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Berichte / Rapports

Bericht über die INGRES-Tagung vom 2. Dezember 2015

Esther Baumgartner* | Stephanie Pontes**

Die diesjährige Veranstaltung des Instituts für gewerblichen Rechtsschutz (INGRES) zu immaterialgüterrechtsspezifischen Themen des Prozessrechts widmete sich den vorsorglichen Massnahmen. Dazu trafen sich Vertreter aus Wissenschaft und Praxis, insbesondere auch Angehörige verschiedener schweizerischer Gerichte, im grossen Verhandlungssaal des BVGer in St. Gallen. Die Leitung der Tagung übernahm Dr. Michael Ritscher, während die organisatorische Verantwortung Dr. Christoph Gasser zukam.

Einleitend wies Ritscher auf die schier unendliche Breite des Themas der vorsorglichen Massnahmen hin und fügte an, dass an der Tagung das Hauptaugenmerk auf den vorsorglichen Verboten liegen werde. Angesichts des in der Schweiz fehlenden normativen Schadenbegriffs und des Vorherrschens der Differenztheorie stellt sich die Ausgangslage für Unternehmen beim Vertrieb von Produkten, welche ihre Immaterialgüterrechte verletzen, oft als schwierig dar, weil sehr schnell die Entstehung eines erheblichen Schadens droht. Um rasch Abhilfe zu schaffen, steht insbesondere der Erlass eines Entscheids im Summarverfahren zur Verfügung. Durch eine vorsorgliche Beurteilung der Rechtslage kann oft der Rechtsfrieden wiederhergestellt werden.

I. Besonderheiten des vorsorglichen Rechtsschutzes im Immaterialgüterrecht

PD Dr. Mark Schweizer, LL.M., Rechtsanwalt in Zürich, referierte über die Besonderheiten des vorsorglichen Rechtsschutzes im Immaterialgüterrecht. Er machte darauf aufmerksam, dass im Bereich des geistigen Eigentums ein verkürzter Instanzenzug zur Anwendung kommt, da nur eine einzige kantonale Instanz, respektive die exklusive Zuständigkeit des BPatGer vorgesehen ist. Aufgrund der Bindung des BGer an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz bestehe in diesen Fällen sogar nur eine einzige Tatsacheninstanz. In der ZPO sei demgegenüber eine umfassende Kognition der kantonalen Berufungsinstanz auch bei Berufung gegen Massnahmeurteile vorgesehen.

Weiter ging der Referent auf Parteigutachten ein und verwies in diesem Zusammenhang auf BGE 141 III 433, in dem die Beweisqualität von Parteigutachten sowohl als Gutachten als auch als Urkunden verneint wurde. Das BGer erachtet jedoch Parteibehauptungen, denen ein Privatgutachten zugrunde liegt, meist als besonders substanziiert. Entsprechend genügt eine pauschale Bestreitung nicht und die Gegenpartei ist gehalten zu substanziieren, welche einzelnen Tatsachen sie konkret bestreitet. Aufgrund dieser Feststellungen des Gerichts folgerte Schweizer, bei Vorliegen eines Privatgutachtens werde die Gegenpartei ihre Bestreitungen meist durch ein Gegengutachten stützen müssen, damit sie dem Substantiierungsgrad genügt. Gemäss dem erwähnten Entscheid des BGer richten sich die Bestreitung sowie die Anforderungen an die Substanziierung nach ihrem Zweck. Der Referent schlägt vor, dass im Massnahmeverfahren, welches ein rasches Verfahren sein sollte, zu den Zwecken der Substanziierung auch die Plausibilitätsprüfung gehören sollte, weshalb Bestreitungen zu begründen sind, ansonsten plausible Behauptungen der gesuchstellenden Partei als unbestritten zu betrachten seien. Dies würde insbesondere erlauben, auf die Einholung eines Gerichtsgutachtens zu verzichten.

Im nächsten Teil seines Referats ging Schweizer auf den nicht wiedergutzumachenden Nachteil als Voraussetzung für die Anordnung einer vorsorglichen Massnahme ein. Der Referierende verwies bezüglich des Weiterzugs von Entscheiden betreffend vorsorglicher Massnahmen ans BGer auf Art. 93 BGG, wonach gegen selbständig eröffnete Zwischenentscheide die Beschwerde zulässig ist, wenn sie einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken können. Die genannte Voraus|setzung analysierte der Referent anhand der Entwicklungen in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung.

Nach der publizierten Rechtsprechung wurde bis anhin bei Zwischenentscheiden, mit denen vorsorgliche Massnahmen erlassen bzw. verweigert wurden, ein nicht wiedergutzumachender Nachteil regelmässig bejaht. Im «Nespresso»-Entscheid (BGE 137 III 324, sic! 2011, 589 ff.) hielt das BGer erstmals fest, es sei notwendig, dass der Ersuchende, dessen verlangte Massnahme abgewiesen wurde, in der Beschwerdebegründung aufzeigt, inwiefern ihm im konkreten Fall ein nicht wiedergutzumachender Nachteil rechtlicher Natur droht. Dies wurde im Entscheid «Negative Bewertung» (4A_460/2011, sic! 2012, 480 ff.) bestätigt. Bei einer Massnahme in Form eines Verkaufsverbots wurde jeweils ein nicht wiedergutzumachender Nachteil angenommen, wenn die Massnahme gewährt wurde («Nespresso II», 4A_36/2012, sic! 2012, 627 ff.; «Nespresso III», BGE 139 III 86, sic! 2013, 310 ff.; «Antibabypille», 4A_160/2013, sic! 2014, 29 ff.). Schliesslich führte Schweizer den Entscheid «Bergsteigen im Flachland» (4A_585/2014, sic! 2015, 175 ff.) an, in welchem das BGer trotz Verhängung eines Vertriebsverbots durch das OGer Zürich keinen wiedergutzumachenden Nachteil annahm mit der Begründung, es sei «nicht aussichtslos», dass der Gesuchsgegner eine Schadenersatzforderung gegen den (im finnischen Teil Lapplands lebenden) Gesuchsteller beweisen und durchsetzen könne.

Aufgrund der immer restriktiveren Praxis des BGer sowie der Tatsache, dass Entscheide über vorsorgliche Massnahmen i.S.v. Art. 98 BGG ohnehin nur wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden können, sieht der Referent eine Gefahr, dass erstinstanzliche Entscheide über vorsorglichen Rechtsschutz praktisch nicht mehr angefochten werden können. Man könnte darin allenfalls sogar eine Verletzung zumindest der allgemeinen Prinzipien von Art. 13 EMRK über das Recht auf eine wirksame Beschwerde sehen.

II. Vorsorglicher Rechtsschutz am BPatGer

Dr. sc. nat. Tobias Bremi, zweiter hauptamtlicher Richter am BPatGer, beleuchtete in seinem Referat speziell das Massnahmeverfahren vor dem BPatGer. Ausgangslage bilden dabei insbesondere die Richtlinien zum Verfahren vor dem BPatGer. Während das ordentliche Verfahren standardisiert und relativ klar definiert ist, finden sich in den Richtlinien jedoch keine Bestimmungen zu den vorsorglichen Massnahmen. Entsprechend fällt auch die Praxis des BPatGer im Bereich des vorsorglichen Rechtsschutzes heterogen aus. Dies veranschaulichte der Referent mittels einiger Beispiele.

Im Fall bezüglich des Wirkstoffs Drospirenon (S2013_001; «Antibabypille», 4A_160/2013, sic! 2014, 29 ff.) dauerte das Massnahmeverfahren vor dem BPatGer trotz der hochgradigen technischen Komplexität weniger als drei Monate, da kein zweiter Schriftenwechsel angeordnet wurde und stattdessen direkt die Verhandlung inklusive mündlichem Fachrichterforum stattfand. Der Entscheid «Kaltmilchschäumer» (S2014_006, sic! 2015, 177 ff.) wurde in einem ausschliesslich schriftlichen Verfahren mit doppeltem Schriftenwechsel erledigt und dauerte mehr als 4 Monate. Es fand weder eine Verhandlung statt noch wurde ein Fachrichtervotum abgegeben. Im Prozess bezüglich Dunstabzugshauben (S2013_ 006) wurde sodann ein einfacher Schriftenwechsel mit Stellungnahme beider Parteien durchgeführt, worauf das Gericht innerhalb dreier Monate seit Einreichung des Massnahmengesuchs ohne Verhandlung und ohne Fachrichtervotum urteilte. Im Fall bezüglich des Wirkstoffs Esomeprazol (S2013_004) fanden demgegenüber zwei volle Schriftenwechsel statt. Nach mehreren weiteren Stellungnahmen der Parteien wurde das Urteil dann nach einer Dauer von ca. einem Jahr gefällt.

Im Folgenden ging Bremi ausführlich auf das Verfahren «Dentaler Retentionsschutz» (S2015_001, sic! 2015, 596 ff.) ein, in welchem auf Grundlage eines Patents superprovisorische Massnahmen beantragt wurden. Innerhalb von 14 Tagen urteilte das Gericht in Dreierbesetzung mit zwei technischen Richtern über das Massnahmebegehren. Das Gericht führte bezüglich der Anforderungen zum Erlass superprovisorischer Massnahmen aus: «Wird eine Massnahme im Sinne von Art. 265 ZPO superprovisorisch beantragt, so ist das Gericht gehalten, mit Vorsicht vorzugehen, um wenn immer möglich zu vermeiden, eine Massnahme zu erlassen, die das Gericht, hätte es vor dem Erlass der Massnahme die Gegenseite angehört, nicht erlassen hätte». Der Referent führte aus, dass das Gericht in einer solchen Situation in gewissem Umfang von Amtes wegen mögliche Gegenargumente der Beklagten antizipieren und auf ihre Stichhaltigkeit hin überprüfen müsse.

Im besagten Fall waren die superprovisorischen Massnahmen auf der Grundlage eines schweizerischen Patents beantragt worden, welches aus einer internationalen Anmeldung hervorgegangen war. Für die Erteilung in der Schweiz erfolgt keine Prüfung auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit. Gemäss den Erwägungen des Gerichts darf bei der Beurteilung des superprovisorischen Massnahmebegehrens nicht einfach von der Rechtsbeständigkeit des Patents ausgegangen werden. Vielmehr sind weitere Nachweise wie beispielsweise ein amtlicher Recherchebericht oder ein vorläufiger internationaler Prüfbericht mit Hinweis auf die Patentfähigkeit erforderlich. Konkret lag ein vorläufiger internationaler Prüfbericht |vor, welcher sich jedoch negativ zur Patentfähigkeit äusserte. Das Gericht kam deshalb zum Ergebnis, der Gesuchsteller müsse in einem solchen Fall glaubhaft machen, dass dennoch Neuheit und erfinderische Tätigkeit vorliegen.

Zusammenfassend hielt Bremi fest, dass im Verfahren um vorsorgliche Massnahmen sehr unterschiedliche Handhabungen herrschen. So können die Verfahren zwischen zwei Monaten und einem Jahr dauern und sie können grundsätzlich mit oder ohne zweiten Schriftenwechsel sowie mit oder ohne Verhandlung durchgeführt werden.

Bezüglich der rechtlichen Grundlagen legte der Referent dar, dass die Basis der vorsorglichen Massnahmen das ordentliche Verfahren darstellt. Demnach richten sich sämtliche Regeln nach Art. 219 ff. ZPO, soweit sie nicht spezifisch für den vorsorglichen Rechtsschutz geregelt sind. Ein zweiter Schriftenwechsel sowie die Instruktionsverhandlung sind somit entsprechend Art. 225 ZPO und Art. 226 ZPO optional. Zwingend sind gemäss den Vorschriften zum summarischen Verfahren, welches für die vorsorglichen Massnahmen gemäss Art. 248 lit. d ZPO Anwendung findet, einzig ein einleitendes Gesuch (Art. 252 ZPO) und der Entscheid (Art. 256 ZPO). Die Verhandlung und eine Massnahmeantwort sind hingegen wiederum optional. Die Vorschriften bezüglich vorsorglicher Massnahmen in Art. 261 ff. ZPO fügen den genannten Bestimmungen nichts hinzu. Bremi kam insgesamt zum Schluss, dass die gesetzlichen Normen der ZPO der Verfahrensleitung im Massnahmeverfahren einen grossen Spielraum zugestehen. In diesem Zusammenhang frage sich, ob eine homogenere Praxis anzustreben oder ob dieser Freiraum für das Gericht und die Parteien gerade von Vorteil sei. Der Referent gab zu Bedenken, ein gewisser Spielraum sei für die Gerichte notwendig. Jedoch sollten dabei nicht nur die Extreme genutzt werden. Weiter sei eine Verhandlung immer dann angezeigt, wenn das Gericht eine solche für notwendig erachtet oder sie von beiden Parteien verlangt wird. Ein Antrag einer Partei alleine genüge jedoch nicht.

III. Der nicht leicht wiedergutzumachende Nachteil rechtlicher Natur

Bundesrichterin Dr. Kathrin Klett nannte einleitend die in Art. 261 ZPO festgelegten Voraussetzungen für die Anordnung vorsorglicher Massnahmen, nämlich die Glaubhaftmachung, dass (a) die Verletzung eines Anspruchs mindestens zu befürchten ist und (b) der Gesuch stellenden Partei aus der Verletzung «ein nicht leicht wieder gut zu machender Nachteil droht». Die Referentin stellte sodann eine Ungenauigkeit in ihrem Referatstitel fest. So würden vorsorgliche Massnahmen in aller Regel nicht in einem eigenständigen Verfahren ergehen und dementsprechend auch nicht mit einem Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG abschliessen. Gegen selbständig eröffnete Zwischenentscheide könne Beschwerde beim BGer aber nur dann erhoben werden, wenn der Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG einen «nicht wieder gut zu machenden Nachteil» bewirkt. In ihrem Referat zu erläutern sei demnach die Praxis des BGer zum «nicht wieder gut zu machenden Nachteil rechtlicher Natur» im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG, welcher es dem BGer erlaubt, auf die Beschwerde gegen einen Zwischenentscheid einzutreten.

Der erforderliche Nachteil für die Beschwerde gegen selbständige Zwischenentscheide ist mit den Nachteilen gleichzusetzen, welche unabhängig vom Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache bestehen bleiben. Praktisch wichtig ist deshalb, welche Nachteile der Beschwerde führenden Partei auch dann verbleiben, wenn sie im Hauptverfahren vollständig obsiegt. Diese Nachteile, welche drohen müssen, damit Beschwerden gegen Entscheide über vorsorgliche Massnahmen für die Dauer des Hauptverfahrens überhaupt zulässig sind, werden vom BGer eigenständig und enger definiert als die Nachteile nach Art. 261 ZPO.

Unter dem alten OG war die staatsrechtliche Beschwerde gegen selbständig eröffnete Vor- oder Zwischenentscheide wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte in der Regel nur zulässig, wenn sie einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken konnten (Art. 87 Abs. 2 OG). Die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu dieser Norm verlangte einen Nachteil rechtlicher Natur. Klett wies dabei darauf hin, dass gemäss Botschaft zum BGG die diesbezügliche Praxis für das BGG übernommen werden sollte.

Als Ausgangspunkt gilt, dass ein Nachteil rechtlicher Natur nur vorliegt, wenn er sich auch mit einem späteren günstigen Endentscheid nicht oder nicht gänzlich beseitigen lässt, d.h., wenn er unabhängig vom Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache bestehen bleibt. Dabei genügt die blosse Möglichkeit eines nicht wiedergutzumachenden Nachteils rechtlicher Natur, wohingegen rein tatsächliche Nachteile (wie etwa die Verfahrensverlängerung oder -verteuerung) nicht ausreichen. Während das Hauptaugenmerk bei der diesbezüglichen Beurteilung im Rahmen der staatsrechtlichen Beschwerde unter dem OG auf der Unterscheidung zwischen rechtlichem und bloss tatsächlichem Nachteil lag, ist unter dem BGG die Frage in den Vordergrund getreten, welche Nachteile bestehen bleiben, auch wenn das Verfahren insgesamt zugunsten der betroffenen Person ausgeht. Dabei darf der betroffenen Partei auch nicht zumutbar sein, die während des Verfahrens erlittenen Nachteile erst mit dem oder im Anschluss an den Entscheid in der Hauptsache anzufechten. Klett verwies bezüglich dieser Praxis|änderung auf BGE 137 III 324 (E. 1.1), in welchem festgehalten wurde, dass im Rahmen der staatsrechtlichen Beschwerde der formell-rechtliche Nachteil genügte, da angefochtene Entscheide nicht der Verfassungskontrolle entzogen werden sollten. Unter dem BGG muss jedoch begründet werden, welche konkreten Nachteile ohne Anordnung vorsorglicher Massnahme drohen und inwiefern sie über einen allfälligen günstigen Entscheid in der Hauptsache hinauswirken sollen.

Im Folgenden ging die Referentin speziell auf den Bereich des Immaterialgüterrechts ein. In diesem geht es in der Regel bei vorsorglichen Massnahmen um Verbote, bestimmte angeblich immaterialgüterverletzende Waren zu vertreiben. Wird die vorsorgliche Massnahme verweigert, droht bis zu einem allfällig gutheissenden Endurteil eine Umsatzeinbusse aufseiten des Gesuchstellers, da die verletzende Ware in der Regel weiterhin vertrieben wird. Umgekehrt erleidet der Gesuchsgegner bei Gutheissung des vorsorglichen Verbots eine Umsatzeinbusse während des Verfahrens und muss allenfalls die Organisation verändern, auch wenn er später obsiegt.

Dabei weist Klett darauf hin, dass die erste zivilrechtliche Abteilung des BGer grundsätzlich davon ausgeht, dass ein nicht wiedergutzumachender Nachteil rechtlicher Natur fehlt, wenn Schadenersatz von der Gegenpartei verlangt werden kann. Nur ausnahmsweise wird ein nicht wiedergutzumachender Nachteil der unterliegenden Partei durch die Anordnung oder Verweigerung einer vorsorglichen Massnahme bejaht. Dies wenn anzunehmen ist, dass ein Schaden eintreten wird, der das mit einem Streitverfahren Hinzunehmende übersteigt, aber gleichzeitig vorauszusehen ist, dass dem Betroffenen der Nachweis dieses Schadens nicht möglich sein wird. So wurde in den Entscheiden «Nespresso II» (4A_36/2012, sic! 2012, 627 ff.) und darauf gestützt in «Nespresso III» (139 III 86, sic! 2013, 310 ff. E. 1.2) ein nicht wiedergutzumachender Nachteil rechtlicher Natur bejaht, als dem jeweiligen Beschwerdeführer der Eintritt in den Markt verwehrt wurde. Das BGer kam zum Schluss, dass in dieser Situation ein Schaden praktisch nicht bezifferbar oder abschätzbar wäre und damit für den erlittenen Schaden kein Ersatz erhältlich wäre. Anders verhielt es sich im Fall «Bergsteigen im Flachland» (4A_585/2014, sic! 2015, 175 ff.), bei welchem einem Autor vorsorglich verboten worden war, sein Buch zu verkaufen oder der Öffentlichkeit vorzustellen. Die Vorinstanz hatte als glaubhaft angesehen, dass der Autor ganze Textteile aus einem Werk des Gesuchstellers abgeschrieben hatte und deshalb das Verbot ausgesprochen. Das BGer trat auf die dagegen erhobene Beschwerde des Autors und seines Verlags nicht ein, mit der Begründung, eine Schadenersatzforderung gegen den Gesuchsteller wäre möglich und zumutbar, wenn der Beschwerdeführer im Hauptprozess obsiegen und sich damit die gegen ihn angeordnete vorsorgliche Massnahme als unberechtigt erweisen sollte. Der Schaden, welcher durch den mutmasslich entgangenen Gewinn aus dem Verkauf des Buches entstehen würde, liesse sich abschätzen. Bezüglich des zu befürchtenden Reputationsschadens des Beschwerdeführers bejahte das BGer zwar dessen Natur als rechtlicher Nachteil, vertrat jedoch die Ansicht, dass sich dieser durch geeignete Publikationsmassnahmen beseitigen liesse.

IV. Anspruch auf vorsorgliche Feststellung?

Danièle Wüthrich-Meyer, Richterin am HGer Bern, befasste sich in ihrem Vortrag eingehend mit der Frage, ob es im Rahmen von vorsorglichen Massnahmen möglich ist, eine vorsorgliche Feststellung zu verlangen.

Die Referierende wies zunächst darauf hin, dass neben den Bestimmungen in den immaterialgüterrechtlichen Spezialgesetzen nach Massgabe der Generalklausel in Art. 262 ZPO jede gerichtliche Anordnung Gegenstand einer vorsorglichen Massnahme sein kann, die geeignet ist, den drohenden Nachteil abzuwenden. Erfasst werden demnach insbesondere ein Verbot, die Anordnung zur Beseitigung eines rechtswidrigen Zustandes, die Anweisung an eine Registerbehörde oder an eine dritte Person, eine Sachleistung oder die Leistung einer Geldzahlung in den vom Gesetz bestimmten Fällen.

Wüthrich-Meyer stellte fest, dass im Rahmen der Feststellungsklage keine vorsorglichen Massnahmen zur Verfügung stehen und stellte die Frage, ob überhaupt ein Bedürfnis nach einer vorsorglichen Feststellung besteht. Da auch eine rein vorsorgliche Feststellung indirekt auf eine endgültige Klärung abzielen würde und diese damit über das Ziel des vorsorglichen Rechtsschutzes hinausschiessen würde, verneint sie ein solches Bedürfnis. Zudem würde bei einer Feststellungsanordnung regelmässig die Dringlichkeit fehlen.

Weiter widmete sich die Referentin dem Umfang der Rechtsüberprüfung im vorsorglichen Rechtsschutz. Wüthrich-Meyer wies darauf hin, dass das Massnahmeverfahren ein rasches Verfahren sein soll und eine Glaubhaftmachung daher genügt. Grundsätzlich muss somit der um vorsorgliche Massnahmen Ersuchende glaubhaft machen, dass seine Ansprüche oder Rechte einem Nachteil ausgesetzt sind oder sein könnten und dass es sich dabei um einen nur schwer wiedergutzumachenden Nachteil handelt. Der Richter nimmt dabei eine Plausibilitätsprüfung vor (mit Verweis auf «Nespresso III», BGE 139 III 86, sic! 2013, 310 ff.). Weiter verwies die Referierende auf die Lehre, welche davon ausgeht, dass die Rechtsfindung im Bereich der vorsorglichen Massnahmen als Folge der zeit|lich limitierten Bedingungen summarischer erfolgt als im ordentlichen Verfahren. Jedoch habe das Gericht die rechtliche Begründetheit mit aller den Umständen nach möglichen Sorgfalt vorzunehmen, damit von einer adäquaten Prüfung ausgegangen werden könne.

Nach Besprechung dreier Entscheide des HGer Bern kam Wüthrich-Meyer zum Fazit, dass vorsorgliche Massnahmen bei Unterlassungs- und Beseitigungsbegehren im Zentrum stehen. Bei Feststellungsbegehren besteht grundsätzlich kein Raum für vorsorgliche Anordnungen.

In der anschliessenden Diskussion erwähnte Ritscher den Entscheid «Hitzeschutzschild II» (4P.183/1995, sic! 1997, 414 ff.), in welchem ein Zulieferer der Automobilindustrie von einem Inhaber eines EU-Patents für einen Hitzeschutzschild wegen angeblicher Patentverletzung verwarnt wurde. In der Folge erhob der Zulieferer am HGer des Kantons St. Gallen (vor Bestehen des BPatGer) Klage auf Feststellung, dass die Herstellung und der Vertrieb seiner Schutzschilder das Patent des Patentinhabers nicht verletze. Zudem sei dem Patentinhaber zu verbieten, entsprechende Behauptungen aufzustellen. Dabei stützte sich der Zulieferer insbesondere auf Art. 3 lit. a UWGRitscher warf dabei die Frage auf, ob ein identisches Rechtsbegehren beim BPatGer erfolgreich beantragt werden könne. Aus dem Publikum gab insbesondere Schweizer zu bedenken, dass die Frage der Zuständigkeit des BPatGer in solchen Fällen fraglich sei, da dogmatisch ein UWG-Anspruch vorliege.

V. Sicherheitsleistung und «Realvollstreckung»

Der erste Teil des Beitrags von Dr. Meinrad Vetter, Vizepräsident des HGer des Kantons Aargau, handelte von der Sicherheitsleistung im Rahmen vorsorglicher Massnahmen. In Art. 264 Abs. 1 und 265 Abs. 3 ZPO regelt das Gesetz die Voraussetzungen für eine Sicherheitsleistung im Falle von vorsorglichen bzw. superprovisorischen Massnahmen. Demnach kann das Gericht die Anordnung vorsorglicher Massnahmen von der Leistung einer Sicherheit durch die gesuchstellende Partei abhängig machen, wenn ein Schaden für die Gegenpartei zu befürchten ist. Der Referent führte aus, es bestehe in Lehre und Rechtsprechung weitgehend Einigkeit, dass die Sicherheitsleistung antragsbedürftig ist. Eine Ausnahme besteht bei superprovisorisch erlassenen Massnahmen. Dort hat der Richter die ausdrückliche Kompetenz, die Sicherheitsleistung von Amtes wegen anzuordnen.

Gemäss Vetter ist bei der Berechnung der Sicherheitsleistung vom potenziellen Schaden, welcher vom Gesuchsgegner glaubhaft zu machen ist, auszugehen. Berücksichtigt werden auch die Prozesskosten des Massnahmeverfahrens. Eine Anpassung der Sicherheitsleistung an veränderte Verhältnisse ist dabei jederzeit möglich. Da es um eine Schätzung des potenziellen Schadens geht, arbeiten Literatur und Praxis mit verschiedenen Fallkategorien. Demnach ist in weniger bedeutenden Fällen eine Sicherheitsleistung zwischen CHF 10000 bis CHF 50000 und in bedeutenderen Fällen eine solche zwischen CHF 50000 bis CHF 100000 auszusprechen. Der Referent wies im Folgenden darauf hin, er habe bisher bei vorsorglichen Massnahmen im Markenrecht Sicherheitsleistungen über CHF 50000 und CHF 100000 festgesetzt.

Vetter gibt zu bedenken, dass es sich bei der Beantragung einer Sicherheitsleistung auch um ein taktisches Mittel des Gesuchsgegners handeln kann. Einerseits kann der Massnahmeentscheid erheblich hinausgezögert werden. So kann der Gesuchsteller nach der Gesuchsantwort mit entsprechendem Antrag zwecks Gewährung des rechtlichen Gehörs dazu Stellung nehmen. Weiter kann der Gesuchsgegner im Rahmen des unbedingten Replikrechts sodann erneut eine schriftliche Eingabe zur Stellungnahme des Gesuchsgegners erstatten. Andererseits kann die Massnahme auch gesamthaft abgewendet werden. Dies wenn der Gesuchsgegner finanziell schwach oder mittellos ist. Denn wird die angeordnete Sicherheit nicht geleistet, fällt die vorsorgliche Massnahme dahin bzw. wird gar nicht erst angeordnet.

Im zweiten Themenblock widmete sich Vetter der Realvollstreckung nach Art. 343 ff. ZPO speziell im Bereich der vorsorglichen Massnahmen und machte zuerst eine begriffliche Unterscheidung. Direkte Vollstreckungsmassnahmen greifen unmittelbar in die Sphäre des Unterlegenen ein. Dabei stehen Sachentscheide im Vordergrund, welche die unterlegene Partei zu einem positiven Tun veranlassen. Unterlässt sie dieses Tun, wird unmittelbarer Zwang ausgeübt. Als direkte Vollstreckungsmassnahme sieht die ZPO die Zwangsmassnahme sowie die Ersatzvornahme vor. Lautet der Entscheid auf ein Unterlassen oder Dulden, kommen die indirekten Vollstreckungsmassnahmen zum Zuge. Deren Anordnung soll die unterlegene Partei dazu bringen, sich dem gerichtlichen Sachentscheid zu beugen. Das Gericht kann hierzu eine Strafandrohung nach Art. 292 StGB oder eine Ordnungsbusse anordnen.

Der Referierende führte aus, die genannte Unterscheidung spiele insbesondere bei der Frage der Zuständigkeit eine Rolle. Im Rahmen der direkten Vollstreckung ist das Sachgericht auch für die Anordnung der konkreten Vollstreckungsmassnahmen zuständig. Deshalb findet bei der direkten Vollstreckung keine Änderung der örtlichen, sachlichen oder funktionellen Zuständigkeit zwischen dem Erkenntnisverfahren und der Anordnung der Vollstreckungsmassnahmen statt. Hingegen bestimmt sich die örtliche Zuständig|keit des Vollstreckungsgerichts bei der indirekten Vollstreckung auf Grundlage der drei Alternativen von Art. 339 ZPO. Die sachliche und funktionelle Zuständigkeit richtet sich dabei grundsätzlich nach kantonalem Recht. Dies gilt jedoch nicht für die handelsgerichtliche Zuständigkeit, welche ausschliesslich und zwingend durch die ZPO festgelegt wird. Mit Verweis auf BGE 140 III 355 vertritt Vetter die Ansicht, dass Handelsgerichte – wie bisher unter den vier kantonalen Zivilprozessordnungen – nicht für die indirekte Vollstreckung zuständig sind. Bei vorsorglichen Massnahmen können bereits mit dem (superprovisorischen) Gesuch – direkte sowie indirekte – Vollstreckungsmassnahmen beantragt werden. Das für die Anordnung vorsorglicher Massnahmen örtlich, sachlich und funktionell zuständige Gericht bleibt aber auch bei der indirekten Vollstreckung der vorsorglichen Massnahmen zuständig.

Zum Schluss setzte sich der Referent mit der Frage auseinander, wann und welche Vollstreckungsmassnahmen unter welchen Voraussetzungen anzuordnen sind. Zunächst hielt Vetter fest, dass es seines Erachtens stets eines entsprechenden Antrags bedarf, sowohl bei vorsorglichen als auch bei superprovisorischen Massnahmen. Solange die Dispositionsmaxime Anwendung findet, sei nicht ersichtlich, weshalb die Vollstreckung von Amtes wegen zu erfolgen habe. An die Formulierung des Vollstreckungsgesuchs sind die gleichen Voraussetzungen zu stellen, wie sie auch für andere Rechtsbegehren gelten. Vollstreckungsbegehren müssen deshalb so bestimmt umschrieben sein, dass sie bei Gutheissung zum Dispositiv erhoben werden können, Schliesslich wies Vetter darauf hin, dass es durchaus möglich ist, unterschiedliche Vollstreckungsmassnahmen – seien es direkte oder indirekte – miteinander zu kombinieren.

VI. Prozessmanagement in konkurrierenden Eintragungs-, Widerspruchs- und Löschungsverfahren am BVGer nach dem Inkrafttreten der Swissness-Gesetzgebung

Dr. David Aschmann, Richter am BVGer, referierte über prozessuale Fragen im Zusammenhang mit dem neuen Verwaltungsverfahren zum Löschungsantrag wegen Nichtgebrauchs nach Art. 35a– 35c revMSchG, welches am 1. Januar 2017 in Kraft treten wird. Dabei beleuchtete er zunächst das Verhältnis des Löschungsverfahrens zu den übrigen markenrechtlichen Verfahren. So wird ein Löschungsverfahren gegen eine Marke sistiert, wenn der Nichtgebrauch derselben Marke zugleich vor einem Zivilgericht hängig gemacht wird. Dagegen kann ein Widerspruchsverfahren aufgrund eines hängigen Löschungsverfahrens ausgesetzt werden, wenn im Widerspruchsverfahren die Nichtgebrauchseinrede erhoben wird. Ausserdem können mehrere Löschungsanträge sowie komplementäre Löschungs- und Widerspruchsverfahren gegen dieselbe Marke in einem Verfahren vereinigt werden.

Aschmann verglich zudem Legitimationsvoraussetzungen für die Geltendmachung des Nichtgebrauchs einer Marke im Löschungs-, Widerspruchs- und zivilrechtlichen Feststellungsverfahren. So ist unmittelbar und automatisch in seinen Inhaberinteressen betroffen, wer als Widerspruchsgegner den Nichtgebrauch der Widerspruchsmarke einwendet. Auch ein Zivilkläger muss ein minimales eigenes Interesse dartun, was bereits dann zu bejahen ist, wenn er durch die Löschung sein Zeichen freier auswählen kann. Der Löschungsantrag im Rahmen des neu einzuführenden Löschungsverfahrens jedoch bedarf keines schutzwürdigen Interesses und keines besonderen Betroffenseins.

Weiter äusserte sich der Referent zu den möglichen Auswirkungen des sogenannten Teilgebrauchs im neuen Löschungsverfahren. Dabei bieten sich verschiedene Möglichkeiten an. Unter der erweiterten Minimallösung, welche im Widerspruchsverfahren vor BVGer Anwendung findet, werden die Oberbegriffe in dem Umfang als gebraucht angesehen, als sie der Markt in nächster Zeit – aufgrund des bisherigen Gebrauchs der Marke – erwartet. Dahinter steht die Idee, dass die Bedingung des rechtserhaltenden Markengebrauchs nicht den vergangenen, sondern den künftigen Markt reguliert. Das IGE verfolgt jedoch in diesem Rahmen eine andere Interpretation, bei welcher es den Gebrauch historisch, also allein mit Blick auf den bisherigen Gebrauch abstrahiert, sodass sich ein sehr enger Anwendungsbereich und mithin ein spezifischer Begriff ergeben kann. Hierbei warf Aschmann die Frage auf, ob das IGE im Bereich der neuen Löschungsverfahren bei einem Teilgebrauch von Amtes wegen eine Einschränkung des Waren- und Dienstleistungsverzeichnisses auf einen engeren Wortlaut vornehmen soll. Gemäss bisheriger Praxis hat das IGE jedoch davon Abstand genommen, von Amtes wegen einen engeren Wortlaut der Registrierung zu wählen. Sodann besteht die Maximallösung, wonach jeder Teilgebrauch den ganzen Oberbegriff legitimiert. Der Referierende erwähnte schliesslich auch die Möglichkeit einer Mischlösung aus beiden Varianten, wobei grundsätzlich von der Maximallösung ausgegangen würde, die erweiterte Minimallösung jedoch in jenen Fällen Anwendung finden würde, in welchen der Antragsteller eine weiter gehende Legitimation darlegen kann.

Fussnoten:
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Rechtsanwältin, LL.M., Zürich.

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MLaw, Zürich.