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Die diesjährige Winterversammlung des Instituts für gewerblichen Rechtsschutz (INGRES) fand im Anschluss an den traditionellen Skiausflug im Zürichberg Sorell Hotel statt. Geleitet wurde die wiederum von zahlreichen Spezialisten aus dem In- und vor allem auch aus dem europäischen Ausland besuchte Tagung von RA Dr. Michael Ritscher, während RA Dr. Christoph Gasser die Verantwortung für die Organisation übernommen hatte. Auch dieses Jahr trugen herausragende Persönlichkeiten aus Richterschaft, Wissenschaft und Industrie die neuesten Entwicklungen und die aktuelle Rechtsprechung zum in der Europäischen Union harmonisierten und vereinheitlichten Patent-, Urheber-, Design- und Kennzeichenrecht vor und es bestand trotz des dichten Programms ausreichend Gelegenheit für Diskussionen.
Dr. Klaus Grabinski, Richter am Deutschen Bundesgerichtshof und Mitglied der Arbeitsgruppe für die Erarbeitung der Verfahrensordnung für das Einheitliche Patentgericht, eröffnete den patentrechtlichen Vormittag der Tagung und stellte drei wichtige Urteile des BGH zur Rechtsbeständigkeit und zum Schadenersatz vor.
Zunächst präsentierte Grabinski den Entscheid «Tintenstrahldrucker», bei dem sich der BGH mit der Frage der unzulässigen Erweiterung des Schutzbereichs und der daraus resultierenden Löschung eines Gebrauchsmusters auseinandersetzen musste (Akten-Nr. X ZB 2/12). Anlass war ein in den Anmeldungsunterlagen nicht offenbartes Merkmal gewesen, das zur Frage führte, ob das Gebrauchsmuster, abgezweigt aus einer deutschen Patentanmeldung, trotzdem noch aufrecht erhalten bleiben konnte. Die unveränderte Aufrechterhaltung des betreffenden Merkmals wäre unzulässig, weil dieses in den Anmeldungsunterlagen nicht offenbart wurde, während die Streichung des Merkmals zur Unwirksamkeit wegen Erweiterung des Schutzbereichs führen würde (sog. «unentrinnbare Falle»). Der BGH bestätigte seine Rechtsprechung, wonach das Merkmal im Anspruch verbleiben kann, sofern dieses lediglich zu einer Einschränkung des geschützten Gegenstands führt und nicht zu einer anderen Erfindung («Aliud»). Ist Ersteres der Fall, darf das Merkmal bei der Prüfung der Patentfähigkeit allerdings nicht berücksichtigt werden; bei der Frage einer allfälligen Verletzung hingegen schon. Der BGH bejahte im vorliegenden Fall eine Einschränkung des geschützten Gegenstands durch das betreffende Merkmal, weil in den Anmeldungsunterlagen, insbesondere in den bildlichen Darstellungen, ein Ausführungsbeispiel beschrieben war, welches das betreffende Merkmal umfasste. Daher, so der BGH, werde durch das hinzugefügte Merkmal die in den Anmeldungsunterlagen offenbarte Anweisung zum technischen Handeln lediglich konkretisiert, weshalb eine Einschränkung des geschützten Gegenstands vorliege und kein «Aliud».
Daraufhin widmete sich Grabinski dem Schadenersatz und stellte zuerst das Urteil «Fräsverfahren» vor (Akten-Nr. X ZR 69/11). Gegenstand dieser Entscheidung bildete der Schadenseintritt bei einer mittelbaren Patentverletzung. Grabinski erläuterte die Rechtsprechung des BGH, gemäss welcher bei einer mittelbaren Patentverletzung lediglich derjenige Schaden zu ersetzen ist, welcher durch die unmittelbare Patentverletzung des Abnehmers des Mittels entsteht. Dies trotz der Tatsache, dass die mittelbare Verletzung einen eigenen Tatbestand darstellt, der nicht von einer allfälligen unmittelbaren Verletzung abhängt. Hingegen sei die für einen Klageantrag auf Feststellung der Schadensersatzpflicht erforderliche «gewisse Wahrscheinlichkeit» eines Schadens bereits gegeben, wenn eine mittelbare Patentverletzungshandlung (z.B. Liefern oder Anbieten) festgestellt worden ist.
Ferner befasste sich Grabinski mit dem Entscheid «Flaschenträger» (Akten-Nr. X ZR 51/11) und der Bestimmung des herauszugebenden Verletzergewinns. Nachdem er die verschiedenen Kriterien zur Bewertung des Umfangs des herauszugebenden Gewinns erläutert hatte, ging er auf die Frage eines Teilnehmers ein, ob das Argument vorgebracht werden könne, dass eine Anpassung des Preises des Originalprodukts nötig geworden sei aufgrund der billigen Kopie des Patentverletzers. Diesbezüglich wies Grabinski darauf hin, dass der Verletzergewinn nicht mit dem entgangenen Gewinn vermischt werden dürfe und dass dieses Argument beim Verletzergewinn wohl nicht vorgebracht werden könne.
Dr. Fritz Blumer, Mitglied der Beschwerdekammern des EPA, berichtete zunächst über einige Aktualitäten beim EPA und teilte insbesondere mit, dass die Beschwerdegebühr ab dem 1. April 2014 um ca. 50% erhöht werde. Gleichzeitig werden neue Bestimmungen eingeführt, nach denen 50% der Beschwerdegebühr im Falle des Rückzugs der Beschwerde wieder zurückbezahlt werden, wenn dieser Rückzug mindestens vier Wochen vor einer angesetzten mündlichen Verhandlung oder vor Ablauf der in einem Bescheid gesetzten Frist erfolgt. Anschliessend stellte er vier wichtige Entscheidungen der Beschwerdekammern vor.
Zunächst widmete sich Blumer dem Entscheid «Broccoli II» (G 2/13; T 83/05). Dieser bilde die Fortsetzung des Entscheids «Broccoli I» (G 2/07), in welchem die Grosse Beschwerdekammer entschieden hatte, dass ein beanspruchtes Verfahren als «im Wesentlichen biologisches Verfahren zur Züchtung von Pflanzen» i.S.v. Art. 53 (b) EPÜ gelte und somit nicht patentierbar sei, wenn der technische Schritt einzig der Unterstützung der Selektion bzw. Kreuzung diene und dieser kein Merkmal in das Genom einführe. In «Broccoli II» stellte sich nun die Frage, ob Product-by-process-Ansprüche gewährt werden können, wenn das Verfahren zur Züchtung der Pflanze nicht patentierbar ist, weil es im Wesentlichen biologisch ist. Die aus diesem Verfahren resultierenden Produkte fallen nämlich nicht unter das Patentierungsverbot, was zum widersprüchlichen Ergebnis führen müsste, dass das Verfahren zwar nicht patentierbar ist, das daraus resultierende Produkt jedoch schon. Dies hätte die weitreichende Konsequenz, dass das Produkt absoluten «Stoffschutz» geniessen würde, sodass jedes Herstellverfahren davon erfasst wäre. Blumer informierte die Teilnehmer, dass das Verfahren «Tomaten II» (G 2/12) mit «Broccoli II» vereinigt worden ist und alle Verfahren betreffend Pflanzen, die durch ein im Wesentlichen biologisches Verfahren gewonnen werden, von Amtes wegen ausgesetzt worden sind.
Im Anschluss daran befasste sich Blumer mit der erfinderischen Tätigkeit im Falle von synergistischen Wirkungen von chemischen Substanzen. Er stellte den Entscheid «Synergistische Fungizide Mischung» (T 1814/11) vor, in welchem es um fungizide Mischungen auf der Basis von Prothioconazole (PC) und Picoxystrobin (PXY) ging. Synergistische Wirkungen liegen dann vor, wenn mit einer Wirkstoffkombination Wirkungen erreicht werden, die über das hinausgehen, was als additive Wirkung der Einzelkomponenten zu erwarten gewesen wäre. Es stellte sich vorliegend die Frage, ob die synergistische Wirkung von PC und PXY naheliegend war, da der Stand der Technik einerseits synergistische Wirkungen von PC zusammen mit KRM und AZY umfasste, andererseits auch die Vorteile von PXY gegenüber z.B. KRM und AZY. Die Beschwerdekammer entschied jedoch, dass die synergistischen Effekte von PC und PXY nicht vorhersehbar gewesen seien, sodass die beanspruchte Kombination nicht naheliegend gewesen sei.
Der dritte Entscheid, den Blumer präsentierte, handelte von der erfinderischen Tätigkeit im Zusammenhang mit einem Verfahren zum Einkaufen mit einem mobilen Gerät (T 1670/07). Die Erfindung lag darin, dass Benutzer auf ihrem Mobilgerät (Nokia) mehrere Produkte eingeben können und dass ihnen anschliessend eine Abfolge der zu besuchenden Geschäfte angezeigt wird. Blumer erläuterte, dass die erfinderische Tätigkeit nur auf Aspekte der Erfindung gestützt werden könne, die zu einer technischen Lösung eines technischen Problems beitrugen. Die Beschwerdekammer sei zum Schluss gekommen, dass das Erzeugen einer Liste der zu besuchenden Geschäfte keinen solchen technischen Effekt darstelle. Dies insbesondere deshalb, weil die Erfindung nur Optionen für menschliches Verhalten präsentiere, die Auswahl letztlich jedoch ein mentaler Akt sei. Somit lag auch keine erfinderische Tätigkeit vor.
Zuletzt stellte Blumer noch den Entscheid «Gebührenreduktion aus Sprachgründen» vor (T 642/12). Ein niederländischer Vertreter hatte eine Beschwerdeschrift für einen Schweizer Beschwerdeführer in niederländischer Sprache eingereicht und eine um 20% ermässigte Gebühr bezahlt. (Die Ermässigung wäre gerechtfertigt gewesen, falls die Beschwerdeschrift in italienischer Sprache eingereicht worden wäre.) Die Bezahlung der reduzierten Gebühr hatte dazu geführt, dass die Beschwerde als nicht eingelegt galt. Die Beschwerdekammer verneinte jedoch sowohl das Argument des Vertrauensschutzes als auch eine Wiedereinsetzung nach Art. 122 EPÜ für die verpasste Frist. Sie verneinte auch das Vorliegen eines «geringfügigen Fehlbetrages» i.S.v. Art. 8(1) GebO, weshalb es dabei blieb, dass die Beschwerde als nicht eingelegt galt. Blumer wies in diesem Zusammenhang auf die Änderung der Rechtsgrundlagen per 1. April 2014 hin, insbesondere auch auf die Tatsache, dass künftig nur KMU, natürliche Personen und Non-profit-Organisationen, Universitäten etc. von der Ermässigung profitieren können. Für die Frage, ob ein KMU vorliege, sei die Definition der KMU nach der Empfehlung 2003/361/EG der Kommission vom 6. Mai 2003 massgebend, deren Anwendung im Einzelfall anspruchsvoll sein könnte.
Dr. Stefan Luginbühl, Jurist in der Direktion Internationale Rechtsangelegenheiten des EPA, widmete sich in seinem Vortrag dem aktuellen Stand in Sachen EU-Patentpaket.
Nach einer Auffrischung des Grundkonzeptes des Einheitspatents berichtete Luginbühl über die Tätigkeiten des Engeren Ausschusses, dessen konstituierende Sitzung am 20. März 2013 stattgefunden hatte. Zusammengesetzt sei dieser aus Vertretern der 25 teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission sowie den Beobachtern European Patent Institute (epi) und BusinessEurope als Vertreter der Nutzer und zukünftig den an der Verstärkten Zusammenarbeit nicht teilnehmenden EPÜ-Vertragsstaaten wie beispielsweise die Schweiz. Luginbühl erläuterte, dass der Engere Ausschuss für die Verabschiedung der Durchführungsvorschriften, die Festlegung der Höhe der Jahresgebühren und des Verteilschlüssels sowie für die Aufsicht über die Ausführung der dem Amt übertragenen Aufgaben im Zusammenhang mit dem Einheitspatent zuständig sei. Die Diskussionen zu den Durchführungsvorschriften seien im Ausschuss bereits gut vorangekommen. Im Frühjahr würden zudem die substanziellen Diskussionen zur Höhe der Jahresgebühren für das Einheitspatent beginnen. Anschliessend präsentierte Luginbühl die Struktur des Einheitlichen Patentgerichts (EPG) und berichtete, dass Lokalkammern unter anderem in Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich geplant seien, während eine Regionalkammer für Schweden und die baltischen Staaten und eine weitere für die Tschechische Republik und die Slowakei zur Diskussion stünden. Nach einer Erläuterung der Zuständigkeiten des EPG und des Verfahrensablaufs berichtete Luginbühl, dass eine Vertretung zwingend sei, mit Ausnahme von Beschwerden gegen Entscheidungen des EPA im Zusammenhang mit dem Einheitspatent. Zur Vertretung zugelassen seien Rechtsanwälte aus den EPG-Vertragsstaaten und Mitglieder des epi (somit auch Schweizer Patentanwälte) mit der notwendigen Qualifikation zur Führung europäischer Patentstreitigkeiten.
Luginbühl berichtete zum Abschluss seines Vortrags, dass der Vorbereitende Ausschuss (Preparatory Committee) des EPG am 26. März 2013 konstituiert worden sei. Der Ausschuss, der für die Implementierung des EPG-Übereinkommens verantwortlich sei, bestünde aus fünf Projektgruppen (Recht, Finanzen, Gebäude, IT und Personal) und hätte bis anhin vier Sitzungen abgehalten. Eine wichtige Aufgabe des Vorbereitenden Ausschusses sei die Erarbeitung der Prozessordnung des Gerichts. Der aktuellste Entwurf der Prozessordnung könne von der Webpage des Gerichts unter <www.unifiedpatent-court.org> heruntergeladen werden. Ritscher bemerkte, dass immer noch viele Fragen offen seien, und dankte Luginbühl für seinen Vortrag.
Dr. Christian Gassauer-Fleissner, Rechtsanwalt und Präsident von EPLAW in Wien, durchleuchtete in seinem Vortrag den Entwurf der Verfahrensordnung für das neue Einheitliche Patentgericht und betonte gleich zu Beginn, dass das Projekt aufgrund der verschiedenen Ansätze nicht ganz einfach sei. Die Verfahrensordnung enthalte aus österreichischer Sicht einige Besonderheiten, die möglicherweise auch für die Schweiz neu seien und daher Aufmerksamkeit verdienten.
Zunächst erzählte Gassauer-Fleissner etwas selbstironisch, dass Österreich bisher eher passiv darauf gewartet hätte, bis andere Länder ihr Interesse an einer Regionalkammer kundtun würden. Nun bestehe die Gefahr, dass der Zug dafür abgefahren sei.
Anschliessend erläuterte Gassauer-Fleissner verschiedene Regeln im Zusammenhang mit dem Opt-out und betonte insbesondere, dass es seiner Meinung nach absurd sei, eine Gebühr für das Opt-out vorzusehen, da das Opt-out nichts anderes als die Beibehaltung des jetzigen Zustands sei.
Als Nächstes widmete sich Gassauer-Fleissner den Regeln zur einstweiligen Verfügung. Österreich kenne das Institut der Schutzschrift bisher nicht. Er regte an, dass eine Schutzschrift anstatt 6 Monate eher 1 Jahr lang gültig sein sollte. Er wies des Weiteren darauf hin, dass Österreich keine (beispielsweise) Aufzählung von heranzuziehenden Kriterien bei der Interessenabwägung kenne, da eine einstweilige Verfügung ohne Interessenabwägung gewährt werde, wenn die Bedingungen dafür erfüllt seien. Er stellte sodann die Frage in den Raum, wie das Erfordernis der «high degree of certainty» für eine einstweilige Verfügung auszulegen sei bzw. welches Beweismass anzuwenden sei. Grabinski antwortete darauf, dass bei einer einstweiligen Verfügung sowohl eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Rechtsbeständigkeit als auch eine überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Verletzung bestehen müsse.
Im Zusammenhang mit den Regeln über den Schadenersatz bemerkte Gassauer-Fleissner, dass für Österreich mit dieser Verfahrensordnung noch ein weiterer Schadensbegriff hinzugekommen sei. In Österreich sei der Verletzergewinn dogmatisch nämlich dem Bereicherungsrecht zugeordnet und nicht dem Schadenersatzrecht. Ausserdem seien Zinsen in Österreich nicht Teil des Schadens.
Zu den Amicus briefs bemerkte Gassauer-Fleissner, dass US-Richter diese aufgrund der Stärkung der demokratischen Legitimität der Richter und der Berücksichtigung der Konsequenzen des Urteils befürworteten. Grabinski bemerkte, dass Amicus briefs nicht in den 16. Entwurf aufgenommen worden seien, da das Verfahren ansonsten zu kompliziert geworden wäre.
Mit Bezug auf die Standesregeln machte Gassauer-Fleissner die Teilnehmenden darauf aufmerksam, dass zahlreiche Fragen noch nicht geklärt seien. Dazu gehörten insbesondere Regeln aus dem angelsächsischen Recht, wie z.B. die Irreführung des Gerichts oder die Pflicht der Vertreter, sowohl positive als auch negative Urteile vorzulegen.
Auch Dr. Frank-Erich Hufnagel, Rechtsanwalt in Düsseldorf, setzte sich im Rahmen seines Vortrags mit dem Entwurf der Verfahrensordnung für das Einheitliche Patentgericht auseinander und eröffnete seine Präsentation mit der Bemerkung, dass auch er mehr Fragen als Antworten aufzuzeigen gedenke.
Zunächst zeigte Hufnagel die verschiedenen Regeln im Zusammenhang mit der Verfahrenssprache vor dem Einheitlichen Patentgericht auf und demonstrierte anhand eines Beispiels, wie die verschiedenen Anknüpfungspunkte zu einem ganzen Strauss an möglichen Verfahrenssprachen führen können. Grabinski wies darauf hin, dass die Amtssprache des Mitgliedstaats am Sitz des Beklagten als Verfahrenssprache für den vorläufigen Einspruch gestrichen worden sei.
Nachdem er die Regeln im Zusammenhang mit den technischen Richtern aufgezeigt hatte, widmete sich Hufnagel anschliessend der Verfahrenstrennung oder «Bifurcation». Dieses Thema sei noch nicht eine Frage der Vergangenheit. Im Vereinigen Königreich bestehe die Sorge um zu viel Trennung und dass die Verletzungsprozesse nicht ausgesetzt würden. Ein strittiger Punkt, erklärte Hufnagel, sei das Rechtsmittel gegen die Aussetzungsentscheidung. Das Vereinigte Königreich befürworte die Anfechtung der prozessualen Entscheidung des Gerichts über die Trennung vor einem erstinstanzlichen Gericht mit der Möglichkeit, diese an das Berufungsgericht weiterzuziehen. Die Deutschen wehrten sich allerdings dagegen, da dies zu einer bedeutenden Verlängerung des Prozesses führen würde. Hufnagel wies des Weiteren darauf hin, dass die «Bifurcation» erzwungen werden könne, indem man ausschliesslich den Lizenznehmer klagen lasse gem. Art. 47 (5). Grabinski bemerkte hierzu, dass man den Patentinhaber in einem solchen Fall in das Verfahren hineinziehen würde. Hufnagel entgegnete dem, dass man dies könne, nicht aber müsse.
Danach präsentierte Hufnagel den zeitlichen Rahmen des Verfahrensablaufs in grafischen Darstellungen und hob insbesondere zwei Punkte hervor. Erstens bestehe ein klares Zeitsystem mit sehr knappen Fristen und zweitens sei das Zwischenverfahren des Berichterstatters neu und ungewöhnlich und gewähre dem Berichterstatter grosses Ermessen. Grabinski fügte an, dass die Gerichte die Fristen angemessen verlängern könnten und dass die Frist für die Stellungnahme zu Patentbeschränkungen auf zwei Monate erweitert worden sei.
Nach einer kurzen Darstellung der Dokumentenverwaltung und der Einsicht sowie der Rolle des Berichterstatters widmete sich Hufnagel dem Verhältnis zwischen dem Verfahren vor dem EPG und dem EPA-Einspruchsverfahren. Nichtigkeitsklagen vor dem EPG seien nicht ausgeschlossen durch oder abhängig von anhängigen oder möglichen Einspruchsverfahren vor dem EPA. Ausserdem könne das Gericht das Verfahren aussetzen, wenn ein Einspruch beim EPA anhängig sei und eine rasche Entscheidung bevorstehe. Hufnagel betonte jedoch, dass einerseits nicht klar sei, wer im Falle widerstreitender Entscheidungen den Vorrang habe. Andererseits sei auch nicht klar, welche Wirkungen Anspruchsänderungen im Verfahren vor dem EPG für das EPA hätten.
Grabinski machte die Teilnehmenden darauf aufmerksam, dass nicht klar sei, was mit den hängigen Anmeldungen geschehen werde. Man müsse als Patentinhaber aktiv handeln und bezahlen, damit alles so bleibe wie bisher. Ab dem ersten Tag des Inkrafttretens sei eine Klage vor dem EPG möglich, ohne dass danach noch ein Opt-out möglich sei. Deshalb gäbe es eine sog. «Sunrise»-Frist von vier Monaten vor Inkrafttreten, während welcher man das Opt-out ab dem ersten Tag, Stunde null erklären könne. Ausserdem könne, wenn man im System bleibe, während sieben Jahren sowohl vor den lokalen Kammern als auch vor nationalen Gerichten geklagt werden. Fraglich sei jedoch, ob man im Falle eines rechtskräftigen Obsiegens in einem Verletzungsprozess vor einem nationalen Gericht anschliessend vor der Lokalkammer desselben Staates auf Patentverletzung in demselben Staat plus weiteren Staaten klagen könne. Nach Ansicht von Grabinski sei dies nicht möglich; nach einer nationalen Klage dürften nur weitere nationale Klagen erhoben werden, da es sich um demselben Streitgegenstand und dieselben Parteien handle.
Auf die Frage von Ritscher hin, ob er das Opting-out empfehlen würde, antwortete Hufnagel, dass er dies nicht allgemein tun werde. Es käme insbesondere auch darauf an, wie stark das Patent sei. Man könne beispielsweise auch mit Divisionals spielen; es gäbe aber auf jeden Fall keine einheitliche Lösung. Von Grabinski wollte Ritscher wissen, ob nach einem Opt-out wieder ein Optin möglich sei. Dies, so Grabinski, sei nur möglich, wenn kein Verfahren anhängig sei. Ausserdem gäbe es zwei Ansichten dazu: nach der einen sei ein Opt-in nach Abschluss eines Verfahrens wieder möglich, nach der anderen sei dies nie wieder möglich. Luginbühl fügte dem hinzu, dass ein Opt-out auch automatisch für das entsprechende Ergänzende Schutzzertifikat gelte; ein zusätzlicher Antrag für das Zertifikat sei demzufolge nicht notwendig.
Den Nachmittag eröffnete Dr. Gernot Schulze, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht in München, mit seinem Referat zur Geräte- und Speichervergütung einerseits und zum Werkbegriff andererseits.
Im ersten Teil seiner Präsentation stellte Schulze die neueste Rechtsprechung des EuGH im Zusammenhang mit der in der Richtlinie 2001/29/EG (Info-RL) vorgesehenen Geräte- und Speichervergütung vor. Zunächst erklärte er, dass zwischen Art. 5 Abs. 2 lit. a und lit. b Info-RL unterschieden werden müsse. Lit. a betreffe lediglich Vervielfältigungen auf Papier sowie ähnliche analoge Träger und sei somit eng gefasst. Hingegen könnten nicht nur natürliche, sondern auch juristische Personen von der Beschränkung profitieren, ebenso natürliche Personen für kommerzielle Zwecke. Lit. b hingegen umfasse alle Arten von Werkträgern, insbesondere auch digitale Werkträger, und sei somit weit gefasst. Im Gegenzug könnten nur natürliche Personen von der Beschränkung profitieren, und dies nur im Falle der Benutzung für nichtkommerzielle Zwecke. Von der möglichen Beschränkung auch für kommerzielle Zwecke in lit. a hätten jedoch nur verhältnismässig wenige Staaten Gebrauch gemacht in ihrer nationalen Urheberrechtsgesetzgebung.
Schulze erklärte hernach, dass zurzeit sehr viel vervielfältigt werde, sowohl kommerziell als auch privat, und dass manche Länder Schrankenregelungen vorsehen, z.B. Deutschland. Ein gerechter Ausgleich für diese Nutzung sei allerdings notwendig, dies sei auch die Ansicht des EuGH. Der EuGH habe auch die Europarechtskonformität des Systems der Geräte- und Speichermedienvergütung bestätigt. Im Urteil «Amazon» vom 11. Juli 2013 (C-521/11) habe der EuGH festgehalten, dass eine widerlegbare Vermutung für die Abgabepflicht bestehe, die sowohl für Privatpersonen als auch für Unternehmen gelte. Voraussetzung für eine generelle Vergütungspflicht sei allerdings, dass praktische Schwierigkeiten bestünden, festzustellen, wer die Endnutzer der Geräte sind und wie sie die Geräte einsetzen, und dass eine Rückerstattungsregelung bestehe, falls die Geräte nicht an Endverbraucher gelangten, sondern z.B. exportiert würden. Im Fall «Amazon» habe das höchste Gericht in Österreich (OGH) die Sache zurück an das Handelsgericht verwiesen mit der Frage, ob in diesem Fall solche praktischen Schwierigkeiten bestünden.
Gemäss dem Urteil «Stichting» des EuGH vom 16. Juni 2011 (C-462/09) sei sodann der Staat am Wohnort des Endnutzers massgebend für die Erhebung des gerechten Ausgleichs. Des Weiteren habe der EuGH im Urteil «VG Wort» vom 27. Juni 2013 (C-457/11, C-458/11, C-459/11 und C-460/11) entschieden, dass die Summe der Beträge für mehrere Geräte den Betrag für ein einzelnes Gerät nicht überschreiten dürfe. In dieser Sache habe nachfolgend noch kein deutsches Gericht entschieden.
Im zweiten Teil seines Referats stellte Schulze das Urteil «Geburtstagszug» des Deutschen Bundesgerichtshofs (BGH) vom 13. November 2013 vor (I ZR 143/12). Zunächst erklärte er, dass der BGH bis anhin je nach Art des Werkes unterschiedlich hohe Anforderungen an die Schutzfähigkeit von Werken gestellt hatte. Der BGH hatte zwischen drei verschiedenen Stufen unterschieden: Stufe 1 umfasste Computer, Datenbanken und Lichtbildwerke; Stufe 2 beinhaltete Literatur, (zweckfreie) Kunst und Musik (einschliesslich der sog. «kleinen Münze»); und Stufe 3 umfasste die angewandte Kunst. Werke der ersten Stufe mussten angesichts der hierzu ergangenen EU-Richtlinien nach Ansicht des BGH keine qualitativen oder ästhetischen Anforderungen erfüllen, um eine hinreichende Individualität aufzuzeigen und somit als «Werk» qualifiziert zu werden. Bei Werken der Stufe 2 waren die Anforderungen an die Individualität strenger als bei jenen der Stufe 1; am strengsten waren die Anforderungen jedoch bei Werken der Stufe 3. Dies begründete der BGH (bestätigt durch das Bundesverfassungsgericht) damit, dass Werke der Stufe 3 parallel zum Urheberrechtsschutz auch Geschmacksmusterschutz beanspruchen könnten.
Mit dem Urteil «Geburtstagszug» sei die dritte Stufe weggefallen. Der BGH musste sich in diesem Fall mit dem Urheberrechtsschutz an Spielwaren, nämlich einem Geburtstagszug, auseinandersetzen, wies ihn aber zum Entscheid über die Qualifikation als urheberrechtlich geschütztes Werk an die Vorinstanz zurück.
Schulze betonte allerdings, dass die zweite Stufe weiterhin bestehe und dass die Anforderung der «eigenen geistigen Schöpfung» nicht für alle Werkarten gelte, sondern nur für die erste Stufe. Werke der zweiten Stufe müssten demnach weiterhin eine gewisse «Gestaltungshöhe» aufweisen; ein Kriterium, das relativ ähnlich sei wie jenes der «Eigenart» für das Erlangen eines Geschmacksmusters. Somit könne es nun durchaus sein, dass ein Produkt bei Ablauf des Geschmacksmusterschutzes durch Urheberrecht geschützt sei.
Auf die Bemerkung von Sven Klos, dass die Rechtsprechung des BGH mit den erhöhten Anforderungen bei gewissen Werkarten gegen die Rechtsprechung des EuGH verstosse, erwiderte Schulze, dass der BGH möglicherweise argumentieren würde, der EuGH dürfe sich dazu gar nicht äussern, weil der Werkbegriff in der EU nicht umfassend geregelt sei. Schulze fügte des Weiteren hinzu, dass es im Übrigen immer unterschiedliche Messlatten geben werde, da der EuGH in der Sache nie selbst entscheide, sondern die ihm vorgelegten Fragen beantworte und die Sachentscheidung dem vorlegenden Gericht überlasse.
Als Nächstes stellte Dr. Jochen Volkmer der BMW in München die aktuellen Herausforderungen im Bereich des Designrechts aus Unternehmenssicht vor. Der erste Teil seiner Präsentation war dem Teilschutz bzw. Teileschutz gewidmet; der zweite Teil sodann den Ersatzteilen bzw. Zubehör.
Zunächst erläuterte Volkmer die aktuelle Rechtsprechung des Deutschen Bundesgerichtshofs, wonach Teile oder Elemente eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters nicht eigenständig geschützt sind. Der BGH begründet diese Rechtsprechung damit, dass kein Bedürfnis dafür bestehe, weil erstens Geschmacksmuster für diese Teile oder Elemente erlangt werden könnten und zweitens die Rechtssicherheit dies erfordere. Volkmer demonstrierte anschliessend anhand einiger eindrucksvoller Fotografien, dass Kopierer meist nur einen Teil eines BMW-Fahrzeugs kopierten, beispielsweise die Seitenansicht. Die Vorderansicht werde dann von einem anderen Auto kopiert. Dies führe dazu, dass BMW nicht aus einem Gemeinschaftsgeschmacksmuster gegen solche Kopierer vorgehen könne, weil die Kopie einen anderen «Gesamteindruck» erwecke. Volkmer führte des Weiteren aus, dass die separate Anmeldung von Geschmacksmustern für Teile oder Elemente viel zu teuer wäre. Er schlug deshalb als Lösung vor, dass Einzelheiten eines Geschmacksmusters gewichtet werden sollten bis hin zur vollständigen Vernachlässigung. Eine Beschränkung des Designschutzes auf Bestandteile sei schliesslich typisch für das Designrecht; so seien auch technisch bedingte Erscheinungsmerkmale oder nicht sichtbare Bauelemente nicht vom Designschutz umfasst. Als zweite Lösung regte Volkmer an, dass die Beurteilung des Gesamteindrucks auf der Grundlage rechtstatsächlicher Konstellationen beruhen sollte. Die Wahrnehmung eines Gegenstands erfolge nämlich nie gesamthaft, sondern immer nur auf eine Ansicht bzw. einen Teil beschränkt. Somit könnten Muster verschiedene Gesamteindrücke erzeugen, die für sich genommen zu beurteilen wären.
Im zweiten Teil seines Referats widmete sich Volkmer Ersatzteilen und Zubehör. Zunächst informierte er die Teilnehmer, dass BMW gegenwärtig mehr als 500 verschiedene Räderdesigns anbiete und diese regelmässig kopiert würden. BMW schütze die Räderdesigns mittels Gemeinschaftsgeschmacksmuster. Anschliessend erklärte Volkmer, dass Kopierer versuchten, sich mit der sog. «Reparaturklausel» zu verteidigen. Diese Klausel findet sich in Art. 110 der Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung und besagt, dass für ein Design kein Schutz als Gemeinschaftsgeschmacksmuster besteht, das als Bauelement eines komplexen Erzeugnisses mit dem Ziel verwendet wird, die Reparatur dieses komplexen Erzeugnisses zu ermöglichen, um diesem wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen. Verletzer argumentierten laut Volkmer, dass sie Replika-Räder verkauften, um beschädigte Räder zu ersetzen. BMW argumentiere jedoch, dass erstens die Reparaturklausel auf Zubehörteile keine Anwendung finde. Zweitens seien Räder nicht Teil des komplexen Erzeugnisses «Fahrzeug», sondern hätten eine eigenständige Charakteristik, insbesondere weil es eine Vielzahl von erhältlichen Rädern für ein Fahrzeug gäbe und Räder nicht nur vom jeweiligen Automobilhersteller, sondern auch von Dritten angeboten würden. Ausserdem würden Verletzer meist Rädersätze von vier Stück anbieten, was ebenfalls gegen die Verwendung der Räder für eine Reparatur spreche. BMW sei in seiner Rechtsauffassung durch Entscheidungen in Spanien, Italien, England und Deutschland bestätigt worden, die einzige Ausnahme bilde Neapel.
Volkmer schloss sein Referat mit der Information, dass es bei BMW mehr Design- als Markenrechte gäbe.
Christoph Bartos, Mitglied der Beschwerdekammern des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (HABM), eröffnete den kennzeichenrechtlichen Teil der Veranstaltung und stellte sogleich klar, dass er kein Richter sei, sondern Mitglied der Beschwerdekammern. Grund dafür sei, dass die Beschwerdekammern des HABM kein Gericht seien.
Zunächst stellte Bartos den Entscheid zur Wort-/Bildmarke «Il Profvmo» vor (R0221/2013-1). Die Beschwerdekammer hat in diesem Entscheid festgehalten, dass bei Marken, bei denen das Wortelement im Vordergrund steht, einzig auf das Wort und nicht auch auf das Bild abzustellen ist. Vorliegend seien somit sowohl die Farbe, die Schrift als auch die Substitution des «U» mit einem «V» irrelevant, weshalb die Marke beschreibend sei für Parfum und ätherische Öle.
Anschliessend befasste sich Bartos mit einem Entscheid zur Eintragungsfähigkeit von Staatsflaggen (R1291/2012-2). In diesem Fall bestand die Bildmarke aus der Frage «Who Wants to be a Football Millionaire» und einem runden Logo, das verschiedene Staatsflaggen zeigte. Die Beschwerdekammer verweigerte die Eintragung der Marke aufgrund der Staatsflaggen, welche allgemein nicht schutzfähig sind. Bartos fügte hinzu, dass Flaggen von Staaten wie Schottland und England nicht automatisch vom Schutz ausgeschlossen seien wie andere Staatsflaggen.
Als Nächstes widmete sich Bartos der Verwechslungsgefahr bei schwachen Marken. Zunächst bemerkte er, dass ein Widerspruch darin bestünde, wenn eine schwache Marke mit figurativem Element eingetragen werde und anschliessend die Eintragung weiterer schwacher Marken aufgrund einer Verwechslungsgefahr verunmöglicht werde. Dies bedeute nämlich, dass der schwachen Marke zu weit reichender Schutz gewährt werde.
In diesem Zusammenhang präsentierte Bartos den Entscheid betreffend die Marke «Ultimate Greens» (R1462/2012-G), gegen welche gestützt auf die ältere Marke «Ultimate Nutrition» Widerspruch erhoben worden war. Die Beschwerdekammer hielt fest, dass sowohl «ultimate» als auch «nutrition» beschreibend seien für «vitamins and nutritional food supplements» und die figurative Gestaltung von «Ultimate Nutrition» ebenfalls nicht unterscheidungskräftig sei. Somit stimmten die Zeichen nur in den beschreibenden und nicht unterscheidungskräftigen Elementen überein, weshalb der Beschwerde stattgegeben und die Widerspruchsmarke zur Eintragung zugelassen wurde.
Zu demselben Ergebnis war die Beschwerdekammer im Entscheid «Recycline/Re-Cyclos» gelangt (R1331/2012-4). Nach Ansicht der Beschwerdekammer nahmen die Zeichen, beide eingetragen für Küchen- und Haushaltsgeräte, Bezug auf «recycling» und seien folglich beschreibend. Somit bestehe zwischen der älteren Marke «Re-Cyclos» und «Recycline» keine Verwechslungsgefahr, weshalb der Beschwerde stattgegeben und die jüngere Marke zur Eintragung (allerdings mit einem sehr engen Schutzumfang) zugelassen wurde.
Bartos präsentierte anschliessend den Entscheid «now», bei dem sich die Beschwerdekammer mit der Nichtbenutzung auseinandersetzen musste (R0237/2012-2). Die Inhaberin der Marke hatte diese einzig im «Thames Valley» im Vereinigten Königreich benutzt, weshalb sich die Frage stellte, ob dies ausreicht. Bartos erklärte, dass die Beschwerdekammern in Fällen der Nichtbenutzung eine umfassende Beurteilung vornehmen, wobei Ort, Zeit, Umfang und Art der Benutzung berücksichtigt würden und das Interdependenzprinzip gelte. Die Beschwerdekammer hat im vorliegenden Fall entschieden, dass «Thames Valley» mit ca. 15 Mio. Einwohnern einen bedeutenden Teil des Vereinigten Königreichs darstelle und die Benutzung somit genügend sei.
Zuletzt kam Bartos auf den Entscheid «Billie Jean – Dance Walking» zu sprechen (R0944/2012-2). Der Nachlass von Michael Joseph Jackson hatte gestützt auf Persönlichkeitsrechte beantragt, die Bildmarke «Billie Jean – Dance Walking», die eine Darstellung der berühmten Pose Michael Jacksons auf den Zehenspitzen enthielt, nicht einzutragen. In Deutschland ist ein Rechtsnachfolger berechtigt, eine unautorisierte wirtschaftliche Ausbeutung eines Erblassers bis zu zehn Jahren nach dem Tod zu verhindern, sofern die Person aufgrund der typischen Haltung etc. erkennbar ist. Die Beschwerdekammer gab der Beschwerde statt und löschte die Marke. Bartos fügte hinzu, dass Persönlichkeitsrechte nationale Rechte seien, weshalb Forumshopping möglich sei.
Bartos beendete sein Referat mit dem Hinweis, dass das HABM neu auch Mediation anbiete und dass auch er selbst als Mediator tätig sei.
Das zweite Referat zum Kennzeichenrecht hielt Prof. Antoon Quaedvlieg der Universität Nijmegen in englischer Sprache. Er befasste sich mit dem Verhältnis zwischen der gedanklichen Verbindung und der Verwechslungsgefahr im europäischen Markenrecht, welche in Art. 5 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2008/95/EG vorgesehen sind. Er ging insbesondere der Frage nach, was darunter zu verstehen ist, dass «die Verwechslungsgefahr die Gefahr der gedanklichen Verbindung einschliesst», wie dies der oben genannte Artikel statuiert.
Zunächst zeigte Quaedvlieg anhand der Entscheidung «Puma/Sabel» vom 11. November 1997 des EuGH (C-251/95) auf, dass die gedankliche Verbindung dazu diene, den Umfang der Verwechslungsgefahr zu definieren, Erstere jedoch nicht mit Letzterer gleichgesetzt werden dürfe. Eine Verwechslungsgefahr sei immer nötig, weshalb sie auch das (einzige) rechtliche Kriterium darstelle.
Quaedvlieg relativierte seine Aussage anschliessend insofern, als er erläuterte, inwiefern die gedankliche Verbindung als rechtliches Kriterium qualifiziert werden könne. Dadurch, dass die Wahrnehmung der Marken durch die Konsumenten eine entscheidende Rolle spiele bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr, präge die gedankliche Verbindung die Verwechslungsgefahr zu einem hohen Grad. Er begründete dies damit, dass der EuGH in «Puma/Sabel» ausgeführt hatte, dass die Verwechslungsgefahr um so grösser sei, je grösser die Kennzeichnungskraft der älteren Marke sei. Dies, so Quaedvlieg, sei nur aufgrund der gedanklichen Verbindung durch den Durchschnittsverbraucher denkbar, denn die tatsächliche Verwechslungsgefahr sei weniger wahrscheinlich bei einer grösseren Kennzeichnungskraft der älteren Marke.
Anschliessend zeigte Quaedvlieg auf, inwiefern die gedankliche Verbindung als tatsächlicher Umstand berücksichtigt werde. Erstens könne die Ähnlichkeit der Zeichen (in Bild, Klang oder Bedeutung) zur gedanklichen Verbindung beitragen, welche wiederum zur Verwechslungsgefahr beitragen könne. Zweitens könne die gedankliche Verbindung auch, im Sinne einer gedanklichen «Gegenverbindung», dazu führen, dass die visuelle und phonetische Ähnlichkeit der Zeichen gewissermassen «neutralisiert» würden, wenn beispielsweise konzeptionelle Unterschiede zwischen den Zeichen bestünden. Drittens spiele die gedankliche Verbindung eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit der tatsächlich verwendeten Form einer Marke. Der EuGH habe im Entscheid «Specsavers» vom 18. Juli 2013 (C-252/12) festgehalten, dass die tatsächlich verwendete Form einer Marke (in diesem Fall die Farbe Grün anstatt die registrierten Farben Schwarz und Weiss) die Wahrnehmung der Marke durch den Durchschnittsverbraucher beeinflussen und somit die Verwechslungsgefahr oder die Gefahr der gedanklichen Verbindung erhöhen könne.
Quaedvlieg kam zum Abschluss seines Referats noch einmal auf die gedankliche Verbindung als rechtliches Kriterium zurück und fasste in diesem Zusammenhang die zwei wichtigsten Punkte zusammen. Erstens sei der Schutzumfang einer Marke um so grösser, je grösser ihre Kennzeichnungskraft sei. Zweitens sei der Schutzumfang durch die tatsächlichen Gegebenheiten auf dem Markt bestimmt und weniger durch das registrierte Zeichen. Diese beiden Punkte seien Indizien dafür, dass die gedankliche Verbindung Bestandteil des rechtlichen Kriteriums der Verwechslungsgefahr sei. Quaedvlieg folgerte, dass es demnach zwei Interpretationen gäbe für das Kriterium «die Verwechslungsgefahr schliesst die Gefahr der gedanklichen Verbindung ein». Einerseits könne die Gefahr der gedanklichen Verbindung als eine Kategorie der Fälle von Verwechslungsgefahr verstanden werden. Andererseits, und dies sei seine Ansicht, könne die Aussage so verstanden werden, dass die Wahrnehmung der Verkehrskreise immer von entscheidender Bedeutung sei für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr.
In der anschliessenden Diskussion fragte Ritscher, ob Quaedvlieg die gedankliche Verbindung somit sowohl als rechtlichen Begriff als auch in tatsächlicher Hinsicht verstehe, was Quaedvlieg bejahte. Dr. Reinhard Oertli fügte dem bei, dass eine Marke ein Instrument der Kommunikation sei und dass bei der gedanklichen Verbindung der Kommunizierende verwechselt werde und nicht das Kommunizierte.
Das letzte Referat der Tagung hielt Patentanwalt F. Peter Müller aus München, der sich mit der Revision des EU-Markenrechts auseinandersetzte. Zunächst berichtete er, dass die Kommission am 27. März 2013 drei verschiedene Vorschläge vorgelegt hatte. Erstens einen Vorschlag zur Änderung der Gemeinschaftsmarkenverordnung (EG Nr. 207/2009); zweitens einen Vorschlag für eine Neufassung der Markenrechtsrichtlinie (2008/95/EG) und drittens einen Vorschlag für eine Neufassung der Verordnung der Kommission über die Gebühren des HABM (EG Nr. 2869/95).
Des Weiteren berichtete er, dass das JURI-Komitee des Parlaments (Committee on Legal affairs) den sog. «Wikström-Bericht» mit zahlreichen Änderungsvorschlägen vorgelegt hatte. Als Nächstes stehe nun der Trialog zwischen Kommission, Rat und Parlament an, um eine Einigung zu finden. Müller erklärte, dass eine Einigung vor der Neuwahl des Parlaments am 25. Mai 2014 jedoch eher unwahrscheinlich scheine.
Im Zusammenhang mit der Änderung der Gemeinschaftsmarkenverordnung teilte Müller den Teilnehmenden mit, dass die Änderungen fünf grosse Themenbereiche betreffen. Erstens sei aufgrund des Vertrags von Lissabon eine Anpassung der Terminologie nötig geworden. Zweitens sei das Verfahren in verschiedener Hinsicht gestrafft worden. So seien beispielsweise keine Anmeldungen bei nationalen Ämtern mehr vorgesehen, Zahlungen müssten sofort (d.h. am Anmeldetag) erfolgen und die Widerspruchsfrist bei IR (EM)-Marken sei auf einen Monat ab IR-Veröffentlichung verkürzt worden. Drittens sei mit der Änderung der Verordnung bezweckt worden, die Rechtssicherheit zu stärken. Aus diesem Grund seien beispielsweise Herkunftsangaben als absolutes Schutzhindernis eingeführt und der Schutz gegen Handelsnamen bzw. Firmen im Falle der markenmässigen Benutzung eingeführt worden. Die Verordnung sehe überdies auch die Reduktion auf die Herkunftsfunktion bei Vorliegen von Doppelidentität vor sowie das Verbot vergleichender Werbung. Ausserdem sei die «graphische Darstellbarkeit» gestrichen worden im Zusammenhang mit der Definition der Marke. Der vierte Themenbereich betreffe den Rahmen für die Zusammenarbeit der Ämter, welche neu für alle Mitgliedstaaten verpflichtend sei. Fünftens übernehme die Kommission neu Befugnisse der «Legislative», wobei Müller hinzufügte, dass das JURI-Komitee ein Vetorecht des Parlaments befürworte.
Anschliessend widmete sich Müller der von der Kommission vorgeschlagenen Neufassung der Richtlinie und zeigte die wichtigsten Neuerungen auf. Zunächst erklärte er, dass die Richtlinie eine umfassende Harmonisierung vorsehe, insbesondere auch im Prozessrecht. Wie auch bei der Verordnung gäbe es einige neue Begrifflichkeiten, so beispielsweise die «Agentur der Europäischen Union für Marken, Muster und Modelle» statt «Harmonisierungsamt», «Union» statt «Gemeinschaft» und «Europäische Marke» statt «Gemeinschaftsmarke».
Im Zusammenhang mit den absoluten Schutzhindernissen sei die grafische Darstellbarkeit gestrichen worden, wohingegen Ursprungsbezeichnungen sowie geografische Angaben als auch traditionelle Bezeichnungen für Wein und garantiert traditionelle Spezialitäten eingebunden worden seien. Äusserst umstritten sei zudem die vorgesehene Ausdehnung der Schutzhindernisse auf die gesamte EU. Demzufolge müssten beispielsweise auch Eintragungshindernisse berücksichtigt werden, die in anderen Mitgliedstaaten vorliegen. Müller meinte dazu allerdings, dass diese Bestimmung wohl komplett gestrichen würde.
Hinsichtlich der relativen Schutzhindernisse könnten neu auch ältere nationale bekannte Marken, und nicht nur Gemeinschaftsmarken als Grundlage für einen Widerspruch dienen. Dasselbe gelte für Agentenmarken und für ältere Auslandsmarken, falls diese benutzt wurden und Bösgläubigkeit vorliege. Auch Ursprungsbezeichnungen und geografische Angaben seien neu aufgenommen worden sowie (fakultativ) sonstige ältere Rechte, wobei sog. Letters of Consent zulässig seien.
Müller erläuterte des Weiteren, dass keine Nichtigerklärung der eingetragenen jüngeren Marke mehr erfolge, wenn eine ältere Marke zum Prioritätszeitpunkt der jüngeren Marke die erforderliche Unterscheidungskraft oder Wertschätzung nicht erlangt hatte (sog. Zwischenrechte).
Im Zusammenhang mit dem Schutzinhalt der Marken seien die vom EuGH formulierten weiteren Funktionen der Marke (z.B. Werbefunktion, Investitionsfunktion) im Falle von Doppelidentität auf die Herkunftsfunktion reduziert worden. Überdies sei der Schutz bekannter Marken neu Pflicht und die Benutzung einer Marke als Handelsname, Unternehmensbezeichnung, Domainname oder in einer vergleichenden Werbung verboten. Des Weiteren seien sog. «Small Consignments», d.h. die Einfuhr kleiner Mengen von markenverletzenden Waren durch Verbraucher, verboten worden, ebenso wie der Transit von solchen Waren.
Müller erklärte weiter, dass die Schutzschranken die lautere Benutzung von Namen neu nur noch für Personennamen und nicht mehr für Handelsnamen umfassten. Hingegen umfassten sie die lautere Benutzung beschreibender Zeichen nun auch für nicht unterscheidungskräftige Zeichen. Die lautere Benutzung durch Referenzierung sei ebenfalls vorgesehen, ebenso die Benutzung von Abwandlungen, welche die Unterscheidungskraft unberührt lassen, und zwar unabhängig von Paralleleintragungen dieser Abwandlungen.
Im Zusammenhang mit dem Verfahren berichtete Müller, dass die Mitgliedstaaten die Möglichkeit hätten, die Zuerkennung des Anmeldetags von der Zahlung der Gebühr abhängig zu machen. Ausserdem solle die amtliche Prüfung künftig nur noch absolute Schutzhindernisse umfassen, was allerdings strittig sei. Zudem sei neu eine extra Klassengebühr ab der zweiten Klasse vorgesehen. Ebenfalls vorgesehen sei ein obligatorisches «cooling off» sowie die Einrede der Nichtbenutzung im Widerspruchsverfahren. Die Löschung wegen Verfall, absoluter Nichtigkeitsgründe und älterer Rechte solle überdies in einem Amtsverfahren und nicht mehr von Gerichten vorgenommen werden.
Müller kam zum Schluss, dass insbesondere bei der Gebührenverteilung, der Übertragung von Befugnissen und bei der Zeitschiene Probleme bestünden. Die revidierten Bestimmungen würden wohl kaum vor dem 1. Januar 2016 in Kraft treten, so Müller. Dafür erblickte er die Chancen der Revision unter anderem in strafferen Verfahren, einheitlicheren Prozessen, mehr Transparenz und der Integration langjähriger Rechtsprechung.
Zum Abschluss der Tagung bedankte sich Ritscher bei den Referenten, bei Christoph Gasser und dem ganzen INGRES-Team und teilte dem Publikum mit, dass am 5. und 6. September 2014 der traditionelle Workshop in der Kartause Ittingen zum Thema der Freihaltebedürftigkeit stattfinden würde. Er schloss mit den Worten, dass er hoffentlich möglichst viele der Teilnehmer an der Sommerveranstaltung am 25. Juni 2014 wieder begrüssen dürfe. Die nächste Winterveranstaltung finde am 25./26. Januar 2015 statt. Das vorzügliche Abendessen rundete die gelungene Tagung ab und nicht wenige Teilnehmer liessen den Abend bei einem Glas Wein und interessanten Gesprächen ausklingen.
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Fussnoten: |
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MLaw, Zürich. |
