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Bericht über die INGRES-Tagung vom 28./29. August 2015 in Ittingen
Der diesjährige Workshop des Instituts für gewerblichen Rechtsschutz (INGRES) wurde von Dr. Michael Ritscher, LL.M., geleitet, während Dr. Christoph Gasser, LL.M., für die Organisation verantwortlich war. Traditionsgemäss fand die Tagung zum Thema «Tat- und Rechtsfragen im Markenrecht» in der Kartause Ittingen statt.
Ritscher führte in die Thematik des Workshops ein, wobei er an den Ittinger Workshop 2009 unter dem Titel «Markenrecht und Markenwirklichkeit» anknüpfte. Der 30. Geburtstag von INGRES biete Anlass, dieses Thema wieder aufzugreifen und auch rechtsvergleichend zu versuchen, den gordischen Knoten des Verhältnisses zwischen Tat- und Rechtsfragen zu lösen.
Einleitend zeigte Ritscher auf, dass das Verhältnis von Tat- und Rechtsfragen im Markenrecht deshalb von besonderer Brisanz ist, weil Gesetz, Rechtsprechung und Lehre sich einig darüber sind, dass für die Entscheidung aller markenrechtlich zentraler Fragen, wie u.a. Unterscheidungskraft, Irreführung und Verwechslungsgefahr, zumindest vorfrageweise die Wahrnehmung der Abnehmer entscheidend ist und diese heute mit Hilfe der Demoskopie wissenschaftlich ermittelt werden kann.
Am Beispiel der – Herkunftsangaben betreffenden – Gerichtsentscheide «Tegoport» (BVGer B-1646/2013) und «Calvi» (BGE 135 III 416) erörterte Ritscher sodann die Neigung aller Menschen und insbesondere von Juristen, sich zunächst (allzu rasch) ein Urteil zu bilden und (danach) diese eigene Wahrnehmung als allgemein gültig anzunehmen. Aber auch wenn der Jurist zum relevanten Verkehrskreis gehört, kann seine Wahrnehmung nie repräsentativ sein und sei ein Abstellen darauf daher aleatorisch. Daran ändere sich auch nichts durch eine «Umfrage» im Kollegenkreis.
Zur schweizerischen Gerichtspraxis hielt Ritscher fest, dass der Entscheid «Rivella/Apiella» (BGE 126 III 315) oft falsch interpretiert werde. Das BGer habe ein Abstellen auf demoskopische Ermittlungen bei der Beurteilung einer Verwechslungsgefahr nicht ausgeschlossen, sondern den vorinstanzlichen Verzicht auf die Einholung eines von einer Partei beantragten Gutachtens als nicht bundesrechtswidrig beurteilt. Vorbildlich sei das jüngst ergangene Urteil des HGer AG «Keytrader/Keytrade» (sic! 6/2015, 400 ff.), in welchem ein von einer Partei eingereichtes demoskopisches Gutachten nicht einfach als «blosses» Parteigutachten unter Generalverdacht aus den Akten gewiesen, sondern differenziert gewürdigt wurde.
Ritscher schloss seinen Einleitungsteil, indem er – als roten Faden für die nachfolgenden Referate und als Ausgangspunkt für die Diskussionen – die folgenden sieben Thesen aufstellte:
- 1. Der Sachverhalt ist aus der Perspektive und anhand der Wahrnehmungen der von den entsprechenden Produkten (Waren/Dienstleistungen) angesprochenen Verkehrskreise festzustellen.
- 2. Die tatsächliche Verkehrsauffassung kann (und sollte, wo dies prozessökonomisch ist und sobald irgendwelche begründeten Zweifel an der Einschätzung bestehen) wissenschaftlich, d.h. verifizierbar, auch mithilfe von Umfragegutachten festgestellt werden.
- 3. Die realitätsfremd weite Ausdehnung von Verkehrskreisen und die weitverbreitete schematische Zweiteilung in entweder Gesamtbevölkerung oder Fachkreise widersprechen der erforderlichen Realitätsanbindung und ersetzen die Perspektive des Abnehmers durch ein normatives Element.
- 4. Die Feststellung der Tatsachen, vor allem der massgeblichen Verkehrsauffassung, und die Auffassung eines Richters oder auch eines Kollegiums sind im Sinne der Methodenehrlichkeit strikt voneinander zu unterscheiden und als solche in Entscheidungen zu kennzeichnen.
- 5. Die Gerichte brauchen Tat- und Rechtsfragen weniger strikt als bisher zu unterscheiden, da sie eng miteinander verknüpft sind und zu ihrer beider Beurteilung ein gewisser Spielraum offensteht. Die Mischform ist die häufigste Situation. Tatsachenkerne dürfen aber nicht ignoriert werden, wenn darüber Beweis angeboten wird.
- 6. Der Ersatz von Tatsachenfeststellungen zur Wahrnehmung der Abnehmer durch Erfahrungssätze oder Regelhaftigkeiten, die in der bisherigen Rechtsprechung beobachtet wurden, sollten zurückhaltend gehandhabt und auf Verfahren beschränkt werden, wo es aus prozessökonomischen Gründen nicht sinnvoll erscheint, die Verkehrsauffassung zu ermitteln.
- 7. Wenn bei der Abklärung des Sachverhalts normative Korrekturen vorgenommen oder Erfahrungssätze angewandt werden, müssen diese als solche deklariert und begründet werden (Methodenehrlichkeit).
Prof. Dr. Alexander von Mühlendahl, J.D., LL.M., hielt fest, sein Referat bezwecke einen Überblick über einige Rechtsbereiche, in welchen die Unterscheidung zwischen Tat- und Rechtsfragen nicht nur theoretischer Natur sei. Der Referent berichtete einführend über mehrere aktuelle Gerichtsentscheide, aus welchen sich in allgemeiner Weise Erkenntnisse über diese Abgrenzung gewinnen lassen.
Zur Veranschaulichung, inwieweit sich auch eine Revisionsinstanz mit Tatsachen beschäftigen kann, ging von Mühlendahl zunächst auf das Urteil des BGH I ZR 161/13 «IPS/ISP» ein. Die nach der Auffassung des BGH überprüfbaren, aber nicht näher umschriebenen «wesentlichen Umstände» für die Beurteilung des Gesamteindrucks gegenüberstehender Zeichen siedelte der Referent bei den Tatsachenfeststellungen an. Auch beträfen die vom BGH gemachten Feststellungen über die Wahrnehmung der Fachkreise, welche gemäss dem Gericht leichter und häufiger einer Klangtäuschung als einer visuellen oder sinngehaltlichen Täuschung unterliegen, eher den tatsächlichen Bereich. Lehrbuchmässig sei demgegenüber die Aussage, dass die Frage der Verwechslungsgefahr zwar eine Rechtsfrage ist, Voraussetzung für deren Beantwortung jedoch die Beurteilung des Gesamteindrucks der Zeichen aus der Sicht der angesprochenen Verkehrskreise bildet, die im Wesentlichen auf tatrichterlichem Gebiet liegt.
Auch der EuGH überschreitet bisweilen in Vorabentscheidungsverfahren die Grenzen der rechtlichen Auslegung und erteilt sehr stark am Sachverhalt orientierte Antworten, wofür der Referent unter anderem auf das EuGH-Urteil C-195/14 «Verbraucherzentrale Bundesverband e.V./Teekanne» verwies.
Der Referent vergegenwärtigte, dass das Markenrecht keine empirische Sozialwissenschaft darstellt, sondern das tatsächlich Festgestellte vielmehr unter einer Norm subsumiert werden muss. Entscheidend ist demnach nicht stets die erlebte Wirklichkeit, sondern die prozessual erstellte Wahrheit. Während diese Abgrenzung für die unteren Instanzen nicht so wichtig sei, sei sie im Bereich der beschränkten Kognition massgebend. Die von Ritscher aufgestellte These 5 könne deshalb nur im Lichte der jeweiligen Gerichtsorganisation beurteilt werden. Von Mühlendahls Ansatz bestand nun darin, von allgemeinen Rechtssätzen auf detailliertere zu schliessen und diese dann auf weiteren Unterebenen zu konkretisieren. Dies führe schliesslich dazu, dass eine Unterscheidung zwischen Rechts- und Tatfragen unmöglich werde. Dazu beleuchtete er verschiedene Beispiele aus der Rechtsprechung, von denen an dieser Stelle diejenigen zu den Themen der Schutzfähigkeit, der beschreibenden Marken und der Verwechslungsgefahr wiedergegeben werden.
Schutzfähig sind alle grafisch darstellbaren Zeichen, die geeignet sind, Produkte eines Unternehmens von denen anderer zu unterscheiden. Im Urteil C-273/00 «Sieckmann» hat der EuGH konkretisierend festgehalten, dass die Darstellung klar, eindeutig, in sich abgeschlossen, leicht zugänglich, verständlich, dauerhaft und objektiv sein muss. In seiner Antwort, wonach bei einem Riechzeichen diesen Anforderungen weder durch eine chemische Formel noch durch eine Beschreibung in Worten oder durch Hinterlegung einer Probe des Geruchs Genüge getan werden kann, hat sich der EuGH nach der Auffassung von Mühlendahls mit tatsächlichen Gegebenheiten beschäftigt, anstatt dies dem vorlegenden Gericht zu überlassen.
Gemäss einem allgemeinen Rechtssatz sind Marken beschreibend, die ausschliesslich aus Zeichen bestehen, welche im Verkehr zur Bezeichnung von Merkmalen der beanspruchten Produkte dienen können. Auf einer darunterstehenden – und Tatfragen bereits näher kommenden – Ebene hat der EuGH im Urteil C-383/99 «Baby-Dry» erkannt, dass ein Neologismus nur dann schutzfähig ist, wenn die Neuschöpfung aufgrund der Ungewöhnlichkeit der Kombination der Wortbestandteile in Bezug auf die genannten Produkte einen Eindruck erweckt, der (wie in der späteren Rechtsprechung präzisiert wurde: hinreichend) von dem abweicht, der bei blosser Zusammenfügung der Bestandteile entsteht.
Am weitesten in Tatsachenfragen vorgedrungen, ist der EuGH gemäss dem Referenten in seiner Rechtsprechung zur Verwechslungsgefahr. Dies betrifft etwa die Kriterien für die Bestimmung der visuellen Ähnlichkeit bei Wortmarken (Anfangsbuchstaben, Gesamtlänge, etc.), für die Bestimmung der phonetischen Ähnlichkeit (Aussprachegewohnheiten, Sprachraum, besondere Bedingungen bei EU-Marken), für die Bestimmung der konzeptionellen Ähnlichkeit (Problem der sog. Neutralisierungstheorie) sowie den Grad der Ähnlichkeit. Zu den bei der umfassenden Abwägung berücksichtigten Umständen gehören sodann der Aufmerksamkeitsgrad des Publikums, das Vorliegen von Serienzeichen, die Schwächung durch Drittzeichen, die Koexistenz sowie subjektive Umstände. Die Konsequenz dieser Rechtsprechung ist, dass der EuGH – unter Berufung darauf, dass es sich um Tatfragen handle – sich weitgehend von einer Überprüfung von Entscheidungen des EuG verabschiedet hat.
Prof. Dr. Dr. h.c. Joachim Bornkamm referierte aus der Sicht eines ehemaligen Kollisionsrichters schwerpunktmässig zum Thema der Erfahrungssätze, welche er aufgrund deren Nähe zu Rechtssätzen als geeignetes und verbreitetes Mittel zur Rechtsvereinheitlichung qualifizierte.
Gemäss Auffassung Bornkamms geniessen die Erfahrungssätze in der Rechtsprechung eine eminent wichtige Bedeutung, wozu er Beispiele der am meisten verbreiteten Erfahrungssätze anführte. So weist etwa der Verkehr einfachen Gestaltungselementen keine Herkunftsfunktion zu (BGH, GRUR 2000, 502, «St. Pauli Girl»); Übereinstimmungen treten in der Erinnerung stärker hervor als Unterschiede (BGH, GRUR 1961, 343, «Messmer-Tee»); der Verkehr spricht dem Wortanfang verstärkte Bedeutung zu (EuGH GRUR 1998, 387, «Sabèl/Puma»); und bei einer Wort-Bildmarke ist bei ähnlicher Kennzeichnungskraft der Bestandteile in der Regel der Wortbestandteil prägend (BGH, GRUR 1996, 198, «Springende Raubkatze»). Diese Erfahrungssätze werden teilweise von Wahrnehmungspsychologen infrage gestellt und auch widerlegt.
Nicht nur bei der markenrechtlichen Unterscheidungskraft, Verkehrsdurchsetzung und Verwechselbarkeit erachtete Bornkamm die Verkehrsauffassung als massgebend (vgl. These 1). Auch bei der Beurteilung der lauterkeitsrechtlichen Irreführungsgefahr einer geschäftlichen Angabe kommt es auf die Verkehrsauffassung an. Nach der Rechtsprechung des EuGH im Urteil C-363/99 «Postkantoor» ist dabei das europäische Verbraucherleitbild massgebend. Der EuGH zwingt die Mitgliedstaaten aber nicht zu Sachverständigengutachten und Verbraucherumfragen, da in zahlreichen Mitgliedstaaten traditionell eine erhebliche Skepsis gegenüber solchen Umfragen besteht, diese mit anderen Worten nicht zum eigentlichen europäischen Standard gehören.
Gemäss § 291 D-ZPO bedürfen Tatsachen, die dem Gericht offenkundig sind, keines Beweises. Nach der geltenden lauterkeitsrechtlichen Rechtsprechung findet diese Bestimmung auf die Beurteilung der Wahrnehmung der angesprochenen Verkehrskreise keine Anwendung, da diese sich auf Erfahrungswissen stützt, § 291 D-ZPO indessen im Gegensatz zu Art. 151 CH-ZPO nur Tatsachen und nicht Erfahrungssätze betrifft (BGH-Urteil I ZR 150/01 «Marktführerschaft», womit die Rechtsprechung gemäss BGH-Urteil I ZR 74/88 «Meister-Kaffee» aufgegeben wurde). Der Richter kann das Verkehrsverständnis nach dieser Rechtsprechung aber insbesondere dann ohne sachverständige Hilfe beurteilen, wenn er selbst über die erforderliche Sachkunde verfügt. Dies kann sich aufgrund richterlicher Erfahrung ergeben, z.B. wenn der Richter zu den angesprochenen Verkehrskreisen zählt. Sodann kann sich die richterliche Sachkunde auch auf ein Parteigutachten, insbesondere auf eine von den Parteien vorgelegte Verkehrsbefragung, stützen.
Weiter ging Bornkamm auf die prozessuale Behandlung von Erfahrungssätzen ein. Möchte das Gericht seiner Entscheidung einen Erfahrungssatz zugrunde legen, muss es dies gegenüber den Parteien in Gewährung des rechtlichen Gehörs darlegen. Es muss mithin eröffnen, dass es aufgrund eigener Sachkunde entscheiden möchte, und den Erfahrungssatz benennen, den es seiner Entscheidung zugrunde zu legen gedenkt. Dies ermöglicht den Parteien, die angekündigte Auffassung des Gerichts durch Parteigutachten oder durch Beweisantritt zu erschüttern.
Entsprechend stellt im Revisionsverfahren nicht nur der Umstand ein zu hörender Verfahrensfehler dar, dass das Gericht es versäumt hat, die Parteien vorgängig davon zu unterrichten, aufgrund eigener Sachkunde zu entscheiden, sondern auch die fehlende Angabe des Erfahrungssatzes, welchen das Gericht seinem Entscheid zugrunde zu legen gedenkt (BGH-Urteil I ZR 150/01 «Marktführerschaft»). Ein Revisionsgrund besteht ferner, wenn der angewendete Erfahrungssatz unrichtig ist bzw. es diesen gar nicht gibt (BGH-Urteil V ZR 202/91). Schliesslich kann mittels Revision gerügt werden, dass der Tatrichter nicht über die erforderliche Sachkunde verfügt, um einen Erfahrungssatz ohne Hilfe eines Sachverständigen aufzustellen.
Bornkamm kam zu Schluss, die konsequente Durchsetzung dieser Grundsätze könne im Laufe der Zeit zu einer Aufklärung der tatsächlichen Grundlagen von Erfahrungssätzen beitragen. Dabei sei in jedem Fall zu vermeiden, dass die Rechtsanwendung als richterliche Aufgabe an Sachverständige übertragen würde. Wenn das Gericht in einem Parteigutachten aber keine formellen Mängel finde, welche zu einer Unbeachtlichkeit führen würden, sei es – wie Beispiele aus dem Bereich des Patentrechts zeigten – schwierig, sich über dieses hinwegzusetzen. Die Erfahrungssätze sind nach der Meinung des Referenten jedenfalls kritisch zu hinterfragen. In diesem Zusammenhang habe die deutsche Rechtsprechung bereits verschiedene Richtlinien entwickelt, die möglicherweise auf die Schweiz übertragen werden könnten.
Zur Einleitung in sein Referat berichtete Prof. Dr. Jürg Simon, Executive M.B.L.-HSG, über den BGE 136 II 474, in welchem der Marke «Madonna» in Bestätigung des angefochtenen Urteils der Markenschutz zufolge Sittenwidrigkeit verweigert wurde. In diesem Entscheid wurde der Oberbegriff der Sittenwidrigkeit eingehend konkretisiert. Zur Begründung derselben wurde unter anderem die (vorinstanzliche) Feststellung angeführt, wonach der Begriff «Madonna» täglich in Gebeten von Tausenden, insbesondere in der italienischen Schweiz, angerufen wird. Simon wies darauf hin, dass sich diese Feststellung direkt an der Schnittstelle von Rechts- und Tatfragen befindet und erntete Schmunzeln, als er sich – unter dem Hinweis, es sei ihm nicht bekannt, dass seine Freunde und Bekannte im Tessin jeden Tag zur Madonna beten würden – die Frage nach der Quelle dieser Feststellung stellte.
Nach einer Einbettung des Themas in den Erkenntnisprozess und den Rechtsmittelweg ging Simon auf eine statistische Schätzung in einem Aufsatz von Bundesrichter Ulrich Meyer ein, wonach 80% der vor Bundesgericht vorgetragenen Rügen trotz der grundsätzlichen Beschränkung der Kognition auf Rechtsfragen, das Tatsächliche betreffen. Simon erklärte sich anhand dieser Schätzung zumindest teilweise die geringe Anzahl von erfolgreichen Beschwerden.
Als Hürden für Gericht und Parteien auf dem Weg vom Vor-Urteil zum Urteil erachtete Simon insbesondere das Beweisrecht sowie das rechtliche Gehör. Letzteres erstreckt sich auf rechtserhebliche Tatsachen – und grundsätzlich nicht auf Rechtsnormen – und gibt Anspruch auf eine Begründung, welche die sachgerechte Anfechtung des Entscheids ermöglicht. Wesentlich für das Markenrecht ist insbesondere die Kompensierung der Unbestimmtheit der Rechtsgrundlage durch eine Verstärkung der Verfahrensrechte (vgl. z.B. BGE 128 I 327).
Der Referent wählte verschiede Beispiele zur praktischen Handhabung der Abgrenzung zwischen Tat- und Rechtsfragen. So prüft das BGer die Verwechslungsgefahr generell als Rechtsfrage (BGE 122 III 382, «Kamillosan/Kamillon»; 126 III 315, «Rivella/Apiella»). Weiter enthalten die Erfahrungssätze im Bereich der Herkunftsangaben verschiedene Relativierungen, wodurch klargestellt wird, dass sie gleich wie tatsächliche Vermutungen widerlegt werden können (so nunmehr ausdrücklich BVGer B-6503/2014 «Luxor»). Schliesslich ist die Verkehrsdurchsetzung eines Zeichens eine Rechtsfrage; ob die zugrunde liegenden Tatsachen für die Verkehrsdurchsetzung gegeben sind, hingegen Tatfrage (HGer AG in: sic! 6/2015, 400 ff., «Keytrader/Keytrade»).
Simon trug vor, die Linie zwischen Tat- und Rechtsfragen sei aber nur eine vermeintlich klare, denn oftmals würden die Gerichte nicht klar zwischen Tat- und Rechtsfrage unterscheiden. Ausserdem entstehe der Eindruck einer gewissen Rechtsfragenlastigkeit, welcher unter anderem durch das vereinfachte Widerspruchsverfahren und den weitgehenden Verzicht auf Beweisverfügungen bedingt sei. Deren vollständiges Fehlen wird jedoch nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht als schwerer Verfahrensfehler angesehen (BGer 4A_78/2014, 4A_80/2014), was kaum das letzte Wort des BGer und eher durch ungenügend substanziierte Rügen der Rechtsmittelführer bedingt sein dürfte. Zur Verbesserung der Berechenbarkeit und Methodentransparenz setzte sich der Referent für eine Beweisverfügung in jedem Fall ein.
Simon ging sodann auf das Beweismittel der Demoskopie ein, zeigte, wie sich diese von ihrer Ablehnung zur qualifizierten Parteibehauptung (im Zivilverfahren) bzw. zum beachtenswerten Beweismittel (im Verwaltungsverfahren) entwickelte. Mittlerweile bestünden bezüglich solcher Umfragen Qualitätskriterien, welche auch in der Rechtsprechung anerkannt seien. Die fortwährende kritische Haltung der Gerichte gegenüber diesem Beweismittel führte er auf die Dauergefährdung der Demoskopie zurück, sich für einseitige Parteiinteressen missbrauchen zu lassen.
In den allgemein anerkannten Erfahrungssätzen, welche sowohl Rechtsregel als auch Beweisgegenstand sein können und in Art. 151 ZPO ihren Niederschlag gefunden haben, erkannte der Referent nichts Neues. Zumindest unter der altrechtlichen ZPO des Kantons Bern habe es sich dabei um Beweisindizien gehandelt. Weiterhin beachtlich ist die bundesgerichtliche Rechtsprechung, wonach die Missachtung (BGE 83 II 102) und die falsche Anwendung eines Erfahrungssatzes (BGer 5P.40/2003) eine Rechtsverletzung begründet. Ebendies gilt für den Fall, in dem ein solcher nicht existiert (BGer 5P.40/2003) oder nicht dem Forschungsstand entspricht (BGer 6S.328/1993).
Abschliessend stellte Simon die Petita auf, Erfahrungssätze sollten – um die Gefahr von Spekulationen auszuschliessen – bekannt, nachprüfbar, erkennbar und mit Quellen versehen sein. Das Gericht habe den Parteien zur Wahrung des rechtlichen Gehörs und des Rechts auf Beweisführung die Absicht offenzulegen, wenn es einen allgemein anerkannten Erfahrungssatz anzuwenden gedenke. Schliesslich bilde die Frage, ob ein Erfahrungssatz allgemein anerkannt sei, eine Tatfrage, über welche Beweis geführt werden könne. Ob der allgemein anerkannte Erfahrungssatz richtig angewandt wurde, sei jedoch eine Rechtsfrage.
Am zweiten Veranstaltungstag ging Dr. Verena von Bomhard speziell auf die Praxis des EuGH ein und beschränkte sich dabei auf seine Rolle als Rechtsmittelinstanz, da in Vorabentscheidungsverfahren die Abgrenzung zwischen Tat- und Rechtsfragen in der Regel nicht entscheidend ist. Zu Beginn hielt von Bomhard fest, dass viele Rechtsmittel deswegen als offensichtlich unzulässig befunden würden, weil der Rechtsmittelkläger – in den Worten des EuGH – «in Wirklichkeit» versuche, die Tatsachenwürdigung des Gerichts anzufechten. Die allgemein grosse Zurückhaltung des EuGH bei der inhaltlichen Überprüfung der Entscheidungen des EuG sei bedauerlich, da alleine ihm die Möglichkeit zukomme, eine einheitliche Rechtsprechung sicherzustellen, und die Praxis der Kammern des EuG recht unterschiedlich ist.
Verfahrensfragen, d.h. der nicht das materielle Markenrecht betreffende Teil, werden als Rechtsfragen vom EuGH voll überprüft. Prominente Beispiele für erfolgreiche Rügen gibt es insbesondere im Bereich der Verspätungsvorschriften. Im Urteil C-29/05 P «Capol/Arcol» etwa hob der EuGH das angefochtene Urteil mit der Begründung auf, das EuG habe aus der funktionalen Kontinuität zwischen Widerspruchsabteilung und Beschwerdekammer fehlerhaft gefolgert, dass vor der Beschwerdekammer uneingeschränkt (also auch unabhängig von erstinstanzlichen Fristversäumnissen) neue Tatsachen und Beweismittel vorgelegt werden könnten. Weiter sind auch die Begründungspflicht und der Anspruch auf rechtliches Gehör regelmässig Gegenstand von Rechtsmitteln. Entsprechende Rügen dringen aber nur sehr selten durch (für ein Gegenbeispiel: EuGH-Urteil C-182/14 P «Magnet 4/Magnext»).
Die Kernfragen der absoluten Schutzverweigerungsgründe gehören gemäss von Bomhard zur Tatsachenebene. Die Kriterien der Beurteilung und die Methodik dagegen sind rechtlich überprüfbar, und auch die Bestimmung der relevanten Verkehrskreise ist eine Rechtsfrage (vgl. dazu EuGH-Beschluss C-553/08 P «Manpower»). Charakteristika, Kenntnisse und Erwartungen der Verbraucher betreffen als Kernfragen die tatsächliche Ebene (vgl. EuGH-Beschluss C-238/06 P «Develey/HABM»). Ebenso betreffen Unterscheidungskraft und Verkehrsdurchsetzung Tatfragen, während die der Beurteilung zugrunde liegende Methodik und die Beweislastverteilung – wiederum – Fragen der Rechtsanwendung sind. Zu Letzterer verwies von Bomhard auf das Urteil C-97/12 P «Louis Vuitton Malletier/HABM – Friis», in welchem der EuGH in einem Nichtigkeitsverfahren dem «Anmelder», welcher die Unterscheidungskraft seiner Marke «behauptete», die diesbezügliche Beweislast auferlegte. Die in Erfahrungssätzen enthaltenen Aussagen ordnete der EuGH gemäss von Bomhard den Tatsachen zu. Nur die Frage, ob der richtige Satz auf die konkrete Situation angewendet wird, stehe der rechtlichen Prüfung offen.
Eine simple Antwort auf die Frage nach der Einordnung der Verwechslungsgefahr hingegen lässt sich kaum geben. Die Produkteähnlichkeit und der Grad deren Vorliegens ist nach Auffassung des EuGH eine Tatfrage (Urteil C-412/05 P «Trivastan/Travatan»), wobei die Heranziehung falscher oder ungenügender Kriterien eine überprüfbare Rechtsfrage darstellt (vgl. Beschluss C-535/09 P «Center/Center Shock»). Als nicht überzeugend erachtete von Bomhard die Ansicht des EuGH, die Beurteilung der «Stimmigkeit» der vorinstanzlichen Feststellungen im Rahmen des Produktevergleichs nicht als Frage der Methodik zu betrachten, sondern als reine Tatfrage ausser Acht zu lassen (so das Urteil C-16/06 P «Obelix/Mobilix»). Der gesamte Bereich des Zeichenvergleichs sowie die Gewichtung der einzelnen Kriterien (bildlich, klanglich und bedeutungsmässig) ordnet der EuGH dem Tatsachenbereich zu. Dies gilt nach der Auffassung der Referentin auch für Erfahrungssätze. Im Bereich des Rechtlichen – und damit in allen Instanzen zulässig – sind hingegen Rügen betreffend der Methodik und der zu berücksichtigenden Kriterien, beispielsweise, dass eine Beschränkung des Zeichenvergleichs auf den bildlichen Eindruck mit Art. 8(1)(b) GMV nicht vereinbar ist (vgl. EuGH-Urteil C-334/05 P «Limonchelo»).
Die Gesamtabwägung aller für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr relevanten Umstände, insbesondere der Verbraucherauffassung und der Kennzeichnungskraft der älteren Marke wie auch deren Gewichtung untereinander, betreffen Tatfragen (z.B. EuGH-Beschluss C-193/13 P «FON/nfon»). Im Gegensatz zur früheren Rechtsprechung, als der EuGH die Frage, ob die Neutralisierungstheorie greife, sinngemäss dem Tatsächlichen zugeordnet hatte, erachtete der EuGH deren Nichtanwendung im kürzlich erschienen Urteil C-249/14 P «QTA S. José de Peramanca» aufgrund Nichtbeachtung einschlägiger früherer Rechtsprechung (C-171/06 P «T.I.M.E. ART») als Rechtsfrage.
Von Bomhard kam zum Schluss, dass der EuGH im Rahmen der vorgebrachten Rügen stets rechtliche Elemente finden könne, welche ihn zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils berechtigen würden. Wenn das Ergebnis hingegen gutzuheissen sei, liessen sich die richtigen Kriterien in aller Regel aus einer Gesamtschau der Entscheidung inklusive des vorherigen Verfahrensverlaufs entnehmen. Ausserdem hielt die Referentin die diffizile Abgrenzung in Sach- und Rechtsfragen häufig als unnötig, um zum Ergebnis des EuGH zu kommen.
Dr. Bianca Beutel qualifizierte Erfahrungssätze als Zwitter zwischen Tatsachen und Rechtsnormen, die insbesondere der Verfahrensbeschleunigung und Prozessökonomie dienen. Anders als bei Einzeltatsachen handelt es sich dabei um generalisierende (Ober-)Sätze, die weder räumlich noch zeitlich zuordenbar sind. Anders als Normen enthalten Erfahrungssätze keine rechtliche Wertung und erfordern keinen Rechtsetzungsakt, sondern können grundsätzlich von jedermann und insbesondere auch vom Richter auf der Grundlage von Erfahrenem aufgestellt werden.
Beutel führte aus, höchstinstanzliche Gerichte könnten im Rahmen der Rechtsprüfung Verstösse gegen Erfahrungssätze feststellen. Deren falsche Anwendung könne nämlich (i) einen Verstoss gegen die Rechtsnorm, bei deren Auslegung mit Hilfe von Erfahrungssätzen Vorfragen geklärt werden, oder (ii) eine Verletzung der freien Beweiswürdigung im Rahmen des Anscheins- bzw. Indizienbeweises begründen (mittelbare Beweisführung). Da Erfahrungssätze stets im Bereich des Tatsächlichen angesiedelt sind, dürften in sie keine rechtlichen Wertungen einfliessen. Als Beispiel hierzu führte die Referentin den erweiterten Schutz bekannter Zeichen an, welcher empirischen Überlegungen widerspricht. Bei bekannten Zeichen fallen nämlich schon geringfügige Unterschiede auf, weshalb ihrem erweiterten Schutz nur die Überlegung zugrunde liegen kann, dass bekannte Zeichen einen stärkeren Schutz geniessen sollen. Im Sinne der Methodenehrlichkeit postulierte Beutel, solche rechtlichen Wertungen offenzulegen, weil andernfalls die Gefahr besteht, dass sie einer rechtlichen Diskussion entzogen werden.
Zu unterscheiden ist zwischen den seltenen deterministischen Erfahrungssätzen, welche einen zwingenden Kettenschluss zulassen (wenn a=b und b=c, dann ist a=c), und dem Regelfall der statistischen Erfahrungssätzen, die nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf ein bestimmtes Ergebnis schliessen lassen und einen Anwendungsfall des klassischen Indizienbeweises darstellen. Als Beispiel für die letztgenannte Kategorie nannte Beutel den Erfahrungssatz, wonach bei der Feststellung des Gesamteindrucks von Wort-/Bildmarken regelmässig davon auszugehen ist, dass der Wortbestandteil den Gesamteindruck prägt, weil er die einfachste Möglichkeit bietet, die Marke zu benennen.
Oft werden in einen Abwägungsprozess mehrere statistische Erfahrungssätze einbezogen, welche sich gegenseitig bedingen, verstärken oder abschwächen können. Entscheidend ist dabei das Verhältnis der Erfahrungssätze untereinander sowie dass der Rechtsanwendende sich dieses Verhältnisses bewusst ist. Aus dem Urteil des BVGer «Kinder/Kinder Party» (sic! 2008, 36) etwa resultierte ein anderes Ergebnis als in den BGH-Urteilen «Kinder II» (BGH, GRUR 2007, 1071) und «Kinderzeit» (BGH, GRUR 2007, 1066), obschon in allen Fällen dieselben Erfahrungssätze angewendet worden waren (vgl. dazu Glöckner, in sic! 2009, 229). Beutel illustrierte diese Problematik, welche in der Unkenntnis des Verhältnisses zwischen den Erfahrungsätzen begründet ist, mit Perlen, die einfach auf eine Perlenkette aufgeschnürt werden, um zum Ergebnis zu gelangen. Die Referentin postulierte deshalb, dass das dem Entscheid zugrunde gelegte Wertverhältnis offengelegt und einer Diskussion zugänglich gemacht wird.
Als Gründe für die bislang fehlende Überprüfung von Erfahrungssätzen führte Beutel insbesondere an, dass die Erfahrungssätze bereits sehr lange verwendet werden, deren Überprüfung den Prozess verlängern würde und die Kosten für ein Gutachten hoch sind. Weiter gäben die statistischen Erfahrungssätze stets nur Wahrscheinlichkeiten wieder und könnten deshalb ohnehin nie vollkommen falsifiziert werden. Nichtsdestotrotz steht die Anwendung eines Erfahrungssatzes unter dem Vorbehalt dessen Richtigkeit, weshalb er von den Parteien infrage gestellt werden können muss.
Die Referentin anerkannte die herausragende Bedeutung der Erfahrungssätze für die Rechtsanwendung, kritisierte aber, dass der über viele Jahre zurückliegende Ursprung vieler Sätze oftmals nicht nachvollzogen werden kann. Vielmehr wird regelmässig auf frühere Entscheide verwiesen, ohne mit Sicherheit sagen zu können, dass in der erstmals zitierten Entscheidung der Ursprung des betreffenden Erfahrungssatzes lag.
Erfahrungssätze sind als empirische Sätze wissenschaftlich überprüfbar. Während deterministische Erfahrungssätze widerlegt werden können, können statistische Erfahrungssätze lediglich verifiziert werden. Richterlich aufgestellte Erfahrungssätze wurden regelmässig keiner wissenschaftlichen Überprüfung unterzogen. Beutel plädierte daher dafür, wissenschaftlich überprüften Erfahrungssätzen den Vorrang einzuräumen. Richterliche Erfahrungssätze sollten empirisch auf ihre Geltung hin untersucht werden. Die Referentin verwies dabei auf das 4. Internationale Symposium des BPatG bzw. den entsprechenden Beitrag von Scheier und Lubberger, die unter anderem teilweise verifiziert haben, dass der Verkehr eine Marke als Ganzes aufnimmt, ohne sie zu zergliedern, und dass der Wortanfang vom Verkehr regelmässig stärker beachtet wird. Der Erfahrungssatz, wonach der Verkehr einer Farbe ohne grafische Gestaltung in der Regel keinen Herkunftshinweis entnimmt, wurde hingegen falsifiziert. Die von der Referentin daraus gezogene Konsequenz muss sein, falsifizierte Erfahrungssätze nicht mehr zu verwenden. Möchte ein Richter dennoch den aus dem «angeblichen Erfahrungssatz» folgenden Schluss ziehen, beruht dies auf einer rechtlichen Wertung. Diese Wertungsentscheidung gilt es offenzulegen (Methodentransparenz).
Von Mühlendahl, der die Schlussdiskussion leitete, sprach zunächst die von Ritscher aufgestellten Thesen 1–3 an und äusserte versuchsweise die Gegenthese, dass von einem Beweisverfahren abzusehen ist, soweit – analog zum informierten Benutzer im Designrecht – der Richter eine plausible Auffassung vertritt, welche er auf eigene Erfahrungen oder Sachkunde zu stützen vermag. Bornkamm erkannte solche normativen Vorstellungen insbesondere in Erfahrungssätzen, welche nicht Tatsachen feststellen, sondern bestimmen, wie etwas – zum Beispiel der Grad der Aufmerksamkeit des Publikums im Bereich des Verbraucherrechts – sein soll. Von Bomhard warf dazu die Frage auf, ob in diese Kategorie nicht auch beispielsweise die Erfahrungssätze gehörten, wonach Verbraucher in Formen und Farben grundsätzlich keinen Herkunftshinweis sehen würden. Ihres Erachtens wäre dafür das Normative die richtige Ebene, denn es sei einfach nicht erwünscht, dass Form- und Farbmarken der gleiche Schutz wie anderen Markenarten zukomme. Mit der Präzisierung, dass das Gesagte auf Formen beschränkt ist, welche die beanspruchten Produkte darstellen können, sympathisierte von Mühlendahl mit den diskutierten Erfahrungssätzen, da sie die Rechtsanwendung erleichtern und die Abgrenzung zwischen schutzfähigen und nicht schutzfähigen Formmarken handhabbar machen.
Simon sprach den Erfahrungssätzen – möglicherweise unter Ausnahme der allgemein anerkannten – die normative Kraft und den «Soll-Charakter» ab, da sie auf vergangenen Erfahrungen beruhen. Neben den Relativierungen dieser Sätze sei deshalb auch die Möglichkeit zu deren Falsifizierung wichtig. Während es Simon für denkbar hielt, dass im Eintragungsverfahren ein entsprechendes Gutachten auch von Amtes wegen eingeholt werden könnte, obliegt die Falsifizierung im Zivilprozess den Parteien. Marc Steiner wies darauf hin, dass dies umso mehr für das Widerspruchsverfahren als kostengünstige Variante zum Zivilprozess gelten müsse und deshalb in diesem Rahmen als Faustregel kein Gutachten von Amtes wegen einzuholen sei.
Ritscher kam auf seine These 2 zu sprechen und stellte fest, die darin genannten Zweifel an der gerichtlichen Einschätzung bestünden etwa dann, wenn der Richter das Bedürfnis habe, in der Kaffeepause seine Kollegen um ihre Auffassung zu fragen. Denn auch durch diese Befragung werde der zu treffende Entscheid nicht repräsentativ. Die Zurückhaltung, Erfahrungssätze empirisch überprüfen zu lassen, sah Ritscher insbesondere im Risiko begründet, dass die Parteien regelmässig keine Kenntnis darüber haben, welches Ergebnis aus einem gerichtlichen Gutachten resultiert.
David Aschmann sprach sich dagegen aus, bereits bei geringen Zweifeln durch das BVGer eine demoskopische Umfrage zu veranlassen. Nach seiner Auffassung würde dies (zu) hohe Kosten verursachen, die bei Obsiegen des Beschwerdeführers von der Vorinstanz zu tragen wären. Dies wiederum könnte dazu führen, dass das IGE seine abweisenden Verfügungen nach deren Anfechtung in Wiedererwägung ziehen würde.
Zur Frage der Relevanz tatsächlicher Verwechslungen hielt Bornkamm fest, tatsächliche Irreführungsquoten stellten die einzige Möglichkeit zur Verifizierung der Verwechslungsgefahr dar, welche insofern messbar sei. Von Mühlendahl wies darauf hin, dass es nicht um tatsächliche Verwechslungen gehe, sondern um die blosse Gefahr, einen nicht unerheblichen Teil des Publikums irrezuführen. Hingegen sei mit einer gemessenen Zahl an tatsächlich Irregeführten die Verwechslungsgefahr erheblich grösser.
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Fussnoten: |
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Lic. iur., Rechtsanwalt, Zürich. |
