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Berichte / Rapports

URG-Revision: Experten aus Wissenschaft und Praxis im Gespräch

Nadia Kuzniar​*

  • I. Revisionsbedarf aus ­wissenschaftlicher Sicht
  • II. Evaluation der wissenschaftlichen Sicht durch die Praxis
  • III. Panel- und Plenumsdiskussion

    • 1. Rechtsdurchsetzung
    • 2. Schrankenregelungen
    • 3. Lichtbildschutz

Für die bisherigen Arbeiten an der Teilrevision des Urheberrechtsgesetzes war die AGUR12 zentral, eine Arbeitsgruppe bestehend aus verschiedensten Inte­r­essenvertretern. Allerdings, so begrüsste Prof. Dr. Reto M. Hilty, Präsident des Forums und Direktor am ­Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb in München, die Anwesenden, sei die Wissenschaft im Gesetz­gebungsprozess kaum zu Wort ge­kommen. Der Bundesrat habe diesen unabhängigen Sachverstand bislang nicht genutzt. Ziel dieser 16. Urheberrechtstagung, welche 70 Jahre nach der Gründung des SF-FS wiederum aus Anlass einer Urheberrechtsrevision Experten aus Wissenschaft und Praxis zusammenführe, sei es nun, auch unabhängige Meinungen zu Wort kommen zu lassen. Dieser Grundidee folgte denn auch der Aufbau der Veranstaltung, die in Zusammenarbeit mit dem Center for the Law of Innovation and Competition (CLIC) der Universität Bern durchgeführt wurde: In einem ersten Schritt legten Vertreter der Wissenschaft ihre Sichtweise zum Revisionsbedarf dar, wozu Praktiker in einem zweiten Teil Stellung nahmen, bevor die Diskussion im Plenum er­öffnet wurde.

I.Revisionsbedarf aus ­wissenschaftlicher Sicht

Prof. Dr. Cyrill P. Rigamonti, Professor für Wirtschaftsrecht an der Universität Bern, betonte die Bedeutung von Richterrecht, dessen Rolle nicht ver­gessen werden dürfe, zumal man es mit einer technologischen Entwicklung zu tun habe, die rascher voranschreite, als die Mühlen des Gesetzgebers zu mahlen vermöchten. Er erinnerte diesbezüglich an den anlässlich der Revision von 2007 in das URG eingefügten Umgehungsschutz für technische Schutzmass­nahmen – einen Mechanismus, der heute bereits wieder stark an Bedeutung verloren habe. Dasselbe gelte für die noch im Vorentwurf vorgesehene Rechtsdurchsetzung in Peer-to-Peer-Netzwerken. Anstelle gesetzgeberischer Experimente sei es sinnvoller, die ­notwendige Flexibilität durch Richterrecht herzustellen, um sich an der Front der Entwicklung voranzutasten und allenfalls auch differenzieren oder revidieren zu können. Im Urheberrecht solle daher heute nur dort Gesetzesrecht geschaffen werden, wo es darum gehe, zusätzlichen Entwicklungsraum für Richterrecht zu kreieren oder korrigierend einzugreifen, etwa bei den ­datenschutzrechtlichen Hürden für die Durchsetzung des Urheberrechts. Vor diesem Hintergrund besteht für Rigamonti im Bereich der materiellen Providerhaftung kein Revisionsbedarf, was auch der Bundesrat in seinem Bericht vom 11. Dezember 2015 zur zivilrechtlichen Verantwortlichkeit von Providern erkannt habe: Die allgemeinen Regeln der Teilnahmehaftung auf der Grundlage von Art. 50 OR bzw. Art. 66 lit. d PatG würden hier an sich genügen (siehe dazu C. P. Rigamonti, Providerhaftung – auf dem Weg zum Urheberverwaltungsrecht?, sic! 2016, 119 ff.). Wer sich scheue, diese Regeln vor Gericht zu testen, könne sich nicht über mangelnde Rechtssicherheit beklagen.

Neues Gesetzesrecht sei dagegen im Bereich der Schrankenregelungen in Betracht zu ziehen. Die aktuelle Rechtslage – eine Kombination von offener Rechtegeneralklausel und abschliessendem Katalog von relativ eng definierten Schranken – ermögliche nicht überall genügend Flexibilität für eine gericht­liche Rechtsfortbildung. Es sei daher absehbar, dass Gerichte sich zunehmend auf Grundrechte berufen würden, um in kreativer Auslegung bestehende Schranken auszuweiten oder gänzlich neue zu schaffen, sobald sie den geltenden Katalog als zu eng empfänden, weil er aufgrund seiner Statik mit der Entwicklung nicht Schritt halten könne. Diese sachlich und methodisch fragwürdige Entwicklung sei im europäischen Ausland bereits im Gange. Um hier vorausschauend und nachhaltig Abhilfe zu schaffen, müsse der gesamte Schrankenkatalog systematisch auf seine Zukunftstauglichkeit überprüft werden. Überdies sei die Einführung einer subsidiären Schrankengeneralklausel zu diskutieren. Der von Rigamonti skizzierte Vorschlag schreibt den subsidiären Charakter der Bestimmung fest, beinhaltet einen Katalog an zu­lässigen Zwecken der Werknutzung, schliesst unzulässige Zwecke aus und adaptiert Teile des Dreistufentests (siehe dazu auch C. P. Rigamonti, Urheberrecht und Grundrechte, ZBJV 2017, 392 ff.).

Prof. Dr. Philippe Gilliéron, Professor an der Universität Lausanne und Rechtsanwalt in Lausanne, widersprach Rigamonti in der Frage der Providerhaftung. Die aktuell vorhan­denen Bestimmungen könnten keine hinreichende Rechtssicherheit schaffen, zumal es in der Schweiz schlichtweg an Rechtsprechung zu diesem Thema fehle. Eine Regelung, in welcher Form auch immer, sei deshalb notwendig. Den diesbezüglichen Vorschlag im Vorentwurf kritisierte Gilliéron allerdings in mehrerlei Hinsicht: So sei aufgrund der gewählten Begrifflichkeit alles ­andere als klar, wen die Pflichten nach Art. 66b VE-URG treffen. Ebenso müsse der zwingende Inhalt der Mitteilung einer in ihren Urheberrechten verletzten Person an den Hosting-Provider klarer festgelegt werden. Dabei könne man sich bspw. an den in § 512 des US-amerikanischen Digital Millennium Copyright Act festgeschriebenen Voraussetzungen orientieren. Die Möglichkeit der Selbstregulierung für Hosting-Provider nach Art. 66c VE-URG sei zu begrüssen, wobei problematisch sei, dass sie nur Schweizer Anbietern offensteht. Ebenso sei das in Art. 66b Abs. 3 VE-URG vorgesehene Widerspruchsverfahren zu stark auf Inhaltsanbieter in der Schweiz ausgelegt. So kann nur Widerspruch einlegen, wer «ein Zustellungsdomizil in der Schweiz bezeichnet». Des Weiteren werde nicht klar, bis zu welchem Zeitpunkt das streitige Schutzobjekt wieder auf den Server geladen werden müsse – die Formulierung in Art. 66b Abs. 3 VE-URG («bis die Angelegenheit zwischen den betroffenen Personen oder durch die Gerichte geklärt ist») sei zu unpräzis. Sodann sei fraglich, wie zu verfahren sei, wenn ein Inhaltsanbieter, dessen urheberrechtswidrige Inhalte durch einen Hosting-Provider gelöscht wurden, zu einem anderen Provider wechselt, um dort dieselben Inhalte ­erneut hochzuladen: Müsste der gesamte in Art. 66b VE-URG vorgesehene Prozess nochmals durchlaufen werden? Auch was ein Geschäftsmodell ist, das «auf der Förderung systematischer Urheberrechtsverletzungen aufbaut», werde nicht deutlich.

Anschliessend machte Gilléron auf einige noch zu klärende Punkte im Zusammenhang mit der Nutzung ­verwaister Werke aufmerksam. So verweise der Erläuternde Bericht bezüglich der Verwertungsgesellschaften auf die Geschäftsführung ohne Auftrag nach Art. 419 ff. OR. Könnte es demzufolge sein, dass der Urheber gar nicht an die von den Verwertungsgesellschaften ­geschlossenen Verträge gebunden ist? Der Schutz der Pressefotografie hin­gegen gehöre gar nicht ins URG, denn es handle sich bei diesem Recht um Leistungsschutz. Zudem sei nicht nachvollziehbar, weshalb gerade die Pressefotografie, nicht aber andere Fleiss­arbeiten, wie bspw. Werke von Architekten, geschützt würden.

Zu begrüssen sei die freiwillige Kollektivlizenz. Allerdings müsse sie auch Rechteinhabern offenstehen, die einer ausländischen Verwertungsgesellschaft angeschlossen sind. Es bleibe diesbezüglich noch zu fragen, ob die vorgeschlagene Form der Verwertung auf verwaiste Werke anwendbar sei. Bemerkenswert sei der Vorschlag auch hinsichtlich der Gesetzestechnik: Der Verwertungsmechanismus mit der Möglichkeit eines Opting-out erinnere bspw. an das Modell von Google Books.

Als nächster Redner wandte sich Prof. Dr. Florent Thouvenin, Professor für Informations- und Kommunika­tionsrecht an der Universität Zürich und Geschäftsführer des Schweizer Forums für Kommunikationsrecht, den Netzsperren zu. Diese seien zwar im Entwurf der AGUR12 II anscheinend nicht mehr vorgesehen, es bestehe aber die Gefahr, dass dieses Instrument im Parlament wieder aufgebracht werde, zumal ­gewisse Interessenvertreter sich nach wie vor dafür einsetzen würden und mit der Regelung im Geldspielgesetz mög­licherweise ein Dammbruch erfolgt sei. Eine Einführung im Urheberrecht sei aus zwei Gründen problematisch. Zum einen sei eine Regelung von Netzsperren kaum verhältnismässig: So könnten sie leicht umgangen werden und seien deshalb ungeeignet, zudem würden sie wohl am Erfordernis der Verhältnis­mässigkeit i.e.S. scheitern: Einer Grundrechtsabwägung zwischen der Wirtschaftsfreiheit der Access-Provider, der persönlichen Freiheit und der Meinungs- und Informationsfreiheit der Konsumenten sowie der Eigentumsgarantie der Rechteinhaber hielten sie vermutlich nicht stand. Hinzu komme, dass der Ansatz an einem doppelten Widerspruch leide: Netzsperren liessen sich im heutigen Regelungs­konzept des URG nur als Massnahme der Providerhaftung verstehen. Diese beruhe auf dem Konzept der Mit­wirkung des Providers an einer unzulässigen Handlung. An einer solchen Mitwirkung fehle es hier aber, weil der Access-Provider, der den Zugang zu ­bestimmten Inhalten sperren sollte, lediglich dem Konsumenten den Zugang zum Internet verschaffe, dieser jedoch nach schweizerischer Auffassung auch beim Download aus P2P-Netzwerken keine unerlaubte Handlung begehe. Hinzu komme, dass der Gesetzgeber sich widersprüchlich verhalten würde, wenn er zwar den Download aus P2P-Netzwerken weiterhin erlauben, die Möglichkeit des Zugriffs auf solche Inhalte mithilfe von Netzsperren aber faktisch zu verhindern versuchen würde.

Grundsätzlich sinnvoll sei die Einführung einer Wissenschaftsschranke, bspw. im Sinn von Art. 24d VE-URG. In der Botschaft müsse allerdings auf den zwingenden Charakter dieser Schranke hingewiesen werden, da sie ansonsten durch anderslautende Verträge aus­gehebelt werden könnte. Ebenso sei wichtig, klarzustellen, dass die in der Bestimmung aufgelisteten wissenschaftlichen Zwecke nicht abschlies­send seien. Sonst bestehe die Gefahr, dass aus dem Bestehen dieser neuen Schranke e contrario künftig darauf ­geschlossen werden könnte, dass andere Nutzungen zu wissenschaftlichen Zwecken, die von dieser neuen Schranke nicht erfasst sind, auch nicht zulässig seien. Eine solche Beschränkung bisher wohl durch Art. 19 Abs. 1 URG frei­gestellter Nutzungen zu wissenschaft­lichen Zwecken würde aber gerade nicht der Intention des Gesetzgebers entsprechen. Sinnvoller als eine spezifische Wissenschaftsschranke, die ­faktisch auf Text und Data Mining aus­gerichtet ist, wäre ohnehin die Ein­führung einer allgemeinen Wissenschaftsschranke, bspw. durch eine Ausweitung von Art. 19 Abs. 1 lit. b URG auf Nutzungen zu wissenschaftlichen Zwecken. Eine solche Erweiterung sei gerechtfertigt, weil Forschung durch öffentliche Gelder finanziert werde und von allgemeinem Nutzen sei. Denkbar sei dabei in Abgrenzung zur Wissenschaftsschranke nach Art. 24d VE-URG, die gemäss AGUR12 II zu Recht keine Vergütung vorsehe, das Bestehen einer Vergütungspflicht. Damit würden allerdings nur Nutzungen wie die Ver­vielfältigung und die Bearbeitung umfasst, nicht aber das Problem des ­Zugangs zu wissenschaftlichen Publikationen gelöst. Diesbezüglich könnte nach Thouvenin ein Zweitveröffentlichungsrecht einen wichtigen Beitrag leisten. Ein solches sei bspw. für das Führen universitärer Repositorien und für das Zugänglichmachen von Publikationen auf der Webseite von Lehrstühlen erforderlich. Besondere Bedeutung hätte ein solches Zweitveröffentlichungsrecht auch für die interdiszi­plinäre Forschung. Denn während Forschende in der Regel Zugang zu den Publikationen ihrer eigenen Disziplin hätten, sei der Zugang zu anderen Disziplinen meist nicht gewährleistet, weil die Zu­griffsrechte auf die entsprechenden Datenbanken fehlen würden. Zu bedenken sei schliesslich, dass die Einführung eines Zweitveröffentlichungsrechts im URG wenig Sinn mache, weil eine entsprechende Schranke aufgrund des Territorialitätsprinzips nur in der Schweiz wirksam wäre. Dem könne beigekommen werden, indem in der Regelung des Verlagsvertrags im OR eine zwingende Bestimmung verankert würde, gemäss welcher das Zweitveröffentlichungsrecht nicht auf den Verlag übertragen werden kann, wenn ein Werk mit öffentlichen Mitteln finanziert wurde. Da ­Verlagsverträge i.d.R. ausländischem Recht unterstünden, müsse man diese Bestimmung allerdings als eine «loi d’application immédiate» gemäss Art. 18 IPRG interpretieren, damit sie auch dann zur Anwendung komme, wenn der Vertrag im Übrigen ausländischem Recht untersteht.

Als besonders bedeutsam hob Thouvenin die Berücksichtigung von Web-Archiven im Urheberrecht hervor: Das Internet als relevante Informationsquelle sei höchst volatil. Von Servern gelöschte Inhalte seien unwiderruflich verloren, es sei denn, sie würden in Archiven für die Nachwelt erhalten. Hier tätig zu werden, sei auch deshalb angebracht, weil bedeutende Player, bspw. Google, bereits heute über vollständige Kopien des Web verfügen – ein Zustand, der die Gefahr von Machtmissbrauch in sich berge. Nun gebe es bereits sowohl private als auch öffentliche Web-­Archive – Letztere i.d.R. betrieben von Nationalbibliotheken im Rahmen ihres Sammelauftrags. Auch die Schweize­rische Nationalbibliothek archiviere «landeskundlich relevante» Webseiten. Dabei könne sie sich allerdings nicht auf Art. 24 Abs. 1bis URG stützen, da diese Bestimmung die Archivierung lediglich zur Sicherung der eigenen Bestände erlaube. Obschon argumentiert werden könne, der gesetzliche Sammelauftrag der Schweizerischen Nationalbibliothek sei als eine «aussergesetzliche Schranke des Urheberrechts» zu verstehen, sei doch eine Ausweitung der Archivschranke vorzuziehen, um privaten wie öffentlichen Initiativen die Web-Archivierung im Einklang mit dem Urheberrecht zu ermöglichen. Die Inhalte ­solcher Archive müssten der Öffentlichkeit natürlich auch zugänglich gemacht werden. Aktuell sei bspw. das Web-­Archiv der Schweizerischen National­bibliothek lediglich in deren Räumlichkeiten einsehbar, was nicht befriedige. Auf die Inhalte müsse auch online zugegriffen werden können. Nicht nur, aber auch, weil es Web-Archive gebe, die überhaupt nicht über eigene Räumlichkeiten verfügen. Um hier den In­teressen der Rechteinhaber genügend Rechnung zu tragen, böten sich verschiedene Beschränkungen an, so z. B. die Zugänglichmachung erst, wenn die fraglichen Inhalte nicht mehr im «Live Web» vorhanden sind oder eine ­Beschränkung der Nutzung auf Forschungszwecke.

II.Evaluation der ­wissenschaftlichen Sicht durch die Praxis

Dr. Mathis Berger, Rechtsanwalt in Zürich, stellte ebenso wie Rigamonti die Notwendigkeit einer Anpassung im Bereich der Providerhaftung infrage. In diesem Zusammenhang stellte er fest, dass im Vorentwurf gewisse technische Entwicklungen, wie bspw. Streaming, nicht hinreichend berücksichtigt worden seien. Ebenso betonte er die In­ternationalisierung der urheberrecht­lichen Sachverhalte und wies dies­bezüglich auf ungeklärte Fragen im Vorentwurf hin, so z. B. bezüglich der Selbstregulierung bei ausländischen Providern oder der freiwilligen Kollektivverwertung bei ausländischen Rechte­inhabern. Wünschenswert sei es auch, wenn in der noch folgenden bundesrätlichen Botschaft zum URG dargelegt werden würde, weshalb in gewissen Bereichen von den entsprechenden ­Regelungen in der EU abgewichen wurde bzw. weshalb spezifische Schweizer Normen geschaffen wurden. Sodann machte er auf die mangelnde Klarheit vieler im Vorentwurf verwendeter Begriffe aufmerksam, was der Rechtssicherheit abträglich sei.

Bezüglich Lichtbildschutz ging Berger mit Gilliéron darin einig, dass eine solche Regelung nicht ins URG, sondern allenfalls ins UWG gehöre. Eine Verlängerung der Schutzdauer von 50 auf 70 Jahre für verwandte Schutzrechte sei abzulehnen.

Der Vorschlag zur freiwilligen ­Kollektivverwertung sei grundsätzlich zu begrüssen. Die Verteilung der daraus erwachsenden Erlöse sei allerdings noch nicht hinreichend geklärt. Des Weiteren sei zu überlegen, ob die ­An­gemessenheitskontrolle der Ver­teilungsreglemente, die gemäss Art. 48 VE-URG durch das IGE erfolgen soll, der ESchK (Eidgenössische Schiedskommission für die Verwertung von Ur­heberrechten und verwandten Schutzrechten) zukommen sollte.

Dr. Willi Egloff, Rechtsanwalt in Bern, sprach sich gegen die von Rigamonti vorgeschlagene Schrankengeneralklausel aus. Das heute vorhandene komplexe Instrumentarium an Schranken gebe relativ präzise Leitlinien vor, die eine Abschätzung der rechtlichen Lage ermöglichen würden. Dies würde mit einer Generalklausel aufgegeben. Weiter sei das Verhältnis der übrigen Schranken zur subsidiären Generalklausel unklar. Insofern könne auch keine Parallele zur Fair-Use-General­klausel nach US-amerikanischem Recht gezogen werden: Ein Konflikt mit an­deren Schrankenbestimmungen sei dort aufgrund der Gesetzessystematik ausgeschlossen.

Eine umfassendere Wissenschaftsschranke sei zwar wünschenswert, doch dürfe nicht vergessen werden, dass die Schranke für Text und Data Mining ein im Rahmen der AGUR12 mühsam ­erstrittener Kompromiss sei. Er sei ein «schüchterner Anfang», der nun nicht durch Maximalforderungen gefährdet werden sollte. Den Lichtbildschutz im URG lehnte Egloff ab. Seine Meinung begründete er mit Erläuterungen zur Rechtsnatur verwandter Schutzrechte. Dass es sich dabei um Leistungsschutzrechte handle, sei ein Konzept aus Deutschland. Richtigerweise wollten diese Rechte künstlerische Leistungen in der Form von Interpretationen schützen. Dies mache einerseits eine histo­rische Betrachtung deutlich, andererseits die Tatsache, dass, anders als im UWG, keine getätigten Investitionen nachgewiesen werden müssten, um in den Genuss verwandter Schutzrechte zu kommen. Pressefotografien und Ähnliches hätten mit solchen künstlerischen Interpretationen nichts zu tun. Zudem bestehe die Gefahr, dass mit der Einführung eines Lichtbildschutzes auch das Abmahnwesen nach deutschem Vorbild in die Schweiz importiert würde. Lichtbilder seien, wenn überhaupt, durch eine Bestimmung im UWG zu schützen.

Dr. Anne-Virginie La Spada, Rechtsanwältin in Genf, anerkannte zwar, dass die Flexibilität des Rechts darunter leiden könnte, sprach sich aber dennoch für eine Revision des URG auf dem Wege des Gesetzesrechts aus: Gerichtsentscheide zum URG seien in der Schweiz schlichtweg zu rar, um die Rechtsentwicklung vorantreiben zu können. Eine Anpassung des Urheberrechts würde hier Klarheit bringen, bspw. im Bereich der Pirateriebekämpfung. Diesbezüglich scheine Art. 66b VE-URG nicht nur Hosting-Provider mit Sitz in der Schweiz zu umfassen. Falls die neue Bestimmung auch ausländischen Providern Verpflichtungen auferlege, könne ein Rechteinhaber, der vergeblich versucht hat, einen solchen Provider zur Mitwirkung zu bewegen, mithilfe von Art. 62 Abs. 1bis VE-URG gegen ihn vorgehen. Hier stelle sich zusätzlich die Frage nach dem Forum. Sollte nach Art. 5 Ziff. 3 LugÜ oder Art. 109 Abs. 2 IPRG das Gericht am Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, zuständig sein? Selbst wenn ein Schweizer Gericht seine örtliche ­Zuständigkeit als gegeben er­achten würde, wäre die Anerkennung des Urteils vermutlich problematisch. Was das «Zustellungsdomizil[s] in der Schweiz» betrifft, das der Inhaltsanbieter bei seinem Widerspruch gegen das take-down bezeichnen kann (Art. 666 Abs. 3 VE-URG), müsse der Hosting-Provider in seiner Mitteilung an den Inhaltsanbieter klarstellen, ob dieses Domizil als Gerichtswahl gelte, was zumindest dann der Fall sei, wenn der Inhaltsanbieter sich im Ausland be­finde. Es sei zu erwarten, dass Hosting-Provider von ausländischen Piraterieseiten nicht mit den Rechteinhabern kooperieren würden. Folglich sei der Mechanismus des Art. 66b VE-URG nur dann effektiv, wenn sowohl der Provider als auch sein Kunde ihren (Wohn-)Sitz in der Schweiz hätten. Das sei ­jedoch häufig nicht der Fall.

Weiter bedauerte La Spada, dass Netzsperren aus dem Vorentwurf weichen sollen. Obschon Access-Blocking nicht unproblematisch sei – La Spada nannte Kosten, Umgehungsmöglichkeiten und die Gefahr von Overblocking – sei es momentan oft die einzige ­Möglichkeit, die urheberrechtswidrige ­Nutzung geschützter Werke zu unterbinden. Auch hätten Netzsperren mög­licherweise eine erzieherische Wirkung. Vielen Nutzern sei nicht bewusst, dass sie urheberrechtswidrige Inhalte konsumieren. Einen Widerspruch zwischen Netzsperren und der Privatgebrauchsschranke von Art. 19 URG sehe sie nicht, schliesslich garantiere diese Schranke keinen Anspruch auf Gebrauch von Werken. Zuzustimmen sei hingegen Thouvenins Vorschlag zu Web-Archiven. Sie seien auch im juristischen ­Bereich bedeutsam, bspw. vor Gericht für Beweiszwecke.

III.Panel- und Plenums­diskussion

1.Rechtsdurchsetzung

Gemäss Rigamonti spricht die Tat­sache, dass es im Bereich des Urheberrechts vergleichsweise wenig Rechtsprechung gibt, nicht dagegen, hier anstatt des Gesetzgebers die Gerichte walten zu lassen. Der Grund für die ­geringe Anzahl Fälle deute entweder darauf hin, dass in der Praxis gar kein Problem bestehe oder dass die prozessualen Hürden zu gross seien. Dann aber sei die Lösung nicht im Urheberrecht zu suchen. Thouvenin wies darauf hin, dass die Frage der Mitwirkung durch Internet-Service-Provider ein Grundproblem sei, welches über das Urheberrecht hinausgehe. Mit Art. 50 OR existiere zwar eine mögliche Rechtsgrundlage, doch herrsche hinsichtlich ihrer Handhabung im Zusammenhang mit der Providerhaftung grosse Un­sicherheit, die auch durch die Rechtsprechung bislang nicht habe ausgeräumt werden können. Eine solche Rechtsunsicherheit, fügte La Spada an, halte die Betroffenen davon ab, vor ­Gericht zu gehen, worauf die tiefe Zahl von Gerichtsfällen zurückzuführen sei.

Daraufhin stellte Hilty die Frage, ob zwischen dem materiellen Urheberrecht und Netzsperren wirklich ein ­potenzieller Widerspruch bestehe. Thouvenin bejahte diesen, weil es zwischen dem Access-Provider des Kon­sumenten von urheberrechtswidrigen Inhalten und der Urheberrechtsverletzung an der adäquaten Kausalität als Grundlage für die Zurechnung fehle. Diesem Votum schloss sich Gilliéron an. Dr. Kai-Peter Uhlig, Rechtsanwalt in Zürich, hielt mit dem Argument dagegen, Access-Provider seien ein Teil der Verwertungskette im Internet. Ihr ­Tatbeitrag sei folglich, auch wenn der Download an sich zulässig sei, durchaus adäquat kausal. Sodann gebe es bereits erste empirische Studien, welche aufzeigen würden, dass Netzsperren trotz Umgehungsmöglichkeiten wirksam seien. Thouvenin hielt dem entgegen, das Problem des doppelten Widerspruchs bleibe ungelöst, selbst wenn man die Eignung von Netzsperren be­jahen würde. Namentlich sei es, wie erwähnt, widersprüchlich, wenn der Gesetzgeber den Download zwar weiterhin rechtlich erlauben, aber faktisch durch Netzsperren verhindern würde. Die adäquate Kausalität sei sodann eine reine Wertungsfrage, bei der man ­immer unterschiedlicher Meinung sein könne. Aus seiner Sicht könne sie in diesem Fall aber klar verneint werden.

2.Schrankenregelungen

Hilty warf die Frage auf, inwiefern sich die Situation bei Einführung einer ­Generalklausel im Vergleich zur heutigen Lage ändern würde. Die Gerichte müssten nämlich mit einer solchen Klausel umgehen können, was vor dem Hintergrund der EuGH-Rechtsprechung zum Urheberrecht zweifelhaft sei. ­Rigamonti traute den Handelsgerichten und dem Bundesgericht jedoch ­einen kompetenten Umgang mit der Generalklausel zu. Auch Berger würde eine solche der «Grundrechtskeule aus dem Giftschrank» vorziehen. Obschon einer Generalklausel grundsätzlich nicht abgeneigt, wies Thouvenin auf die Erfahrungen mit dem UWG hin. Trotz Generalklausel würden dort die Gerichte häufig Zuflucht in den klarer definierten Sondertatbeständen suchen. Ausserdem biete bereits das ­heutige System überraschend viel Raum für Flexibilität, zumal Gerichte eine Werknutzung auch erlauben könnten, indem sie Art. 10 URG enger fassten oder bestehende Schranken analog ­anwendeten. Rigamonti entgegnete, dass es nicht die Meinung einer subsidiären Schrankengeneralklausel sei, die einzelnen Schranken zu ersetzen, sondern im Sinne eines Notventils die Fort­bildung des Rechts im Schranken­bereich zu ermöglichen, sofern die ­Gerichte den bestehenden Katalog für zu eng halten sollten. Egloff lehnte eine Generalklausel mit dem Argument ab, sie passe nicht ins System des URG. Eine möglicherweise präzisere Alter­native zu Rigamontis Vorschlag böte gemäss Hilty der European Copyright Code, ein Modellgesetz: Dort würden die Schranken nach Funktionen gruppiert, wobei auf jede Kategorie eine Generalklausel falle.

Einigkeit unter den Referenten ­bestand im Grundsatz über eine Schranke zu wissenschaftlichen Zwecken. Gemäss Egloff wäre eine vergütungspflichtige gesetzliche Lizenz dafür geeignet. Dies v.a. im Hinblick auf ­kleinere Wissenschaftsverlage, die ihre Kosten decken müssten. Dieser Ansicht schlossen sich sämtliche Panelteil­nehmer an, wobei Thouvenin betonte, Text und Data Mining müsse ver­gütungsfrei bleiben. Bezüglich des Zweitveröffentlichungsrechts gingen die Meinungen stärker auseinander. Egloff vertrat die Position, ein solches Recht sei gar nicht nötig, wenn das ­Erstveröffentlichungsrecht richtig funktionieren würde. So hätten es Förder­institutionen wie der SNF in der Hand, mit ihren Geldern finanzierte Werke öffentlich zugänglich zu machen. Mit einer solchen alternativen Lösung zur Zugangsverschaffung sei er auch einverstanden, so Thouvenin, allerdings gebe es in der Praxis bislang nichts, was funktioniere. Das Zweitveröffent­lichungsrecht sei in diesem Sinne eine Notlösung. Hilty warf ein, grosse Verlage wie Springer würden eine Zugänglichmachung bereits erlauben, weil sie sie sowieso nicht verhindern könnten. Ebenso würden an Universitäten bereits Inhalte zur Verfügung gestellt, obschon die entsprechenden Rechte daran ­eigentlich bei den Verlagen lägen. Das Problem sei folglich faktisch gar nicht so gross. Allerdings, warf Thouvenin ein, befände man sich dabei in der ­Situation, in der man gegen geltendes ­Urheberrecht verstosse, was gerade für Urheberrechtler wenig erfreulich sei.

Von Hilty auf Web-Archive angesprochen, forderte Thouvenin in einem ersten Schritt eine Schranke für die Vervielfältigung von Web-Content. Möglichst rasch seien Inhalte zu sichern, die sonst für immer verschwinden könnten. Das Problem der Zugänglichmachung sei weniger drängend und könnte unter Umständen auch in Zukunft gelöst werden.

3.Lichtbildschutz

Gleicher Meinung waren die Referenten besonders im letzten Diskussionspunkt: Einhellig lehnten sie einen Lichtbildschutz im URG ab. Egloff hätte allerdings grundsätzlich keine Einwände dagegen, solange der Schutz im UWG verankert würde. La Spada betonte, die neue Bestimmung könne den genuin urheberrechtlichen Schutz, den einige Pressefotografien aufgrund von Art. 2 URG geniessen, vermindern. Die Hemmschwelle, den individuellen Charakter zu verneinen, würde sinken, wüsste man, dass dies die Fotografien nicht sämtlichen Schutzes berauben würde. Ebenso einig war man sich ­darüber, dass eine Verlängerung der Schutzdauer bei Leistungsschutzrechten nicht sinnvoll sei.

Fussnoten:
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M.A. HSG, wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Informations- und Kommunikationsrecht, Universität Zürich.