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Praxis des Immaterialgüterstrafrechts
Bericht über die INGRES-Tagung vom 24. Juni 2025 in Zürich
Bei herrlichem Sommerwetter im traditionsreichen Zunfthaus zur Zimmerleuten eröffnete Dr. iur. Michael Ritscher die diesjährige INGRES-Tagung und unterstrich die besondere Bedeutung des interdisziplinären Austauschs, der diese Veranstaltung seit jeher prägt. Im Zentrum der Tagung stand die dogmatische und praktische Schnittstelle zwischen Zivil- und Strafrecht im Bereich des Immaterialgüterrechts. Ritscher hob hervor, dass der strafrechtliche Diskurs Teil eines umfassenderen juristischen Dialogs sei und regte dazu an, dort Brücken zu schlagen, wo zivilrechtliche Ansprüche an ihre Grenzen stossen und strafrechtliche Sanktionen ergänzend in Betracht gezogen werden können. Das abwechslungsreiche Programm war gezielt darauf ausgerichtet, den Austausch zwischen Justiz, Anwaltschaft und Wirtschaft zu fördern. Renommierte Referierende, darunter Dr. iur. Christoph Gasser, Geschäftsführer von INGRES und ausgewiesener Praktiker im gewerblichen Rechtsschutz, sowie weitere Expertinnen und Experten ermöglichten eine fundierte Auseinandersetzung mit den relevanten Fragestellungen. Mit seinen einleitenden Worten gab Ritscher die Richtung für eine ebenso praxisnahe wie theoretisch fundierte Tagung vor und lud dazu ein, die Veranstaltung als Plattform für den vertieften fachlichen Dialog zu nutzen.
C’est par un magnifique temps d’été, dans le cadre traditionnel de la «Zunfthaus zur Zimmerleuten», que le docteur en droit Michael Ritscher a ouvert l’édition annuelle du congrès INGRES et a souligné l’importance particulière de l’échange interdisciplinaire, qui caractérise depuis toujours cet événement. Le congrès avait pour thème central l’interface à la fois dogmatique et pratique entre le droit civil et le droit pénal dans le domaine de la propriété intellectuelle. Ritscher a souligné que le discours du droit pénal faisait partie d’un dialogue juridique plus large et a incité à jeter des ponts là où les prétentions du droit civil atteignent leurs limites et où les sanctions pénales peuvent être envisagées en complément. Le programme varié a été conçu de manière à favoriser les échanges entre la justice, les avocats et l’économie. Des intervenants renommés, dont le docteur en droit Christoph Gasser, directeur d’INGRES et praticien reconnu dans le domaine de la protection de la propriété industrielle, ainsi que d’autres experts ont permis d’aborder les questions pertinentes de manière approfondie. Avec ses mots d’introduction, Ritscher a donné l’orientation d’un congrès à la fois pratique et théoriquement fondé et a invité à utiliser la manifestation comme plateforme pour un dialogue professionnel approfondi.
Sandra Furrer, MLaw, LL.M., Zürich.
Nadine Vassella, MLaw, Zürich.
Prof. Dr. iur. Gerhard Fiolka, Professor für internationales Strafrecht an der Universität Freiburg, stellte in seinem Vortrag die zentralen strafrechtlichen Bestimmungen der Immaterialgütergesetze vor. Das Urheberrechtsgesetz enthält u.a. die Tatbestände der Urheberrechtsverletzung (Art. 67 URG), der Verletzung der Pflicht zur Quellenangabe (Art. 68 URG), der Umgehung technischer Schutzmassnahmen (Art. 69a URG) sowie der unbefugten Geltendmachung von Rechten (Art. 70 URG). Ferner sanktioniert das Markenschutzgesetz Markenrechtsverletzungen (Art. 61 MSchG), betrügerischen Markengebrauch (Art. 62 MSchG), unzutreffende Herkunftsangaben (Art. 64 MSchG) sowie die reglementswidrige Verwendung einer Garantie- oder Kollektivmarke (Art. 63 MSchG). Auch die Verweigerung von Auskünften gegenüber Behörden ist strafbar (Art. 61 Abs. 2 und Art. 63 Abs. 2 MSchG). Weitere strafrechtlich relevante Bestimmungen finden sich im Designgesetz (Art. 41 DesG), im Patentgesetz (u.a. Art. 66, 81, 81a, 82 PatG) sowie im Topographiengesetz (Art. 11 ToG). Fiolka betonte, dass sämtliche dieser Normen dem Nebenstrafrecht zuzuordnen |seien. Sie sind in verschiedenen Spezialgesetzen fragmentarisch geregelt, obgleich sie inhaltlich eng mit den jeweiligen zivilrechtlichen Schutzvorschriften verknüpft sind.
Fiolka ordnete das Immaterialgüterstrafrecht zunächst statistisch ein. Die Verurteilungszahlen seien im Vergleich zu anderen Rechtsbereichen sehr gering: Im Urheberrecht bewegen sie sich im einstelligen Bereich, als Höhepunkt wurden im Markenrecht im Jahr 2023 107 Fälle erfasst. Im Bereich der Topographien und Patente wurden über Jahre hinweg keine Verurteilungen registriert. Demgegenüber stehen Tausende von Verurteilungen etwa im Strassenverkehrsrecht oder im Bereich des unlauteren Wettbewerbs, was den geringen praktischen Stellenwert des Immaterialgüterstrafrechts verdeutlicht.
Zudem hob Fiolka strukturelle Besonderheiten hervor. Die einschlägigen Normen seien fragmentiert, stark am Zivilrecht orientiert und ohne einheitliches System ausgestaltet. Eine gefestigte Kasuistik fehle weitgehend. Viele Auslegungsfragen, etwa zu Eventualvorsatz oder Beteiligungsformen, seien ungeklärt. Ferner seien typische Teilnahmehandlungen wie das Anbieten oder Einführen widerrechtlich gekennzeichneter Waren in den Spezialgesetzen als Haupttaten normiert, was die dogmatische Kohärenz erschwere. Das Immaterialgüterstrafrecht erfülle daher vorwiegend eine symbolische Funktion: Es dient der Abschreckung und der Bestätigung gesellschaftlicher Unwerturteile. Problematisch sei insbesondere die in mehreren Gesetzen vorgesehene Auskunftspflicht, etwa in Art. 66 lit. b PatG, die mit dem Nemo-tenetur-Grundsatz kollidiere. Auch auf zweifelhafte Tatbestände wie die Patentberühmung (Art. 82 PatG), die lediglich deklaratorischen Charakter aufweise, wies Fiolka hin. Er plädierte für eine kritische Prüfung des tatsächlichen Mehrwerts strafrechtlicher Sanktionierung gegenüber zivilrechtlichen Mitteln.
Anschliessend zeigte Fiolka auf, wie die Strafnormen des Immaterialgüterrechts systematisch in das allgemeine Strafrecht eingebettet sind. Als allgemeines Strafrecht gelten die Bestimmungen des Strafgesetzbuches (Art. 333 Abs. 1 StGB), etwa zu Versuch, Teilnahme, Notwehr oder Schuld. Auch die Einziehung nach Art. 69 StGB sei grundsätzlich anwendbar, obschon viele Spezialgesetze dies zusätzlich regeln (z.B. Art. 72 URG, Art. 68 MSchG). Ferner eröffne Art. 73 StGB die Möglichkeit, Geldstrafen zugunsten Geschädigter zu verwenden, ein bislang wenig genutztes, aber wirksames Instrument.
Hinsichtlich der Zuständigkeit verwies Fiolka auf die kantonalen Strafverfolgungsbehörden. Eine Bundeszuständigkeit sei nur ausnahmsweise vorgesehen, etwa bei Art. 70 URG. Die meisten Delikte im Immaterialgüterstrafrecht seien Antragsdelikte mit einer Frist von drei Monaten ab Kenntnis des Täters (Art. 31 StGB); im PatG und SortSchG gelten längere Fristen. Ob auch exklusive Lizenznehmer antragsberechtigt sind, sei umstritten. Qualifizierte Tatbestände wie die gewerbsmässige Begehung gelten als Offizialdelikte und werden von Amtes wegen verfolgt. Auch juristische Personen könnten belangt werden, entweder nach Art. 7 VStrR oder nach Art. 102 StGB. Letzteres finde jedoch selten Anwendung, da Verstösse meistens Einzelpersonen zuzuordnen seien.
Zum Abschluss ging Fiolka auf die Stellung der Privatklägerschaft ein. Rechteinhaber können sich nach Art. 118 StPO am Verfahren beteiligen und ihre Ansprüche im Adhäsionsverfahren (Art. 122 ff. StPO) geltend machen. Kommt es zu einem Strafbefehl, erfolgt in der Regel ein Verweis auf den Zivilweg (Art. 126, 353 Abs. 2 StPO). Schliesslich kann ein Strafverfahren sistiert werden, bis über zivilrechtliche Vorfragen entschieden ist (z.B. Art. 66 MSchG, Art. 86 PatG). Dies unterstreicht die Einordnung des Immaterialgüterstrafrechts als begleitendes, subsidiäres Instrument neben dem zivilrechtlichen Schutz.
Zum Einstieg gab Dr. iur. Christoph Gasser, Rechtsanwalt bei Valfor Rechtsanwälte AG in Zürich, einen systematischen Überblick über die Immaterialgüterrechte. Dazu zählen namentlich die Kennzeichenrechte (Firmen- und Markenschutz), technische Schutzrechte (Patente, ergänzende Schutzzertifikate und Topographien) sowie kreative Schutzrechte (Designrechte, Urheberrechte und Sortenschutz). Ergänzend wurde auf den Lauterkeitsschutz verwiesen, namentlich im Hinblick auf Geschäftsgeheimnisse gemäss Art. 6 UWG. Es handelt sich bei den Immaterialgüterrechten um absolute Rechte an unkörperlichen Gütern, die dem Inhaber Exklusivrechte ähnlich dem Sacheigentum einräumen, jedoch immaterieller Natur, befristet und häufig mit vermögens- sowie persönlichkeitsrechtlichen Komponenten ausgestattet sind. Während Marken, Patente und Designs erst durch Eintragung entstehen, entfaltet das Urheberrecht seine Wirkung bereits mit der Schöpfung des Werks.
Im Anschluss erläuterte Gasser die Verletzungstatbestände und deren zivilrechtliche Durchsetzung. Eine Markenverletzung liegt etwa bei identischer Zeichennutzung für gleichartige Waren vor, ein klassischer Fall von «Produktpiraterie», oder bei Verwechslungsgefahr i.S.v. Art. 3 MSchG. Im Patentrecht sind sowohl wortsinngetreue als auch äquivalente Nachahmungen unzulässig (Art. 66 lit. a PatG), was Gasser exemplarisch anhand des Patents EP 1 963 157 B1 zu Schienenfahrzeugantriebseinrichtungen illustrierte. Im Design- und Urheberrecht führen unbefugte Nutzung und Verwertung zu Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen. Wo kein formaler Schutz besteht, greifen lauterkeitsrechtliche Bestimmungen.
Rechteinhabern stehen zivilrechtlich Unterlassungs-, Beseitigungs-, Auskunfts- und Ausgleichsansprüche zu. Letztere etwa in Form von Schadenersatz, Bereicherungsherausgabe und Gewinnausschöpfung. Auch die Einziehung |oder Vernichtung rechtswidrig hergestellter Produkte sowie die Veröffentlichung von Urteilen sind möglich. Unterlassungsurteile werden nötigenfalls mit Ordnungsbusse nach Art. 343 ZPO durchgesetzt, deren Missachtung gemäss Art. 292 StGB strafbar ist. Gasser betonte, dass die zivilrechtliche Durchsetzung häufig rascher und effizienter sei als ein Strafverfahren, da kein Verschulden nachgewiesen werden muss. Im Zivilprozess wird von den präsumtiven Verletzern häufig die Nichtigkeit des Schutzrechts eingewendet, etwa mangels Schutzvoraussetzungen. Eine solche Einrede ist etwa nach Art. 86 PatG zulässig. Im Strafrecht hingegen gilt ein eingetragenes Schutzrecht aufgrund der Offizialmaxime und gestützt auf Art. 9 ZGB grundsätzlich als bestehend; eine Nichtigkeit kann damit nur mittelbar berücksichtigt werden, was die strafrechtliche Durchsetzung erschwert.
Sodann beleuchtete Gasser die strafrechtliche Dimension. Marken-, Patent- und Urheberrechtsverletzungen sind in der Regel Antragsdelikte, d.h. eine Offizialverfolgung erfolgt nur bei gewerbsmässiger Begehung, etwa bei professioneller Produktpiraterie, ein Umstand, der in der Praxis meist unbestritten ist. Dennoch bleibt die strafrechtliche Verfolgung komplex. So stellen internationale Bezüge, hohe Beweisanforderungen und digitale Graubereiche Strafverfolger vor erhebliche Herausforderungen. Der abschreckende Effekt ist daher begrenzt. Eine erfolgreiche Strafverfolgung erfordert interdisziplinäres Wissen sowie eine enge Zusammenarbeit mit den geschädigten Unternehmen, die technisches Know-how und Eigeninteresse einbringen.
Abschliessend verdeutlichte Gasser die prozessualen Unterschiede zwischen dem Zivil- und dem Strafverfahren. Im Zivilprozess gilt der Dispositionsgrundsatz, wonach der Kläger den Streitgegenstand bestimmt und das Gericht die Grenzen dieses Streitgegenstandes nicht überschreiten darf (Grundsatz ne ultra petita). Anders als im Strafverfahren, das dem Offizialprinzip folgt, liegt die Verfahrensführung somit weitgehend bei den Parteien. Es gilt zudem die Eventualmaxime, wonach alle Angriffs- und Verteidigungsmittel rechtzeitig vorgebracht werden müssen und nachträglich eingebrachte Noven nur begrenzt zulässig sind. Im Zivilverfahren sind beide Parteien formell gleichgestellt. Es gibt keinen Angeklagtenstatus mit besonderen Rechten wie im Strafprozess. Das Prinzip in dubio pro reo gilt ausschliesslich im Strafrecht, im Zivilverfahren entscheidet das Gericht nach freier Beweiswürdigung und dem jeweils einschlägigen Beweismass. Die Rolle des Beklagten ist insofern anspruchsvoller. Zwar besteht keine Aussagepflicht, doch Lügen oder Verzögerungstaktiken (etwa Erinnerungslücken oder pauschales Bestreiten) können negativ gewertet werden, was im Strafprozess mit dem Aussageverweigerungsrecht nicht zulässig wäre. Auch die Anforderungen an das Beweismass unterscheiden sich. Im Zivilverfahren genügt häufig bereits eine überwiegende Wahrscheinlichkeit oder, bei vorsorglichen Massnahmen, eine blosse Glaubhaftmachung. Im Strafrecht hingegen ist der volle Beweis der Täterschaft erforderlich.
Gasser schloss mit dem Hinweis, dass Strafjuristen bei der Verfolgung von Immaterialgüterrechtsverletzungen ein interdisziplinäres Verständnis benötigten. Die strafrechtliche Sanktionierung bleibe ein wichtiges Instrument zur Abschreckung, insbesondere bei schwerwiegenden Fällen wie professioneller Piraterie, doch die Hauptlast der Rechtsdurchsetzung liege weiterhin beim Zivilrecht.
Im Rahmen seines Vortrags beleuchtete Prof. Dr. iur. Marc Thommen, Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Zürich, zentrale Schnittstellen zwischen dem Markenrecht und dem allgemeinen Strafrecht. Ausgangspunkt bildet das BGer 6B_411/2013, das sich mit der strafrechtlichen Verantwortlichkeit einer Werbeleiterin befasste, die im Rahmen einer Werbekampagne rund 270'000 Duftbäumchen in der markenrechtlich geschützten Form eines Tannenbaums verteilen liess. Im Zentrum stand die Frage, ob sie sich einer Markenrechtsverletzung nach Art. 61 Abs. 1 lit. b MSchG schuldig gemacht hat.
Dabei war insbesondere der subjektive Tatbestand strittig. Thommen erläuterte, dass für eine Verurteilung nach Art. 61 MSchG Vorsatz gemäss Art. 12 StGB erforderlich sei. Die Beschuldigte bestritt, eventualvorsätzlich gehandelt zu haben und machte geltend, weder den Namen noch die geschützte Form des Produkts gekannt zu haben. Die Vorinstanz bejahte hingegen einen Eventualvorsatz und stützte sich dabei insbesondere auf eine Aussage der Beschuldigten, sie kenne das Produkt seit ihrer Kindheit. Eine Einschätzung, der sich das BGer anschloss. Der Vorsatz müsse sich, so Thommen, nicht nur auf das Produkt, sondern auch auf dessen markenrechtliche Schutzfähigkeit erstrecken. Es genüge nicht, die Form zu kennen. Vielmehr müsse der Beschuldigte es zumindest für möglich halten, dass es sich um ein geschütztes Zeichen handelt. Dabei stellte sich die Frage, ob eine Werbefachfrau das Markenrecht kennen muss. Entscheidend ist dabei der Eventualvorsatz. Wer ein möglicherweise geschütztes Zeichen verwendet, muss mit dessen Schutz rechnen. Die Berufung auf Unkenntnis greift nicht, wenn das Gericht zu Recht davon ausgeht, dass man die Schutzfähigkeit hätte erkennen müssen. In diesem Zusammenhang warnte Thommen vor einer Ausweitung des Vorsatzbegriffs in Richtung einer willful blindness, also eines bewussten Sich-Verschliessens vor der Kenntnis einer offensichtlich möglichen Rechtsverletzung. Im schweizerischen Recht gibt es hierfür keine eigenständige Norm, da solche Konstellationen über den Eventualvorsatz erfasst werden. Wer begründete Anzeichen dafür hat, dass ein Zeichen markenrechtlich geschützt sein könnte und dennoch bewusst davon absieht, Nachforschungen anzustellen, nimmt die Verletzung zumindest billigend in Kauf. Thommen machte deutlich, dass ein solcher Täter nicht in Unkenntnis sei, wenn er weiss, dass er etwas nicht weiss. Folglich agiere er im Ergebnis mit Eventualvorsatz.
Aus strafrechtlicher Sicht handelt es sich bei Markenrechtsverletzungen nach dem MSchG grundsätzlich um Vorsatzdelikte. Dennoch bestehe laut Thommen faktisch die Gefahr, dass durch die Verweisung auf Art. 6 VStrR sowie eine extensive Auslegung von Art. 21 StGB (Verbotsirrtum) auch |fahrlässige Unterlassungen erfasst würden, obwohl das MSchG keinen Fahrlässigkeitstatbestand kenne. Der Rückgriff auf Art. 21 StGB, der eigentlich nur bei Irrtümern über die Strafbarkeit greift, wurde von Thommen als besonders problematisch eingestuft. Er schloss sich der Kritik von Fiolka an, wonach Gerichte tendenziell dazu neigten, Unwissen über markenrechtliche Schutzpositionen als Verbotsirrtum zu behandeln, obwohl es sich eigentlich um einen Sachverhaltsirrtum nach Art. 13 StGB handle.
Ein weiterer Kritikpunkt betraf Art. 61 Abs. 2 MSchG, der eine Auskunftspflicht der beschuldigten Person vorsieht. Diese Bestimmung sei gemäss Thommen mit der EMRK unvereinbar, insbesondere im Lichte des Schweigerechts der beschuldigten Person und des Fair-Trial-Grundsatzes. Die Informationspflicht steht im Widerspruch zur Unschuldsvermutung und kann zu einer Umgehung strafprozessualer Garantien führen. Die markenrechtliche Verletzung ist ein sog. «Jedermannsdelikt». Im konkreten Fall handelte die Werbeleiterin als sekundäre Störerin. Mit dem Verweis auf Art. 67 MSchG, welcher wiederum auf Art. 6 VStrR verweist, können auch andere Beteiligte (z.B. juristische Personen oder Geschäftsherren) verantwortlich gemacht werden. Sogar fahrlässige Unterlassungen können unter Umständen zu einer strafrechtlichen Haftung führen, was wiederum im Widerspruch zur Systematik des MSchG steht.
Thommen thematisierte auch den objektiven Tatbestand. Das Tatmittel war der physische Duftbaum, die Tathandlung das Inverkehrbringen durch Verteilung. So kann bereits die Herstellung oder Nachahmung genügen, um den objektiven Tatbestand zu erfüllen. Die Abgrenzung zwischen «nachgemacht» und «nachgeahmt» sei heikel. Der Taterfolg werde in der Literatur selten diskutiert. Denkbar sei ein wirtschaftlicher Aussenwirkungserfolg, etwa durch Kommerzialisierung. Fiolka wies darauf hin, dass es sich eher um ein Tätigkeitsdelikt handle. Thommen ergänzte, dass es bei Nichtigkeit der Marke fraglich sei, ob überhaupt ein strafrechtlicher Erfolg vorliege, da der Schutz erst mit der Eintragung beginne. Die Beantwortung dieser Frage blieb in der Diskussion im Plenum offen.
Im strafprozessualen Kontext verwies Thommen auf die Möglichkeit der Sistierung von Strafverfahren bei parallelen Zivilverfahren, wie sie das MSchG ausdrücklich vorsieht. Zudem wurde betont, dass Adhäsionsbestimmungen relativ jung seien und in der Praxis oft wenig Durchsetzungswille bestehe, obwohl sie de jure weitreichende Möglichkeiten bieten würden. Ein praktisches Problem zeigte sich zudem bei der Frage des Strafantrags. Nach Art. 30 StGB muss ein Strafantrag gegen alle Beteiligten gestellt werden, was bei einer Vielzahl von Akteuren (juristische Personen, Geschäftspartner etc.) eine erhebliche Komplexität mit sich bringt. Diese persönliche Unteilbarkeit des Strafantrags wurde im Publikum kritisch diskutiert.
Abschliessend machte Thommen deutlich, wie komplex die Schnittstellen zwischen Immaterialgüter- und Strafrecht sind. Der Fall der Duftbäumchen zeigt exemplarisch, wie rasch Werbeaktionen zu strafrechtlichen Problemen führen können, nicht nur für Geschäftsführer, sondern auch für involvierte Unternehmen. Die zunehmende Tendenz, vorsätzliche Zurechnungen auf fahrlässige Wissenslücken auszudehnen, sowie die Missachtung prozessualer Rechte durch Auskunftspflichten seien besonders kritisch zu bewerten. Für Immaterialgüterrechtler bedeute dies, strafrechtliche und prozessuale Risiken zu kennen und ernst zu nehmen, insbesondere in markenrechtlich sensiblen Bereichen.
In der anschliessenden Diskussion wurde vorrangig die Bedeutung von Abmahnschreiben und interner Rechtsbeurteilung thematisiert. Thommen stellte klar, dass für eine Strafbarkeit nicht die abstrakte Gefahr, sondern die tatsächliche Verletzung entscheidend sei. Eventualvorsatz liege nicht vor, wenn jemand zwar die Möglichkeit einer Verletzung erkenne, jedoch nachvollziehbar und begründet darauf vertraue, dass keine vorliege, auch ohne externe Rechtsberatung. Darüber hinaus betonte er, dass es nicht entscheidend sei, ob man darauf hofft, dass der Rechteinhaber nicht aktiv werde. Dies betreffe lediglich die prozessuale Seite, nicht die strafrechtliche Verantwortlichkeit. Kritisch diskutiert wurde erneut die Auskunftspflicht nach Art. 61 Abs. 2 MSchG, die zwar rechtlich umstritten, in der Praxis jedoch meist nur zivilrechtlich genutzt wird. Insgesamt zeigte sich, dass die Schwelle zur Strafbarkeit hoch bleibt, da, wie erwähnt, reine Fahrlässigkeit nicht ausreicht.
Im Rahmen der Tagung schilderte Dr. Omar Abo Youssef, Rechtsanwalt bei Hohler Tröhler Rechtsanwälte in Zürich, seine praktischen Erfahrungen mit der Stellung der Privatklägerschaft in Strafverfahren im Zusammenhang mit Verletzungen immaterialgüterrechtlicher Schutzpositionen. Ausgehend von den einschlägigen strafprozessualen Grundlagen erläuterte er die Voraussetzungen und Möglichkeiten geschädigter Personen, ihre Rechte im Strafverfahren geltend zu machen, sowie die Besonderheiten der Adhäsionsklage. Eine geschädigte Person wird gemäss Art. 118 Abs. 1 StPO zur Privatklägerschaft, sofern sie sich ausdrücklich am Strafverfahren beteiligt. Die Definition der geschädigten Person richtet sich nach Art. 115 StPO. Im Immaterialgüterrecht handelt es sich in der Regel um Individualrechtsgüter, teilweise auch um kollektive Rechtsgüter, z.B. bei Art. 81 PatG. Die Strafverfolgungsbehörden sind verpflichtet, geschädigte Personen über ihre Rechte zu informieren, insbesondere über die Möglichkeit, sich als Privatkläger zu konstituieren.
Im Weiteren ging Abo Youssef auf die Voraussetzungen eines gültigen Strafantrags ein. Die einschlägigen Delikte im Immaterialgüterrecht sind regelmässig Antragsdelikte, mit Ausnahme qualifizierter Fälle wie der gewerbsmässigen Begehung, die ein Offizialdelikt begründen. Antragsberechtigt ist gemäss Art. 30 Abs. 1 StGB die durch die Tat verletzte Person. Dies umfasst nicht nur den originären Inhaber des Schutzrechts, sondern auch derivative Berechtigte wie Lizenznehmer. Auch dinglich Berechtigte an einem Design |oder Patent, Nutzniesser, Erben und in bestimmten Fällen sogar Pfandgläubiger könnten antragsberechtigt sein. Bei mehreren Berechtigten ist jeder Einzelne zur Antragstellung befugt. Ein wirksamer Strafantrag setzt neben der Antragsberechtigung die Einhaltung der gesetzlichen Frist, die Einreichung bei einer zuständigen Behörde sowie den klaren und ausdrücklichen Willen zur Strafverfolgung voraus. Problematisch kann dies insbesondere dann sein, wenn eine Anzeige wegen eines Offizialdelikts erfolgt und sich die geschädigte Person gleichzeitig als Zivilklägerin konstituiert, ohne ausdrücklich auch einen Strafantrag für ein Antragsdelikt zu stellen. Das BGer verlangt ausdrücklich, dass auch der Wille zur Verfolgung des Antragsdelikts erklärt wird (BGer 6B_125/2017).
Die Antragsfrist beträgt gemäss Art. 31 StGB drei Monate, im Patentrecht sechs Monate nach Art. 81 Abs. 2 PatG. Der Fristenlauf beginnt ab Kenntnis der Tat und der tatverdächtigen Person, selbst wenn zu diesem Zeitpunkt noch nicht feststeht, ob ein Antrags- oder Offizialdelikt vorliegt (BGE 129 IV 1 ff. E. 3.1). Zur Form des Strafantrags verwies Abo Youssef auf Art. 304 Abs. 1 StPO, wonach der Antrag entweder schriftlich oder mündlich zu Protokoll erfolgen muss. Der Antrag kann gezielt gegen einzelne Personen gestellt werden, wodurch sich eine Verselbständigung der Teilnahme ergibt, was insbesondere bei wirtschaftlichen Erwägungen von Bedeutung sein kann. Zur Rechtsnachfolge führte Abo Youssef aus, dass zivilrechtliche Ansprüche im Todesfall auf Angehörige übergehen können, nicht jedoch die strafprozessuale Beteiligung. Eine Abtretung der Verfahrensstellung ist ausgeschlossen (BGer 6B_236/2014, E. 3.4.5). Bei gesellschaftsrechtlicher Nachfolge, etwa im Fall einer Fusion, erfolgt keine automatische Übertragung, da sich das verletzte Rechtsgut auf die ursprüngliche Gesellschaft bezieht.
Die Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche im Strafverfahren erfolgt über die Adhäsionsklage (Art. 122 Abs. 1 StPO). Voraussetzung ist, dass die geschädigte Person eine zivilrechtliche Forderung aus der Straftat ableitet und sich als Privatklägerin konstituiert. Als Anspruchsgrundlagen nannte Abo Youssef etwa Art. 41 ff. OR, Art. 28 ff. ZGB, den Eigentums- und Besitzesschutz sowie Ansprüche aus dem UWG. Hingegen sind vertragliche Forderungen ausgeschlossen (BGE 148 IV 432 ff. E. 3.1.3 ff.). Die Zivilklage müsse hinreichend bestimmt und beziffert sein. Seit dem 1. Januar 2024 ist gemäss revidiertem Art. 331 Abs. 2 StPO die Verfahrensleitung verpflichtet, eine Frist zur Einreichung der bezifferten Zivilforderung zu setzen. Diese Pflicht betrifft auch Beweisanträge. Das Ziel der Revision war es, den Beschuldigten rechtzeitig über die geltend gemachten Forderungen zu informieren und die Wahrung des rechtlichen Gehörs zu gewährleisten. Die Klägerin hat die Höhe des geltend gemachten Schadens konkret zu beziffern und darzulegen, inwiefern dieser durch die Tat verursacht wurde. Dabei muss sie nur jene Tatsachen beweisen, die nicht bereits aus den Akten ersichtlich sind.
Auf Antrag der beschuldigten Person kann die Privatklägerschaft zur Leistung einer Sicherheit verpflichtet werden, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, etwa wenn die Privatklägerschaft keinen Wohnsitz in der Schweiz hat oder zahlungsunfähig ist (Art. 125 StPO). Die Entscheidung über die Zivilklage obliegt dem Gericht (Art. 126 StPO). Bei einem Schuldspruch hat es über die Klage zu entscheiden, sofern diese ausreichend begründet und beziffert ist. Ist der Aufwand zur vollständigen Beurteilung unverhältnismässig, kann das Gericht auch lediglich ein Urteil dem Grundsatz nach fällen. Im Falle eines Freispruchs, einer Verfahrenseinstellung oder bei fehlenden formalen Voraussetzungen verweist das Gericht regelmässig auf den Zivilweg. Für Zivilgerichte ist ein Feststellungsurteil im Strafverfahren grundsätzlich verbindlich, es sei denn, es werden neue Tatsachen vorgebracht oder es liegt eine abweichende Tatsachenbasis vor.
Abschliessend stellte Abo Youssef die Vor- und Nachteile der Adhäsionsklage der separaten Zivilklage gegenüber. Zu den Vorteilen zählte er insbesondere die erleichterte Geltendmachung, die Möglichkeit der Beweissicherung durch staatliche Zwangsmassnahmen, die Kostenersparnis im Vergleich zum Zivilverfahren sowie den zusätzlichen Druck, den das Strafverfahren auf den Beschuldigten ausübt. Hinzu komme die Möglichkeit, eingezogene Vermögenswerte im Rahmen von Art. 73 StGB zugesprochen zu erhalten. Demgegenüber seien auch Nachteile zu berücksichtigen, etwa dass der Grundsatz in dubio pro reo auch für die Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche Wirkung entfalte, dass die Verfahren komplex und zeitaufwändig sein können und dass ein enger Konnex zwischen Straftat und geltend gemachter Zivilforderung erforderlich sei. Auf Nachfrage von Ritscher, wie häufig Adhäsionsverfahren in der Praxis vorkämen, räumte Abo Youssef ein, dass es hierzu keine empirischen Zahlen gebe. Seiner Erfahrung nach würden Adhäsionsklagen aber selten erhoben, was er mit dem hohen Aufwand, der Komplexität und der Bequemlichkeit vieler Parteien erklärte. Nicht selten würden Geschädigte durch die Gerichte auch auf den Zivilweg verwiesen.
Karin Eisenring, Stv. Leitende Staatsanwältin der Staatsanwaltschaft Zug, schilderte die spezifischen Herausforderungen, die sich aus staatsanwaltlicher Sicht bei der Verfolgung von Straftaten im Bereich des Immaterialgüterrechts ergeben. Sie betonte, dass die Verbindung von Immaterialgüterrecht mit dem strafprozessualen Instrumentarium ein gewisses Mass an Kreativität ermögliche. Im Vergleich zu klassischen Tatbeständen des Strafgesetzbuches bestehe im Immaterialgüterstrafrecht ein erweiterter Handlungsspielraum, insbesondere aufgrund der engen zivilrechtlichen Verknüpfungen. Diese manifestierten sich v.a. im regelmässigen Austausch mit geschädigten Privatklägern, die meist durch Strafanzeige und Strafantrag den Anstoss zum Verfahren geben.
Die Staatsanwaltschaft ist gemäss Art. 6 StPO verpflichtet, sowohl belastende als auch entlastende Umstände abzuklären. Dies bedeute keine Gegnerschaft zur Privatkläger|schaft, sondern eine eigenständige prozessuale Rolle mit umfassender Sachverhaltsermittlungspflicht.
Anhand zweier Fallbeispiele illustrierte Eisenring die praktische Anwendung dieses Grundsatzes. Im ersten Fall erstattete ein Architekt Strafanzeige gegen eine Generalunternehmung wegen Verletzung seiner dreifach gesicherten Schutzrechte. Er verfügte über ein Patent auf eine spezifische Bauweise (Wohnungen in gestaffelter L-Form), ein Designrecht auf die Fassadengestaltung und verlieh seiner Architektur einen Namen, den er als Marke eintragen liess. Die Anzeige richtete sich gegen die Generalunternehmung, welche das Bauprojekt umgesetzt hatte. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft waren die objektiven Tatbestände der Patent-, Design- und Markenverletzung (Art. 66 PatG, Art. 41 DesG, Art. 61 MSchG) erfüllt. In Bezug auf den subjektiven Tatbestand argumentierte der Architekt, seine Schutzrechte seien in der Fachliteratur ausführlich diskutiert worden. Daraus leitete er ab, dass die Generalunternehmung zumindest eventualvorsätzlich gehandelt habe. Zur Sachverhaltsabklärung wurden Hausdurchsuchungen sowohl bei der Generalunternehmung als auch bei dem für diese tätigen Architekten durchgeführt (Art. 244 StPO). Während beim Architekten nach Fachpublikationen und Korrespondenz gesucht wurde, lag der Fokus bei der Generalunternehmung auf Protokollen und Sitzungsunterlagen. Letztere legten nahe, dass der Name des anzeigeerstattenden Architekten bzw. Schutzrechtsinhabers sowie dessen Schutzrechte bekannt waren. Seitens der Generalunternehmung wurde umfassend die Siegelung der beschlagnahmten Unterlagen beantragt, was ein aufwändiges Entsiegelungsverfahren zur Folge hatte. Das Verfahren mündete in einer Einigung, in deren Rahmen der Architekt eine Entschädigung erhielt. Im Gegenzug zog er den Strafantrag zurück. Eine Einziehung nach Art. 44 DesG wäre grundsätzlich denkbar gewesen, wurde aber nicht durchgeführt. Ebenso kam die Wiedergutmachung nach Art. 53 StGB nicht zur Anwendung, obwohl die Voraussetzungen, namentlich ein geringes öffentliches Interesse, nicht von vornherein auszuschliessen gewesen wären. Eine strafrechtliche Qualifikation als gewerbsmässiges Verhalten wurde nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft verneint, da es sich um ein einzelnes Bauprojekt handelte.
Im zweiten Fall ging es um die widerrechtliche Nutzung geschützter Scherenschnittmotive durch einen Unternehmer, der damit Souvenirartikel produzieren liess. Die Urheberrechtsverletzungen waren objektiv unbestritten, die Herausforderung lag im subjektiven Tatbestand. Die Staatsanwaltschaft führte eine Hausdurchsuchung durch und beschlagnahmte die Ware. Auch dieses Verfahren endete in einem Vergleich. Der Unternehmer durfte die Ware abverkaufen, verpflichtete sich jedoch zur Produktionsbeendigung und zur Zahlung einer Entschädigung.
Beiden Fällen war gemeinsam, dass die Schutzrechtsverletzungen offensichtlich waren und die beschuldigten Personen sich zunächst uneinsichtig zeigten. Die Staatsanwaltschaft schöpfte das gesamte strafprozessuale Instrumentarium aus, inklusive Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmungen und Vergleichsgesprächen unter staatsanwaltlicher Leitung.
Eisenring gab der Praxis mehrere Empfehlungen mit. Für ein effizientes Vorgehen sei eine gut vorbereitete Strafanzeige essenziell, idealerweise begleitet von einem frühzeitigen Kontakt mit der Staatsanwaltschaft. Ein laufender Informationsaustausch sei möglich und sinnvoll. Besondere Formvorschriften bestünden dabei nicht, weder für die Anzeigeerstattung noch für Verfahrensabsprachen. In der Diskussion wurde die Flexibilität des strafprozessualen Vorgehens gewürdigt. Ritscher wies aber auch auf die Abgrenzungsproblematik zwischen typischem Strafverfahren und Vergleichsverfahren hin. Es stelle sich die Frage, wo eine unzulässige Vorwegnahme der zivilrechtlichen Prüfung beginne, etwa im Hinblick auf die Beständigkeit des Schutzrechts. Eisenring bestätigte, dass im ersten Fallbeispiel dieser Einwand frühzeitig erhoben worden sei, was zum Vergleich geführt habe. Im Publikum wurde die nur oberflächliche Prüfung der Verletzungsfrage kritisiert, und es wurde nach den Folgen einer allfälligen Nichtigkeitsklage gefragt. Eisenring erklärte, dass in einem solchen Fall das Strafverfahren sistiert worden wäre. Eine weitere Frage betraf die Siegelung. Ein Verwaltungsratsmitglied der beschuldigten Unternehmung beanspruchte Anwaltsprivilegien, da er zugleich als Anwalt tätig war. Eisenring betonte, dass in solchen Konstellationen im Rahmen des Entsiegelungsverfahrens im Einzelfall geprüft werden müsse, ob Dokumente geschäftlicher oder anwaltlicher Natur sind, weshalb eine automatische Privilegierung nicht angenommen werden könne.
Im Ergebnis wurde deutlich, dass das Immaterialgüterstrafrecht eine enge Verknüpfung zivil- und strafrechtlicher Fragestellungen verlangt. Die Staatsanwaltschaft muss dabei sowohl dem Legalitätsprinzip als auch der notwendigen Verfahrensflexibilität gerecht werden. Instrumente wie Einziehung, Vergleich oder Einstellung wegen fehlenden öffentlichen Interesses eröffnen pragmatische Lösungswege, die sich häufig nur im intensiven Dialog mit den Verfahrensbeteiligten umsetzen lassen. Eisenring unterstrich in diesem Zusammenhang die besondere Bedeutung einer kooperativen Zusammenarbeit aller Beteiligten.
Dr. Adrian Wyss, Rechtsanwalt bei Bratschi AG in Zürich, beleuchtete die Rolle der Strafverteidigung im Immaterialgüterrecht aus praktischer Sicht. Im Zentrum steht dabei die konsequente Wahrung der Interessen der Mandantschaft, nicht nur durch das Bestreiten des Tatvorwurfs, sondern insbesondere durch die systematische Herausarbeitung entlastender Umstände, etwa das Fehlen von Vorsatz oder ein geringes Schadensausmass.
Ein zentrales Anliegen der Verteidigung besteht im Schutz vor Zwangsmassnahmen. Die Verteidigung informiert über das Schweigerecht, begleitet Hausdurchsuchun|gen, prüft die Rechtmässigkeit von Beschlagnahmen und beantragt bei Bedarf die Siegelung. Gerade in frühen Verfahrensstadien kann strategisches Verhalten, etwa durch Aussageverweigerung oder gezielte Einforderung von Akteneinsicht, entscheidend sein. Das Immaterialgüterstrafrecht stellt hohe Anforderungen an die Verteidigung: Technische Komplexität, internationale Bezüge und die enge Verknüpfung mit zivilrechtlichen Normen erfordern multidisziplinäre Zusammenarbeit mit Sachverständigen sowie Marken- oder Patentanwälten. Die Verteidigung stützt sich dabei auf zwei prozessuale Grundsätze: Das Konkretisierungsgebot verlangt klar bestimmte Strafnormen. Das Evidenzgebot erlaubt eine Verurteilung nur bei eindeutiger Beweislage. Diese Grundsätze werden genutzt, um Unsicherheiten oder Lücken im Schutzrecht oder in der Nachweisführung aufzuzeigen. Da die meisten einschlägigen Straftatbestände, etwa nach MSchG, PatG, URG oder UWG, Vorsatz erfordern, ist dessen Nachweis häufig entscheidend. Während ignorierte Abmahnungen als Indiz für vorsätzliches Verhalten gewertet werden können, kann technische Unkenntnis den Vorsatz infrage stellen.
Ein besonderes Augenmerk erfordert das Zusammenspiel mit dem Zivilrecht. Während dort die Verhandlungsmaxime gilt, unterliegt das Strafverfahren der Untersuchungsmaxime. Die Verteidigung versucht daher häufig, wirtschaftlich geprägte Sachverhalte in den zivilrechtlichen Kontext «zurückzuziehen». So etwa im Fall einer behaupteten Patentverletzung im Zusammenhang mit einem Arbeitgeberwechsel, bei dem ein zivilrechtlicher Fokus zu einer Einigung führte. Weitere Praxisbeispiele zeigen, wie taktisch vorgegangen wird. Bei gefälschten Designertaschen wurde mit der unklaren Herkunft der Ware argumentiert, was zur Einstellung des Verfahrens führte. In einem anderen Fall zur Swissness-Problematik blieb der Ausgang wegen rechtlicher Unsicherheiten offen.
Auch im Vergleichsverfahren sieht Wyss Potenzial. Der Rückzug des Strafantrags, eine Desinteresseerklärung oder ein abgekürztes Verfahren mit Einigung auf eine Strafe unter fünf Jahren können das Verfahren beenden. Dies gilt insbesondere im Immaterialgüterstrafrecht, wo ein Vergleich häufig zulässig ist. Weitere Optionen sind die Wiedergutmachung nach Art. 53 StGB oder der Übergang ins Verwaltungsstrafrecht, etwa durch Unternehmensbussen zur Vermeidung einer persönlichen Verurteilung. Letztlich erfordert die Strafverteidigung im Bereich des geistigen Eigentums juristische Präzision, technisches Verständnis und strategisches Fingerspitzengefühl.
Dr. iur. Meinrad Vetter, Präsident des Handelsgerichts des Kantons Aargau, eröffnete seinen Vortrag mit einer Umfrage unter mehreren Handelsgerichten zur praktischen Relevanz strafrechtlicher Verfahren im Immaterialgüterrecht. Die Rückmeldungen fielen einhellig aus. Strafverfahren spielen in der Praxis immaterialgüterrechtlicher Prozesse nur eine marginale Rolle. Insbesondere im Patentrecht werden Strafanzeigen kaum erstattet. Wenn dennoch ein Strafverfahren geführt wird, sei es vorgängig oder parallel zum Zivilprozess, dient es meist als Druckmittel und endet häufig im Rahmen eines Vergleichs, etwa durch den Rückzug des Strafantrags, oder einer Desinteresseerklärung seitens der Rechteinhaber. Statt strafrechtlicher Schritte greifen die Parteien zunehmend auf zivilprozessuale Instrumente zurück, wie superprovisorische Beweissicherungsmassnahmen oder Beschlagnahmungen, um Ansprüche durchzusetzen. Auch die Staatsanwaltschaften zeige laut Vetter ein wachsendes Interesse daran, wirtschaftsrechtliche Konflikte auf dem Zivilweg zu lösen.
Im Anschluss widmete sich Vetter der Frage des Aktenbeizugs aus Strafverfahren im Zivilprozess. Parteien beantragen häufig, Strafakten eines parallelen Verfahrens beizuziehen, etwa unter Verweis auf Art. 151 ZPO (bekannte Tatsachen). Vetter warnte jedoch vor einem Missverständnis. Als bekannt i.S.v. Art. 151 ZPO gelten nur allgemein notorische oder dem Gericht im selben Verfahren offenkundige Tatsachen. Erkenntnisse aus einem separaten Strafverfahren erfüllen diese Voraussetzungen nicht automatisch, da sie meist von anderen Richtern beurteilt wurden. Im Rahmen der Verhandlungsmaxime (Art. 55 Abs. 1 ZPO) sind die Parteien dafür verantwortlich, sämtliche Tatsachen und Beweismittel aktiv in das Zivilverfahren einzubringen. Strafverfahrensakten müssen daher als konkrete Beweismittel eingeführt werden.
Weiter ging Vetter auf die Verschuldensfrage ein und stellte die unterschiedlichen Anforderungen im Straf- und Zivilrecht gegenüber. Während im Immaterialgüterstrafrecht regelmässig Vorsatz (inklusive Eventualvorsatz) erforderlich ist, um eine Verurteilung zu erlangen, setzen zivilrechtliche Ansprüche teils kein Verschulden voraus. Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche können verschuldensunabhängig geltend gemacht werden. Schadenersatzansprüche (Art. 41 OR) und Genugtuung (Art. 49 OR) setzen hingegen ein Verschulden voraus. Der Herausgabeanspruch erfordert i.d.R. bösgläubiges Verhalten (analog zu Art. 423 OR), während eine Bereicherungsherausgabe nach Art. 62 OR verschuldensunabhängig möglich ist. Diese Diskrepanz führt dazu, dass unbeabsichtigte Verletzungshandlungen zivilrechtlich (etwa mittels Unterlassung oder Gewinnabschöpfung) sanktioniert werden können, strafrechtlich aber keine Konsequenzen nach sich ziehen. Vetter merkte an, dass die Abgrenzung zwischen Fahrlässigkeit und Vorsatz in der Praxis oft schwierig sei. Gerade bei technischen Schutzrechten könne ein Laie den Schutzumfang leicht verkennen. Zur Verjährung erläuterte Vetter, dass Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche grundsätzlich nicht verjähren, während andere Ansprüche wie Schadenersatz oder Genugtuung den allgemeinen Fristen unterliegen (Art. 60 OR). Bei Delikten greift gemäss Art. 60 Abs. 2 OR die längere strafrechtliche Verjährungsfrist, sodass zivilrechtliche Ansprüche auch Jahre später noch geltend gemacht werden können, etwa bei Marken- oder Urheberrechtsverletzungen.
In Bezug auf Vergleichsverhandlungen stellte Vetter die Frage, ob ein anhängiges oder angedrohtes Strafverfahren |als psychologisches Druckmittel sinnvoll eingesetzt werden kann. Juristisch ist eine zivilrechtliche Einigung unabhängig von einem Strafurteil; Art. 53 OR bestimmt ausdrücklich, dass der Zivilrichter an die strafrechtliche Beurteilung nicht gebunden ist. Gleichwohl kann ein laufendes Strafverfahren einen sogenannten «Ankereffekt» ausüben und die Verhandlungspositionen beeinflussen. In der Praxis werden daher häufig Paketlösungen angestrebt, in denen sämtliche Ansprüche bereinigt werden, einschliesslich der Einstellung eines Strafverfahrens durch Rückzug des Antrags.
In der anschliessenden Diskussion wurden unterschiedliche Auffassungen deutlich. Gasser betonte, dass die Drohung mit einem Strafverfahren kontraproduktiv wirken könne, da sich Beschuldigte dadurch erst recht einem Vergleich verweigern könnten («jetzt erst recht nicht»). In diesem Sinne wurde auch darauf hingewiesen, dass das Einschalten des Strafrechts einen Konflikt unnötig zuspitzen könne. Andere Stimmen betonten hingegen, dass ein laufendes Strafverfahren in bestimmten Konstellationen durchaus ein wirksames Druckmittel in Vergleichsverhandlungen darstelle.
Zum Abschluss der Tagung wurde der Begriff der Gewerbsmässigkeit eingehend diskutiert. Vetter vertrat die Auffassung, dass ein strukturiertes und auf Gewinnerzielung ausgerichtetes Geschäftsmodell erforderlich sei, um Gewerbsmässigkeit zu bejahen. Demgegenüber hob Wyss die wiederholte Begehung als zentrales Kriterium hervor. Fiolka warnte vor einer Verwässerung des Merkmals durch rein monetäre Schwellenwerte und unterstrich dessen Bedeutung als strafrechtliches Druckmittel zugunsten der Rechteinhaberschaft. Thommen wies darauf hin, dass Ersatzforderungen nach Art. 73 StGB in der Praxis kaum zur Anwendung gelangen, obwohl sie den Geschädigten unmittelbar zugutekommen könnten. Ritscher erkundigte sich nach der Praxis unbedingter Geldstrafen, die zwar rechtlich vorgesehen seien, jedoch selten verhängt würden. Stimmen aus dem Plenum kritisierten, dass formale Bussen häufig ohne tatsächliche abschreckende Wirkung blieben. Die angeregte Diskussion verdeutlichte, dass die strafrechtliche Sanktionierung im Immaterialgüterrecht nicht nur von rechtlichen, sondern auch von strategischen Überlegungen geprägt ist. Insgesamt zeigte die Tagung, wie wichtig der kritische Dialog zwischen Zivil- und Strafrecht für die Fortentwicklung des Immaterialgüterrechts ist. Die unterschiedlichen Perspektiven von Gericht, Staatsanwaltschaft, Verteidigung sowie Anwaltschaft und Universitäten tragen dazu bei, die Anwendungspraxis nicht nur zu hinterfragen, sondern diese auch weiterzuentwickeln, ganz im Sinne von INGRES.
