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Berichte / Rapports

Bericht über den Ittinger Workshop vom 25./26. August 2017

Fortunat Wolf* | Alessandro Vanini**

  • I. Einführung
  • II. Die rechtsdogmatische Einordnung
  • III. Marke ist mehr als Herkunft
  • IV. Die Praxis des BGer
  • V. Die Praxis des EuGH zum Schutz der «bekannten Marke»
  • VI. Der Lackmustest Parallelimport – Zur Beschränkung der Erschöpfungseinrede
  • VII. Stärken und Risiken der Bekanntheit
  • VIII. Möglichkeiten des empirischen Nachweises
  • IX. Schutz der Bekanntheit von Marken im Eintragungs- und Widerspruchsverfahren
  • X. Schlussdiskussion

Der letztjährige Ittinger Workshop des Instituts für gewerblichen Rechtsschutz (INGRES) fand traditionsgemäss in der Kartause Ittingen statt. Geleitet wurde die Tagung zum Thema «Der Schutz der Bekanntheit von Marken» von Dr. Michael Ritscher, während Dr. Christoph Gasser für die Organisation verantwortlich war.

I. Einführung

Ritscher führte einleitend aus, dass das Kennzeichenrecht die Konsumenten traditionell vor Fehlzuordnungen schützen will (sog. Herkunftsfunktion). Inzwischen schützen das Marken- und das Lauterkeitsrecht aber auch andere Funktionen von Kennzeichen, insbesondere deren Bekanntheit, unabhängig von der Gefahr von Fehlzuordnungen, durch die Figuren der mittelbaren Verwechslungsgefahr bzw. der Verwechslungsgefahr im weiteren Sinn, der berühmten bzw. der bekannten Marke und durch den Schutz von Kennzeichen gegen unnötige Anlehnung bzw. Rufausbeutung. Ziel des Workshops war es, mehr Klarheit über die praktische Bedeutung der Bekanntheit von Marken, über die Quantifizierung der Bekanntheit und deren rechtliche Einordnung im schweizerischen und im Unionsrecht zu verschaffen.

Zum Aufzeigen des Diskussionsbedarfs erwähnte Ritscher das Urteil «Havana Club (fig.) / Cana Club (fig.)» (BVGer vom 14. September 2016, B-5653/2015, «Havana Club (fig.) / ​Cana Club (fig.)»). Das BVGer erachtete in diesem Urteil die ältere Marke «Havana Club» als ursprünglich derart schwach, dass keine rechtliche relevante Verwechslungsgefahr mit «Cana Club» bestehe und liess sich auch nicht von der geltend gemachten gesteigerten Bekanntheit überzeugen. Obwohl die Verkehrsdurchsetzung der Marke «Havana Club» nicht Gegenstand des Verfahrens bildete (die Widerspruchsmarke wurde als ursprünglich unterscheidungskräftig eingetragen), vermengte das BVGer die beiden Beweisthemen der Kennzeichnungskraft (Verkehrsdurchsetzung) und der erhöhten respektive gesteigerten Bekanntheit. Dabei war schon die Begriffswahl alles andere als klar, weil das BVGer abwechselnd von «erhöhte Verkehrsbekanntheit», «erworbene Bekanntheit» oder «derivativ erworbene Kennzeichnungskraft» sprach.

II. Die rechtsdogmatische Einordnung

Prof. Dr. Florent Thouvenin wies zunächst darauf hin, dass der Schutz der Bekanntheit von Marken als Investitionsschutz oder als Schutz vor Verwechslungsgefahr aufgefasst werden könne. Die Verwechslungsgefahr ist zwar intuitiv bei bekannten Marken kleiner, weil schon geringe Unterschiede auffallen. Empirisch lässt sich aber belegen, dass Menschen «entspannen», wenn sie Bekanntes sehen, und dass sie dann weniger auf Details achten.

Als tatsächlicher Umstand ist die Bekanntheit nach der Auffassung von Thouvenin einheitlich aufzufassen. Rechtsdogmatisch kommt der Bekanntheit jedoch eine andere Funktion zu, je nachdem, ob sie die Schutzvoraussetzungen oder den Schutzumfang von Marken betrifft. Als Schutzvoraussetzung ist die Bekanntheit bei der durchgesetzten und bei der notorisch bekannten Marke relevant, wobei hier weitgehend Übereinstimmung besteht: Bei beiden muss das fragliche Zeichen in den relevanten Verkehrskreisen bekannt sein, es muss diese Bekanntheit in der ganzen Schweiz bestehen, und es braucht einen bestimmten Kennzeichnungsgrad, der gegebenenfalls durch ein demoskopisches Gutachten nachzuweisen ist.

Die Rechtsprechung des Bundesgerichts schwankt und verlangt für die Bekanntheit als Schutzvoraussetzung meistens einen Kennzeichnungsgrad zwischen 50% (vgl. zur Notorietät BGE 130 III, «Tripp Trapp») und zwei Dritteln (vgl. zur Verkehrsdurchsetzung BGE 128 III 441, «Appenzeller»). Derweil gehen die Lehre und das IGE in der Regel von einem Kennzeichnungsgrad von mindestens 50% aus, was insoweit schlüssig erscheint, als das Vorliegen von Gemeingut überwunden ist, wenn mehr als die Hälfte der massgeblichen Verkehrskreise das Zeichen als Marke versteht.

Bei der Bedeutung der Bekanntheit für den Schutzumfang zeigen sich demgegenüber wesentliche Unterschiede. Die berühmte Marke ist auch gegen Rufausbeutung und Rufbeeinträchtigung geschützt, während schwache, normale und starke Marken einen solchen Schutz nur über das Lauterkeitsrecht erhalten können. Zudem ist für die Bestimmung der Bekanntheit von schwachen, normalen und starken Marken auf die relevanten Verkehrskreise abzustellen, während die berühmte Marke dem breiten Publikum bekannt sein muss, weil sie das Spezialitätsprinzip sprengt. Sodann ist es in der Schweiz nicht üblich, für die Bestimmung der Kennzeichnungskraft von schwachen, normalen und starken Marken auf ein demoskopisches Gutachten abzustellen. Derweil kann auch die Bekanntheit berühmter Marken durchaus aufgrund von Verbraucherumfragen bestimmt werden (vgl. BGer vom 7. August 2012, 4A_128/2012, «Vogue», wo ein Kennzeichnungsgrad von 25% genügte).

Nach Thouvenin besteht dabei für den Zusammenhang zwischen der Bekanntheit und dem Schutzumfang von Marken ein Kontinuum, das bei der schwachen Marke beginnt und bis hin zur berühmten Marke verläuft. Mit stetig wachsender Kennzeichnungskraft nimmt auch der Schutzumfang zu, von der «normalen» über die mittelbare Verwechslungsgefahr und die Verwechslungsgefahr im weiteren Sinn. Dies, bis der Schutzumfang schliesslich nicht mehr auf bestimmte Waren oder Dienstleistungen beschränkt ist und auch keine Verwechslungsgefahr mehr vorliegen muss, sondern schon die blosse Gefährdung der Unterscheidungskraft genügt.

III. Marke ist mehr als Herkunft

Dr. Thomas Deigendesch von der Werbeagentur Jung von Matt setzte sich in seinem Vortrag mit der Bekanntheit von Marken aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive auseinander.

Der Referent bemerkte zunächst, dass Produkte früher eher mit einer bestimmten Person in Verbindung gebracht worden waren und erst seit der Industrialisierung mit einer bestimmten Marke identifiziert werden. Heute bezeichnen Marken nicht nur Produkte, sondern auch Unternehmen, Institutionen (z. B. Universitäten), Destinationen, Non-Profit Organisationen, berühmte Persönlichkeiten und nicht zuletzt politische Figuren. Dabei sind Marken im Wettbewerb um Aufmerksamkeit wirksam, um sich zu profilieren und zu differenzieren.

Aus der Perspektive der Konsumenten sind Marken laut Deigendesch ein Erzeugnis der Massenpsyche. Denn der bekannte Farbton, das prägnante Design oder der einprägsame Name, die die Marke per se berühmt machen oder ein Zeichen als «gut» erscheinen lassen, sind nur Symbole. Es ist die Massenpsyche, welche die Produkte mit guten oder schlechten Assoziationen verbindet und mit ihrer Berühmtheit attraktiv macht. Insbesondere starke Marken sind ganze Erlebniswelten bzw. Vorstellungen über einen Nutzen, ohne dass der Verbraucher diesen unbedingt selbst erlebt haben müsste.

Der Referent wies ferner darauf hin, dass die Marke eine Orientierungs-, Vertrauens- und Identifikationsfunktion hat. Die Marke dient als Orientierung, weil der Konsument schneller Informationen verarbeitet und rascher zu einem bestimmten Produkt greift. Dasselbe gilt für das Vertrauen, das einem unbekannten, aber mit einer berühmten Marke bezeichneten Produkt entgegengebracht wird. Die wichtigste Funktion ist schliesslich diejenige der Identifikation. Marken werden gebraucht, weil sie das Selbstbild des Konsumenten prägen und diesen von anderen Menschen oder Unternehmen abgrenzen. Das erklärt auch, warum Marken oftmals wichtiger sind als das Produkt als solches. Beispielsweise handelt es sich bei einer günstigen Tragtasche und bei einer Modetasche funktionell betrachtet um das gleiche Produkt und ist der einzige Unterschied womöglich die darauf angebrachte Marke.

Ausgehend von der Erkenntnis, dass Konsumenten für gewisse Marken viel zu zahlen bereit sind, widmete sich Deigendesch schliesslich der Frage, was der Wert einer starken Marke sein kann. Je eindeutiger und stärker das Markenbild ist, sprich je berühmter eine Marke ist, desto mehr Wert erzeugt sie für den Markeninhaber. Eine starke Marke sichert eine wirksame Kommunikation, die Differenzierung im Wettbewerb und die Loyalität der Abnehmer, weshalb sie einen grossen Ertrag generiert. Dabei ist die Bekanntheit einer Marke notwendige Bedingung für ihre Stärke. Diese Bekanntheit erlangt eine Marke nur durch eine klare Positionierung und durch eine konsistente Wahrnehmung über alle Erlebnispunkte und über längere Zeit hinaus.

IV. Die Praxis des BGer

Dr. Bendicht Lüthi, Bundesgerichtsschreiber, referierte zur bundesgerichtlichen Rechtsprechung im Bereich der berühmten Marken, der notorisch bekannten Marken und der bekannten Marken.

Lüthi erklärte, dass sich der Schutz berühmter Marken früher aus dem Persönlichkeitsschutz und dem Lauterkeitsrecht ergeben hat und heute in Artikel 15 des Markenschutzgesetzes vorgesehen ist. Nach dieser Gesetzesregelung durchbrechen berühmte Marken das Spezialitätsprinzip und schützen nicht nur die Individualisierungs- und Herkunftsfunktion einer Marke, sondern sie schützen auch vor Rufausnutzung und -beeinträchtigung sowie vor Beeinträchtigung der Unterscheidungskraft. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung nimmt dann an, dass eine Marke berühmt ist, wenn «sich der in Art. 15 MSchG umschriebene erweiterte Schutz sachlich rechtfertigt». Dies setzt eine überragende Verkehrsgeltung der Marke voraus, sodass sich diese nicht nur im angestammten Warenbereich nutzen lässt, sondern auch den Absatz von Produkten in anderen Bereichen erheblich erleichtert (BGE 124 III 277, «Nike II»; bestätigt in BGE 130 III 748, «Nestlé / Boas EMS Clos Nestlé SA»; BGer vom 8. November 2004, 4C.31/2004, «Riesen»; vom 7. August 2012, 4A_128/2012, «Vogue»).

Zu den Schutzvoraussetzungen berühmter Marken gehört, dass die Marke sich bei einem breiten Publikum allgemeiner Wertschätzung erfreut. Denn solange nur eng begrenzte produktspezifische Abnehmerkreise die Marke kennen und schätzen, besteht kein legitimes Bedürfnis nach einem erweiterten Schutz. Nicht erforderlich ist hingegen, dass die Marke absolut einmalig ist; eine «relative Alleinstellung» genügt. Vereinzelte Drittmarken vermögen der Verkehrsgeltung einer berühmten Marke daher keinen Abbruch zu tun, wobei es sich allerdings nicht um eine Dutzendmarke handeln darf, die immer und immer wieder anzutreffen ist (BGE 124 III 277, «Nike II»). Ebenso wenig ist erforderlich, dass das Publikum einhellig das Markenimage als positiv wahrnimmt (BGE 130 III 748, «Nestlé / Boas EMS Clos Nestlé SA», BGer vom 8. November 2004, 4C.31/2004, «Riesen»; vom 7. August 2012, 4A_128/2012, «Vogue»; vom 16. April 2007, 4C.440/2006, «Bugatti»).

Die Berühmtheit einer Marke ist oftmals gerichtsnotorisch oder unbestritten (BGE 116 II 463, «Coca-Cola»; 130 III 748, «Nestlé / Boas EMS Clos Nestlé SA»; BGer vom 21. Dezember 1994, 4C.139/1994, «Gucci / Gucci (Jaguar)»; vom 12. Januar 2000, 4C.354/1999, «Chanel IV»; vom 21. Januar 2005, 4C.367/2004, «Maggi»). Im Fall «Bugatti» wurde die Berühmtheit etwa bei einer Bekanntheit von 63% (ungestützt) bzw. 77% (gestützt) bejaht, wobei 95% der Personen die Fahrzeuge als Luxusprodukte einstuften (BGer vom 16. April 2007, 4C.440/2006, «Bugatti»). Ebenso wurde die Berühmtheit bei einer aktiven Bekanntheit von 25% und einer nachgewiesenen Verbindung mit einem qualitativ hochwertigen Magazin bejaht (BGer vom 7. August 2012, 4A_128/2012, «Vogue»). Demgegenüber verneinte das Bundesgericht eine berühmte Marke bei einer gestützten Bekanntheit unter dem Titel «Süsswaren» von 46%, wobei keine qualitativen Kriterien abgefragt worden waren und einige Jahre zuvor ein Relaunch der fraglichen Marke stattgefunden hatte (BGer vom 8. November 2004, 4C.31/2004, «Riesen»).

Sodann ging Lüthi auf die notorisch bekannten Marken gemäss Art. 3 Abs. 2 lit. b MSchG ein, bei welchen das Hinterlegungsprinzip durchbrochen wird und gemäss zwei französischsprachigen Bundesgerichtsurteilen zudem auch das Territorialitätsprinzip. Als Schutzvoraussetzung muss die Bekanntheit in einem der massgebenden Verkehrskreise in der Schweiz gegeben sein, wobei der hiesige Gebrauch nicht zwingend erforderlich ist (BGE 120 II 144, «Yeni Raki»; BGer vom 19. Februar 2001, 4P.291/2000, «Central Park»). Die notorische Bekanntheit wird als gesteigerte Bekanntheit umschrieben, die sicher und dauerhaft sein muss. Als Richtwert stellte das BGer auf einen Bekanntheitsgrad von über 50% ab (BGE 130 III 267, «Tripp Trapp III»).

Schliesslich wird bei bekannten Marken die Verwechslungsgefahr auf die unmissverständliche Botschaft «Ersatz für» oder «gleich gut wie» ausgedehnt. Daher besteht auch Schutz vor der blossen Anlehnung an die Kennzeichnungs- und Werbekraft einer Marke, die ebenfalls als Beeinträchtigung der Unterscheidungsfunktion angesehen wird und unter Art. 3 MSchG fällt (BGE 122 III 382, «Kamillosan»; 126 III 315, «Rivella / Apiella»). In solchen Fällen kann auch lauterkeitsrechtlicher Schutz gewährt werden, früher über Art. 3 Abs. 1 lit. d UWG (BGer vom 4. April 2007, 4C.439/2006, «Eurojobs»; vom 21. Dezember 2006, 4P.222/2006, «Maltesers / Kit Kat Pop Choc I») und in den letzten Jahren vermehrt über Art. 3 Abs. 1 lit. e UWG (BGE 135 III 448, «Maltesers / Kit Kat Pop Choc II»; BGer 8. Februar 2008, 4A_467/2007, «IWC / ​WMC»; vom 7. Juli 2008 4A_103/2008, «Botox / ​Botoina»).

V. Die Praxis des EuGH zum Schutz der «bekannten Marke»

Dr. Peter Schramm behandelte das Institut der bekannten Marke im EU-Recht und verglich es mit demjenigen der berühmten Marke nach Schweizer Recht. Zwischen den beiden Instituten besteht insoweit Übereinstimmung, als sie Schutz auch über den Ähnlichkeitsbereich der jeweils beanspruchten Waren und Dienstleistungen hinaus gewähren.

Zu ihrem Schutz muss die bekannte Marke im relevanten Territorium der EU einem relevanten Publikum bekannt sein. Die Vergleichsmarken müssen zudem identisch oder ähnlich sein. Ausserdem braucht es die Gefahr, dass die Benutzung der jüngeren Marke zu einer unlauteren Ausnutzung (Image-Transfer / Rufausbeutung) bzw. Beeinträchtigung (Verwässerung, Verunglimpfung) der Unterscheidungskraft oder Wertschätzung der älteren Marke führt.

Schramm ging sodann auf mehrere Grundsatzurteile des EuGH zur bekannten Marke ein, von denen hier drei erwähnt werden. Im Urteil «Chevy» verzichtete der EuGH auf die Festlegung eines gewissen Bekanntheitsgrades. Zudem kann nach diesem Urteil die Bekanntheit in einem Teil der betroffenen Verkehrskreise und in einem (wenn auch beachtlichen) Teil des betreffenden Gebietes (z. B. Benelux-Union) ausreichend sein (EuGH vom 14. September 1999, C-375/97, «Chevy»). Gemäss dem Urteil «Pago» wird eine Gemeinschaftsmarke gemeinschaftsweit als bekannte Marke geschützt, auch wenn sie sogar nur in einem Mitgliedstaat bekannt ist (EuGH vom 6. Oktober 2009, C-301/07, «Pago»). Und im Urteil «Davidoff / Durfee» entschied der EuGH, dass der besondere Schutz der bekannten Marke auch anwendbar ist, wenn sich ähnliche oder identische Produkte gegenüberstehen. Daher kann auch dann gestützt auf eine bekannte Marke vorgegangen werden, wenn keine Verwechslungsgefahr besteht, aber der relevante Verkehrskreis die angegriffene Marke mit der bekannten Marke verknüpft und dadurch deren Ruf ausgebeutet oder beschädigt bzw. ihre Kennzeichnungskraft verwässert wird (EuGH vom 9. Januar 2003, C-292/00, «Davidoff / Durfee»).

Im Unterschied zur berühmten Marke in der Schweiz wird die bekannte Marke in der EU auch im Widerspruchsverfahren geschützt. Zudem reicht für die Annahme einer bekannten Marke in der EU die Bekanntheit in einem bedeutenden Teil der Verkehrskreise, die von den durch diese Marke erfassten Produkten betroffen sind, während in der Schweiz die Bekanntheit in einem breiten Publikum erforderlich ist. Sodann genügt in der EU die Bekanntheit nur in einem Teil der EU, während in der Schweiz wohl eine Bekanntheit in allen drei Sprachregionen gefordert wird.

VI. Der Lackmustest Parallelimport – Zur Beschränkung der Erschöpfungseinrede

Ausgehend vom Urteil «Data Matrix» des HGer Zürich (HE140046 vom 16. September 2014, ZR 2015 Nr. 40) untersuchte Prof. Dr. Jürg Simon den Reputationsschutz beim Parallelimport von Markenware.

Im Fall «Data Matrix» wollte der Kläger der Beklagten vorsorglich verbieten lassen, parallel importierte Markenwaren, auf denen der originale Data Matrix Code entfernt und durch einen Kleber ersetzt worden war, in der Schweiz zu vertreiben. Im schweizerischen Recht ist der Grundsatz der internationalen Erschöpfung und damit die prinzipielle Zulässigkeit von Parallelimporten anerkannt, wobei die Verwendung von Marken unter einem allgemeinen Lauterkeitsvorbehalt steht (vgl. etwa BGE 129 III 353, «Puls»).

Dabei prüfte das HGer zunächst einen Anspruch auf Markenschutzgesetz und führte aus, dass trotz eingetretener Erschöpfung bei rufausbeutendem oder rufschädigendem Einsatz berühmter Marken Abwehransprüche gemäss Markenschutzgesetz bestehen können. Soweit ein hinreichender Bezug zum eigenen Angebot des Parallelimporteurs besteht, kann ihm der Markeninhaber aber grundsätzlich keine bestimmte Vermarktung der Ware vorschreiben, und Letzterer hat auch Veränderungen hinzunehmen, die sich daraus für den Ruf der Marke ergeben. Die Marke dient primär der Individualisierung der Produkte eines Unternehmens sowie deren Abgrenzung gegenüber Konkurrenzprodukten, sodass allfällige weitere wirtschaftliche Funktionen wie Werbung, Profilierung oder Kommunikation der Markeninhaber im Wettbewerb keinen selbständigen Schutz geniessen. Da diese Grenzen im zu beurteilenden Fall eingehalten waren, verneinte das HGer einen markenrechtlichen Anspruch.

In Bezug auf das Lauterkeitsrecht stellte das HGer fest, dass ein Eindringen in das selektive Vertriebssystem des Markeninhabers noch nicht als unlautere Wettbewerbshandlung zu qualifizieren ist. Unlauterkeit ist nur bei Täuschungsgefahr, Qualitäts- bzw. Imageverlust, Rufausbeutung oder -schädigung denkbar. Im konkreten Fall bewirkte die auf der Originalware vorgenommene Ersetzung der Data Matrix durch eine neue, nichtssagende Matrix keine betriebliche Fehlzurechnung nach Art. 3 Abs. 1 lit d UWG. Mangels einer Äusserung und Herabsetzungseignung verneinte das Gericht zudem eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 lit. a UWG. Und auch die Generalklausel von Art. 2 UWG half der Klägerin nicht, weil es an der erforderlichen Schwere des Eingriffs fehlte.

Simon zog als Fazit, dass sowohl die berühmte Marke als auch das Lauterkeitsrecht Parallelimporte verhindern können, wenn gewisse Grenzen überschritten werden. In der Praxis findet sich jedoch in den meisten Fällen keine taugliche Anspruchsgrundlage. Immerhin dürfte die Eingriffsschwelle bei der Bekanntheit einer Marke tiefer liegen als bei «normalen» Marken, so dass eine Ausnahme vom Erschöpfungsgrundsatz oder trotz eingetretener Erschöpfung ein lauterkeitsrechtlicher Anspruch bestehen kann.

VII. Stärken und Risiken der Bekanntheit

Dr. Simone Brauchbar Birkhäuser und Nicolas Birkhäuser zeigten mittels Grafiken das Verhältnis zwischen der steigenden Bekanntheit einer Marke einerseits und der Zunahme der Intensität der Angriffe sowie der Abwehrkraft einer Marke andererseits

In einer ersten Phase verdient intensive Aufbauarbeit einen weiten Ähnlichkeitsbereich, sodass bekannten Marken Schutz gegen Anlehnung sowie gegen die Botschaft «Ersatz für» zukommt. Als Folge dieser Wettbewerbsanstrengung kann u. U. sogar Gemeingut geschützt werden (Verkehrsdurchsetzung). Sobald eine Marke allerdings eine gewisse Bekanntheit erlangt hat, ist sie auch den Angriffen von Nachahmern und Trittbrettfahrern ausgesetzt. Obwohl die Intensität der Angriffe in dieser Situation zunimmt, steigt die Abwehrkraft nicht unbedingt und verfügt die angegriffene Marke immer noch über denselben Bekanntheitsgrad. Der Schutz der bekannten Marke erreicht seine Grenzen insbesondere im Gleichartigkeitsbereich und befindet sich stets in einem Spannungsverhältnis zur Nachahmungsfreiheit.

Zur Gewichtung der Nachahmungsfreiheit verwiesen die Referenten unter anderem auf den «Beutelsuppen»-Entscheid des HGer Aargau, wo die Gesuchstellerin, die unter der Marke «Knorr» Beutelsuppen vertreibt, erfolglos den Erlass vorsorglicher Massnahmen gegen eine Konkurrentin verlangte, da diese gewisse Ausstattungselemente der «Knorr»-Beutel übernommen hatte. Das HGer wies das Gesuch mit der Begründung ab, dass die ältere Ausstattung zum grössten Teil bloss banale Elemente kombiniere. Daher könne nicht davon ausgegangen werden, dass die «Knorr»-Ausstattung von einem erheblichen Teil der Durchschnittsabnehmer der Gesuchstellerin zugeordnet werde, und es liege somit keine Verwechslungsgefahr im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. d UWG vor. Mangels sklavischer Nachahmung verneinte das Gericht auch eine Verletzung von Art. 2 UWG (HGer Aargau vom 3. November 2008, sic! 2009, 419 ff., «Knorr / Bon Chef»). Nach Ansicht der Referenten zeigt dieser Entscheid, wie auch der Entscheid des BGer i.S. «Maltesers / Kit Kat Pop Choc» (BGE 135 III 446), wie stark der Grundsatz der Nachahmungsfreiheit unter Umständen gewichtet wird und wie schwierig es sein kann, ihn zu überwinden.

Die Referenten wiesen sodann auf die hohe Hürde für den Nachweis der Berühmtheit einer Marke hin. Der Markeninhaber trägt das Beweisrisiko. Ist der nicht einfache Beweis der Berühmtheit allerdings erbracht, geniesst die Marke einen sehr weiten Schutz vor Gefährdung ihrer Unterscheidungskraft, vor Rufausbeutung und vor Rufbeeinträchtigung. Ausserdem kann dadurch das Spezialitätsprinzip durchbrochen werden. Im Gegensatz dazu können gemäss der aktuellen Gerichtspraxis bei einem tieferen Grad der Bekanntheit die Nachteile gegenüber den Vorteilen überwiegen.

VIII. Möglichkeiten des empirischen Nachweises

Dr. Anne Niedermann vom Institut für Demoskopie Allensbach verwies zunächst auf die Prüfungsrichtlinien des EUIPO für Unionsmarken, wonach Umfragen und Markterhebungen die am besten geeigneten Beweismittel für den Bekanntheitsgrad einer Marke darstellen. Ihr Beweiswert wird von der Unabhängigkeit der Experten, von der Relevanz und Genauigkeit der enthaltenen Informationen und von der Zuverlässigkeit der angewendeten Methode bestimmt (Prüfungsrichtlinien EUIPO, Teil C Widerspruch, Abschnitt 5 «Bekannte Marken», Artikel 8 Absatz 5 UMV, Abschnitt 3.1.4.4 Beweismittel).

Aus dem EuG-Urteil «Vitakraft», in dem das Gericht den Beweiswert einer Verbraucherumfrage nicht als Nachweis der Bekanntheit akzeptierte, weil diese das Abfrageschema für die Ermittlung der Kennzeichnungskraft bzw. Verkehrsdurchsetzung anwandte, lässt sich folgern, dass im Bereich der bekannten (EU) bzw. berühmten (CH) Marken sogenannte «offene» Abfragen ohne vorgegebene Antwortmöglichkeiten verlangt werden (EuG vom 12. Juli 2006, T-277/04). Die Abfragen müssen erkennen lassen, welchen Waren und Dienstleistungen die Marke aktiv zugeordnet wird, ohne dass der Waren- bzw. Dienstleistungsbereich vorher den befragten Personen konkret mitgeteilt wird. Umfragen nach dem Dreischritt-Test, die zuerst den Bekanntheits-, dann den Kennzeichnungs- und schliesslich den Zuordnungsgrad ermitteln, können daher nicht den Beweis einer bekannten (EU) bzw. berühmten (CH) Marke liefern.

Niedermann erwähnte, dass es «Bekanntheitsgrade» in zahlreichen rechtlichen Kontexten gebe, bei Umfragetests bestünden aber nur zwei Grundtypen, die sich wie Äpfel und Birnen unterscheiden würden. Demoskopisch ist das Vorgehen zum Nachweis der Kennzeichnungskraft eines Zeichens, die eine originäre, erworbene (Verkehrsdurchsetzung) oder gesteigerte sein kann, vom Vorgehen zum Nachweis der Bekanntheit (EU) bzw. Berühmtheit (CH) zu trennen. Die Kennzeichnungskraft kann demoskopisch anhand des Dreischritt-Tests ermittelt werden, wobei ein konkretes Zeichen unter Nennung des zugehörigen Waren- und Dienstleistungsbereiches mit einer Auswahl verschiedener Antwortmöglichkeiten genannt wird. Dabei geht es um die «Recognition», d. h. um den Abruf von passivem Wissen. Derweil ist für den Nachweis der Bekanntheit (EU) bzw. Berühmtheit (CH) die Abfrage von aktivem Wissen erforderlich; es darf kein Waren- oder Dienstleistungsbereich angegeben werden und es sind freie Formulierungen der befragten Personen nötig.

Niedermann stellte sodann das Umfragegutachten vor, welches das Institut für Demoskopie Allensbach zur Marke «Vogue» erstellt hatte und das vom Bundesgericht als geeignet angesehen worden war, die Berühmtheit dieser Marke zu belegen (BGer vom 7. August 2012, 4A_128/2011, «Vogue»). In diesem Gutachten wurde zunächst auf der quantitativen Ebene die spontane Bekanntheit von «Vogue» ermittelt («Hier steht ein Name für etwas, was man kaufen kann. Kennen Sie diesen Namen, oder kommt er Ihnen bekannt vor, oder sehen Sie diesen Namen gerade zum ersten Mal?»), gefolgt von der Abfrage der erhärteten aktiven Bekanntheit («Und können Sie mir sagen, was es unter diesem Namen zu kaufen gibt? Sagen Sie mir möglichst alles, was Ihnen an Waren und Produkten dazu einfällt.»). Schliesslich wurde qualitativ abgefragt, ob die Bekanntheit positiv gepolt ist («Auch wenn man vielleicht etwas nicht unbedingt selbst kauft, macht man sich doch davon ein Bild. Finden Sie, dass «Vogue» hochwertig ist, oder eher durchschnittlich?»).

Im Urteil «Vogue» bejahte das BGer gestützt auf diese Umfrage das Vorliegen einer berühmten Marke, weil nachgewiesenermassen jede vierte Person diese Marke kannte und sie gedanklich mit einem hochwertigen Magazin verband.

Die Referentin hielt schliesslich fest, dass trotz des «Vogue»-Urteils bei der Formulierung von offenen Fragen für die Bemessung des aktiven Wissens noch viele Einzelheiten unklar sind und dass das Auseinanderhalten der Beweisaufgaben und Testansätze zur Kennzeichnungskraft und zur bekannten (EU) bzw. berühmten (CH) Marke nur eine erste, aber immerhin eine wichtige Erkenntnis darstellt.

IX. Schutz der Bekanntheit von Marken im Eintragungs- und Widerspruchsverfahren

Am zweiten Veranstaltungstag wies von Bomhard zunächst darauf hin, dass in der Widerspruchspraxis vor dem EUIPO der Inhaber der älteren Marke immer auch Unterlagen zur Bekanntheit vorlegt. Die erhöhte Bekanntheit wird praktisch immer geltend gemacht; auch wenn sie nicht den Kern des Verfahrens darstellt, kann sie dennoch den Ausgang des Verfahrens beeinflussen. Ritscher bemerkte dazu, dass die Bekanntheit einer Marke und lauterkeitsrechtliche Überlegungen wie die potentielle Rufausbeutung auch einen bloss unbewussten Einfluss auf die entscheidende Behörde bzw. den entscheidenden Richter haben können.

Zum Bekanntheitsschutz im Widerspruchsverfahren präsentierte von Bomhard verschiedene Entscheidungen der EU-Instanzen, von denen hier eine Auswahl wiedergegeben wird. Im Vorfeld des EuG-Urteils «Puma» hatte die Beschwerdekammer des EUIPO die Bekanntheit der Raubkatze des Sportartikelherstellers Puma in einem Widerspruchsverfahren gegen eine für Materialverarbeitungsmaschinen angemeldete springende Raubkatze trotz diverser gegenteiliger Vorentscheidungen verneint. Das EuG kassierte diese Entscheidung und wies das Verfahren mit der Begründung an die Vorinstanz zurück, dass die Beschwerdekammer mehr Nachweise hätte anfordern müssen (EuG vom 9. September 2016, T-159/15, «Puma»). Weiter stellte von Bomhard das EuG-Urteil «Lacoste / Kaiman» vor, worin sich Lacoste für sein Krokodil erfolgreich auf eine hohe Kennzeichnungskraft berief und die Eintragung eines für Lederwaren, Bekleidungsstücke und Schuhe angemeldeten Kaimans verhinderte (EuG vom 30. September 2015, T-364/13, «Lacoste / Kaiman»).

Mark Burki vom IGE präsentierte anschliessend die Praxis des IGE zum Bekanntheitsschutz. Im Eintragungsverfahren spielt die Bekanntheit grundsätzlich keine Rolle (Ausnahme: Verkehrsdurchsetzung), sondern nur im Widerspruchsverfahren, und auch insoweit nur eingeschränkt, weil die Berufung auf eine berühmte Marke im schweizerischen Widerspruchsverfahren nicht zulässig ist. Hingegen kann sich der Widersprechende auf die erhöhte Bekanntheit und damit auf einen erweiterten Schutzumfang seiner Marke berufen. Die erhöhte Bekanntheit wurde bereits gestützt auf Institutsnotorietät angenommen, z.B. bei den Marken «Swatch», «Red Bull», «Rolex» und dem Lacoste-Krokodil. Ebenso ging das Bundesverwaltungsgericht im Urteil «Land Rover / Land Glider» von einer notorischen Bekanntheit der Marke «Land Rover» im Zusammenhang mit Landfahrzeugen aus und erkannte, dass die für elektrische Fahrzeuge eingetragene Marke «Land Glider» den notwendigen Zeichenabstand nicht einhielt (BVGer vom 28. Juli 2014, B-4829/2012, «Land Glider»).

In der anschliessenden Diskussion bemerkte Ritscher, dass die Berühmtheit, auch wenn sie im Widerspruchsverfahren nicht vorgetragen werden kann, dennoch bis zu einem gewissen Grad im Rahmen der Prüfung der erhöhten Kennzeichnungskraft eine Rolle spielen sollte.

Dr. David Aschmann hob hervor, dass es nicht die «eine Bekanntheit» gibt. «Bekanntheit» weist vielmehr verschiedene Facetten auf und kann als Herkunftserwartung, als Qualitätserwartung, als Inhaltserwartung oder als Reputationserwartung verstanden werden. Aschmann erwähnte verschiedene Beispiele aus der Schweizer Rechtsprechung, in denen die Bekanntheit der älteren Marke für die Bejahung der Verwechslungsgefahr eine Rolle gespielt hat. Dazu gehört beispielsweise das Urteil «Credit Suisse / Uni Credit Suisse Bank», worin das BVGer berücksichtigte, dass die Marke «Credit Suisse» als durchgesetzte Marke eingetragen wurde und daher trotz originärer Kennzeichnungsschwäche über einen mindestens normalen Schutzumfang verfügt (BVGer vom 14. März 2011, B-1009/2010, «Credit Suisse»).

Gleichermassen erwog das BVGer im Fall «Clinique / Dermaclinique», dass sich die Widerspruchsmarke «Clinique» im Verkehr durchgesetzt habe und damit gegen identische und gleichartige Waren und Dienstleistungen geschützt sei. Davon ausgehend bejahte das BVGer eine Verwechslungsgefahr mit der Marke «Dermaclinique (fig.)» (BVGer vom 25. Februar 2015, B-6821/​2013, «Dermaclinique [fig.]»). Sodann hat das BVGer auch zwischen den Marken «Kinder» und «Kinder Party (fig.)» eine Verwechslungsgefahr mit der Begründung bejaht, dass die ältere Marke trotz ihres beschreibenden Charakters eine grosse Bekanntheit aufweise (BVGer vom 6. Juli 2007, B-7439/2006, «Kinder / Kinder Party [fig.]»).

Die Bekanntheit könnte ferner nach Meinung des Referenten eine Rolle bei der Dereliktion und Aneignung von Marken spielen. Aschmann stellte sich hierzu die Frage, ob es gegen die Eintragung einer neuen Marke einen absoluten Ausschlussgrund der wirtschaftlichen Verwechslung geben könnte, wenn derelinquierte Marken aufgrund ihrer Bekanntheit mit dem jüngeren Zeichen noch verwechselt werden könnten. In diese Richtung weist das BVGer im Urteil «Swissair», in dem diese Marke wegen Irreführungsgefahr gemäss Art. 2 lit. c MSchG zurückgewiesen wurde. Demnach dürfte der überwiegende Teil der Marktteilnehmer hinter der Marke «Swissair» fälschlicherweise einen Zusammenhang mit der früheren nationalen Fluggesellschaft erkennen und folglich würde diese Markenanmeldung von einem über Jahrzehnte aufgebauten Goodwill sowie allenfalls auch vom Anschein eines kapitalkräftigen Unternehmens profitieren (BVGer vom 5. Dezember 2011, B-3036/2011, «Swissair»).

Auf die Frage, ob es denkbar sei, das Verfahren vorläufig auf die notorische Bekanntheit zu beschränken, antwortete Aschmann, dass es durchaus möglich sei, hierüber einen Zwischenentscheid zu fällen. Es besteht nach seiner Meinung allerdings die Gefahr, dass die Glaubhaftmachung der Bekanntheit schwieriger wird, falls der Zwischenentscheid zum Schluss kommt, dass die Bekanntheit nicht notorisch ist.

X. Schlussdiskussion

Die Schlussdiskussion fand unter der Leitung von Ritscher, AbeggWeinmann und Joller statt.

Die Referenten hielten fest, dass notorische Tatsachen in der Praxis eine wichtige Rolle spielen, auch wenn dies nicht unbedingt in jedem Fall ersichtlich wird. Laut Ritscher wäre es daher wünschenswert, dass Gerichte und Behörden in der Entscheidungsbegründung offenlegen, welche Tatsachen sie für notorisch halten. Zur Diskussion stünden nämlich oftmals wichtige, häufig umstrittene Urteile, weshalb wichtig sei zu wissen, wie das Gericht oder die Behörde zu einem bestimmten Schluss gekommen sei. Niedermann fügte an, dass es auch schwierig sei zu bestimmen, was für die ganze Bevölkerung als «notorisch» gelte. Insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Repräsentativität sei die Beurteilung der Notorietät besonders schwierig.

Als direkten Beweis der Bekanntheit erachteten die Referenten das demoskopische Gutachten. Aschmann bemerkte hierzu, dass dieses rein technisch die Wahrnehmung nur von einem (wenn auch repräsentativen) Teil der Bevölkerung wiedergebe und somit eher als indirekter Beweis betrachtet werden sollte. Überdies sollten sich die Richter bei der Würdigung von Umfragen nicht unbedingt von festen Prozentzahlen einengen lassen.

Der indirekte Beweis der Bekanntheit wird durch Indizien geführt, aus deren Gesamtwürdigung sich die Bekanntheit einer Marke ergibt. Als möglicher indirekter Beweis nannte Abegg u.a. Umsatzzahlen, das Auftreten von Fälschungen, Auszüge aus Webseiten, Suchmaschinenresultate, Werbeaufwände und Erklärungen von Branchenverbänden. Die Referenten stellten dazu insbesondere fest, dass es aufgrund der hohen Kosten demoskopischer Gutachten wünschenswert wäre, wenn indirekte Beweise häufiger als Belege für die Bekanntheit akzeptiert würden.

Ein weiterer Diskussionspunkt betraf die Frage des territorialen Umfangs der Bekanntheit in der Schweiz. Auch wenn sich einige Teilnehmer für das Ausreichen der Bekanntheit in einer einzelnen Sprachregion der Schweiz aussprachen, scheint die Gerichtspraxis bisher eher die Meinung zu vertreten, dass die Bekanntheit schweizweit über alle Sprachregionen hinweg glaubhaft gemacht werden muss. Dies wäre deshalb gerechtfertigt, weil die berühmte Marke einen maximalen Schutz geniesst. Niedermann plädierte allerdings für eine differenzierte Betrachtungsweise, wonach alle Sprachregionen nur bei Wortmarken berücksichtigt werden müssten, bei denen man am ehesten Unterschiede zwischen den Sprachregionen erwarten kann.

Schliesslich wurde noch die Rolle von Privatgutachten erörtert. Gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts stellen diese keine Beweismittel dar, sondern blosse Parteibehauptungen (BGE 141 III 433 ff.). Zu bevorzugen ist jedoch insbesondere in Bezug auf demoskopische Gutachten eine differenzierte Betrachtungsweise, die auch den Entscheidungen «Vogue» und «Keytrader» (BGer vom 7. August 20124A_128/2012, «Vogue»; HGer Aargau, sic! 2015, 400 ff. «Keytrader») zugrunde liegt.

Fussnoten:
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Lic. iur., Rechtsanwalt, Zürich.

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MLaw, Zürich.