Cryos Dedja​* | Floria Heitz​**

Die Wintertagung des Instituts für gewerblichen Rechtsschutz INGRES zur Praxis des Immaterialgüterrechts in der Europäischen Union fand auch dieses Jahr im Anschluss an den traditionellen Skiausflug im Hotel «Zürichberg» statt. Geleitet wurde die Tagung inhaltlich von Dr. Michael Ritscher, während Dr. Christoph Gasser für die Organisation verantwortlich war.

La journée d’hiver de l’INGRES (Institut pour la protection de la propriété intellectuelle) consacrée à la pratique du droit de la propriété intellectuelle au sein de l’Union européenne s’est également déroulée cette année à l’hôtel «Zürichberg» à la suite de la traditionnelle sortie à ski. La journée a été conduite par Me Michael Ritscher, Dr en droit, alors que Me Christoph Gasser, Dr en droit, en a assuré l’organisation.

I. Patentrecht
1. Aktuelle Rechtsprechung im deutschen Patentrecht

Dr. Klaus Grabinski, Richter am Bundesgerichtshof (BGH), rückte zwei sehr unterschiedliche Entscheide in den Vordergrund seiner Präsentation.

Im Entscheid «Gurtstraffer» (Akten-Nr. X ZR 50/16) stand die Frage der Patentfähigkeit im Vordergrund. Bestritten wurde zudem die Ausführbarkeit. Das BPatGer hatte das strittige Patent wegen fehlender Ausführbarkeit und fehlender erfinderischer Tätigkeit für nichtig erklärt. Der BGH bestätigte die Nichtigkeit. Hinsichtlich der fehlenden Ausführbarkeit folgte der BGH dem BPatGer jedoch nicht. Der BGH begründete seine abweichende Auffassung mit einer anderen Interpretation eines Anspruchsmerkmals. Gemäss stetiger Praxis des BGH «ist die Patentschrift in einem sinnvollen Zusammenhang zu lesen und der Patentanspruch im Zweifel so zu verstehen, dass sich keine Widersprüche zu den Ausführungen in der Beschreibung und den bildlichen Darstellungen in den Zeichnungen ergeben». Nach Auffassung des BGH führt eine widerspruchsfreie und kontextbezogene Interpretation des strittigen Anspruchsmerkmals – es ging um die Interpretation des Merkmals «Stirnradgetriebe» – dazu, dass die Ausführbarkeit als gegeben betrachtet werden kann.

Von Bedeutung sind auch die Ausführungen des BGH zur fehlenden erfinderischen Tätigkeit. Die Aufgabe des Patents bestand darin, die Geräuschemissionen eines Gurtstraffers beim Einsatz eines Elektromotors zu reduzieren. Dies sollte gemäss Patentanspruch so erfolgen, dass als erstes Getriebe ein Schneckenradgetriebe das für die nachteiligen Geräuschemissionen «verantwortliche» Kronenradgetriebe ersetzt und als zweites Getriebe entweder ein Schneckenradgetriebe oder ein Stirnradgetriebe eingesetzt wird. Zum Stand der Technik gehörte allerdings bereits eine Gurtstraffervorrichtung (D2), bei welcher zuerst ein Kronenradgetriebe und erst als zweites Getriebe ein Schneckenradgetriebe eingesetzt wird. Nach Auffassung des BPatGer und auch des BGH bestand jedoch für den Fachmann Veranlassung dazu, für das erste Getriebe in D2 ebenfalls ein Schneckenradgetriebe zu verwenden. Denn die mit dem Kronenradgetriebe verbundenen nachteiligen Geräuschemissionen waren dem Fachmann bekannt und die D3 offenbarte ihm, dass zwei Schneckenradgetriebe prinzipiell als 90°-Umlenkgetriebe eingesetzt werden können, um die Geräuschemissionen zu reduzieren. Die Patentinhaberin machte hiergegen geltend, dass ein zweites Schneckenradgetriebe zu einer noch höheren Umsetzung führt als die Kombination von Kronenrad- und Schneckenradgetriebe. Der BGH hielt fest, dass das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit nicht mit im Stand der Technik bekannten Schwierigkeiten oder Nachteilen – in casu der höheren Umsetzung und damit höheren Drehzahl – begründet werden kann, sofern das Streitpatent keine Hinweise zur Überwindung dieser bekannten Schwierigkeiten oder Nachteile liefert. Die Patentfähigkeit wurde damit verneint.

Daraufhin präsentierte Grabinski den Fall «Östrogenblocker» (OLG Düsseldorf, Akten-Nr. I-2 W 6/17), in dem sich das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) mit der Verletzung eines sog. «Swiss-Type Claims» befasste. Die Antragstellerin ist die Inhaberin des Patents EP 1272 195 B1 (Verfügungspatent). Patentanspruch 1 lautet wie folgt: «Use of A. in the preparation of a medicament for the treatment of a patient with breast cancer who previously has been treated with an aromatase inhibitor and B. and has failed with such previous treatment.» Der Antrag auf eine einstweilige Verfügung war gegen das Anbieten und Inverkehrbringen eines Arzneimittels A … C … als 250-ml-Injektionslösung in einer Fertigspritze zur therapeutischen Verwendung bei einer bestimmten Patientinnengruppe gerichtet. Auf Berufung hin bestätigte das OLG die Nichterteilung der einstweiligen Verfügung wegen fehlender Dringlichkeit. Entscheidend war die Frage, ab wann die Antragstellerin verlässliche Kenntnis aller Tatsachen hatte, die eine Rechtsverfolgung erfolgsversprechend machen. In der deutschen Rechtsprechung ist seit Langem anerkannt (grundlegend BGH-Urteil «Hydropyridin»), dass ein Verwendungsanspruch, ein «Swiss-Type»-Anspruch oder ein zweckgebundener Stoffschutz von einem Dritten benutzt wird, wenn dessen Arzneimittel vor seinem Vertrieb sinnfällig für den patentgemässen Einsatzzweck hergerichtet worden ist, etwa indem es erkennbar für den geschützten Verwendungszweck formuliert, dosiert oder konfektioniert oder dieser in einer Information, wie einem Beipackzettel, angegeben worden ist. Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall nicht vor. Nach dem Urteil des OLG Düsseldorf ist aber eine Benutzung auch in anderer Weise denkbar, solange die Zweckbindung für den geschützten Wirkstoff sichergestellt ist. Voraussetzung dafür soll sein, dass das Arzneimittel für den patentgemässen Zweck geeignet ist und sich der Vertreiber Umstände zunutze macht, die – ähnlich wie eine aktive sinnfällige Herrichtung – dafür sorgen, dass es mit dem Produkt zu dem zweckgebundenen therapeutischen Gebrauch kommt. Es seien insoweit ein hinreichender, nicht bloss vereinzelter Verwendungsumfang entsprechend dem Schutzzweck und ein diesbezügliches Wissen oder zumindest ein treuwidriges Verschliessen vor der Kenntnisnahme erforderlich. Das OLG Düsseldorf beruft sich für diesen «erweiterten Ansatz» auf die Urteile «Kollagenase» und «Pemetrexed» des BGH, wonach Gegenstand eines auf die Verwendung eines Stoffs zur Behandlung einer Krankheit gerichteten Patentanspruchs die Eignung des Stoffs für einen bestimmten Einsatzzweck und damit letztlich eine dem Stoff innewohnende Eigenschaft ist. Die Antragstellerin habe die einstweilige Verfügung erst im Februar 2017 und damit mehr als ein halbes Jahr nach der Veröffentlichung des BGH-Urteils «Pemetrexed» erhoben, obwohl sie nach dessen Veröffentlichung durch rechtliche Überlegungen hätte erkennen können, dass eine Benutzung des «Swiss-Type Claims» des Verfügungspatents bereits in Betracht kommt, wenn sich der Verwender Umstände zunutze macht, die dafür sorgen, dass es zu dem zweckgebundenen therapeutischen Gebrauch kommt. Der Verfügungsantrag konnte daher dem OLG Düsseldorf zufolge nicht mehr als dringlich angesehen werden.

Im Fall «Dexmedetomidin» des OLG Düsseldorf (Akten-Nr. I-2 U 30/17) wies dieses das Gesuch um eine einstweilige Verfügung ab. Das Arzneimittel sei in diesem Fall nicht sinnfällig durch eine Patienteninformation zur patentgeschützten Verwendung hergerichtet worden. Die patentverletzende Verwendung sei auch nicht derart gebräuchlich, dass sie der Antragsgegnerin bekannt sein musste und sie sich diese daher zunutze gemacht habe.

Anhand des Entscheides «Warner Lambert vs. Actavis» des UK Supreme Court zeigte Grabinski auf, dass die Richter im UK einen vergleichbaren Ansatz wie die sinnfällige Herrichtung anwenden. Drei der Richter prüften anhand des sog. «outward presentation test», ob eine unmittelbare Verletzung eines «Swiss-Type Claims» vorliegt. Zwei der Richter stellten jedoch auf die Absicht der Antragsgegnerin ab («subjective intention test»). Die sinnfällige Herrichtung ist bei diesem Test lediglich ein Indiz für die Absicht.

Zuletzt ging Grabinski auf die Frage ein, wie die Rechtsfolgen der Verletzung eines «Swiss-Type Claims» auszugestalten sind. Die Frage stellt sich, weil bei einem Unterlassungsverbot der Vertrieb zu gemeinfreien Zwecken weiterhin erlaubt sein muss.

2. Max-Planck-Institut-Studie über die ESZ

Dr. Roberto Romandini, zum Zeitpunkt der Tagung noch Senior research fellow am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb (MPI) in München, berichtete über die Max-Planck-Studie zu den ergänzenden Schutzzertifikaten (ESZ). Die Studie wurde am 28. Mai 2018 durch die Europäische Kommission veröffentlicht. In ihr wird untersucht, ob das System der ESZ funktioniert bzw. wo es Reformbedarf gibt. Handlungsbedarf sieht die Studie vor allem in der Beseitigung von unter anderem durch die EuGH-Rechtsprechung entstandenen Unklarheiten, der Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats mit einheitlicher Wirkung sowie der Erweiterung des bestehenden Schrankenkatalogs. Aus den 33 Empfehlungen der Studie stellte der Referent exemplarisch die Ergebnisse der Analyse von Art. 3 lit. a VO Nr. 469/2009 vor. Dieser Vorschrift nach soll das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt sein, damit ein ESZ erteilt werden kann. Trotz ihres einfach scheinenden Wortlauts ist diese Bestimmung zu einer der am häufigsten dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegten Vorschriften des Unionsrechts auf dem Gebiet des Geistigen Eigentums geworden.

Dabei präsentierte Romandini die Rechtsprechung vor «Teva» (C-121/17) anhand der Urteile «Farmitalia» (C-392/97), «Medeva» (C-322/10), «Elli Lily» (C-493/12) sowie «Actavis I» (C-443/12) und «Actavis II» (C-577/13) und erläuterte die darauf bezogene Kritik des MPI.

Diese Abweichungen führten zu weiteren Vorlagen an den EuGH. Hierzu hielt der EuGH in «Medeva» fest, dass ein ESZ nach Art. 3 lit. a VO 469/2009 nur für Wirkstoffe erteilt werden darf, welche im Wortlaut der Ansprüche des Grundpatentes genannt sind. In «Elli Lily» musste sich der EuGH mit der Frage befassen, ob ein Wirkstoff als geschützt im Sinne von «Medeva» gelten kann, wenn die Struktur des betreffenden Wirkstoffes weder in den Patentansprüchen, noch in der Beschreibung des Grundpatents offenbar wurde. Der EuGH hielt dabei fest, dass die Struktur des Wirkstoffes nicht explizit genannt werden muss. Auch funktionell verfasste Patentansprüche könnten Art. 3 lit. a VO 469/2009 genügen. Dies gelte jedoch nur unter der Voraussetzung, dass sich die betreffenden Patentansprüche «stillschweigend, aber notwendigerweise auf den in Rede stehenden Wirkstoff beziehen», und «zwar in spezifischer Art und Weise». Dieser neue Test des EuGH half jedoch nicht, die Rechtsunsicherheiten zu lösen, wie weitere Vorlagen an den EuGH belegen.

Zusätzliche Schwierigkeiten für die Umsetzung der EuGH-Rechtsprechung zu Art. 3 lit. a VO 469/2009 ergaben sich aus den «Actavis»-Entscheidungen. Dort ging es um Konstellationen, in denen bereits ein ESZ für einen aktiven Wirkstoff erteilt worden war und nun gestützt auf dasselbe Grundpatent ein zweites ESZ für eine Kombination des betreffenden Wirkstoffes mit mindestens einem anderen Wirkstoff beantragt wurde. Vorrangig zu prüfen war daher das Erteilungshindernis gemäss Art. 3 lit. c VO 469/2009. Der EuGH hielt hierbei fest, dass das zweite ESZ nicht erteilt werden darf, wenn ausschliesslich der bereits durch das erste ESZ geschützte Wirkstoff «den Gegenstand der Erfindung» oder den «Kern der erfinderischen Tätigkeit» des Grundpatents darstelle. Aus den Entscheidungen des EuGH geht jedoch nicht klar hervor, ob dieser Ansatz bereits bei der Prüfung relevant ist, wenn ein Erzeugnis vom Grundpatent geschützt ist (Art. 3 lit. a VO 469/2009), oder nur im Rahmen der Anwendung von Art. 3 lit. c VO 469/2009 zum Tragen kommen soll.

Die MPI-Studie zeigt drei Kritikpunkte gegen diese Rechtsprechung auf. Erstens findet die vom EuGHpostulierte Unterscheidung zwischen Erzeugnissen, auf die sich die Patentansprüche in spezifischer Art und Weise beziehen, und Erzeugnissen, die diesen Anforderungen nicht genügen, keine Grundlage im Patentrecht. Dennoch müssen die Erteilungsbehörden aufgrund von Art. 69 EPÜ prüfen, ob die Patentansprüche des Grundpatents diesen Anforderungen genügen und das Erzeugnis zertifikatsfähig ist. Zweitens hat der EuGH das Verhältnis zwischen «Actavis I» und «Actavis II» sowie «Medeva» nicht geklärt. Schliesslich hat der EuGH den rechtspolitischen Zweck der «Medeva»-Rechtsprechung nicht erläutert. Vor diesem Hintergrund empfiehlt die MPI-Studie eine gesetzgeberische Klarstellung. Verschiedene Optionen wurden dabei analysiert («infringement test»; «Art. 123 Abs. 2 EPC standard-disclosure-test»; «inventive-advance»-Ansatz). Welche dieser Optionen zu bevorzugen ist, hängt von rechtspolitischen Erwägungen ab.

Nach der Veröffentlichung der MPI-Studie erging das «Teva»-Urteil (C-121/17). Damit ein ESZ erteilt werden kann, muss nach dieser Entscheidung das Erzeugnis zwei Voraussetzungen erfüllen: Es muss (i) notwendigerweise unter die Erfindung fallen, die vom Grundpatent erfasst wird, und (ii) im Lichte der in diesem Patent offenbarten Informationen spezifisch identifizierbar sein. Nach Ansicht des Referenten ist es fraglich, ob diese Rechtsprechung die MPI-Kritik sowie die daraus folgenden Empfehlungen obsolet gemacht hat, zumal die beiden Voraussetzungen unterschiedlich ausgelegt werden können.

3. Entscheid der Beschwerdekammern des EPA

Dr. Fritz Blumer, Mitglied der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts (EPA), berichtete zuerst über die letzten Entwicklungen in Sachen Patentierbarkeit von Pflanzen nach der Entscheidung G 2/12 und G/13 («Tomaten II» und «Broccoli II»). In diesem Entscheid wurde festgehalten, dass ein auf Pflanzen oder Pflanzenmaterial gerichteter Erzeugnisanspruch gewährt werden könne, auch wenn das Erzeugnis mit einem vom Patentschutz ausgeschlossenen biologischen Verfahren gezüchtet wurde. Dieser Entscheid wurde kritisiert und führte zu einer Änderung der Ausführungsordnung zum EPÜ. In der neuen Regel 28 Abs. 2 der AO EPÜ wurde nun ausdrücklich festgehalten, dass entgegen den Entscheiden in G 2/12 und G 2/13 kein Erzeugnisanspruch erteilt werden darf, wenn die betroffene Pflanze oder das Tier ausschliesslich durch ein im Wesentlichen biologisches Verfahren gewonnen wurde. Im Verfahren T 1063/18 (Paprikapflanzen) wies die Prüfungsabteilung einen Erzeugnisanspruch gestützt auf Regel 28 Abs. 2 AO EPÜ zurück. Auf Beschwerde der Anmelderin und Einwendungen Dritter hin hatte sich die Beschwerdekammer mit dem Verhältnis zwischen Regel 28 Abs. 2 AO EPÜ und Art. 53 lit. b EPÜ zu befassen. Die Kammer entschied, dass ein Konflikt zwischen den beiden Bestimmungen existiert. In diesem Fall geht Art. 53 lit. b EPÜ vor. Das Verfahren wurde zur weiteren Prüfung an die Prüfungsabteilung zurückgewiesen.

Daraufhin referierte Blumer über die Frage der Plausibilität im Hinblick auf ausreichende Offenbarung und erfinderische Tätigkeiten.

Im Entscheid T 1868/16 ging es um die Plausibilität hinsichtlich der ausreichenden Offenbarung. Art. 83 EPÜ schreibt vor, dass die Erfindung in der europäischen Patentanmeldung so deutlich und vollständig zu offenbaren ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Im besagten Entscheid wurde ein Patent widerrufen, weil keine klinischen Daten vorlagen, welche die Eignung des Wirkstoffes für die beanspruchte Wirkung plausibel machten, weil ohne weitere Informationen lediglich auf gewisse Beobachtungen verwiesen wurde, weil auch die Beschreibung im Patent die Eignung nicht plausibel machte und weil es auch kein allgemeines Fachwissen gab, welches dem Leser der Anmeldung eine plausible Erklärung für die Geeignetheit vermittelt hätte.

Der Entscheid T 488/16 befasste sich mit der Frage der Plausibilität im Hinblick auf die erfinderische Tätigkeit. Die behauptete Aktivität eines Wirkstoffes wurde zwar nachgewiesen, aber erst drei Jahre nach der Anmeldung. Nach ständiger Praxis muss jedoch die erfinderische Tätigkeit am Anmeldetag beurteilt werden. Spätere Beweismittel werden nur berücksichtigt, wenn die behauptete Aktivität eines Wirkstoffes am Anmeldetag zumindest plausibel gemacht wird. Der Entscheid hat zu einer lebhaften Debatte geführt. Umstritten ist, ob dieser Entscheid effektiv die Fortführung einer ständigen Praxis darstellt oder ob unter dem Stichwort «Plausibilität» die Anforderungen erhöht worden sind.

Danach besprach Blumer die Patentierbarkeit von Simulationsverfahren am Beispiel des Entscheids T 625/11. Die Erfindung diente dort der Ermittlung eines Grenzwerts für den Betrieb eines Kernreaktors. Die technische Natur der Erfindung war kein Problem, aber bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit werden nur Merkmale berücksichtigt, die zum technischen Charakter des beanspruchten Gegenstands beitragen («Comvik»-Rechtsprechung). Simulationsverfahren zeigen grundsätzlich keine (unmittelbare) technische Wirkung. Die Rechtsprechung betreffend Patentierbarkeit von Simulationsverfahren ist nicht gefestigt. Bei der Simulation von technischen Vorgängen wurden jedoch schon Patente erteilt, auch in Deutschland und England.

Schliesslich referierte Blumer über die Verfahrensordnung der Beschwerdekammern, die derzeit revidiert wird. Hintergrund der Revision ist der Grundsatz der Amtsermittlung mit Einschränkung (Art. 114 EPÜ). Das EPA ermittelt den Sachverhalt von Amtes wegen (Art. 114 Abs. 1 EPÜ). Das EPA muss jedoch Tatsachen und Beweismittel, welche von den Beteiligten verspätet vorgebracht werden, nicht berücksichtigen (Art. 114 Abs. 2 EPÜ). Es handelt sich hiermit um einen Ermessensentscheid. Dies führte zu einer reichhaltigen, teilweise als widersprüchlich kritisierten Praxis der Kammern zum verspäteten Vorbringen. Die Revision bezweckt eine grössere Effizienz und Harmonisierung zwischen den Kammern. Mit einer Genehmigung durch den Verwaltungsrat wird im Juli 2019 gerechnet.

4. Neue Entwicklungen in den Niederlanden

Koen Bijvank, Patentanwalt in Amsterdam, stellte die neuesten Entwicklungen im niederländischen Patent- und Geschäftsgeheimnisrecht vor.

Zuerst referierte Bijvank über die Entscheide in der «Nikon / ASML»-Saga. Nikon machte die Verletzung von patentierter Halbleiter-Produktionstechnologie und deren Nutzung in den Lithografiesystemen von ASML geltend. In einem Verfahren vor dem District Court Den Haag hatte ASML widerklageweise ein allgemeines Vollstreckungsverbot verlangt, mit welchem Nikon u. a. verboten werden sollte, Unterlassungsverbote zu verlangen oder zu vollstrecken. Das Gericht kam jedoch zum Schluss, dass die Patente von Nikon nicht de- facto standard-essenziell sind (SEP). Nikon musste daher auch keine FRAND-Erklärung abgeben. Solange daher Nikon ASML keine neue Lizenz gewährt hat, kann Nikon seine Patente gegen ASML durchsetzen – vorausgesetzt die Patente sind rechtsbeständig und es liegt eine Verletzung vor. Eine andere Entscheidung wäre nur bei grobem Rechtsmissbrauch zu fällen. Die beiden Parteien befinden sich gemäss Medienmitteilungen offenbar vor einer vergleichsweisen Lösung der Streitigkeiten.

Danach diskutierte Bijvank das Thema einer Einschränkung eines Patents gemäss Art. 138 Abs. 3 EPÜ und deren Einfluss auf inländische Verfahren. Die entscheidende Frage war, ob das nationale Verfahrensrecht das Anpassungsrecht gemäss EPÜ beschränken kann. Im Fall «High Point / KPN» wurde High Point die Änderung seines Patentanspruches im Laufe des Verfahrens vom Obergericht Den Haag verweigert. Die Änderung erfolgte zwar vor der mündlichen Verhandlung, aber erst nach Abschluss des Schriftenwechsels. Gemäss der anwendbaren Verfahrensordnung war dies verspätet. Der niederländische Oberste Gerichtshof entschied damit, dass die Verfahrensordnung durch das Recht auf Abänderung nicht verdrängt wird. Auch die darauffolgende zentrale Einschränkung durch das EPA änderte daran nichts. Das Appellationsgericht in Den Haag berücksichtigte diese Einschränkung nicht. Dies bedeutet, dass im niederländischen Verfahren Ansprüche berücksichtigt werden, welche gemäss EPÜ nicht mehr rechtsbeständig sind. Der Fall liegt jetzt beim Obersten Gerichtshof.

Schliesslich referierte Bijvank zum Thema des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen. Im Fall «Dow / Organik» ging es um die Frage, ob Organik Geschäftsgeheimnisse von Dow gestohlen hatte. In den USA kam die International Trade Commission zum Schluss, dass ein solcher Diebstahl vorlag. Die Beweise aus diesem Verfahren waren durch einen US-amerikanischen protective order geschützt, mit der Folge, dass lediglich die Anwälte der Parteien auf sie Zugriff hatten und sie in anderen Ländern nicht als Beweismittel ins Verfahren eingebracht werden durften. Deshalb beantragte Dow in den Niederlanden ex parte eine vorläufige Beschlagnahme von Beweisen in den Räumlichkeiten von Organik in Rotterdam. Dow beantragte daraufhin Einsicht in die beschlagnahmten Dokumente, während Organik die Aufhebung der Beschlagnahme verlangte. Um Einsicht zu erhalten, musste Dow glaubhaft machen, dass Geschäftsgeheimnisse gestohlen wurden. Dies führt zu einer paradoxen Situation: Dow muss Beweismittel liefern, um den Diebstahl glaubhaft zu machen, damit es Einsicht in die Beweismittel erhalten würde, welche den Diebstahl beweisen sollten. Der niederländische Oberste Gerichtshof entschied in diesem Verfahren, dass die IP-Vollstreckungsmassnahmen gemäss Art. 7 Richtlinie 2004/48/EG auch bei Verfahren betreffend die Verletzung von Geschäftsgeheimnissen anwendbar sind (z. B. die Beschreibung eines Verfahrens).

5. Jüngste Entwicklungen im europäischen Patentsystem

Dr. Stefan Luginbühl, Chef der Sektion Europäische Rechtsangelegenheiten des EPA, gab zunächst einen kurzen Überblick über die vor Kurzem umgesetzten oder demnächst geplanten Änderungen im EPÜ-Verfahren, insbesondere:

  • zum Austausch von Prioritätsunterlagen mittels WIPO-DAS für europäische Patentanmeldungen, mit welchem es zu einer wesentlichen Vereinfachung des Verfahrens zur Einreichung von Prioritätsunterlagen kommt,
  • zur Ergänzung der Prüfungsrichtlinien insbesondere betreffend die Patentierbarkeit von künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen,
  • zum kontroversen Vorschlag zur Einführung einer aufgeschobenen Sachprüfung auf europäischer Ebene sowie
  • zur umstrittenen Frage der Patentierbarkeit von Erzeugnissen, die durch im Wesentlichen biologische Verfahren gewonnen werden, und der damit verbundenen Frage der Anwendbarkeit der revidierten Regeln 27b) und 28 der AO EPÜ.

Weiter referierte Luginbühl über die verschiedenen Validierungsabkommen, die eine Erstreckung der Wirkungen europäischer Patente auf Staaten ausserhalb Europas ermöglichen. 2018 kam ein neues Abkommen mit Kambodscha zustande. Zurzeit gibt es Verhandlungen insbesondere mit Angola, Brunei, Jordanien, Laos und Malaysia. Zudem hat der Verwaltungsrat inzwischen die Republik Montenegro eingeladen, dem EPÜ beizutreten. Danach präsentierte Luginbühl eine Auswahl der letzten Studien und Publikationen des EPA, namentlich «Patents and the Fourth Industrial Revolution» (<www.epo.org/news-issues/news/2017/2017​1211.html>), «The jurisdiction of European courts in patent disputes» (<www.epo.org/learning-events/materials/jurisdiction.html>) und «Compulsory licensing in Europe» (<www.epo.org/learning-events/materials/compulsory-licensing-in-europe.html>), die kostenlos auf der Webpage des EPA erhältlich sind.

Im Weiteren berichtete der Referent, dass das EPA zurzeit daran arbeite, nach dem Vorbild des EUIPO einen ambitionierten strategischen Plan mit Arbeitsprogramm bis 2023 zu entwickeln. Die entsprechende Konsultation von Vertragsstaaten, Nutzerorganisationen und weiteren Beteiligten läuft in einem ersten Ansatz bis Mitte März 2019. Der finalisierte Plan wird dem Verwaltungsrat im Juni 2019 zur Annahme präsentiert. Schliesslich ging Luginbühl zum EU-Einheitspatentpaket über und machte deutlich, dass das deutsche Bundesverfassungsgericht noch immer keine Entscheidung zur einschlägigen Verfassungsklage erlassen hat und es daher unklar sei, wann das lang erwartete neue System in Kraft treten kann.

6. Geschäftsgeheimnisschutz im Prozess

Dr. Stefan Dittmer, Rechtsanwalt und Unternehmensberater in Deutschland, widmete sein Referat dem Geschäftsgeheimnisschutz im Prozess. Als Ausgangslage für seine Ausführungen nahm er den Rechtsstreit zwischen Qualcomm und Apple. Qualcomm klagte gegen Apple wegen Patentverletzung. Verletzt sei eine Technologie, welche den Stromverbrauch von Telekommunikations-Chips reduziert. Apple hätte als Verteidigung die tatsächliche Funktionsweise der Chips offenlegen müssen. Dies war wegen Geheimhaltungsinteressen des Zulieferers nicht möglich. Hätte Apple die Geschäftsgeheimnisse hinter dem Chip offengelegt, wären es keine Geschäftsgeheimnisse mehr. Ohne Offenlegung verliert Apple den Prozess.

Gemäss Dittmer sind die Regeln zum Schutz der Geschäftsgeheimnisse im deutschen Zivilprozessgesetz zur Lösung dieses Dilemmas unzureichend: Die aktuellen Massnahmen schützen den Inhaber des Geheimnisses gegenüber der Gegenpartei nicht, da Geschäftsgeheimnisse in der Klage offengelegt werden müssen. Erst in der mündlichen Verhandlung kann das Gericht den Ausschluss der Öffentlichkeit und die Geheimhaltung anordnen. Zudem kann das Gericht Dritten die Akteneinsicht verwehren. Dies ist jedoch alles im Ermessen des Gerichts. Zudem betrifft dies nur Dritte, nicht die Verfahrensbeteiligten.

Dittmer setzte sich sodann mit der Richtlinie (EU) 2016/943 und dem Gesetzesentwurf zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG-E) in Deutschland auseinander und erörterte, ob diese betreffend das vorangehend erläuterte Dilemma von Apple eine Verbesserung bringen. Die Begriffsbestimmung des Geschäftsgeheimnisses, die Voraussetzungen an die Rechtsverletzung (erlaubte Handlungen, Handlungsverbote sowie Rechtfertigungsgründe) und die besonderen Prozessregeln sind wichtige Neuerungen. Unter den neuen Prozessregeln sticht die strafbewehrte Geheimhaltungsverpflichtung hervor. Diese kann auf Antrag hin vom Gericht angeordnet werden. Voraussetzung sind die Glaubhaftmachung der Geheimhaltungsbedürftigkeit und die Kennzeichnung geheimhaltungsbedürftiger Informationen im Schriftsatz. Die Geheimhaltungspflicht gilt während und nach Abschluss des Verfahrens. Die Verletzung kann mit einem Ordnungsmittel von bis zu EUR 100 000 sanktioniert werden.

Die Neuerungen sind im Vergleich zum aktuellen Regime eine Verbesserung. Gemäss Dittmer ist der Anwendungsbereich jedoch zu beschränkt (nur bei Klagen, bei denen Ansprüche aus dem GeschGehG geltend gemacht werden) und die Ordnungsmittelhöhe zu tief. Zudem werden Geschäftsgeheimnisse dem Gegner weiterhin offenbart. Insbesondere wegen der Beschränkung des Anwendungsbereichs hätte Apple das neue GeschGehG nicht geholfen. Im besagten Verfahren ging es um eine patentrechtliche Klage. Als Alternative wären gemäss Dittmer Schiedsgerichte denkbar.

7. Podiumsdiskussionen

Nach dem zweiten Vortrag und zum Abschluss des patentrechtlichen Teils fanden zwei Paneldiskussionen statt, an welchen neben den vorangehend erwähnten Referenten auch Dr. Mark Schweizer (Präsident des Schweizer BPatGer) und Dr. Tobias Bremi (zweiter hauptamtlicher Richter am Schweizer BPatGer) teilnahmen.

Grabinski hielt fest, dass die Erlangung eines Schutzzertifikats für «A» + «B» eine Erweiterung darstellt, wenn nur «A» durch das Grundpatent geschützt ist. «Teva» seinerseits kombiniert die Konstellationen von «Medeva» und «Elli Lily». Grabinski kam deshalb zum Schluss, dass kein Reformbedarf von Art. 3 lit. a VO 469/2009 besteht: «Mit diesem System hat man ein System, das zwar schwierig anzuwenden ist, das aber zumindest nachvollziehbar ist.» Bremi teilte mit, dass er die Logik nicht ganz nachvollziehen könne, und dass die Rechtsprechung des EuGH, wie die Vielzahl von Vorlagefragen zu genau dem Thema für den EuGH zeige, offenbar in der Praxis mehr Verwirrung als Rechtssicherheit schaffe. «Spannend wird es jetzt für uns, weil die Schweiz dieser Praxis auch folgen muss», so BremiRomandini brachte dann einen rechtsvergleichenden Aspekt in die Diskussion ein. Als der Gesetzgeber diese Vorschrift eingeführt hat, handelte es sich nicht um eine europäische Schöpfung, sondern um einen «Import» aus dem US-amerikanischen Recht. Dies hat jedoch in den USA nie zu einem Problem geführt. Es ist erstens in den USA nicht möglich, ein ESZ für Kombinationen zu erhalten, wenn diese Kombinationen bereits zugelassene Wirkstoffe zum Gegenstand haben. Zweitens ist es nicht möglich, ein ESZ aufgrund einer Marktzulassung zu erhalten, welche für eine dritte Partei – weder den Lizenznehmer noch ein Mitglied derselben Gruppengesellschaft – erlangt wurde. Dies ist in der EU anders. Daher besteht – gemäss Romandini – ein rechtspolitisches Bedürfnis, das vom Gesetzgeber geklärt werden muss.

Schweizer stellte dann die Frage an das Publikum, ob der Entscheid des BGH in Sachen Gurtstraffer richtig war. Ein Teilnehmer reagierte darauf und hielt fest, dass der BGH sehr oft auf den Fachmann abstellt, wenn er einen Anspruch auslegt. Das sei deshalb richtig, weil das Verständnis des Fachmanns als Massstab für viele Auslegungsfragen im Patentrecht relevant ist.

In Bezug auf die Plausibilität hielt Blumer fest, dass sie nicht separat, sondern im Rahmen der Prüfung einer Voraussetzung beurteilt wird, wenn nämlich eine Verbesserung oder ein Vorteil im Rahmen der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit nachzuweisen ist.

Aus dem Publikum erwähnte sodann Freyke Bus zum Thema Geschäftsgeheimnis, dass die Person, die die Dokumente prüft, in der Lage sein muss, diese Dokumente zu verstehen. Es braucht nicht nur etwa einen Anwalt; ansonsten wird es sehr schwierig zu beweisen, dass Geschäftsgeheimnisse ausgenutzt worden sind. Hohe Strafen bei Verletzung von Geschäftsgeheimnissen seien schliesslich für den Inhaber des Geschäftsgeheimnisses wenig relevant.

Ritscher bedankte sich bei den Podiumsgästen und schloss damit den patentrechtlichen Teil der Veranstaltung ab.

II. Urheberrecht

Prof. Dr. Benjamin Raue, Universität Trier, stellte dem Publikum die seines Erachtens drei wichtigsten Urteile des EuGH zum Urheberrecht aus dem Jahre 2018 vor. Diese betrafen das Verbreitungsrecht, den Werkbegriff und das Recht auf öffentliche Wiedergabe.

Im Urteil «Imran Syed» (C-572/17) befasste sich der EuGH mit der Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der InfoSoc-RL. In einem schwedischen Strafverfahren hatte sich die Vorfrage gestellt, ob bereits das Lagern von Kleidern mit urheberrechtlich geschützten Motiven in einem Lagerraum zum unstreitigen Zwecke des späteren Verkaufs in das Verbreitungsrecht des Urheberrechtsinhabers eingreift. Raue meinte, dass mit diesem Urteil das letzte Wort zur «Verbreitung an die Öffentlichkeit» gesprochen sei, indem Vorfeldhandlungen als Verletzungshandlungen sowohl nach objektiven (bspw. das Angebot zum Abschluss des Kaufvertrages) als auch nach subjektiven Kriterien (bspw. die Zweckbestimmung der Lagerung von Waren, d. h. die Absicht, diese Waren ohne Zustimmung des Urheberrechtsinhabers an die Öffentlichkeit zu verkaufen) erfasst werden. Dadurch werde das Urheberrecht ausgeweitet, weshalb es wichtig sei, dass die nationalen Gerichte bei der Beurteilung der Vorfeldhandlungen alle Indizien berücksichtigten.

Im Urteil «Levola / Smilde» (C-310/17) wurde die Frage nach der Existenz eines durch die InfoSoc-RL harmonisierten Werkbegriffs behandelt. Der deutsche BGH hatte dies im Entscheid «Geburtstagszug» verneint. Der EuGH bestätigte in diesem Entscheid seine bisherige Praxis und bekräftigte nochmals, dass es einen harmonisierten Werkbegriff gibt und zur einheitlichen Anwendung des Unionsrechts auch geben muss. Im Verfahren vor dem niederländischen Berufungsgericht ging es in erster Linie um den urheberrechtlichen Schutz des Geschmacks eines Streichkäses. Gemäss EuGH gilt beim harmonisierten Werkbegriff aus Gründen der Rechtssicherheit der Bestimmtheitsgrundsatz. Das geschützte Werk muss klar und genau erkennbar sein. Der Geschmack eines Lebensmittels sei subjektiv und veränderlich. Es fehlte daher die Möglichkeit der präzisen und objektiven Identifizierung bzw. diese sei mit den aktuellen technischen Mitteln nicht möglich. Der Geschmack eines Frischkäses kann daher (noch) nicht urheberrechtlich geschützt werden. Gemäss Raue verdeutlicht dieser Entscheid, dass der EuGH seine bisherige Rechtsprechung nicht nur bekräftigt, sondern den harmonisierten Werkbegriff mit Blick auf die Rechtssicherheit noch weiter eingeschränkt hat und eine gewisse Bestimmtheit dessen verlangt, was urheberrechtlich geschützt werden kann.

Im Urteil «NRW / Renckhoff» (C-161/17) ging es um die Auslegung des Begriffs der «öffentlichen Wiedergabe» im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der InfoSoc-RL. Der EuGH hatte sich auf Vorlage des BGH hin mit der Frage zu befassen, ob eine Fotografie, die ohne Beschränkungsmassnahme und mit Zustimmung des Urheberrechtsinhabers auf einer Webseite abgebildet wurde, auch auf einer anderen Webseite ohne Einwilligung des Urhebers veröffentlicht werden könne. Der EuGH bestätigte dabei die Voraussetzungen an die öffentliche Wiedergabe, welche er in früheren Entscheiden, u. a. zum Linking und Framing, herausgearbeitet hatte. Unter die Voraussetzung der Öffentlichkeit der Wiedergabe fällt als Teilvoraussetzung die Wiedergabe an ein neues Publikum. Unter einem neuen Publikum ist ein Publikum zu verstehen, an das der Inhaber des Urheberrechts nicht gedacht hatte, als er die ursprüngliche öffentliche Wiedergabe seines Werks erlaubte. Beim Linking und Framing hatte der EuGH entschieden, dass kein neues Publikum gegeben ist. Vorliegend ist die Konstellation jedoch anders. Denn die Wiedergabe auf der «neuen» Webseite erfolgte unabhängig von der Wiedergabe auf der ursprünglichen Webseite. Anders als beim Linking oder Framing hätte daher die Löschung der Fotografie auf der ursprünglichen Webseite keinen Einfluss auf die Wiedergabe auf der neuen Webseite. Die Fotografie würde weiter abgebildet bleiben. Zudem seien Hyperlinks für das gute Funktionieren des Internets und für die gewünschte Informationsverbreitung zentral. Dafür sei eine Abspeicherung eines Werkes auf einem eigenen Server nicht erforderlich, sodass diese Form der Wiedergabe nicht auf Kosten des Rechtsinhabers privilegiert werden müsse.

III. Künstliche Intelligenz und Immaterialgüterrecht

Prof. Dr. iur. Florent Thouvenin, Professor für Informations- und Kommunikationsrecht an der Universität Zürich, eröffnete sein Referat mit dem Hinweis, dass er als Jurist versuchen werde, eine Übersetzungsfunktion wahrzunehmen und dem Publikum einen Überblick über das breite Spektrum von möglichen Fragen rund um Immaterialgüterrecht und künstliche Intelligenz zu vermitteln, wobei der Fokus auf dem Patent- und Urheberrecht liegen werde. Anhand einer einfachen Darstellung erklärte Thouvenin sodann, wie ein neuronales Netzwerk grosse Mengen von Daten verarbeitet. Die Beispiele zeigen, dass die neuronalen Netze durch grosse Mengen von Daten trainiert werden müssen, bspw. um ein Bild richtig zu klassifizieren. Je nach Output (richtig oder falsch) müssen die Parameter des Netzwerkes leicht angepasst werden; dies ist so oft zu wiederholen, bis das neuronale Netz in der Lage ist, seine Aufgabe zuverlässig zu erfüllen. Es handelt sich hier bis zu einem gewissen Grade um ein Trial-and-Error-Verfahren. Wie das Netz das Ergebnis genau berechnet, sei praktisch nicht erkennbar, weshalb auch von einer Blackbox gesprochen werde. Eine grosse Herausforderung bestehe deshalb darin, die Verantwortlichkeit bei Fehlern zuzuweisen, etwa beim Einsatz von KI im Bereich des autonomen Fahrens. Als heute schon weitverbreitete Anwendungsfälle nannte Thouvenin die klassische Bild- und Spracherkennung, Übersetzungsprogramme und das Erstellen von Texten, Musik und Bildern.

Im zweiten Teil seines Referats widmete sich Thouvenin den Schutzvoraussetzungen und Rechtsinhabern von KI-generierten Gütern im Patent- sowie Urheberrecht. Betreffend Patentrecht brachte Thouvenin mehrere Beispiele von KI-generierten Erfindungen. Bei all diesen Erfindungen führte KI zu Produktgestaltungen, welche sich deutlich von den bekannten unterscheiden (z. B. neuartige Antennen der NASA, neue Borstenanordnung bei Zahnbürsten). In all diesen Fällen lag eine erfinderische Tätigkeit der KI vor, weil der Fachmann ohne den Beitrag der KI wohl nicht auf die betreffende Gestaltung gekommen wäre. Gemäss Thouvenin könnte der flächendeckende Einsatz von KI in der Forschung und Entwicklung dazu führen, dass die Anforderungen an die erfinderische Tätigkeit steigen werden, wenn KI bald als «state of the art» jedem Erfinder zur Verfügung stehe. Dies könnte zu einer Abnahme von Patenterteilungen führen. Teilweise werde sogar behauptet, dass KI das Ende des Patentrechts sei. Er selbst sei bei dieser Prophezeiung (wie bei anderen, die rund um KI oft zu hören seien) eher zurückhaltend. So sei etwa nicht davon auszugehen, dass verschiedene KI-Systeme zum selben Output kommen – selbst dann, wenn der Input identisch oder vergleichbar ist. Zudem könne es bereits als eine erfinderische Tätigkeit gewertet werden, KI zur Lösung einer Aufgabe einzusetzen, neuronale Netze zu einem bestimmten Zweck zu trainieren oder die erfinderische Lösung (in einem Set von unzähligen Lösungen) zu erkennen. Was die Rechtsinhaber von Patenten von KI-generierten Gütern betrifft, stellt sich die Frage, ob KI als Miterfinderin in Betracht kommt. Schliesslich werde ein wesentlicher Teil der geistigen Leistung durch die KI selbst erbracht. Thouvenin hält jedoch fest, dass basierend auf der heutigen Gesetzeslage KI kein Rechtssubjekt sei und damit nicht Trägerin von Rechten sein könne. Und daran werde sich wohl, trotz der Diskussion um die Einführung einer «E-Personhood», einstweilen (zu Recht) auch nichts ändern.

Die Diskussion zum Urheberrecht an KI-generierten Werken leitet Thouvenin wiederum mit spannenden Beispielen ein (z. B. das «Next Rembrandt»-Projekt und «Google Deep Dream»). Eine Voraussetzung für den Urheberrechtsschutz ist bekanntlich das Vorliegen einer geistigen Schöpfung und damit eine menschliche Tätigkeit. Werke, die von Tieren oder Maschinen geschaffen werden, geniessen in den kontinentaleuropäischen «droit d’auteur»-Systemen keinen Schutz. Damit sei klar, dass KI-generierte Werke urheberrechtlich nicht geschützt seien.

Im Folgenden setzte sich Thouvenin mit der Frage auseinander, ob KI-Systeme (z. B. neuronale Netze) selbst patent- oder urheberrechtlich geschützt werden können. Naheliegend wäre der Schutz als Computerprogramm. KI-Systeme sind jedoch nicht vergleichbar mit den bisherigen Computerprogrammen. Der urheberrechtliche Schutz von Computerprogrammen bezieht sich auf den Source Code, also die Ausformulierung einer Befehlsfolge in einer für den Menschen verständliche Programmiersprache und deren Umsetzung im maschinenlesbaren Binärcode. Trainierte neuronale Netze bestehen dagegen nur aus einem Maschinencode. Der «linguistische Ansatz» des Urheberrechts gehe deshalb ins Leere. Hinzu komme, dass der Mensch beim Trainieren von neuronalen Netzen nicht kontrollieren könne, wie sich das Netz verändere, es fehle also auch hier an einer Steuerung des Ergebnisses durch den menschlichen Geist und damit an einer geistigen Schöpfung. Möglich sei dagegen die Patentierung von KI-Systemen. Massgeblich und wohl auch sinnvoll anwendbar seien dabei die heutigen Kriterien für die Patentierung von computerimplementierten Erfindungen. Schwierigkeiten dürften sich allerdings bei der Offenbarung ergeben, weil – wie erwähnt – die Funktionsweise von KI-Systemen, bspw. von neuronalen Netzen, nicht immer erkennbar sei. Damit sei fraglich, ob KI-Systeme in einer Patentanmeldung hinreichend klar beschrieben werden können.

IV. Markenrecht
1. EU-Entwicklungen im Markenrecht 2018

Freyke Bus, Richterin in der IP-Abteilung des District Court in Den Haag, befasste sich mit verschiedenen Urteilen des EuGH aus dem Jahr 2018.

Einführend ging die Referentin auf die Verkehrsdurchsetzung einer dreidimensionalen Form im «KitKat»-Entscheid (C-596/2018) ein. Hier entschied der EuGH, dass die Verkehrsdurchsetzung einer dreidimensionalen Formmarke für die gesamte Union, d. h. prima vista für jeden Mitgliedsstaat und nicht nur für einen wesentlichen Teil des Unionsgebiets, nachzuweisen sei. Die Referentin kritisierte, dass mit diesem Urteil das Kernmotiv der Europäischen Union, nämlich grenzüberschreitende Geschäfte durch einen gemeinsamen Markt zu erleichtern, unterminiert werde. Zudem führe das Urteil dazu, dass die Thematik gesamtes Unionsgebiet vs. wesentliche Teile nun für verschiedene markenrechtliche Fragen unterschiedlich angewandt werde (berühmte Marke, Nichtgebrauch, Verkehrsdurchsetzung).

Weiter ging Bus auf einen jahrelangen Namensstreit ein, in dem entschieden wurde, dass die EU-weit geltende Marke Neuschwanstein ​(C-673/2018) für Souvenirartikel im Besitz des Freistaats Bayern bleibt. Der Souvenirverband, der Fabrikanten und Händler vertritt, war der Ansicht, dass Neuschwanstein eine geografische Herkunftsangabe darstelle und daher markenrechtlich nicht schutzfähig sei. Der EuGH entschied, dass «Neuschwanstein» ein Fantasiename sei. Das Schloss sei kein geografischer Ort, sondern primär eine Museums-Örtlichkeit. Zudem seien Souvenirs von der Nizza-Klassifikation nicht als eigenständige Ware anerkannt. Die registrierte Dienstleistung war daher «Museumsdienste». Neuschwanstein sei für die Museums-Dienstleistungen nicht beschreibend. Zuletzt sei Neuschwanstein auch keine geographische Herkunftsangabe. Neuschwanstein sei nicht bekannt für Souvenirs, sondern für seine Architektur. Problematisch an diesem Urteil ist gemäss der Referentin, dass der Markeninhaber allenfalls den Gebrauch der Marke durch andere Souvenirhändler verbieten könnte. Es stellt sich die Frage, ob dies effektiv im öffentlichen Interesse ist.

Im Urteil «Mitsubishi Shoji Kaisha Ltd gegen Duma Forklifts» (C-129/17) entschied der EuGH, dass die Entfernung der Marke von eingeführten Originalwaren und der Weitervertrieb unter dem Namen des Importeurs eine Markenverletzung darstellt. Entscheidend war, dass die Marken im Hinblick auf den Import in den EWR entfernt und die Markenprodukte im EWR noch nicht vertrieben wurden. Eine der Markenfunktionen sei die Herkunftsgarantie. Der Markeninhaber habe das Recht, das erste Inverkehrbringen auf einem Markt zu kontrollieren. Das vorliegende «Debranding» habe die Herkunftsgarantie verletzt. Bus brachte vor, dass es möglicherweise besser gewesen wäre, in diesem Fall eine Klage wegen unlauteren Wettbewerbs einzureichen, anstatt als Rechtsfolge des Urteils den Markenschutz unnötig zu erweitern.

Weiter widmete sich die Referentin zwei Entscheiden über Schuhsohlen der Marken Louboutin und Birkenstock und deren Schutzfähigkeit unter der alten Markenrechtsrichtlinie. Konkret untersuchte das Gericht im «Louboutin»-Entscheid (C 423/2018), ob der in Art. 3 Abs. 1 lit. f. der alten Richtlinie verwendete Begriff «Form» auch nicht dreidimensionale Eigenschaften der Ware, wie etwa Farben, erfasse. Der EuGH kam zum Schluss, dass unter der alten Richtlinie der Begriff «Form» nur 3D-Formen erfasse. Dies wird von der Referentin infrage gestellt. Bus macht dabei auf den Ausschlussgrund der technischen Notwendigkeit aufmerksam. Mit diesem Ausschlussgrund sollen Monopolisierungen verhindert werden. Wenn z. B. die Farbe zur Qualität (technischen Notwendigkeit) des Produkts beiträgt, wie z. B. das grüne Glas bei Bier, müsste an sich der Ausschlussgrund vorliegen. Die neue RL sieht nun vor, dass nicht nur die Form, sondern auch andere charakteristische Merkmale zum Schutzausschluss führen können. Damit könnte durchaus auch die Farbe gemeint sein. Gemäss Bus sorgt jedoch die Formulierung der revidierten RL für gewisse Rechtsunsicherheiten. Unklar sei insbesondere auch, was mit Marken geschehe, welche unter der alten Richtlinie registriert wurden​1. Es gibt keine Übergangsbestimmungen, welche sich mit dieser Frage beschäftigen. Es sei folglich abzuwarten, wie der EuGH die revidierte RL auslege.

Im «Birkenstock»-Fall (C-714/​2018) ging es um die Frage, ob der beschreibende Charakter eines Musters als 3D-Marke beurteilt werden muss. Gemäss EuG ist dies der Fall, wenn die Möglichkeit der Nutzung als Oberflächen-Muster besteht. Dies muss für jede Ware im Warenverzeichnis der Anmeldung separat geprüft werden. Der EuGH bestätigte diesen Entscheid. Das Muster sei dazu prädestiniert, auf der Oberfläche der beanspruchten Ware angebracht zu werden.

2. Wichtige Entscheidungen der Beschwerdekammern des EUIPO 2018

Christoph Bartos gab im Rahmen seines Referats einen Einblick in die jüngste Rechtsprechung der EUIPO-Beschwerdekammern 2018. Einleitend machte der Referent auf das «EUIPO Academy Learning Portal» aufmerksam, wo Kurse im IP-Markenrecht angeboten werden sowie neu auch «Tuesday Live Webinars».

Hinsichtlich der Frage, in welcher Sprache die Prüfungen abgehandelt werden, erläuterte der Referent zunächst den Löschungsfall «Plombir» (T-830/16). Der Referent hielt fest, dass je nach Relevanz für die Waren und Dienstleistungen auch Sprachen wie Russisch, Hindi und Japanisch geprüft werden. Das Gericht hob vorliegend die Entscheidung der Beschwerdekammer mit der Begründung auf, dass es eine allgemein bekannte Tatsache sei, dass in Deutschland die russische Sprache ineinem ausgeprägten Kreis präsent sei.

Im Entscheid «Puma» (C-564/16P) brachte das Gericht vor, dass frühere Entscheide, welche die Bekanntheit von Marken bereits festgestellt haben, zu berücksichtigen sind. Laut Bartos sei dies für ältere Marken jedoch nicht per se von Vorteil, da die Feststellung von deren Bekanntheitsgrad oftmals bereits zu lange zurückliege und nicht mehr aktuell sei.

Zum Schluss kam der Referent auf die Ungewissheiten im Zusammenhang mit dem Brexit zu sprechen. Heute geniesse die Unionsmarke Schutz in der gesamten Union, und dies bedeute, dass wenn ein neuer Mitgliedsstaat hinzukomme, sich das Gebiet ausdehne und im umgekehrten Fall das Gebiet kleiner werde. Die Konsequenz, dass bei einem harten Brexit ab dem 31. Oktober 2019 die Unionsmarken in Grossbritannien keinen Schutz mehr geniessen könnten, bringe eine gewisse Rechtsunsicherheit und viele offene Fragen mit sich.

V. Designrecht

Fachänwältin für Urheber- und Medienrecht Dr. Sabine Zentek hielt einleitend fest, der Schwerpunkt ihres Referats sei der Schnittbereich zwischen der ästhetischen Formgestaltung und der ausschliesslichen technischen Bedingtheit. Die Bedeutung und Auslegung der technischen Bedingtheit schilderte die Referentin anhand des Designrechts im engeren Sinne und des Urheberrechts. In Deutschland sowie in anderen Ländern der EU streite man seit vielen Jahren darüber, wie dieses Merkmal auszulegen sei.

Gemäss Zentek hätten viele Gerichte (vor allem in Düsseldorf) in Deutschland bis vor kurzem die Formenvielfaltstheorie vertreten. Dieser Theorie zufolge wird die ausschliessliche Bedingtheit verneint, sobald es Designalternativen gibt, welche die technische Funktion ebenfalls erfüllen können. Dabei genügte es bereits, wenn der Kläger aufzeigen konnte, wie die Form anders ausgestaltet werden könnte. Als Beispiele dieser schutzfreudigen Rechtsprechung nannte die Referentin Entscheide zum Dentalmischer, zum Stacheothermopflaster sowie den Einkaufswagenchip. Bei diesen habe die Tatsache, dass die Oberfläche des schlichten runden Chips unterschiedlich gestaltet werden könne, ausgereicht, um einen Schutzausschluss abzulehnen.

Im Entscheid «Zentrierstifte» sei das Landgericht Düsseldorf dann zum Erstaunen der Referentin erstmalig der Kausalitätstheorie anstatt der Formenvielfaltstheorie gefolgt. Technische Bedingtheit liegt gemäss dieser Theorie bereits vor, wenn die betreffenden Merkmale allein auf der Notwendigkeit beruhen, eine technische Lösung zu entwickeln. Auf Vorlage des OLG Düsseldorf hatte der EuGH im Fall «Zentrierstifte» zu beurteilen, ob ein Schutzausschlussgrund auch vorliege, wenn die gestalterische Wirkung keinerlei Bedeutung für das Produktdesign habe, sondern allein die technische Funktionalität für das Design bestimmend sei. Der EuGH stellte sich dabei auf den Standpunkt der Kausalitätstheorie und hielt fest, dass der Nachweis von Designalternativen alleine nicht ausreiche. Ein Schutzausschluss sei gegeben, wenn die Funktionalität für das Design bestimmend sei. Massgeblich seien alle objektiven Umstände, aus denen die Motive für die Wahl der Designmerkmale hervorgingen. Zentek kritisierte diesen Wandel und betonte dabei, welche rechtlichen Konsequenzen und Unsicherheiten diese neue Rechtsprechung vor allem in Bezug auf den Vertrieb von und die Werbung für Produkte mit sich bringe.

Zentek betonte, dass es damit nun schwieriger sei, für Produkte mit Patentschutz oder technischen Schutzrechten auch gestalterischen Schutz zu erhalten. Patentinhaber würden nun die Gefahr laufen, dass das Design der Produkte aufgrund technischer Vorteile schutzlos bleibe. Als Beispiel hierfür nennt die Referentin den «Bratpfannen»-Entscheid.

Daraufhin befasste sich die Referentin mit der technischen Bedingtheit im deutschen Urheberrecht. Mit dem Entscheid «Geburtstagszug I» gab der BGH die frühere, hohe Anforderung des deutlichen Überragens der Durchschnittsgestaltung auf. Eine «künstlerische» Leistung sei ausreichend. Die Referentin hielt jedoch fest, dass sich das Urheberrecht seither alles andere als erfreulich entwickle. Als Grund für diese negative Entwicklung nennt Zentek das Urteil «Seilzirkus», wo das Gericht die Patentanmeldung als starkes Indiz wahrnahm, um die technische Leistung in den Vordergrund zu stellen und vom Urheberrechtsschutz abzusehen. Gefordert ist eine «künstlerische» Leistung. Die Merkmale dürfen nicht dem Gebrauchszweck geschuldet sein.

Noch unerfreulicher sind aus Sicht der Referentin die Argumente des Landgerichts Stuttgart im Fall «Porsche». Gemäss Landgericht Stuttgart folgt aus dem Entscheid «Seilzirkus», dass der Schutzumfang bei technisch bedingten Merkmalen eng sei. Es urteilte sodann, gewisse Merkmale seien bei allen Porsche-Modellen gleich und viele dieser Merkmale technisch bedingt. Die Referentin kritisierte vor allem, dass sich der Entscheid «Seilzirkus» mit der Frage der Schutzfähigkeit und nicht mit dem Schutzumfang befasste. Beim Schutzumfang war nach bisheriger Rechtsprechung der Abstand zum vorbekannten Formenschatz bestimmend.

Zuletzt setzte sich die Referentin mit der Frage der technischen Bedingtheit im deutschen Wettbewerbsrecht auseinander. Es wird zwischen technisch bedingten und technisch notwendigen Merkmalen unterschieden. Nur technisch notwendige Merkmale sind vom Schutz ausgeschlossen. Im Entscheid Bodendübel lehnte das OLG den Schutz u. a. deshalb ab, weil ein Patent am «Bodendübel» abgelaufen war. Das UWG könne nicht den Patentschutz verlängern. Der BGH sah dies anders und wies die Sache zur Neubeurteilung an das OLG zurück. Der BGH hielt insbesondere fest, gewisse Merkmale seien nicht technisch notwendig. Dies würden die Gestaltungen von Konkurrenzprodukten zeigen. Der Entscheid des BGH ist umstritten. Es wird befürchtet, dass das UWG in dieser weiten Interpretation zu einem verlängerten Patentschutz führen kann.

VI. Besonderheiten von IP-Prozessen in Italien

Zum Abschluss der diesjährigen Tagung gab Luca Ghedina, Rechtsanwalt aus Turin, einen erhellenden Überblick über die Besonderheiten von IP-Prozessen in Italien. Zunächst ging der Referent auf die Tatsache ein, dass die italienische Gerichtspraxis oftmals der «italienische Torpedo» genannt werde. In den letzten Jahren habe jedoch die Neuorganisation der Spezialgerichte dazu geführt, dass für IP-Verfahren 22 spezialisierte Zivilkammern an Land- bzw. Oberlandesgerichten (nur 11, wenn eine Partei im Ausland ist) eine ausschliessliche Zuständigkeit geniessen. Bemerkenswert sei auch, dass, wenn beide Parteien ihren Sitz im Ausland haben, Rom als einziges Gericht zuständig ist. Vor den spezialisierten IP-Gerichten könne z. B. auch Nichtigkeit eigenständig geltend gemacht werden, wobei im Unterschied zu früher alle eingetragenen Rechtsinhaber gemeinsam passivlegitimiert sind. Dabei sei eine weitere Besonderheit des markenrechtlichen Verfahrens in Italien, dass kein erweiterter Schutz für bekannte Marken bestehe und nur identische, ähnliche oder eingetragene Marken geltend gemacht werden können.

Als Nächstes schilderte Ghedina den Ablauf eines Eilverfahrens. Dabei sei besonders erwähnenswert, dass ein einstweiliger Rechtsschutz bei Patentsachen durch Gutachten eines Sachverständigen («Consulente Tecnico d’Ufficio»; «C.T.U.») auch vor der Registrierung geltend gemacht werden könne. Besonders sei ebenfalls, dass bei den italienischen Eilverfahren dem Sachverständigen eine äusserst bedeutende Rolle zukomme. Faktisch haben die Gutachten des C.T.U zwar keine Bindungswirkung für das Gericht, allerdings werde in der Realität höchst selten von seinen technischen Ergebnissen abgewichen. Der Gutachter wird aus diesem Grund als Hilfsperson des Gerichts angesehen. Er hilft dem Gericht bei der Aufklärung bzw. Beratung bei nicht bekannten technischen Vorgängen.

Mit einer letzten Fragerunde schloss Ritscher den fachlichen Teil der Tagung ab und lud zum Besuch der Folgeveranstaltung am gleichen Ort am 27. Januar 2020 ein.

Fussnoten:
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MLaw, Junior Associate, Zürich.

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MLaw, Junior Associate, Zürich.

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Hinweis der Redaktion: In der Zwischenzeit hat der EuGH zu dieser Frage im «Textilis»-Urteil vom 14. März 2019 Stellung genommen. Art. 7 Abs. 1 lit. e Ziff. iii der Verordnung Nr. 207/2009 in geänderter Fassung sei dahin auszulegen, dass er nicht für Marken gilt, die vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung in geänderter Fassung eingetragen wurden.