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Berichte / Rapports

Ittinger Workshop zum Kennzeichenrecht, 5. und 6. September 2014

Agnieszka Taberska*

Der von Dr. Michael Ritscher in inhaltlicher und von Dr. Christoph Gasser in organisatorischer Hinsicht geleitete, traditionelle Ittinger Workshop war diesmal dem Thema «Freihalteinteressen im Markenrecht» gewidmet.

Michael Ritscher wies in seiner Einleitung darauf hin, dass der Begriff «Freihalteinteressen» als Thema gewählt wurde, da dieser offener als der Begriff des «Freihaltebedürfnisses» und deshalb vielleicht besser geeignet sei, neue Erkenntnisse zu gewinnen. Im Immaterialgüterrecht stehen sich drei Gruppen von Interessen gegenüber: Erstens das Interesse der Abnehmer an einer Reduktion der Suchkosten; zweitens das Interesse der Schutzrechtsinhaber an einem Schutz ihrer Investitionen; und schliesslich die Interessen der Mitbewerber, in ihrer Wettbewerbsfreiheit nicht unnötig eingeschränkt zu werden. Im Patentrecht sind die Interessen von Mitbewerbern an der Freihaltung technischer Ideen zur Förderung von Innovationen besonders augenfällig. Im Urheberrecht sind es demgegenüber nicht die Mitbewerber, sondern die Nutzer, die mehr Freiheit bei der Nutzung von – zunehmend in digitalisierter Form zugänglichen – Werken der Literatur und Kunst fordern. Betrachtet man das Markenrecht traditionell als Instrument des Schutzes von Konsumenten vor der Täuschung über die Herkunft von Produkten, ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich, worin allfällige Freihalteinteressen von Mitbewerbern bestehen sollen. Entsprechend sind die Begriffe des «Freihaltebedürfnisses» bzw. der «Freihaltebedürftigkeit» denn auch weder im schweizerischen noch im europäisch harmonisierten Markenrecht gesetzlich verankert, sondern wurden im Laufe der Zeit von Rechtsprechung und Lehre geschaffen. Die Entwicklung des Markenrechts zu einem vollwertigen, über ein blosses Täuschungsverbot hinausgehendens Immaterialgüterrecht hat indessen zu vermehrten Forderungen nach einer Beachtung von Freihalteinteressen der Mitbewerber geführt. Diese werden im Rahmen der Schutzvoraussetzungen mit der Gebrauchspflicht eingetragener Zeichen, dem Schutzausschluss von zu Gemeingut gehörenden Zeichen und der Nichteintragung täuschender Herkunftsbezeichnungen bereits stark berücksichtigt. Auch nach der Eintragung einer Marke wird den Freihalteinteressen von Mitbewerbern insoweit Rechnung getragen, als nicht jede, sondern nur eine kennzeichenmässige Benutzung einer Marke potenziell verletzend ist. Schliesslich steht es den Mitbewerbern offen, sich mittels eines Widerspruchsverfahrens gegen die Eintragung jüngerer verwechselbarer Marken zu schützen oder die Löschung nicht rechtserhaltend benutzter Marken im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens zu erwirken.

Prof. Dr. Stefan Bechtold, Professor an der ETH Zürich, eröffnete die Vortragsreihe mit der Untersuchung von Freihalteinteressen an Kennzeichen aus der Perspektive der Rechtsökonomie. Das Markenrecht hilft aus ökonomischer Sicht, ein Marktversagen zu lösen, zu dem es bei einer asymmetrischen Informationsverteilung kommen kann. Bei fehlender oder unvollständiger Information betreffend die Qualität von Produkten fehlt der Anreiz, hochwertige Produkte herzustellen, was die Verbreitung von minderwertigen Produkten zur Folge hat. Das Markenrecht stellt ein Instrument dar, um derartige Informationsasymmetrien zwischen Herstellern und Verbrauchern zu überwinden. Mittelbare Folge des Markenrechts ist der Anreiz für Hersteller, in die Qualität ihrer Produkte und in ihre Reputation zu investieren, da Verbraucher Produkte unterschiedlicher Qualität anhand von Marken auseinanderhalten können. Betreffend das Freihaltebedürfnis wird angenommen, dass Mitbewerber solange auf andere Zeichen ausweichen können, als diese nicht wesentlich oder unentbehrlich sind. Zeichen, welche die Informationsasymmetrie nicht überwinden können – indem sie keine Unterscheidungskraft aufweisen oder aus technisch notwendigen Formen bestehen – führen zu erheblichen Mehrkosten, sodass diesbezüglich aus ökonomischer Sicht kein Schutzbedürfnis besteht. Im Publikum wurde die Frage aufgeworfen, ob sich das Markenrecht von ökonomischen Theorien überhaupt erfassen lasse, da das Markenrecht die Investition in die Reputation ermögliche und diese gerade dann ins Spiel komme, wenn kein perfekter Wettbewerb bestehe. Bechtold entgegnete, dass eine Vielzahl ökonomischer Modelle, die sich mit der Frage der Reputation und deren Übertragung befassen, nicht auf der Hypothese eines perfekten Wettbewerbs beruhen.

Des Weiteren erläuterte Bechtold anhand von Studien, dass zwischen Marken- und Konkurrenzprodukten ein Spillover-Effekt auftreten kann, indem das Konkurrenzprodukt von der Marke profitiert, selbst wenn keine Verwechslungsgefahr besteht. So stärkte die Werbung für das Markenprodukt die Wiedererkennung nicht nur des Originals, sondern auch des Konkurrenzproduktes. In einer anderen Studie konnte festgestellt werden, dass eine Beschränkung des Markenschutzes dem Markeninhaber sogar nützlich sein kann. Konkret hatte Google Wiederverkäufern in den USA erlaubt, im Text von Werbeanzeigen Marken zu verwenden, ohne hierfür die Genehmigung der Markeninhaber einzuholen. Dies führte nicht etwa zu einem geringeren, sondern zu einem höheren Besucherandrang auf den Portalen der Markeninhaber. Bechtold wies darauf hin, dass hierfür bislang noch kein ökonomisches Erklärungsmodell besteht und fraglich ist, ob die Studien verallgemeinerungsfähig sind, sodass sich daraus keine abschliessenden rechtspolitischen Schlussfolgerungen ziehen lassen.

Stefan Fraefel, stellvertretender Leiter der Markenabteilung des IGE, erläuterte zunächst die Doppelfunktion der Generalklausel von Art. 2 lit. a MSchG. Demnach soll die Fehlmonopolisierung von Zeichen ohne Unterscheidungskraft sowie von Zeichen, die im Wirtschaftsverkehr wesentlich oder unentbehrlich sind und an denen ein Freihaltebedürfnis besteht, verhindert werden. Dabei steht ein Zeichen bereits dann im Gemeingut, wenn es nur einen der beiden Teilaspekte erfüllt. Scheitert die Eintragung eines Zeichens bereits an der fehlenden Unterscheidungskraft, so prüft das IGE das Zeichen nicht noch zusätzlich in Bezug auf das Freihaltebedürfnis.

Das Freihaltebedürfnis muss nicht zwingend aktuell, sondern kann auch in die Zukunft gerichtet sein. So kann ein aktuell von Abnehmern als unterscheidungskräftig wahrgenommenes Zeichen aufgrund der zukünftig erwarteten Entwicklung des Marktes oder der geografischen Region zum Gemeingut gezählt werden, wie das Beispiel «Vuvuzela» (BVGer vom 21. Juni 2007, B-181/2007) zeigt. Ob ein künftiges Freihaltebedürfnis vorliegt, prüft das IGE aus der Sicht der Konkurrenten, wobei es neben der aktuellen auch die zukünftige Marktsituation berücksichtigt. Die Möglichkeit, dass ein Zeichen aufgrund der zukünftigen Entwicklung insbesondere als geografische Herkunftsangabe wahrgenommen wird, muss ernsthaft in Betracht fallen, was das IGE u.a. anhand der Kriterien der Infrastruktur, Bevölkerungsdichte und des Exports in die Schweiz prüft. Ist eine ausländische Herkunftsangabe im Ursprungsland als Marke eingetragen, verneint das IGE ein bestehendes Freihaltebedürfnis. Über die Unterscheidungskraft des Zeichens oder eine von diesem ausgehende Täuschungsgefahr in der Schweiz ist damit aber noch nicht entschieden.

Sodann kam Fraefel auf den Ausschlussgrund von Art. 2 lit. b MSchG zu sprechen, wonach Formen, die das Wesen der Ware ausmachen, und technisch notwendige Formen vom Markenschutz absolut ausgeschlossen sind. Technisch notwendig ist eine Form dann, wenn den Konkurrenten zur Erfüllung der gleichen technischen Wirkung keine alternative Form zur Verfügung steht oder eine Formalternative nicht zumutbar ist, etwa weil sie eine weniger praktische, weniger solide oder mit grösseren Herstellungskosten verbundene Lösung wählen müssten. Des Weiteren setzte sich Fraefel mit der Frage auseinander, ob an die Verkehrsdurchsetzung von Zeichen, an denen kein absolutes Freihaltebedürfnis besteht, je nach Banalität unterschiedliche Anforderungen gestellt werden. Bekanntlich wird Verkehrsdurchsetzung angenommen, wenn ein Zeichen von einem erheblichen Teil der Abnehmer als individualisierender Hinweis auf ein bestimmtes Unternehmen verstanden wird. Fraglich ist, wie gross der prozentmässige Anteil der betreffenden Abnehmer sein muss, um eine Verkehrsdurchsetzung zu bejahen. Das Bundesgericht ging im «Post»-Entscheid davon aus, dass ein Richtwert von über 50% vorliegen müsse, wobei der Wert von 66% ausreichend sei. Fraefel wies darauf hin, dass der Wert von über 50% nach der Praxis des IGE nicht flexibel sei und keine Veranlassung bestehe, diesen noch zu erhöhen.

Die Kasuistik des IGE zu Art. 2 und Art. 3 MSchG ist unter ph.ige.ch/ph/abrufbar.

Marc Steiner, Richter am Bundesverwaltungsgericht, präsentierte eine Übersicht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesgerichts zum Freihaltebedürfnis im Markenrecht. Einleitend stellte Steiner fest, dass das absolute Freihaltebedürfnis kein der markenrechtlichen Logik inhärenter Begriff sei, sondern es sich hierbei vielmehr um einen wettbewerbsrechtlichen Begriff handle. Nach seiner Erfahrung seien diejenigen Akteure, welche den Vertretern der Gegenmeinung rechtspolitische Intentionen vorhalten, am deutlichsten von rechtspolitischen Zielsetzungen geleitet. Es gelte frei nach Paul Watzlawick der Satz «Man kann nicht nicht politisieren».

Zunächst zeigte Steiner anhand des Entscheides «Stone/Contimilestone» (BVGer vom 8. Mai 2014, B-4664/2013) die Bedeutung des Gemeinguts im Widerspruchsverfahren auf. Sodann kam Steiner darauf zu sprechen, dass freihaltebedürftigen Zeichen oft gleichzeitig die Unterscheidungskraft fehlt, beide Fallgruppen mithin eine gewisse Schnittmenge aufweisen, was anhand des Entscheides «Vuvuzela» (BVGer vom 21. Juni 2007, B-181/2007) ersichtlich ist. Dies kann zu unscharfen Definitionen führen. Dieser Entscheid kann gemäss Steiner auch herangezogen werden in Bezug auf die Berücksichtigung der zukünftigen Entwicklung bei der Frage, ob ein Zeichen als geografische Herkunftsangabe verstanden werden kann. Massgeblich für die Prüfung des Freihaltebedürfnisses ist dabei nicht das künftige Verständnis der Konsumenten, sondern vielmehr das künftige Bedürfnis der Mitbewerber, das Zeichen zu benutzen. So ging das Bundesverwaltungsgericht beim Entscheid «Pernaton/Pernadol 400» (BVGE 2010/32) davon aus, dass der Begriff «Perna» (lat. Muschel) aus Sicht der Abnehmer nicht beschreibend sei, da er von diesen nicht verstanden werde. Wohl aber sei er freihaltebedürftig, da die Konkurrenten darauf angewiesen seien, aus Muscheln gewonnene Präparate mit dem lateinischen Fachbegriff zu kennzeichnen. Auf die im Publikum aufgeworfene Frage, ob bei der Einschätzung der zukünftigen Entwicklung nicht auch die Erwartungen der Konsumenten zu berücksichtigen seien, entgegnete Steiner, dass die Entwicklung der Konkurrenz zwar von den Erwartungen der Konsumenten abhänge. Legitimation und Richtungsweiser für die Bejahung eines Freihaltebedürfnisses sei aber klar die Perspektive der Konkurrenten. Anhand des Entscheides «Pernaton/Pernadol 400» zeigte Steiner sodann auf, dass das gängige Prüfschema bei der Beurteilung der Zugehörigkeit eines Zeichens zum Gemeingut, wonach zuerst die Unterscheidungskraft des Zeichens geprüft und danach das Freihaltebedürfnis untersucht wird, nicht zwingend ist. Vielmehr gibt es je nach Sachverhalt auch gute Gründe für die umgekehrte Prüffolge, wonach zuerst das Freihaltebedürfnis geprüft und bei dessen Bejahung auf die Untersuchung der Unterscheidungskraft verzichtet werden kann.

Des Weiteren zeigte Steiner anhand der Entscheide «M/M-joy» (BGE 134 III 314) und «Sterne für Beherbergung» (BGE 137 III 77) auf, dass die Anforderungen an den Nachweis der Verkehrsdurchsetzung umso strenger sind, je banaler ein Zeichen ist. Bei der Besprechung der Entscheide «Bürgenstock» (BVGer vom 14. Dezember 2012, B-1260/2012) und «The Royal Bank Of Scotland» (BVGer vom 30. September 2008, B-7426/2006) warf Steiner die Frage auf, welche Bedeutung dem Freihaltebedürfnis zukommt, wenn es aufgrund regulatorischer Bestimmungen einen einzigen Anbieter für das infrage stehende Produkt gibt. Bei letzterem Entscheid, so präzisierte Steiner, sei allerdings nicht nur auf das Freihaltebedürfnis, sondern auch auf den Aspekt der Täuschung von Konsumenten abgestellt worden.

Zuletzt kam Steiner auf die in Fachkreisen gelegentlich diskutierte Frage zu sprechen, ob das IGE in Bezug auf die Unterscheidungskraft einen zu paternalistischen Ansatz pflege und ob es nicht zu einem gewissen Grad den Anmeldern überlassen bleiben sollte, wie stark der Schutzumfang ihrer Marken sein soll. Dieselbe Frage stelle sich auch in Bezug auf die Praxis zum Freihaltebedürfnis. Massgeblich für die Frage nach dem Sinn des Freihaltebedürfnisses sei das Bild, das sich der Regulator vom idealen Wettbewerb bzw. von Marktauftrittsmöglichkeiten der Mitbewerber mache, womit sich die markenrechtliche mit einer wettbewerbsrechtlichen Betrachtungsweise vermische. Nur wenn als Prämisse klar sei, dass die Lösung dieses Problems in der Schnittmenge zwischen Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht liegt, könne darüber eine methodenehrliche Diskussion geführt werden. Aus dem Publikum wurde die Frage aufgeworfen, inwiefern relevant sei, dass das Markenrecht von der Eigentumsgarantie abgedeckt werde. Steiner führte hierzu aus, dass im Markenrecht so oder anders mit Blick auf das Gebot der Kohärenz der Rechtsordnung gelegentlich öffentlich-rechtliches Denken einfliessen müsse, wie das Beispiel «Madonna» (BVGE 2010/47) zeige.

Dr. Verena von Bomhard, Rechtsanwältin in Alicante, wies einleitend darauf hin, dass das Kriterium des Freihaltebedürfnisses im europäisch vereinheitlichen Markenrecht – anders als im schweizerischen Markenrecht – keine eigenständige Bedeutung hat. Vielmehr stellt das Freihaltebedürfnis das öffentliche Interesse dar, welches dem Katalog absoluter Ausschlussgründe (in Art. 7 Abs. 1 lit. c der Gemeinschaftsmarkenverordnung) zugrunde liegt. Entsprechend wird das Freihaltebedürf|nis in den Prüfungsrichtlinien des Harmonisierungsamtes denn auch lediglich unter dem Titel «irrelevante Kriterien» aufgeführt. Das europäische Markenrecht kennt keinen Begriff des «absoluten Freihaltebedürfnisses» und auch keine theoretische Anerkennung unterschiedlicher Anforderungen an den Nachweis der Verkehrsdurchsetzung je nach Grad der Banalität des infrage stehenden Zeichens. Gemäss Rechtsprechung des EuGH bildet das Freihaltebedürfnis auch keinen relevanten Umstand, der bei der Beurteilung von Verwechslungsgefahr zu berücksichtigen ist, was nach Ansicht der Referentin indessen zu weit geht (Urteil C-102/07 i.S. Adidas vs. Marca Mode).

Von Bomhard kam sodann kritisch auf die im EU-Raum verbreitete Unsitte zu sprechen, beschreibende Elemente – die als Wortmarke nicht eingetragen werden können – kombiniert mit einem banalen Bildelement als Marke einzutragen und gestützt auf diese gegen Konkurrenten, welche das beschreibende Element für die Kennzeichnung ihrer Produkte verwenden, vorzugehen. Derartige Strategien werden von der Rechtsprechung gestützt, indem die Verwechslungsgefahr zwischen beschreibenden Zeichen, die nur durch banale bildliche Elemente voneinander abweichen, oftmals bejaht wird. Die Auswirkungen dieser Rechtsprechung schlagen sich direkt in der Anmeldestrategie nieder, indem eine möglichst breite Anmeldung beschreibender Elemente – kombiniert mit einem banalen Bildelement – vorgenommen wird, um auf diese Weise quasi Markenschutz durch die Hintertür zu erlangen. Das Harmonisierungsamt ist bestrebt, mit einem Konvergenzprogramm zu absoluten und relativen Eintragungshindernissen eine harmonisierte Praxis in den Markenämtern zu erreichen, was die Eintragung ausschliesslich beschreibender Wörter aufgrund ihrer grafischen Ausgestaltung als Bildmarken und die Beurteilung von kennzeichnungsschwachen Bestandteilen bei Verwechslungsgefahr angeht. Ein entsprechender Bericht über die Grundsätze der gemeinsamen Praxis liegt bereits vor, hat jedoch keine Bindungswirkung für das EuG. Abschliessend hielt von Bomhard fest, dass der Problematik ihrer Meinung nach nicht durch eine strengere Prüfung auf der Anmeldeebene begegnet werden sollte. Vielmehr würden sich Disclaimer als Lösung anbieten, denen das Amt aber nach wie vor sehr skeptisch gegenübersteht.

Traditionsgemäss untersuchten die Teilnehmenden am zweiten Tag ausgewählte Themenbereiche in sechs Arbeitsgruppen. Anschliessend fanden sich alle Gruppen zusammen, um gemeinsam über die Ergebnisse zu diskutieren.

Die von Dr. Mark Schweizer geleitete Arbeitsgruppe befasste sich mit der Frage, ob bei der Prüfung der Zugehörigkeit zum Gemeingut das Kriterium des Freihaltebedürfnisses neben demjenigen der Unterscheidungskraft überhaupt notwendig ist oder ob umgekehrt das Kriterium des Freihaltebedürfnisses ausreichend ist und auf dasjenige der Unterscheidungskraft verzichtet werden kann. Anhand des Bundesgerichtsentscheides 129 III 225, worin das Zeichen «Masterpiece» als beschreibend für die Qualität von Finanzdienstleistungen und somit als nicht unterscheidungskräftig vom Markenschutz ausgeschlossen wurde, untersuchte die Gruppe, ob man bei Ersetzung des Kriteriums der Unterscheidungskraft durch dasjenige des Freihaltebedürfnisses zum selben Resultat gelangen würde. Dies wurde bejaht, da «Masterpiece» für Finanzdienstleistungen ebenso beschreibend wie freihaltebedürftig sei. Würde demgegenüber das Zeichen «Ce’Real» (BGer vom 23. September 2013, 4A_266/2013) einzig aus der Perspektive des Freihaltebedürfnisses – und nicht, wie durch das Bundesgericht, aus derjenigen der Unterscheidungskraft – beurteilt, so käme man zum Schluss, dass das Zeichen als Marke eintragungsfähig wäre, da Mitbewerber nicht zwingend auf die entsprechende Schreibweise mit dem Apostroph angewiesen sind. Die Mehrheit sprach sich jedoch gegen die Eintragung solcher – nicht unterscheidungskräftiger – Zeichen als Marken aus, selbst wenn an ihnen kein Freihaltebedürfnis besteht. Es wurde die Befürchtung geäussert, dass solchen Zeichen im Verletzungsprozess zum Nachteil von Mitbewerbern ein zu breiter Schutzbereich zugesprochen würde. Im Ergebnis kam die Gruppe zum Schluss, dass sich die Unterscheidung zwischen den Kriterien der Unterscheidungskraft und des Freihaltebedürfnisses in Lehre und Rechtsprechung bewährt hat und beibehalten werden soll.

Die von Dr. Gallus Joller geleitete Arbeitsgruppe befasste sich mit der Gegenüberstellung von Freihalteinteressen und dem Schutzumfang von Marken. Die Arbeitsgruppe war sich einig, dass – anders als nach der Rechtsprechung des EuGH – in der Schweiz das Freihaltebedürfnis bei der Bestimmung des Schutzumfangs zu berücksichtigen ist. Der Schutzumfang einer Marke ist bekanntlich nicht statisch, sondern hängt von der Stärke einer Marke ab, die wiederum zeitlich variabel ist und durch intensiven Gebrauch wachsen kann. Besprochen wurde der Entscheid B-4829/2012 des Bundesverwaltungsgerichts. Während das IGE das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr zwischen den Wortmarken «Land Rover» und «Land Glider» anhand der blossen Übereinstimmung im schwachen Element «Land» verneinte, nahm das Bundesverwaltungsgericht insbesondere angesichts der Bekanntheit bzw. des erhöhten Schutzumfangs der älteren Marke «Land Rover» mittelbare Verwechslungsgefahr an. Der Entscheid sorgte für angeregte Diskussionen, wurde von der Mehrheit – allerdings mit unterschiedlicher Begründung – mitgetragen. Die Gruppe kam zum Schluss, dass das Freihaltebedürfnis in Verletzungsverfahren eine Rolle spielt und ein rechtspolitisches Korrektiv darstellt, das aus Sicht der Mitbewerber beurteilt werden soll. Das Freihaltebedürfnis, so der Tenor, sollte im Verletzungsprozess jedoch flexibel gehandhabt werden; bei der Anwendung des absoluten Freihaltebedürfnisses im Verletzungsprozess sei Skepsis geboten. Diskutiert wurde zuletzt die Frage, ob auch ein zukünftiges Freihaltebedürfnis im Verletzungsprozess bzw. Widerspruchsverfahren eine Rolle spielen dürfe, was von der Mehrheit jedoch mit Hinweis auf prozessuale Schwierigkeiten bei der Darlegung einer zukünftigen Verwechslungsgefahr abgelehnt wurde.

Mit der Frage des absoluten Freihaltebedürfnisses an nicht dreidimensionalen Zeichen setzte sich die Arbeitsgruppe um RA Patrick Schutte auseinander. Dem Entscheid 4A_370/2008 des Bundesgerichts – worin das Zeichen «Post» als absolut freihaltebedürftig für Postdienstleistungen und somit als der Verkehrsdurchsetzung nicht zugänglich erklärt worden war – wurde der Entscheid I ZR 78/06 des deutschen Bundesgerichtshofs gegenübergestellt. In diesem Konfliktfall wurde eine Verwechslungsgefahr zwischen den Marken «Post» der Deutschen Post AG und «Ostsee-Post» eines privaten Postdienstleisters für Post- bzw. Briefdienste verneint. Begründet wurde dies unter anderem damit, das beschreibende Zeichen «Post», welches aufgrund Verkehrsdurchsetzung Markenschutz beanspruche, habe trotz eines Durchsetzungsgrades von 80% keine gesteigerte Kennzeichnungskraft erlangt. Zudem stützte sich der BGH auf die Schrankenbestimmung § 23 des deutschen Markengesetzes. Danach verleiht die Marke ihrem Inhaber unter anderem dann kein Abwehrrecht, wenn die Benutzung des Zeichens durch Dritte als Angabe über die Merkmale der Waren oder Dienstleistungen erfolgt und diese Benutzung nicht gegen die guten Sitten verstösst. Vor dem Hintergrund der Liberalisierung von Postdienstleistungen sei eine Beschränkung des Schutzumfanges der Marke wünschenswert, da ansonsten neuen Mitbewerbern auf dem bisher durch die Markeninhaberin monopolisierten Markt versagt würde, den beschreibenden Begriff «Post» für ihre Dienstleistungen zu verwenden. Eine entsprechende Schrankenbestimmung fehlt im schweizerischen MSchG. Die Gruppe kam zum Schluss, dass sich bislang die relevanten Fälle eines absoluten Freihaltebedürfnisses im Bereich der ehemaligen Monopolbetriebe abgespielt hätten. Weiter stelle die Rechtslage in der Schweiz gegenüber derjenigen in Deutschland keine schlechtere Lösung in Bezug auf die Rechtssicherheit dar. Indem beschreibende Zeichen trotz Verkehrsdurchsetzung gar nicht erst als Marke eingetragen würden, herrsche zu einem früheren Zeitpunkt Klarheit über den Schutzumfang des Zeichens. Uneinigkeit herrschte darüber, inwiefern es die Aufgabe des IGE sei, durch die Annahme eines absoluten Freihaltebedürfnisses kleine und mittlere Unternehmen vor Abmahnungen wegen der Verwendung gemeinfreier Begriffe zu schützen.

Die von Dr. Adrian Wyss geleitete Arbeitsgruppe befasste sich mit der Berücksichtigung von Freihalteinteressen im Rahmen der Verkehrsdurchsetzung. Wyss kam einleitend auf die Problematik der Verkehrsdurchsetzung von Sloganmarken zu sprechen. So scheitere die landesweite Verkehrsdurchsetzung einer Sloganmarke in der Regel daran, dass sie in den unterschiedlichen Sprachregionen nicht im Original verwendet, sondern entsprechend übersetzt werde, sodass sich die deutsche Version in der französischsprachigen Schweiz gar nie durchsetzen könne. Sodann wurde diskutiert, ob der für die Verkehrsdurchsetzung erforderliche Kennzeichnungsgrad von der ursprünglichen Zeichenschwäche abhängig ist (sog. Relativität des Verkehrsdurchsetzungstatbestandes) oder ob die Banalität eines Zeichens nur höhere Anforderungen an den Nachweis der Durchsetzung (und nicht an den Kennzeichnungsgrad als solchen) nach sich ziehen würde. Während sich einige Gesprächsteilnehmer auf den Standpunkt stellten, die grössere Banalität eines Zeichens verlange einen höheren Kennzeichnungsgrad, forderten andere Votanten bei solchen Trivialzeichen nur höhere Anforderungen an den Nachweis der Verkehrsdurchsetzung. Anschliessend wurde die Frage diskutiert, ob bei demoskopischen Umfragen betreffend die Bekanntheit eines Kennzeichens ein starrer Richtwert verlangt werden soll und falls ja, in welcher Höhe: 50%, 66% oder gar darüber? Wyss stellte klar, dass der im «Appenzeller»-Entscheid (BGE 128 III 441) genannte und seither vielzitierte Richtwert von 66% das konkrete Ergebnis der durchgeführten Umfrage gewesen sei und dass solch hohe Werte in der Praxis nur selten erreicht würden. Als begrüssenswert bezeichnete Wyss vielmehr den Ansatz, einen geforderten Kennzeichnungsgrad von 50% als Richtwert anzusehen. Bezüglich der geforderten Intensität der Verkehrsdurchsetzung gelangten die Teilnehmer indessen zu keinem einheitlichen Richtwert, welcher gefordert werden sollte. Die angeregte Diskussion zeigte aber die anhaltende Wichtigkeit und praktische Relevanz des Themas auf.

Die von Marianne Grabrucker geleitete Arbeitsgruppe befasste sich mit der Berücksichtigung von Freihalteinteressen in Hinsicht auf das Waren- und Dienstleistungsverzeichnis. Einleitend zitierte Grabrucker als Beispiel aus der Praxis das Zeichen «Bronx», das für ein umfangreiches Sortiment an Waren und Dienstleistungen angemeldet worden war und dem der Markenschutz mit der Begründung versagt wurde, in Zukunft könnten alle erdenklichen Waren und Dienstleistungen in dem Stadtteil New Yorks angeboten werden, weshalb das Zeichen «Bronx» als Herkunftshinweis freizuhalten sei. Die Arbeitsgruppe kam zum Schluss, dass ein derart pauschaler Schutzausschluss zu weit geht und konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen müssen, dass der infrage stehende Ortsteil sich in die Richtung der betreffenden angemeldeten Waren und Dienstleistungen entwickelt, etwa indem bestimmte Wirtschaftssektoren gefördert werden. Grabrucker sprach sich für mehr Sorgfalt in der Analyse des Freihaltebedürfnisses aus. Insbesondere sei Vorsicht bei der Anwendung starrer Prozentsätze geboten. Die Frage, auf welche Begriffe die Mitbewerber angewiesen seien bzw. ob ein Begriff in der Branche beschreibend sei oder als Marke eingesetzt werde, lasse sich nicht mit einigen Internetausdrucken beantworten, sondern setze eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Marktauftritt im betreffenden Wirtschaftszweig voraus. Ein Verständnis der infrage stehenden Waren und Dienstleistungen sei auch bei der Einschätzung hilfreich, ob sich eine Wortneuschöpfung in Zukunft zu einem beschreibenden Begriff entwickeln könne und folglich für Mitbewerber freizuhalten sei. Abschliessend plädierte Grabrucker dafür, das Freihaltebedürfnis an Kennzeichen mit grösserer Zurückhaltung anzunehmen und stärker auf die Selbstregulierung von Marken auf dem Markt zu vertrauen. Insbesondere sei Vorsicht bei der Anwendung starrer Prozentsätze geboten, wenn ein eigentlich freihaltebedürftiges Wortzeichen nur im Wege der Verkehrsdurchsetzung aufgrund einer demoskopischen Umfrage eingetragen werden könne. Die Gesamtumstände sollten entscheidend sein.

Die von RA Matthias Studer geleitete Arbeitsgruppe befasste sich mit der Berücksichtigung der Freihalteinteressen in Überlappungsbereichen des Markenrechts mit anderen Immaterialgüterrechten. Anhand der Praxisbeispiele Lego-Baustein, Nespresso-Kaffeekapsel und Panton-Freischwinger, deren Ausführungsformen patent- oder urheberrechtlich geschützt sind bzw. waren, wurde untersucht, ob der Markenschutz, der grundsätzlich «auf ewig» verlängert werden kann, der Perpetuierung anderer – zeitlich beschränkter – Schutzrechte dienen könnte. Die Gruppe verneinte dies und kam zum Ergebnis, dass es in Überlappungsbereichen mit anderen Immaterialgüterrechten keine zusätzlichen Freihalteinteressen zu berücksichtigen gilt. Vielmehr genüge es, die bei jedem Schutzrecht bestehenden Schutzvoraussetzungen und -schranken konsequent zu prüfen. So hat etwa der Begriff der technischen Notwendigkeit einer Form im Patentrecht eine andere Grundlage und Bedeutung als im Markenrecht, wo dieser mit der fehlenden Verfügbarkeit oder Unzumutbarkeit von Alternativformen (z.B. aufgrund höherer Herstellungskosten) verbunden wird. Abgelehnt wurde auch die Theorie, wonach die Marke als Umweg verwendet werden könnte, um einen Schutz für Formen zu erlangen, welche die Voraussetzungen anderer Schutzrechte nicht erfüllen. Der Schutzumfang jedes Immaterialguts sei unterschiedlich. So seien zwar gewisse Formelemente einer Kaffeekapsel allenfalls durch das Markenrecht geschützt, jedoch eben gerade nicht die technische Lösung per se. Letztere mag durch das Patentrecht geschützt sein, aber nur zeitlich limitiert. Somit sei die Skepsis, einer Form bei vorbestehenden Patent- oder Urheberrechten zusätzlich Markenschutz zu gewähren, ungerechtfertigt. Vielmehr sei eine Einzelfallbetrachtung angebracht. Sollte ein Hersteller das Markenrecht tatsächlich gezielt dazu benutzen, seine Marktmacht über Gebühr auszubauen und einen «Schutzwall» aus Schutzrechten zu errichten, könnte das Kartellrecht als Korrektiv eingreifen. Ritscher ergänzte, dass es an der Zeit sei, die – etwas oberflächliche – Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Kohärenz der Schutzrechte vertiefter unter die Lupe zu nehmen.

Der INGRES-Workshop führte auch in diesem Jahr zu ausgiebigen Diskussionen, in welchen die Teilnehmer gegenseitig von ihrer Erfahrung profitieren und neue Denkanstösse einbringen konnten. Der Austausch führte zu vielen neuen Erkenntnissen, zeigte aber auch ungelöste Probleme und offene Fragen auf. Auf deren Beantwortung durch Lehre und Rechtsprechung darf man ebenso gespannt sein wie auf den nächsten Ittinger Workshop.

Fussnoten:
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MLaw, Zürich.