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Forum – Zur Diskussion / A discuter

Mischa Ch. Senn

Die Schweizerische Lauterkeitskommission (SLK) hat den bisherigen einleitenden GrundsÀtzen neue Bestimmungen zum Geltungsbereich sowie Anwendungsregeln vorangestellt. Die GrundsÀtze zum Begriff und zu den Formen von kommerzieller Kommunikation erhalten damit eine Renummerierung in der Systematik.

Nachfolgend an den Wortlaut der neuen Bestimmungen folgen Anmerkungen im Sinne von Kommentaren und ErlÀuterungen.

Grundsatz 1.1

1. Geltungsbereich

1) Diese GrundsĂ€tze bezwecken die Beachtung fairer GeschĂ€ftspraktiken in der kommerziellen Kommunikation; sie dienen damit der Vertrauensbildung der Öffentlichkeit in die kommerzielle Kommunikation.

2) Kommerzielle Kommunikation soll rechtmÀssig, wahrheitsgemÀss und nicht diskriminierend sein sowie den GrundsÀtzen von Treu und Glauben im GeschÀftsverkehr entsprechen.

2. Anwendungsregeln

FĂŒr die Beurteilung einer kommerziellen Kommunikation sind insbesondere folgende Kriterien zu berĂŒcksichtigen:

  • – das VerstĂ€ndnis der Zielgruppe
  • – der Gesamteindruck
  • – die Grundaussage
  • – die Art des beworbenen Produktes
  • – der Charakter des Mediums
  • – der Vergleich zur dargestellten Wirklichkeit
  • – ironische Aussagen oder Parodien sind entsprechend ihrem Charakter auszulegen
  • – die aktuelle und tatsĂ€chlich herrschende Auffassung ĂŒber Ethik, Sitte und Moral in der Gesellschaft

WĂ€hrend der Geltungsbereich (Ziffer 1) die hauptsĂ€chlichen Prinzipien von lauterkeitsrechtlichem Verhalten festhĂ€lt, sollen die Anwendungsregeln (Ziffer 2) als Anleitung zur Beurteilung von werblichen Äusserungen – oder allgemein einer kommerziellen Kommunikation – dienen.

Unter dem Titel Geltungsbereich werden die lauterkeitsrechtlichen GrundsĂ€tze fĂŒr kommerzielle Kommunikation beschrieben. Diese Bestimmung stellt insofern eine Art Generalklausel analog jener von Art. 2 UWG dar.

Die Anwendungsregeln halten Kriterien fest, welche generell fĂŒr die Beurteilung einer Werbung gelten. Diese entsprechen einem BedĂŒrfnis der Praktiker der Kommunikationsbranche und dienen den Anwendern dieser GrundsĂ€tze, sprich den Spruchkörpern der SLK.

Ist eine konkrete Werbung hinsichtlich ihrer lauterkeitsrechtlichen Relevanz zu beurteilen, ist grundsĂ€tzlich zuerst zu prĂŒfen, ob einer der SpezialtatbestĂ€nde von Art. 3 UWG zur Anwendung gelangt. Da die – nicht abschliessend aufgezĂ€hlten – SpezialtatbestĂ€nde die Generalklausel konkretisieren, kann aber «auch ein Verhalten als unlauter in Betracht fallen, das keinen der TatbestĂ€nde nach Art. 3 bis 8 UWG erfĂŒllt». Entsprechend kann ein Sachverhalt auch nur unter die Generalklausel fallen, womit beispielsweise eine allgemein diskriminierende Werbung im Licht der Generalklausel von Art. 2 UWG zu beurteilen ist.

Es geht hierbei also um die Frage, unter welchen Tatbestand eine werbliche Aussage fallen kann und somit darum, welche Gesetzesbestimmung bzw. welche GrundsÀtze der SLK zur Anwendung gelangen. Ist dieser Bereich soweit einmal festgelegt, gilt es in einem nÀchsten Schritt zu untersuchen, nach welchen weiteren Kriterien die Rechtsanwendung erfolgt.

Zum methodischen Vorgehen liefern die lauterkeitsrechtlichen Grundlagen, wie beispielsweise Art. 2 UWG, keine Anhaltspunkte. Eine Beurteilung erfolgt vielmehr aufgrund der durch Lehre und Rechtsprechung erarbeiteten AuslegungsgrundsĂ€tze. Eine Zusammenfassung besteht – soweit bekannt – nicht. Deshalb hat die Lauterkeitskommission in ihren GrundsĂ€tzen dazu sog. Anwendungsregeln aufge|stellt, die auch als eine Handreichung oder Anleitung zu verstehen sind.

Diese Anwendungsregeln enthalten die wichtigsten Kriterien fĂŒr die Beurteilung von kommerziellen Kommunikationen und dienen damit der Auslegung bei der Rechtsanwendung. Methodisch betrachtet liegt einer solchen Anwendung das hermeneutische Verfahren zugrunde, indem es hier um Verstehen und Auslegen von genereller, sprachlicher Kommunikation geht. Dabei findet ein Hin- und Herwandern zwischen einerseits den infrage kommenden TatbestĂ€nden und Kriterien sowie andererseits dem Sachverhalt (hier in Form der werblichen Äusserungen) statt. Anhand des konkreten Einzelfalls ist darĂŒber zu entscheiden, inwieweit bestimmte Kriterien besonders zu beachten sind.

Die Anmerkungen zu den einzelnen Kriterien folgen nicht durchwegs der AufzĂ€hlung, da sie teils im Kontext zusammenfassend erlĂ€utert werden. Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass die angefĂŒhrten Kriterien weder abschliessend aufgezĂ€hlt werden noch hinsichtlich ihrer AufzĂ€hlung hierarchisch zu verstehen sind; diesbezĂŒglich kann auf die AusfĂŒhrungen zu Art. 3 UWG hingewiesen werden.

Zum Kriterium der Zielgruppe ist anzumerken, dass es sich bei diesem Begriff um den massgebenden Durchschnittsadressaten handelt. Dieser Rechtsbegriff umfasst einerseits das angesprochene Zielpublikum, also jene Personengruppe, die fĂŒr das konkret beworbene Produkt ĂŒberhaupt infrage kommt. Andererseits ist hinsichtlich des VerstĂ€ndnishorizonts und des damit zusammenhĂ€ngenden Konsumentenleitbilds vom durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verstĂ€ndigen Durchschnittsverbraucher auszugehen.

Das Kriterium des Gesamteindrucks verweist darauf, dass nicht eine Einzelaussage oder eine Detaildarstellung der Werbung fĂŒr die Beurteilung massgebend sein kann. Vielmehr ist zu untersuchen, welche Wirkung die Gesamtheit der werblichen Aussage auslöst. Es steht somit «jede Werbemassnahme unter dem Vorbehalt einer Gesamtbeurteilung der konkreten UmstĂ€nde des einzelnen Falles». Die Interpretation kann somit nicht losgelöst von ihrem Kontext ausfallen, womit einzelne Aspekte in ihrem Zusammenhang nachzuvollziehen resp. zu interpretieren sind. Das gilt sowohl fĂŒr die einzelne Werbung als auch fĂŒr eine ganze Kampagne.

Damit einhergehend ist danach zu fragen, welches die Grundaussage der werblichen Äusserung ist. Es ist dabei bei MeinungsĂ€usserungen nicht auf das Gesagte, sondern auf das Gemeinte abzustellen. Dieser allgemeine Auslegungsgrundsatz gilt denn auch als ĂŒbergeordnetes Prinzip verschiedenster Kommunikationsformen, sei es in der Kunst, in der Literatur und selbst auch in der alltĂ€glichen zwischenmenschlichen Kommunikation. So ist die Aussage nicht wörtlich zu verstehen, das Kind sei tatsĂ€chlich mit dem Bade ausgeschĂŒttet worden, wenn damit gemeint ist, eine Angelegenheit nicht im Übereifer anzugehen, also beispielsweise mit dem Schlechten zugleich auch das Gute zu verwerfen. Allerdings mĂŒssen solche Aussagen auch als Idiome oder Übertreibungen erkannt werden (können). Dies hĂ€ngt wiederum vom VerstĂ€ndnishorizont der Rezipienten ab, was auf die vorherigen AusfĂŒhrungen verweist.

Schliesslich ist auch daran zu erinnern, dass Werbung mitunter den Zeitgeist ĂŒberspitzt aufgreift, und die Aussage entsprechend nicht wörtlich genommen werden kann. Ähnlich verhĂ€lt es sich entsprechend bei ironischen Aussagen oder bei Parodien, die nur dann richtig verstanden werden können (und mĂŒssen), wenn sie nicht wörtlich, sondern in Bezug auf ihren Aussagegehalt rezipiert werden.

Zu unterscheiden ist im Weiteren, ob es sich bei der werblichen Aussage um eine Tatsachenbehauptung oder um eine MeinungsĂ€usserung handelt. Denn eine Werbeaussage kann sowohl eine Tatsachenbehauptung als auch oder nur eine MeinungsĂ€usserung darstellen. Dabei ist hinsichtlich MeinungsĂ€usserungen bei mehrdeutigen Aussagen aufgrund des Grundsatzes der Freien Rede nicht jene Auslegung massgeblich, welche als unlauter beurteilt werden kann, solange daneben Deutungen bestehen, die zu einem anderen Ergebnis fĂŒhren, also u.U. durchaus auch zugunsten des werbenden Anbieters entschieden werden kann.

Schliesslich ist im Zusammenhang mit Fragen zur Grundaussage werblicher Äusserungen die Auslegung im Licht der Grundrechtsintention vorzunehmen: Die InteressenabwĂ€gung hat unter BerĂŒcksichtigung der massgeblichen Grundrechte zu erfolgen, was zur Folge hat, dass einerseits – bezogen auf die werbliche Äusserung – sowohl die MeinungsĂ€usserungsfreiheit als auch die Wirtschaftsfreiheit («Werbefreiheit») zu beachten sind. Andererseits hat die werbliche Äusserung insbesondere die MenschenwĂŒrde und den Persönlichkeitsschutz zu respektieren. Die AbwĂ€gung ist hĂ€ufig nicht ganz einfach und bedarf daher einer sorgfĂ€ltigen Vorgehensweise, insbe|sondere dann, wenn im Prozess der AbwĂ€gung auch die aktuellen Wertvorstellungen zu berĂŒcksichtigen sind. Diese betreffen selbstredend ethische, sittliche und moralische Fragestellungen, weshalb dieses Werte-Kriterium ebenfalls explizit in den Auslegungsregeln ErwĂ€hnung findet.

Entsprechend der soeben gemachten AusfĂŒhrungen soll gegebenenfalls ein Vergleich zur dargestellten Wirklichkeit vorgenommen werden. Da Werbung Teil des gesellschaftlichen – und kulturellen – Lebens ist, kann sie auch und soweit mit den realen Eigenheiten einhergehen, als sie eben darin stattfindet. Deshalb ist beispielsweise «Werbung mit der RealitĂ€t» (Stichwort Benetton) zulĂ€ssig. Sie ist insofern den gleichen (gesellschaftlichen) UmstĂ€nden wie die Medien unterworfen. Das ist gemeint, wenn (in den Medien) von dargestellter Wirklichkeit gesprochen wird, indem die Grenzen der Befindlichkeit gleich abzustecken sind fĂŒr kommerzielle wie fĂŒr redaktionelle Kommunikation. SelbstverstĂ€ndlich gilt es im Einzelfall darauf zu achten, dass die (sachgerechte) Darstellung in den Medien im Rahmen ihres Berichterstattungsauftrags u. U. weiter gehen kann, als man dies der kommerziellen Äusserung zugestehen kann (z. B. Berichterstattung ĂŒber Katastrophen).

In die Gesamtbeurteilung einzufliessen hat deshalb auch der Charakter des Mediums, in dem die Werbung stattfindet. Der WerbetrĂ€ger und damit sowohl die Verbreitung als auch der Kontakt sind UmstĂ€nde, die zu beachten sind. So macht es beispielsweise einen Unterschied, ob die werbliche Äusserung fĂŒr jedermann auf einem Plakat oder als Kinoreklame wahrnehmbar wird – und deren (wenn auch nur kurze) Beachtung damit kaum vermieden werden kann – oder ob sie auf einem Banner einer einschlĂ€gigen Website fĂŒr eine anzahlmĂ€ssig beschrĂ€nktere Zielgruppe auftaucht.

Schliesslich ist auch die Art des beworbenen Produktes zu berĂŒcksichtigen. Eine Werbung beispielsweise fĂŒr ein Auto unterliegt selbstredend anderen Aspekten als fĂŒr DamenunterwĂ€sche. Die Art des Produkts leitet letztlich wieder ĂŒber zur Frage des Zielpublikums, womit sich der Kreis schliesst und die dort erwĂ€hnten Kriterien ebenfalls zu beachten sind.

Aus diesen AusfĂŒhrungen sollte hervorgegangen sein, dass bei der Beurteilung werblicher Aussagen eine ganze Reihe unterschiedlicher Kriterien zu berĂŒcksichtigen sind. Ihre Gewichtung hĂ€ngt vom Einzelfall ab und unterliegt letztlich – innerhalb der beschriebenen Vorgaben – dem Ermessen der urteilenden Instanz.