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Berichte / Rapports

Veranstaltung der Patentanwaltsverbände VSP, VESPA und VIPS gemeinsam mit INGRES vom 1. Juni 2015 in Zürich

 

Kilian Schärli* | Andrea Gloor**

Der Verband der freiberuflichen Europäischen und Schweizer Patentanwälte (VESPA), der Verband der Industriepatentanwälte in der Schweiz (VIPS) und der Verband Schweizerischer Patent- und Markenanwälte (VSP) luden gemeinsam mit INGRES die Teilnehmer zu einer Veranstaltung über die Zukunft des Schweizer Patentsystems ein. Die derzeitige Situation des Schweizer Patents und mögliche Entwicklungen wurden in verschiedenen Vorträgen und Diskussionsrunden dargestellt. Die von zahlreichen Teilnehmern besuchte Tagung war dem Gedanken der Aufwertung des Schweizer Patentsystems gewidmet, welcher sich im Zusammenhang mit der Umwälzung der Gesetzgebung in der Europäischen Union ergibt.

Das heutige Schweizer Patentsystem zeichnet sich dadurch aus, dass nationale Patentanmeldungen für die Schweiz und Liechtenstein nur in formeller Hinsicht, nicht aber auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit geprüft werden. Entsprechend sind viele der in der Schweiz erteilten nationalen Patente gegenüber dem Stand der Technik nicht neu bzw. nicht erfinderisch. Das Schweizer Patent ähnelt dem in vielen anderen Ländern bekannten ungeprüften Gebrauchsmuster. Die Anzahl nationaler Schweizer Patente spielt im Vergleich zur Anzahl Europäischer Patente derzeit allerdings eine untergeordnete Rolle. Die Schaffung des Einheitspatents der Europäischen Union lässt die Annahme zu, dass der Einfluss von dessen Vertragsstaaten beim Europäischen Patentamt (EPA) stark zunehmen und der Einfluss der Schweiz in Zukunft entsprechend abnehmen wird, insbesondere da sich die Schweiz als Nicht-EU-Mitglied dem neuen Einheitspatent nicht anschliessen kann. Nun gilt es abzuklären, ob Optimierungswünsche und -potenzial beim Schweizer Patentsystem vorhanden sind.

I. Das Schweizer Patent im sich wandelnden europäischen Umfeld

Dr. Roland Grossenbacher, ehemaliger Direktor des Instituts für Geistiges Eigentum (IGE) und Verwaltungsrat der Europäischen Patentorganisation (EPO), hielt das Einleitungsreferat.

Er präsentierte einen Überblick über die vergangenen und anstehenden Entwicklungen im Patentrecht. Dabei thematisierte er insbesondere die künftigen Veränderungen hinsichtlich des Einheitspatents. Das Einheitspatent stelle die tiefgreifendste Veränderung des europäischen Patentrechts der letzten 40 Jahre dar. Voraussichtlich ab 2017 wird in der Europäischen Union erstmalig ein Patent, das einen einheitlichen Schutz für nahezu alle EU-Staaten gewährleistet, zur Verfügung stehen. Bis es aber so weit ist, müssen noch etliche Fragen (z.B. die Aufteilung der Gebühren) geklärt werden und die noch fehlenden Ratifikationen erfolgen. Das Europäische Patent wird weiterhin das Rückgrat des europäischen Patentwesens bilden. Trotzdem zeichnet sich eine fortschreitende Integration der EU und damit ein Ausschluss der Schweiz ab.

Als Folge des Einheitspatents sei es denkbar, dass das EPA stärker von der Europäischen Union beeinflusst werde. Gemäss Dr. Grossenbacher sei eine Anpassung des Schweizer Patents folgerichtig, und die Schweiz habe noch Zeit, um sich richtig zu positionieren. Er betonte jedoch, dass die Rolle, welche die Schweiz im globalen Patentsystem spielen könnte, der Interessenlage unserer innovativen Unternehmen entsprechen müsse, da diesen eine solide Heimbasis für die Erlangung und Durchsetzung ihrer Schutzrechte nütze.

II. Optimierungspotenzial des Schweizer Patentsystems

1. Präsentation der Ergebnisse einer Studie

Dr. Stephan Vaterlaus, Geschäftsführer der Polynomics AG, stellte die auf der Website des IGE abrufbaren Er|gebnisse einer im Auftrag des IGE vorgenommenen Analyse des Optimierungspotenzials und der somit möglichen Reformoptionen des nationalen schweizerischen Patentsystems vor.

Die Polynomics AG und die Frontier Economics Ltd. führten Expertengespräche mit Vertretern aus allen Anspruchsgruppen unter Zuhilfenahme eines strukturierten Fragebogens. In diesen zeichneten sich vier zentrale Themen ab. Als mögliche Reformoptionen wurden eine Vollprüfung, ein Gebrauchsmuster, eine Neuheitsschonfrist und ein Anschluss an das PPH-Programm (ein bilaterales Abkommen unter der Bezeichnung Patent Prosecution Highway zwischen Patentämtern und internationalen Organisationen) gesehen. Die Ergebnisse waren jedoch sehr unterschiedlich, auch innerhalb der Anspruchsgruppen.

Eine Vollprüfung würde die Erweiterung der Patentprüfung um Neuheit und erfinderische Tätigkeit umfassen. Bei einem Gebrauchsmuster würde es sich um ein «kleines Patent» handeln, welches geringere Anforderungen an das Schutzrecht und eine kürzere Schutzdauer vorsähe. Unter einer Neuheitsschonfrist darf ein bekannt gemachter Schutzgegenstand innerhalb einer definierten Frist trotzdem noch zum Patent angemeldet werden. Mit dem Anschluss an das PPH-Programm soll ein Austausch und die gegenseitige Nutzung von Arbeitsergebnissen beim Patentprüfungsverfahren zwischen Patentämtern ermöglicht werden.

Die Befragungen ergaben, dass weder eine Abschaffung des nationalen Schweizer Patents noch wesentliche Änderungen des Schutzumfangs und der Schutzausnahmen sowie Änderungen am heutigen nationalen Patent angezeigt sind. In Frage kommen jedoch die Einführung einer Vollprüfung, am besten kombiniert mit der Möglichkeit eines Gebrauchsmusters und der Teilnahme an der internationalen Zusammenarbeit (PPH), aber ohne Neuheitsschonfrist. Dies würde eine Angleichung des Schweizer Systems an jenes von Deutschland und Österreich bedeuten.

2. Würdigung aus Sicht des IGE

Prof. Dr. Felix Addor, Stellvertretender Direktor des IGE und Leiter der Abteilung Recht und Internationales, nahm eine Würdigung der Studie aus Sicht des IGE in Bezug auf den Status quo des Schweizer Patents vor.

Er hielt fest, dass das Schweizer Patent derzeit mangels Prüfung der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit nicht die gleiche rechtliche Wirkung wie ein vollgeprüftes EPA-Patent hat. Dies wiederspiegle sich auch im Schweizer Patentbestand: Nur etwa 8% der im Schweizer Register eingetragenen neu erteilten Patente sind nationale Patente. Das Schweizer Patent stelle jedoch eine unterscheidungskräftige Alternative zum vollgeprüften EPA-Patent dar und sei relativ preisgünstig. Deshalb stosse es bei gewissen Nutzern, insbesondere Einzelerfindern und Schweizer KMU, auf Interesse.

Prof. Addor folgerte jedoch, dass der Status quo sowohl auf juristischer als auch auf ökonomischer Ebene unbefriedigend sei. Aus juristischer Sicht sage der Eintrag im Patentregister nichts über die Gültigkeit des Patents aus, weshalb sich gestützt darauf keine superprovisorische Verfügung erwirken lasse. Die damit verbundene Rechtsunsicherheit erhöhe aus ökonomischer Sicht die Transaktionskosten.

Zu den Resultaten der Studien bemerkte er, dass die Beteiligung an der Umfrage gering war und bloss knapp die Hälfte für ein vollgeprüftes nationales Schweizer Patent votierte. Die Reformoptionen sollten in Relation mit der volkswirtschaftlichen Relevanz des nationalen Schweizer Patents gesehen werden, respektive damit wie mit einem optimierten nationalen System der Gesamtnutzen maximiert werden könne.

Das bestehende System sei offenbar gut etabliert und akzeptiert. Falls eine Reform vorgenommen werden soll, so gäbe es grundsätzlich nur zwei sinnvolle Möglichkeiten, nämlich die Abschaffung des nationalen Schweizer Patents (nur noch EPA-geprüfte Schweizer Patente) oder die Einführung einer Vollprüfung, wobei unterschiedliche Variationen möglich seien. Als mögliche Alternativen wurden höhere Gebühren und ein Ex-Post-Einspruch beim IGE angesprochen. Die Wirkungen einer Reform auf die Schweizer Volkswirtschaft seien aufgrund der geringen Zahl von Schweizer Patenten nicht messbar. Die Frage, ob eine Reform notwendig sei oder nicht, sei eine politische. Doch zur heutigen Zeit erkenne er in der Schweiz keinen eindeutigen Reformwillen.

III. Was braucht das Schweizer Patentsystem, um national und international attraktiv zu sein

Diesem Thema wurden unter der Leitung von Dr. Michael Ritscher mehrere Kurzvorträge und eine Paneldiskussion gewidmet.

Der erste Kurzvortrag von Beat Weibel, Patentanwalt und Leiter des Siemens Corporate Intellectual Property Departments, befasste sich mit der Attraktivität des Schweizer Patentsystems. Weibel legte überzeugend dar, dass die Bedeutung des nationalen Schweizer Patents verschwindend klein sei. Knapp 100 000 europäische Patente beanspruchen in der Schweiz und in Liechtenstein Wirkung. Dem stehen rund 7000, also 7%, national in Kraft stehende Patente gegenüber. In den letzten Jahren war die Anzahl Erteilungen von europäischen Patenten nur für die Schweiz und Liechtenstein gleich null. Anmelder, welche ein geprüftes Patent für die Schweiz wünschen, melden auch immer noch weitere Patente |an. Status quo ist, dass die Sachprüfung nationaler Schweizer Patente weder die Neuheit noch die erfinderische Tätigkeit zum Gegenstand hat. Die Sachprüfung ist somit unvollständig, und nicht informierte Anmelder sind im Glauben, sie würden ein rechtsbeständiges Patent erhalten. Die Schweizer Sachprüfung ist im internationalen Rahmen preislich nicht konkurrenzfähig. Bei der Einführung einer Vollprüfung müsste das IGE für die geringe Anzahl nationaler Patentgesuche viel zu viele Prüfer anstellen, um alle technischen Fachgebiete abzudecken und die Qualität einer vollständigen Sachprüfung hochzuhalten. Aus industrieller Sicht seien die Anforderungen an ein zukünftiges Schweizer Patentsystem ein starkes, geprüftes Patent, ein verlässliches Gerichtssystem, ein komplementäres Instrument zur raschen Schutzgewährung und ein kostendeckendes nationales Patent. Die Einführung einer qualitativ hochstehenden Vollprüfung für den geringen Bedarf an nationalen Schweizer Patenten sei weder sinnvoll noch wirtschaftlich realisierbar und stelle weder international noch national eine Notwendigkeit dar, da ein solcher Weg bereits mit dem Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) bestehe. Anstelle der Einführung einer Vollprüfung solle deshalb die aktuelle, unvollständige Sachprüfung abgeschafft und ein Registerpatent eingeführt werden, für dessen Durchsetzung eine Recherche obligatorisch wäre.

Dr. Oliver Söllner, Leiter Corporate Intellectual Property der Hilti Corporation, befasste sich mit den Anforderungen an ein Patentsystem aus Sicht eines grossen KMU. Er legte dar, dass für Innovation und Investition ein funktionierendes Erteilungsverfahren und eine verlässliche Durchsetzung von Schutzrechten unerlässlich seien. Hierfür habe die Schweiz bereits das Bundespatentgericht und das Patentanwaltsgesetz implementiert. Weiter müsse ein ausgeglichenes System sowohl für Anmelder als auch für Wettbewerber bestehen. Dies verlange eine akzeptable Verfahrensdauer, vernünftige Verfahrensgebühren und eine Aussage über die Rechtsbeständigkeit. Erreicht werden könne dies durch die Einführung der Vollprüfung eines Patents, die zeitliche Aufschiebung der Prüfung, welche nur durch einen Antrag von Dritten möglich sein soll, und die Einführung von Gebrauchsmustern. Betrachte man die Schaffung des Europäischen Einheitspatents, so schreite die Ratifizierung voran. Trotzdem würde nach dessen Einführung Deckung für derzeit Spanien, Italien, die Schweiz, die Türkei, Norwegen und Island fehlen. In Anbetracht dessen sprach sich Dr. Söllner für die Hypothese aus, dass die nationalen Anmeldungen für die Schweiz bei entsprechenden Voraussetzungen zunehmen könnten, insbesondere wenn nach einem möglichen Beitritt Spaniens und Italiens zum Europäischen Einheitspatent der Weg zu einem geprüften Schweizer Patent allein über das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ) unrentabel wird.

Natalia Clerc, Patentanwältin bei Isler & Pedrazzini, sprach aus patentrechtlicher Sicht über das Schweizer Patentsystem. Ein Anmelder wünsche sich von einem Patent, dass dieses sowohl im Ausland als auch in der Schweiz Schutz erfährt, maximalen Schutz vor Nachahmung bietet, ein schnelles Erteilungsverfahren beschritten werden kann, eine Anspruchsänderung möglich ist, Beschwerde im Prüfungsverfahren eingelegt werden kann, die Kosten angemessen und kalkulierbar sind, erleichterte Erteilungsverfahren bestehen und dass sowohl die schnelle Durchsetzbarkeit als auch die Rechtssicherheit gewährleistet sind. Mitbewerber haben Interesse an einer schnellen Gewissheit, einer hohen Rechtssicherheit, einer frühen Interventionsmöglichkeit und der Vermeidung einer Patentflut. Das Schweizer Patent sollte die Balance zwischen den Wünschen des Patentinhabers und des Mitbewerbers finden. Wichtig sei, dass die Schweizer Wirtschaft im Vergleich zum Ausland nicht schlechtergestellt würde. Ziel des Schweizer Patentsystems sollte demnach sein, über ein kompetentes Prüfungsverfahren sowie über genügend Rechtsprechung zu den Prüfungskriterien «Rechtsbeständigkeit» und «Verletzung» zu verfügen, die Möglichkeit eines beschleunigten Verfahrens und eines PPH zu gewährleisten, kein übereiltes Erteilungsverfahren durchzuführen, vorgerichtliche Interventionsmöglichkeiten für Dritte vorzusehen und die Prüfung der Mehrheit der Patente auf die Rechtsbeständigkeit. Wie die Zukunft aussehen sollte, liess sie offen. Die Schweiz könnte ein Gebrauchsmuster, ein geprüftes Patent, ein Europäisches Patent mit neuer Ausnahmeregelung für die Schweiz oder ein Registerpatent einführen, den Status quo beibehalten oder eine ganz andere Variante vorsehen.

Einen Kurzvortrag über Stakeholder und ihre Interessen hielt Dr. Tobias Bremi, zweiter Hauptamtlicher Richter am Bundespatentgericht. Er verglich die Interessen der verschiedenen Gruppen. Das Gericht sei an klaren Ansprüchen und Beschreibungen interessiert, welche idealerweise vorgeprüft seien und in einem schnellen Verfahren abgehandelt werden könnten. Der Patentinhaber sei an einem günstigen Patent, an einem schnellen Verfahren und der Rechtsbeständigkeit des Patents interessiert. Dritte hingegen würden sich nur rechtsbeständige und teure Patente, damit diese schneller fallengelassen würden, und vor allem wenige Patente wünschen. Einen Fokus richtete er auf die Kosten, welche mit zunehmender Prüfung stark zunähmen, und meinte, dass man nichts verlangen solle, was nicht bezahlt werden könne. Der Gesetzgeber habe in der Botschaft von 1950 bereits klargestellt, dass die Prüfung auf Neuheit oder Erfindungscha|rakter auf eigene Kosten im Nichtigkeitsprozess vor den ordentlichen Gerichten herbeizuführen sei, da eine amtliche Vorprüfung einen für schweizerische Verhältnisse grossen und zu kostspieligen Apparat an Material und Personal bedingen würde. Die Expertenkommission, in welcher alle am Patentschutz interessierten Kreise des Landes vertreten waren, habe jedoch mit überwiegender Mehrheit die Einführung der amtlichen Vorprüfung in der Schweiz als dringlich bezeichnet. Diese wurde durch das Parlament verhindert, da sie zu teuer sei. Dr. Bremi sprach die These aus, dass dies wohl auch heute noch gelte, mit der Begründung, dass beim Parlament bekanntlich kostengünstige Varianten eher Chancen hätten.

Herr Peter Thomsen, Vorstandsmitglied des VIPS, referierte über verschiedene Aspekte der Einführung einer materiellen Patentprüfung. Er hielt dabei fest, dass die zukünftigen Entwicklungen noch schwer abschätzbar seien, die Schweiz es aber nicht verpassen sollte, ihr Patenterteilungsverfahren fit und belastbar für die Zukunft auszugestalten. Die Schweiz solle sich guten Optionen nicht zu schnell verschliessen. Sie brauche insbesondere einen starken Schutz für Innovationen, wobei ungeprüfte Schutzrechte für den Standort Schweiz zum Problem werden könnten. Das Ziel sei eine schnelle, qualitativ hochwertige und preiswerte Vollprüfung nationaler Patente, jedoch nicht um jeden Preis. Hinsichtlich der Kosten und der Prüfungsqualität könnte eine Zusammenarbeit im Sinne des Nordischen Patentinstituts (NPI) zusätzlichen Handlungsraum schaffen. Weiter sollte über die Option aufgeschobener Prüfungsanträge nachgedacht werden. Zentral sei es, die Attraktivität des Standorts Schweiz zu fördern.

Dr. Thierry Calame, Partner bei Lenz & Staehelin, fokussierte in seinem Referat auf die Rechtsdurchsetzung und setzte sich mit den Beiträgen der Vorredner auseinander. Er betonte die Möglichkeit der Schweiz, sich gegenüber dem bestehenden EPÜ-Verfahren zu positionieren. Zudem beurteilte er eine allfällige Anknüpfung beim Bundespatentgericht als Beschwerdeinstanz bei einer Vollprüfung als prüfenswert. Weiter hielt er fest, dass ein vorgeprüftes Schweizer Patent hinsichtlich von Abmahnungen Vorteile hätte.

Der letzte Vortrag von Dr. Eric Notegen, Vorsitzender der Expertengruppe für Geistiges Eigentum der economiesuisse, gab den Standpunkt von economiesuisse wieder. Danach solle ein vollgeprüftes Schweizer Patent möglich sein. Dies aber nur auf Antrag hin und mit der Möglichkeit der sofortigen Prüfung. Gegebenenfalls sollte die Umwandlung in ein Gebrauchsmuster möglich sein, und eine internationale Zusammenarbeit sei wünschenswert. Gebrauchsmuster sollten eingeführt werden, jedoch nicht für Erfindungen aus den Life-Sciences-Bereichen, sondern nur für Erfindungen, welche sich dreidimensional darstellen lassen, und die Laufzeit sollte auf höchstens zehn Jahre beschränkt werden. Eine Neuheitsschonfrist wird von economiesuisse derzeit abgelehnt.

IV. Was braucht das Schweizer Patent aus Sicht von aussen?

Nach einer Kaffeepause widmete sich Dr. Rudolf Teschemacher, ehemaliger Vorsitzender einer Beschwerdekammer des EPA und Senior Consultant bei Bardehle Pagenberg, dem Patentschutz in Europa, der Zentralisierung versus Dezentralisierung und der Rolle der Schweiz.

Der Ausgangspunkt des europäischen Patentsystems war der Gedanke der Zentralisierung durch Abschaffung der den europäischen Binnenmarkt störenden nationalen Schutzrechte. Noch 1976 – nach der Münchner Diplomatischen Konferenz zum EPÜ – wurde darauf hingewiesen, dass die Koexistenz der nationalen und europäischen Schutzrechte keine Dauerlösung sein könne. Ziel sei, dass die nationalen Rechtsordnungen durch einheitliche Schutzrechte der Gemeinschaft abgelöst würden. Dies könne aus praktischen Gründen aber nur allmählich im Einklang mit der fortschreitenden Integration der nationalen Märkte, ihrem Zusammenwachsen zu einem Binnenmarkt, geschehen. In der Vergangenheit wurden mehrere Versuche der Zentralisierung unternommen. 1965 scheiterte das EWG-Patent an Frankreich. In Washington wurde 1970 zwar der Patent Cooperation Treaty (PCT) unterschrieben, dieser sieht jedoch eine weltweite Harmonisierung nur begrenzt auf das Erteilungsverfahren vor. Das Gemeinschaftspatent scheiterte 1975 und die nationalen Systeme in der EWG/EG/EU bestanden fort. 2013 ist das Einheitspatent wieder auferstanden. Die Koexistenz stellt keine ordnungspolitische Grundsatzfrage mehr dar, weil der Grundsatz der gemeinschaftsweiten Erschöpfung geistigen Eigentums bei Inverkehrbringen durch den Schutzrechtsinhaber oder mit seiner Zustimmung das Problem löste.

Die damalige Perspektive der Schweiz wurde in der Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung von 1976 offenkundig, in welcher erläutert wurde, dass das europäische Patentsystem auf dem Gedanken der Zentralisierung, insbesondere der Neuheitsrecherche und Neuheitsprüfung bei einer europäischen Institution, dem EPA, fusst. Das Übereinkommen nimmt für eine Übergangszeit eine gewisse Dezentralisierung in Kauf, stellt aber gleichzeitig einen rascheren Aufbau des Europäischen Patents sicher.

Nach Auffassung des Referenten soll ein nationales Vorverfahren eine Entscheidungshilfe durch preisgünstige nationale Recherche-/Prüfungsergebnisse darstellen und gleichzeitig eine |Filter- resp. Entlastungsfunktion für das EPA im Zusammenhang mit aussichtslosen Patenten bieten. Der Rationalisierungserfolg dürfe jedoch nicht durch die Koexistenz im Sinne von Kooperation aufgegeben werden, indem jeder oder fast jeder alles mache. Das Angebot an ergänzenden nationalen Dienstleistungen innerhalb des europäischen Patentsystems müsse sich nach Kosten-/Nutzen-Kriterien formen. Die Prüfung der Schweiz umfasst eine Eingangs-, Formal- und Sachprüfung, nicht jedoch die Prüfung auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit. Fraglich ist, ob in der Schweiz das Bedürfnis nach Änderung bestehe, also nach einer Erweiterung der Sachprüfung auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit. Aus der Statistik vom Jahr 2013 ist ersichtlich, dass Anmeldungen von Inländern überwiegend Voranmeldungen für das Europäische Patent bilden. In diesem Sinne bestehe ein geringes Interesse der Anmelder an einer umfassenden Sachprüfung in der Schweiz. Eine volle Sachprüfung ist beim EPA verfügbar, auch für Nachanmeldungen von Europäischen Patenten. Für nationale Patente würden sich diese Kriterien der Patentierbarkeit in einem Verletzungsprozess klären.

Rechtssicherheit wird oft als Argument für das öffentliche Interesse an einer Vollprüfung verwendet. Für ein Gebrauchsmuster sehen die bisherigen Reformvorschläge diesen Gesichtspunkt jedoch aufgrund der kürzeren Laufzeit als weniger relevant an. Hier muss festgehalten werden, dass ein durchschnittliches Patent nicht länger lebt als ein Gebrauchsmuster. Weiter ist die exportorientierte Schweiz gezwungen, ungeprüfte Schutzrechte zu beachten, da rund die Hälfte der EPÜ-Staaten, insbesondere die Nachbarländer Frankreich und Italien, ungeprüfte Patente aufweisen. Das Gleiche gilt für die Gebrauchsmuster. Wettbewerber müssen nicht nur erteilte Patente, sondern auch veröffentlichte anhängige Anmeldungen beachten, um Fehlinvestitionen zu vermeiden. Die Statistik des deutschen Bundespatentgerichts vom Jahr 2014 verdeutlicht, dass auch die Sachprüfung keine Garantie für die Rechtsbeständigkeit eines Patents bietet.

Die Frage, ob eine Vollprüfung in der Schweiz eingeführt werden soll, sei von der Nachfrage abhängig. Weitere Nutzen- und Kostenüberlegungen würden den Schluss zulassen, dass weitere Kostenerhöhungen im Ergebnis immer von den Benutzern zu tragen seien. Ein alternativer Reformansatz wäre ein Verzicht auf die gesamte materielle Prüfung. Die Grenzen zwischen der gewerblichen Anwendung und der Offenbarung sowie der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit seien fliessend, und die Gefahr falscher Gewichtung bestehe, wenn nur ein Teil der Erfordernisse geprüft werde. Weiter würde schon eine obligatorische Recherche ggf. mit «search opinion» eine objektive Grundlage für die Beurteilung der materiellen Rechtsgrundlage bilden. Fraglich sei, ob dies dem Bedürfnis der Wettbewerber nach Rechtssicherheit genüge. Bei Konflikten auf dem Markt würden die Wettbewerber unabhängig von einer vorangegangenen Amtsprüfung ohnehin selbst eine neue Prüfung der materiellen Rechtslage durchführen lassen.

V. Das Schweizer Patent: wie weiter?

Den Schluss der Veranstaltung bildete eine von Dr. Peter Walser und Dr. Michael Ritscher geleitete Podiumsdiskussion mit den Referenten und Dr. Alban Fischer, Leiter der Patentabteilung des IGE.

Unter dem Schlagwort «Etikettenschwindel des Schweizer Patents» wurden ausgiebig die verschiedenen Handlungsoptionen der Schweiz diskutiert. Die Podiumsdiskussion offenbarte auch die Unsicherheiten, welche die Zukunft für die Schweiz mit sich bringen wird. Auch der Ruf nach einer visionären Einstellung und nach mutigen Maßnahmen wurde laut. Trotz einer überwiegenden Optimierungsbereitschaft konnte innerhalb der verfügbaren Zeit noch keine einheitliche Stossrichtung für eine Neugestaltung des schweizerischen Patenterteilungsverfahrens gefunden werden. Dr. Fischer meinte, dass eine Vollprüfung durch das IGE grundsätzlich möglich sei, ohne wesentliche Erhöhung der Kosten. Sämtliche Vortragenden waren sich einig, dass die Standortattraktivität der Schweiz gestärkt werden soll, und eine Mehrheit der Anwesenden sprach sich zugunsten der Einführung einer materiellen Prüfung durch das IGE aus, sofern diese in guter Qualität, rasch und zu vernünftigen Kosten möglich sei.

Fussnoten:
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Dr., LL.M., Rechtsanwalt und Notar, Zug.

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MLaw, Junior Associate, Zürich.