durch eine Wischbewegung auf einem berührungsempfindlichen Bildschirm eine Art «Schieberegler» imitiert, qualifizierte der BGH eine solche Anzeige als durch den Stand der Technik nahegelegt. Die Entscheidung bestätigt die konstante Rechtsprechung, wonach informationsbezogene Merkmale die Patentfähigkeit nur dann zu begründen vermögen, wenn sie ein technisches Problem mit technischen Mitteln lösen. Anweisungen, welche lediglich die inhaltliche Auswahl der Informationen oder deren Darstellung betreffen, jedoch nichts zur Lösung des zugrunde liegenden technischen Problems beitragen, werden bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit hingegen nicht berücksichtigt.

Im Entscheid mit Akten-Nr. X ZR 101/13 («Polymerschaum II») war die Beklagte Inhaberin eines europäischen Patents, das Polymerschaum enthaltende Erzeugnisse sowie ein Verfahren zu deren Herstellung betraf. Die Klägerin erhob Nichtigkeitsklage gegen den deutschen Teil des Patents und machte dabei geltend, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus und sei deshalb nicht patentierbar.

Der BGH bestätigte zwar die Auffassung des BPatG, wonach Anspruch 1 des Streitpatents gegenüber den Ursprungsunterlagen unzulässig erweitert worden sei, nicht aber die Begründung, mit welcher das BPatG zu diesem Ergebnis gelangt war. Gemäss dem BGH setzt auch die Prüfung der unzulässigen Erweiterung voraus, dass zunächst eine Auslegung des hierauf zu überprüfenden Patentanspruchs vorausgeht. Von dieser Aufgabe sei das Gericht auch dann nicht entbunden, wenn die Rechtsnorm unklar oder deren Auslegung schwierig sei. Es sei daher nicht möglich, von der Bestimmung des Erfindungsgegenstands mit der Begründung abzusehen, ein Merkmal sei unbestimmt und zur «Abgrenzung vom Stand der Technik» ungeeignet. Erst im Anschluss daran stelle sich die Frage, ob dieser Gegenstand gegenüber den ursprünglichen Unterlagen unzulässig erweitert worden sei.

Im Entscheid «Kreuzgestänge» (Akten-Nr. X ZR 103/13) hielt der BGH fest, dass das Verletzungsgericht nicht zwingend an eine Patentauslegung gebunden ist, welche in einem (vorangehenden) Nichtigkeitsverfahren erfolgte. Den Parteien steht es im Verletzungsverfahren somit offen, das Verletzungsgericht von einer alternativen Auslegung des Streitpatents zu überzeugen. Im zu entscheidenden Fall habe jedoch gar kein Widerspruch bestanden, weil es für die Entscheidung des Verletzungsverfahrens auf die Auslegung anderer Merkmale des Patentanspruchs angekommen sei als im vorangegangenen Nichtigkeitsverfahren. Bei seiner Auslegung habe das Berufungsgericht jedoch nicht hinreichend berücksichtigt, dass die im Patentanspruch verwendeten Begriffe im Zweifel so zu verstehen seien, dass sämtliche Beispiele der Patentschrift zu ihrer Ausfüllung herangezogen werden können und dies nur – ausnahmsweise – dann anders sei, wenn und soweit ein unauflösbarer Widerspruch zwischen der Lehre des Patentanspruchs und der Beschreibung und den Zeichnungen bestehe.

In Akten-Nr. X ZR 81/13 («Kochgefäss») hob der BGH ein auf äquivalente Verletzung erkennendes Urteil des OLG München auf. Gemäss dem BGH dürfe bei der Prüfung einer äquivalenten Verletzung nicht zwischen erfindungswesentlichen und – wie das OLG München ausführte – zusätzlichen, aber für den erfinderischen Zweck bedeutungslosen, Wirkungen unterschieden werden. Vielmehr sei eine Gleichwirkung im Rahmen der Äquivalenzprüfung nur dann anzunehmen, wenn sämtliche erfindungsgemässen Wirkungen erzielt werden, gleich ob erfindungswesentlich oder nicht. Das Berufungsgericht werde daher in einer erneuten Prüfung zusätzlich zu erwägen haben, ob bei den angegriffenen Ausführungsformen die erfindungsgemäss durch einen kapselförmigen Boden zu erzielende höhere Beständigkeit gegen Oxidation, Korrosion und Zerkratzen auch bei nicht vollständig eingekapseltem Boden in einem praktisch noch erheblichen Masse erreicht wird.

Zum Abschluss seines Referats thematisierte Grabinski schliesslich noch die anhaltenden Diskussionen, ob in Deutschland de lege ferenda eine Doppelpatentierung (vgl. Art. 139 Abs. 3 EPÜ) erlaubt sein soll, wie dies derzeit beispielsweise in Dänemark oder Schweden der Fall ist. Eine solche Möglichkeit wäre insbesondere für den Patentinhaber von Vorteil. Sollte das einheitliche Patentgericht nämlich sein Patent zu Unrecht für nichtig erklären, so würde der Patentinhaber ohne weiteres Zutun (noch) über ein gültiges nationales Patent und somit stets über einen «Plan B» verfügen. Die Nachteile der Möglichkeit einer Doppelpatentierung liegen nach Auffassung des Referenten in einem erhöhten Risiko von widersprüchlichen Entscheiden sowie in einer generellen Erschwerung für andere Marktkonkurrenten, gegnerische Patente aus dem Weg zu räumen. Der Referent steht deshalb der Möglichkeit einer Doppelpatentierung eher skeptisch gegenüber.

2. Neues aus den Beschwerdekammern des EPA

Dr. Ursula Kinkeldey, ehemalige Vorsitzende einer technischen Beschwerdekammer (Biotech) und früheres Mitglied der grossen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes (EPA) in München, widmete den ersten Teil ihres Referats den anhaltenden Personalproblemen am EPA.

Am Ursprung der Probleme steht die Zwischenentscheidung R 19/12, im Rahmen deren sich die grosse Beschwerdekammer («GBK») mit einem Antrag auf Ersetzen des Vorsitzenden der GBK aufgrund Befangenheit zu befassen hatte. Die GBK erwog einerseits, dass sich der Vizepräsident aufgrund seiner dualen Funktion durchaus mit widersprechenden Anforderungen konfrontiert sehen könne. Dem Verwaltungsrat sei bereits im Jahr 2004 eine Revision des EPÜ zwecks Umsetzung der organisatorischen Verselbständigung der Beschwerdekammern des EPA vorgeschlagen worden. Diese hätte dem Gerichtspräsidenten eine vom Amt (und dessen Präsidenten) unabhängige Stellung ermöglicht, gestützt darauf entschied die GBK, die Beschwerde gutzuheissen und den Vorsitzenden durch ein anderes Mitglied zu ersetzen.

Im Anschluss an diese Entscheidung wurden zwei weitere Verfahren entschieden, die ebenfalls Befangenheitsanträge gegen den Vorsitzenden der GBK zum Gegenstand hatten (Entscheide R 8/13 und R 2/14). Ungeachtet der Tatsache, dass beide Entscheide nicht dem Gedanken der Entscheidung R 19/12 gefolgt sind, habe R 19/12 für einige «Nachwehen» gesorgt. So unterlasse es der Präsident des EPA seither, neue Vorschläge für Kandidaten zu unterbreiten. Als Folge davon waren per 1. Januar 20167 Kammern ohne Vorsitz und14Stellen für technisch vorgebildete Mitglieder sowie 7 Stellen für juristisch vorgebildete Mitglieder vakant. Zudem verfüge eine Elektrotechnikkammer über keinen Stellvertreter für den Vorsitz und nur noch über zwei technisch vorgebildete Mitglieder. Auch die Entlassung zweier Mitglieder der Hausgewerkschaft SUEPO («Staff Union of the European Patent Office») Mitte Januar 2016 lasse nach der Referentin nicht darauf hoffen, dass sich die Situation zwischen den Mitarbeitern und der Führung am EPA in absehbarer Zeit normalisieren wird.

Im Weiteren befasste sich die Referentin mit der Problematik der toxischen Prioritäten und nahm dabei insbesondere auf das pendente Vorlageverfahren G 1/15 Bezug, welches vor der GBK anhängig ist. Die mündliche Verhandlung fand schon Anfang Juni dieses Jahres statt, weshalb das Urteil der GBK bereits nächsten November erwartet werden darf (vgl. zur Thematik die beiden Artikel von Tobias Bremi, sic! 2015, 503 ff. sowie 569).

3. Übersicht zu den letzten Entwicklungen im europäischen Patentsystem

Dr. Stefan Luginbühl, Jurist in der Direktion für Internationale Rechtsangelegenheiten des EPA, eröffnete seinen Vortrag mit dem Hinweis, dass Finnland am 19. Januar 2016 als neunter Staat die Ratifikationsurkunde betreffend das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht («EPGÜ») hinterlegt hat. Anfang Juli diesen Jahres hat zudem Bulgarien ratifiziert, womit aktuell lediglich noch die Ratifizierung dreier Staaten (notabene einschliesslich Deutschlands und das Vereinigte Königreich) fehlt, damit das EPGÜ in Kraft tritt. Mit dem Inkrafttreten des EPGÜ werden die Verordnung über das Einheitspatent («EPV») und die Verordnung über die Übersetzungsregelungen zum Einheitspatent («EPVÜ») vollständig anwendbar. Damit können ab diesem Zeitpunkt Einheitspatente beim EPA beantragt werden. Mit Bezug auf die Jahresgebühren des Einheitspatents, welche direkt an das EPA zu zahlen sein werden, sei im Dezember 2015 die Entscheidung zugunsten des sogenannten «True TOP 4»-Ansatzes gefallen. Die zu entrichtenden Jahresgebühren entsprechen dabei der Summe der Jahresgebühren der im Zeitpunkt des Beschlusses zur Verstärkten Zusammenarbeit vier meist benannten und an der Verstärkten Zusammenarbeit teilnehmenden Staaten (d.h. Deutschland, Frankreich, die Niederlande sowie das Vereinigte Königreich).

Uneinigkeit herrsche hingegen noch in Bezug auf die Gerichtsgebühren vor dem Einheitlichen Patentgericht sowie die von der unterliegenden Partei zu entrichtende Prozessentschädigung. Gemäss Umfragen, welche im Jahr 2015 durchgeführt worden sind, würden insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen die Auffassung vertreten, dass die diskutierten Ansätze zu hoch sind. Des Weiteren erwähnte Luginbühl, dass Regel 82 der Ausführungsordnung zum Europäischen Patentübereinkommen («AO EPÜ 2000») dahin gehend ergänzt worden sei, dass in der mündlichen Verhandlung im Rahmen eines Einspruchsverfahrens neu Entscheidungen zu handschriftlichen Änderungen gefällt werden können, welche der Regel 49 (8) AO EPÜ 2000 widersprechen. Unterlagen, die die formalen Erfordernisse der vorgenannten Regel erfüllen, können innert dreier Monate nachgereicht werden.

4. Aktuelle Aspekte zum EPGÜ und zum Einheitspatent – Agieren statt reagieren

Konstantin Schallmoser, LL.M., Rechtsanwalt bei Preu Bohlig & Partner in München, gab zu Beginn seines Referats zu bedenken, dass europäische Patente automatisch unter das neue Gerichtssystem des einheitlichen Patentgerichts fallen werden, weshalb ein blosses Zuwarten bis zur Einführung des neuen Patentsystems keine gangbare Lösung darstellen könne.

Für ein sogenanntes Opting-Out (vgl. Art. 83 Abs. 3 des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht [EPGÜ]) sprechen aus Sicht des Referenten der Umstand, dass ein Gericht nicht sämtliche nationalen Teile eines Patents mit einem einzigen Urteil vernichten kann, die grössere Vertrautheit mit den nationalen Gerichtssystemen sowie die – zumindest in Deutschland – niedrigeren Verfahrenskosten, die im Rahmen der Durchsetzung einzelner nationaler Teile eines EP anfallen.

Sobald Dritte im Anschluss an ein Opting-Out ein nationales Verfahren gegen ein solches Patent einleiten, ist eine Rückkehr in das System des einheitlichen Patentgerichts nicht mehr möglich. Weitere Nachteile eines Opting-Out liegen gemäss Schallmoser im Umstand, dass höhere Kosten entstehen, wenn vor mehreren nationalen Gerichten geklagt werden muss, in den zu erwartenden Kosten für das Opting-Out (voraussichtlich EUR 80.00 pro Patent), sowie in der unsicheren Wirksamkeit eines von bloss einem Mitinhaber ausgesprochenen Opting-Out bei mehreren Patentinhabern.

Zusammenfassend gelangt Schallmoser zum Schluss, dass bei «starken» Patenten, d.h. bei Patenten, die ein Nichtigkeitsverfahren mit grosser Wahrscheinlichkeit unversehrt überstehen würden, die Vorteile des Systems des einheitlichen Patentgerichts überwiegen. Bei «schwachen Patenten» empfiehlt der Referent hingegen, von der Möglichkeit eines Opting-Out Gebrauch zu machen.

5. Das Deutsche Gebrauchsmuster – Zum Gebrauch empfohlen

Der letzte Beitrag des patentrechtlichen Teils der Tagung übernahm Dr. Dirk Szynka, deutscher und europäischer Patentanwalt sowie Partner der Münchner Kanzlei König Szynka Tilmann von Renesse. Thema seines Referats war das deutsche Gebrauchsmuster. Dabei handelt es sich um ein weitgehend dem Patent nachempfundenes, jedoch ungeprüftes, gewerbliches Schutzrecht.

Gemäss Szynka ist die Ansicht, wonach die Anforderungen an die Erfindungshöhe eines deutschen Gebrauchsmusters geringer seien als bei einem herkömmlichen Patent, seit dem BGH-Entscheid «Demonstrationsschrank» (Akten-Nr. X ZB 27/05) überholt. Auch in Bezug auf das Kriterium der gewerblichen Anwendbarkeit bestehen keine nennenswerten Unterschiede zum herkömmlichen (deutschen) Patent.

Unterschiede gibt es hingegen in Bezug auf das Kriterium der Neuheit. Der Gegenstand eines Gebrauchsmusters ist neu, wenn er nicht zum Stand der Technik gehört. Gemäss dem Gebrauchsmustergesetz (GebrMG) gehört alles zum Stand der Technik, was schriftlich vorbeschrieben ist oder bereits in Deutschland vorbenutzt wurde (§ 3 Abs. 1 GebrMG). Des Weiteren sieht das GebrMG – ebenfalls im Unterschied zum herkömmlichen Patent – eine sechsmonatige Neuheitsschonfrist vor (§ 3 Abs. 1 Satz 3 GebrMG). Letztlich lassen sich mit einem deutschen Gebrauchsmuster keine Verfahren und keine biotechnologischen Erfindungen schützen.

Da lediglich eine Veröffentlichung in Deutschland selbst eine neuheitsschädliche Wirkung zeitigt und auch ein aus einer Patentanmeldung abgezweigtes Gebrauchsmuster über eine Familienrecherche – zumindest bis zum Tag nach der erfolgten Eintragung des Gebrauchsmusters – nicht zuverlässig recherchiert werden kann, erachtet Szynka das deutsche Gebrauchsmuster als äusserst taugliches Instrument, um ein Produkt gegen ausländische Konkurrenten zu verteidigen. Einen Nachteil des Gebrauchsmusters ortet Szynka im Umstand, dass insbesondere die Gerichte in Düsseldorf und Mannheim äusserst zurückhaltend sind, gestützt auf ein deutsches Gebrauchsmuster Exparte-Verfügungen zu erlassen.

II. Urheberrecht

Dr. Eleonora Rosati, Professorin an der Universität von Southampton, befasste sich in ihrem Referat mit drei urheberrechtlichen Entscheiden des EuGH des vergangenen Jahres.

Im vorgestellten Vorabentscheidungsersuchen mit Akten-Nr. C-490/14 hatte sich der EuGH mit der Auslegung von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 96/9/EG über den rechtlichen Schutz von Datenbanken («Datenbanken-RL») zu befassen. Das Ersuchen wurde notwendig, weil sich dem BGH im Rahmen einer Rechtsstreitigkeit zwischen dem Freistaat Bayern und – dem auf Ausflugskarten spezialisierten – Verlag Esterbauer die Frage stellte, ob es sich bei geografischen Daten, die aus einer topografischen Landkarte herausgelöst werden, um spezielle Rad- oder Wanderkarten zu erstellen, bereits um eine Datenbank im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Datenbanken-RL handle.

Der EuGH entscheid, dass der Datenbankbegriff weit auszulegen sei und die Herauslösung eines Datensatzes aus einer Sammlung nicht automatisch dazu führe, dass der Datensatz kein unabhängiges Element im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Datenbanken-RL mehr darstellen könne. Gemäss Rosati sei nunmehr praktisch jede Sammlung als Datenbank im Sinne der Datenbank-RL zu betrachten.

Anschliessend thematisierte die Referentin vor dem Hintergrund des zu diesem Zeitpunkt noch nicht entschiedenen Vorlageverfahrens «GS Media» (Akten-Nr. C-160/15) die Unsicherheiten, welche derzeit in Europa in Bezug auf die Frage der Rechtmässigkeit von Hyperlinks bestehen. In diesem Zusammenhang erwähnt die Referentin insbesondere das im Juni 2015 von der Association Littéraire et Artistique Internationale («ALAI») publizierte Positionspapier, welches in Bezug auf die Frage, wann eine Wiedergabe als öffentlich zu betrachten sei, nach Auffassung der Referentin keine überzeugende Abgrenzungskriterien liefere.

Letztlich kam die Referentin noch auf den Entscheid «Deckmyn» (Akten-Nr. C-201/13) zu sprechen, in welchem der Brüsseler Appellationshof (Hof van beroep te Brussel) dem EuGH mehrere Fragen zum Begriff der Parodie vorlegte. Der (vereinfachte) Hintergrund des Ersuchens war ein Rechtsstreit zwischen den Erben des Autors der Comicreihe «Suske en Wiske» und dem Herausgeber eines Kalenders, in dem eine Zeichnung abgebildet war, die einer Zeichnung auf dem Deckblatt eines Hefts aus der Reihe «Suske en Wiske» ähnelte:

Der EuGH entschied, dass Art. 5 Abs. 3 lit. k der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft («Info-RL») dahingehend auszulegen sei, dass «die wesentlichen Merkmale einer Parodie darin bestehen, zum einen an ein bestehendes Werk zu erinnern, gleichzeitig aber ihm gegenüber wahrnehmbare Unterschiede aufzuweisen, und zum anderen einen Ausdruck von Humor oder eine Verspottung darzustellen.» Nicht massgebend sei gemäss Art. 5 Abs. 3 lit. k Info-RL hingegen, ob der Parodie Originalität zukomme, die Parodie das parodierte Werk selbst betreffe oder das parodierte Werk im Rahmen der Parodie angegeben werde. Gemäss Rosati habe es der EuGH bedauerlicherweise versäumt, sich zur Frage zu äussern, in wessen Optik die Parodie als Ausdruck von Humor und/oder Verspottung wahrgenommen werden müsse. Fälle, in welchen eine Parodie von sämtlichen (potenziellen) Betrachtern als Humor bzw. Verspottung wahrgenommen werden, dürften in der Praxis äusserst selten vorkommen.

III. Lauterkeitsrecht

Harald Schoen, LL.M., Mitarbeiter am Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) in Berlin, widmete sein Referat der Einbeziehung des Verbraucherschutzes in das deutsche Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb («UWG»). Während das UWG in seiner Ursprungsfassung von 1909 ausschliesslich dem Schutz von Unternehmen vor unfair handelnden Konkurrenten diente, wurden im Laufe der Zeit immer mehr Regelungen aufgenommen, deren Zweck der Schutz der Verbraucher war. Ziel des Gesetzgebers blieb es aber, ein möglichst einheitliches Lauterkeitsrecht für sämtliche Gesetzesadressaten beizubehalten.

Besondere Bedeutung für den Verbraucherschutz im UWG hatte die europäische Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken zwischen Unternehmen und Verbrauchern («UGP-RL»). Die Richtlinie ist einer der wesentlichen Rechtsakte des EU-Acquis und macht umfassende Vorgaben für die Verpflichtungen von Unternehmen gegenüber Verbrauchern. Gemäss Art. 288 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union («AEUV») dürfen die Unionsländer nicht hinter dem Schutzniveau einer Richtlinie zurückbleiben, wobei die Wahl der Form und der Mittel den innerstaatlichen Stellen überlassen wird. Dies bedeutet, dass der deutsche Gesetzgeber die UGP-RL nicht wortgleich ins nationale Recht übernehmen musste und Spielräume nutzen durfte, die die Richtlinie liess.

Die Umsetzung der UGP-RL ins deutsche Wettbewerbsrecht erfolgte durch das Erste Gesetz zur Änderung des UWG vom 22. Dezember 2008, das seit dem 30. Dezember 2008 in Kraft ist. Ziel der Umsetzung war es, die Regelungen der Richtlinie in das UWG zu integrieren, ohne das oben beschriebene Regelungskonzept eines möglichst einheitlichen Lauterkeitsrechts aufzugeben.

In der Folgezeit entstanden aber Zweifel, ob die UGP-RL vollständig und vor allem hinreichend klar umgesetzt wurde. Daher sah sich der deutsche Gesetzgeber veranlasst, im Rahmen eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des UWG noch einige weitere Optimierungen vorzunehmen. So wurde etwa versucht, eine bessere Trennung zwischen den Vorschriften zum Schutz von Verbrauchern und denjenigen zum Schutz von Unternehmen herbeizuführen. Des Weiteren wurde der Beispielkatalog in § 4 UWG aufgelöst und die Bagatellschwelle für Verstösse gegenüber Unternehmen gestrichen.

IV. Designrecht

Dr. Péter Lukácsi, Rechtsanwalt und Partner bei SBGK in Budapest, fokussierte im ersten Teil seines Referats auf verschiedene Urteile des Gerichts der Europäischen Union (EuG) zum designrechtlichen Neuheitsbegriff.

Im Entscheid «Min Liu vs. OHIM – DSN Marketing» (Akten-Nr. T-813/14) gelang es der Antragstellerin nicht, die Neuheit ihres Gemeinschaftsgeschmacksmusters zu beweisen, wobei das Problem in der Qualität der Beweismittel gründete. Das Gericht bestätigte die Auffassung des OHIM und qualifizierte die eingereichten AutoCAD-Dateien als nicht beweiskräftig, da es einerseits für einen durchschnittlichen Anwender ein leichtes sei, das Erstellungsdatum einer solchen Datei zu modifizieren, und eine Datei zudem in der rekordverdächtigen Zeit von 18 Minuten erstellt worden sei. In der Folge liess der EuG auch das zu den Akten gereichte Affidavit, welches die Aussage einer mit der Antragstellerin verbundenen Person enthielt, nicht genügen.

Im zweiten Teil seines Referats befasste sich Lukácsi mit der sogenannten «Multipiclity-of-forms»-Theorie. Gemäss dieser Theorie ist ein Design als schutzwürdig zu erachten, sofern sich beweisen lässt, dass dieselbe technische Funktion auch durch eine andere Form erreicht werden kann. Nachdem sich die dritte Beschwerdekammer des Harmonisierungsamtes für den Binnenmarkt (HABM) mit Urteil vom 22. November 2009 (Akten-Nr. R 690/2007-3 «Lindner Recyclingtech GmbH vs. Franssons Verstäder AB») gegen diese Theorie ausgesprochen habe, sei erfreulicherweise die Tendenz festzustellen, wonach die alternativen Formen von der dritten Beschwerdekammer neuerdings wieder berücksichtigt werden. Der Referent verwies dabei auf die beiden im Jahr 2015 ergangenen Entscheide «Austrotherm GmbH vs. Termo Organika Sp. z.o.o.» (Akten-Nr. R 998/2013-3) sowie «Velekey Szerelvénygyártó vs. Rotovill Kft.» (Akten-Nr. R 2162/2014-3).

Gemäss Lukácsi wäre es wünschenswert, dass in Bezug auf alternative Formen sowohl für Designs als auch für Marken ein einheitlicher Test angewendet würde.

V. Markenrecht

1. Reform des Gemeinschaftsmarkenrechts

Christoph Bartos, Mitglied einer Beschwerdekammer beim HABM in Alicante, befasste sich im ersten Teil seines Vortrages mit der Revision des Gemeinschaftsmarkenrechts durch die Änderungsverordnung (EU) 2015/2424 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Gemeinschaftsmarkenverordnung, welche am 23. März 2016 in Kraft getreten ist. Der Referent geht nicht davon aus, dass diese Reform zu grösseren Problemen führen wird.

Die Reform enthält einerseits einige institutionelle Änderungen. So trägt das Amt neu die Bezeichnung Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) und die Gemeinschaftsmarke wird als Unionsmarke bezeichnet. Des Weiteren sind die nationalen Ämter nicht mehr berechtigt, Anmeldungen von Unionsmarken entgegenzunehmen.

In technischer Hinsicht erwähnte Bartos vor allem die neu vorgesehene Möglichkeit der Abgabe einer Erklärung gemäss Art. 28 Abs. 8 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke («GMV»), mit welchem die Praxis für Marken, welche nach dem Urteil C-307/2014 («IP-Translator») angemeldet worden sind, auf sämtliche Marken ausgedehnt wurde. Innerhalb eines Übergangszeitraums von sechs Monaten ab Inkrafttreten der Änderungsverordnung dürfen auch Inhaber von vor dem 22. Juni 2012 angemeldeten Unionsmarken, die in Bezug auf die gesamte Überschrift einer Nizza-Klasse eingetragen wurden, erklären, dass es am Anmeldetag ihre Absicht war, Schutz für Waren oder Dienstleistungen zu beantragen, die über diejenigen hinausgehen, die von der wörtlichen Bedeutung der Überschrift der betreffenden Klasse erfasst sind. Nach Ablauf des Übergangszeitraums werden sämtliche Marken, die Klassenüberschriften enthalten, ungeachtet ihres Anmeldedatums gemäss der wörtlichen Bedeutung ihres Waren- und Dienstleistungsverzeichnisses interpretiert.

Zu Diskussionen führte der Umstand, dass im Rahmen der Revision darauf verzichtet wurde, Art. 7 Abs. 1 lit. e GMV zu löschen. Die Vorschrift sah bis zur Revision vor, dass «Zeichen, welche ausschliesslich aus der Form, die der Ware einen wesentlichen Wert verleiht [bestehen]», von der Eintragung ausgeschlossen sind. Neu ist vorgesehen, dass nicht nur die Form, sondern auch andere «charakteristische Merkmale», welche der Ware einen wesentlichen Wert verleihen, nicht schutzfähig sind.

2. Aktuelle Rechtsprechung zum Markenrecht

Im Rahmen der traditionellen Übersicht durch die Rechtsprechung der EUIPO des vergangenen Jahres hat vor allem der Entscheid «Hispano Suiza» der zweiten Beschwerdekammer der EUIPO mit Akten-Nr. R 879/2013-2 Anlass zu Diskussionen gegeben.

Beim Zeichen Hispano Suiza handelte es sich um zwei Wort-/Bildmarken des gleichnamigen, ehemaligen Automobilherstellers aus Spanien. Die Marken wurden ausschliesslich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für Fahrzeuge verwendet. Ungeachtet der seit Längerem eingestellten Fahrzeugproduktion blieben die beiden Wort-/Bildmarken im französischen Markenregister bestehen und werden heute noch für Waren in den Nizza-Klassen 7 und 9 benutzt. Per Ende 2008 meldeten zwei Privatpersonen eine Unionsmarke «Hispano Suiza» mit Schutz für Fahrzeuge (Kl. 12), Schmuck (Kl. 14) und Bekleidung (Kl. 25) an.

Die zweite Beschwerdekammer hiess die anschliessende Löschungsklage der Inhaberin der beiden älteren «Hispano Suiza»-Registrierungen gut, da sie es als erwiesen erachtete, dass die jüngere Markenanmeldung bösgläubig im Sinne von Artikel 52 Abs. 1 lit. b GMV erfolgt ist. Die Beschwerdekammer begründete ihren Entscheid damit, dass den Anmeldern des jüngeren Zeichens die beiden älteren Registrierungen bekannt gewesen sind und die Anmeldung des jüngeren Zeichens erst erfolgt ist, nachdem die Anmelder versucht haben, eine einvernehmliche Lösung mit den Inhabern der älteren Zeichen zu finden.

Nach Auffassung mehrerer Tagungsteilnehmer geht dieser Entscheid sehr weit und bedeutet im Ergebnis, dass das Erfordernis der tatsächlichen Markenbenutzung für Inhaber historischer Marken, die von einer erhöhten Bekanntheit in der Vergangenheit profitieren, praktisch abgeschafft wird.

3. Design und Marke bei Ersatz- und Zubehörteilen

Zum Abschluss der Tagung berichtete Marianne Grabrucker, ehemalige Vorsitzende Richterin am deutschen Bundespatentgericht, vom unbefriedigenden Status quo im Zusammenhang mit der Regelung von Ersatz- und Zubehörteilen im europäischen Designrecht.

Gemäss der Richtlinie 98/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1998 über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen («Design-RL») sind diejenigen Ersatzteile vom Designschutz ausgenommen, die in ihren Abmessungen und Verbindungsteilen zwangsläufig so nachgebildet werden müssen, damit sie sich in ein Gesamtprodukt einfügen (sog. «Must-fit»-Teile). Allerdings konnte man sich bereits damals zwischen den Unionsländern nicht einigen, ob sichtbare, karosserieintegrierte Ersatzteile (sogenannte «Mustmatch»-Teile, wie z.B. Motorhaube, Kotflügel und Scheinwerfer) ebenfalls vom Designschutz ausgeschlossen sein sollen, weshalb diese Frage einstweilen offengelassen wurde.

Dies hatte zur Folge, dass die Design-RL von den EU-Mitgliedstaaten höchst unterschiedlich in nationales Recht umgesetzt wurde. So kennen etwa die die beiden grössten Autoindustrie-Nationen Deutschland und Frankreich keine Reparaturklausel, wohingegen beispielsweise in Italien, im Vereinigten Königreich, in Spanien sowie im europäischen Gemeinschaftsgeschmacksmuster eine Reparaturklausel gesetzlich vorgesehen ist. Auch wenn die Bestrebungen, die Ausnahmebestimmungen für Ersatz- und Zubehörteile im europäischen Designrecht zu harmonisieren, aufgrund von Widerstand mehrerer EU-Mitgliedstaaten ins Stocken geraten sind, erachtet es Grabucker als unerlässlich, dass möglichst bald eine Reform der Designrichtlinie stattfindet und europaweit harmonisierte Ausnahmebestimmungen eingeführt werden.

Fussnoten:
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MLaw, Rechtsanwalt, Zürich.